Sozialrecht

Erstattungspflicht von Ausbildungsförderung

Aktenzeichen  AN 2 K 17.01499

Datum:
19.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5449
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 104
BAföG § 11 Abs. 2, § 28 Abs. 2, § 29 Abs. 3
SGB XII § 53

 

Leitsatz

1 Der vorrangig Verpflichtete hat gemäß § 104 Abs. 1 SGB X nur das zu erstatten, was er selbst bei direkter Leistung an den Leistungsberechtigten im streitigen Zeitraum zu erbringen gehabt hätte. Ist der nachrangige Leistungsträger verpflichtet, mehr zu leisten, als der vorrangige, so ist der Erstattungsanspruch begrenzt auf das, was der vorrangige zu leisten verpflichtet ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung ist von dem Vermögen auszugehen, das zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich vorhanden war. Hat der Auszubildende bereits früher angerechnetes Vermögen nicht verbraucht, so muss es deshalb erneut berücksichtigt werden (vgl. BVerwG BeckRS 1986, 31262761). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine unbillige Härte im Sinne von § 29 Abs. 3 BAföG liegt vor, wenn der Auszubildende das Vermögen tatsächlich oder rechtlich nicht verwerten kann und deshalb nicht für den Lebensunterhalt einsetzen kann oder die Verwertung des Vermögens die Lebensgrundlage gefährden könnte (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 169645). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Über die Klage konnte, nachdem sich die Parteien damit einverstanden erklärt haben, im schriftlichen Verfahren entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet, da die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Bewilligungszeiträume von August 2010 bis Juli 2012 nicht vorliegen.
I.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger verfolgten Erstattungsanspruch ist § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Den Erstattungsanspruch hat der Kläger dem Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 15. Juli 2010 (bezüglich des Schuljahres 2010/2011) bzw. mit Schreiben vom 14. Juli 2011 (bezüglich des Schuljahres 2011/2012) angemeldet.
II.
Hier konkurrieren zwei Sozialleistungsträger im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X miteinander.
1. Der Kläger hat hier als zuständiger überörtlicher Träger der Sozialhilfe nach § 3 Abs. 3 SGB XII i.V.m. Art. 81 Abs. 1 BayAGSG gehandelt. Er hat dem Leistungsberechtigten gegenüber Eingliederungshilfe zur angemessenen Schulbildung geleistet. Die Leistungsgewährung stand im Einklang mit § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Es bestand die Verpflichtung des nachrangigen Leistungsträgers, in vollem Umfang Eingliederungshilfe – ohne Anrechnung des Vermögens des Leistungsberechtigten – zu gewähren, da im Rahmen der Eingliederungshilfe zur angemessenen Schulbildung gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGX XII das vorhandene Vermögen des Leistungsberechtigten nicht zu berücksichtigen ist.
2. Unstreitig bestand für den streitgegenständlichen Zeitraum – dem Grunde nach – auch eine Verpflichtung des Beklagten, Ausbildungsförderung nach dem BAföG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dies ist hier bezüglich der Eingliederungshilfe grundsätzlich der Fall. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Sozialhilfe gegenüber den Leistungen anderer Sozialleistungsträger grundsätzlich nachrangig. Zu diesen gehören auch Leistungen nach dem BAföG (Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB, 2. Auflage 2018, § 2 SGB XII Rn. 14). Im Fall der Eingliederungshilfe verdeutlicht auch § 92 Abs. 3 SGB XII den Grundsatz der Nachrangigkeit nochmals. § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB XII stellt klar, dass die Verpflichtungen Dritter, die nicht nach bürgerlichem Recht unterhaltspflichtig sind, die aber nach sonstigen Vorschriften Leistungen für denselben Zweck zu erbringen haben, wie sie die in § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII genannten Leistungen verfolgen, unberührt bleiben. Somit heben die Leistungsverpflichtungen der Sozialhilfeträger andere Verpflichtungen Dritter weder auf, noch können sie diese ersetzen. Der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe bleibt damit erhalten (Bieritz-Harder/Conradis/Thie, Sozialgesetzbuch XII, 11. Auflage 2018, § 92 SGB XII Rn. 21). Die Leistungspflicht des Beklagten ging somit der Leistungspflicht des Klägers grundsätzlich vor.
III.
Gemäß 104 Abs. 3 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Hiernach hat der Beklagte als für die Leistungen nach dem BAföG zuständiger Träger gegenüber dem Kläger nur das zu erstatten, was er selbst bei direkter Leistung an den Leistungsberechtigten im streitigen Zeitraum zu erbringen gehabt hätte. Ist der nachrangige Leistungsträger verpflichtet, mehr zu leisten, als der vorrangige, so ist der Erstattungsanspruch begrenzt auf das, was der vorrangige zu leisten verpflichtet ist (vgl. BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 51. Edition, Stand: 01.12.2018, § 104 SGB X Rn. 39).
Ausgehend hiervon steht dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum kein Erstattungsanspruch zu, da der Beklagte sich dem Kläger gegenüber mit Erfolg darauf berufen kann, nicht zur Leistung verpflichtet gewesen zu sein, da der Leistungsberechtigte über ein Vermögen oberhalb des Freibetrags des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG verfügt hat und dieses nach der Maßgabe der §§ 27 bis 30 BAföG gänzlich anzurechnen war.
Der Beklagte war nicht dazu verpflichtet, Ausbildungsförderung zu leisten.
1. Gemäß § 11 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet (Bedarf). Der Bedarf für nicht bei den Eltern wohnende Schüler ist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG geregelt und betrug zum streitgegenständlichen Zeitpunkt 383,00 EUR. Die Übernahme der deutlich höheren Internatskosten richtete sich hier nach § 14 a BAföG i.V.m. §§ 6, 7 der Verordnung über Zusatzleistungen in Härtefällen nach dem BAföG (HärteV). § 14 a Satz 1 Nr. 1 BAföG bestimmt, dass Ausbildungsförderung über die Beträge nach § 12 Abs. 1 und 2, § 13 Abs. 1 und 2 sowie § 13 a BAföG hinaus geleistet wird zur Deckung besonderer Aufwendungen des Auszubildenden für seine Ausbildung, wenn sie hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehen und soweit dies zur Erreichung des Ausbildungszieles notwendig ist. Als „Kosten der Unterbringung“ i.S.d. § 7 HärteV sind die tatsächlich im Bewilligungszeitraum zu entrichteten Kosten ohne Schuldgeld (Heimkosten) anzusetzen.
Im streitgegenständlichen Fall sind weder die Höhe der Internatskosten, noch der unmittelbare Zusammenhang mit der Ausbildung strittig. Die Kosten für die streitgegenständlichen Schuljahre betrugen insgesamt 42.341,10 EUR (21.893,10 EUR Schuljahr 2010/2011 sowie 20.448,00 EUR Schuljahr 2011/2012).
2. Nach § 11 Abs. 2 BAföG ist auf den Bedarf des Auszubildenden nach Maßgabe der §§ 21 ff. BAföG Einkommen und Vermögen des Auszubildenden sowie Einkommen seiner Eltern anzurechnen. Als Vermögen gelten gemäß § 27 Abs. 1 BAföG alle beweglichen und unbeweglichen Sachen, Forderungen und sonstige Rechte. Ausgenommen sind Gegenstände, soweit der Auszubildende sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten kann.
Bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung muss nach § 28 Abs. 2 BAföG von dem Vermögen ausgegangen werden, das zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich vorhanden war. Hat der Auszubildende bereits früher angerechnetes Vermögen nicht verbraucht, so muss es deshalb erneut berücksichtigt werden (BVerwG, B.v. 18.07.1986 – 5 B 10/85 – juris). Ohne Rücksicht auf den Beweggrund, warum das Vermögen des Auszubildenden geschont wurde, muss Vermögen, welches zum Antragszeitpunkt vorliegt, weiterhin angerechnet werden (vgl. BVerwG, U.v. 13.1.1983 – 5 C 103/80 – juris Rn. 23). Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG blieb vom Vermögen des Auszubildenden (nach damaliger Rechtslage) ein Betrag von 5.200,00 EUR anrechnungsfrei.
Ausgehend hiervon errechnete sich für die beiden Bewilligungszeiträume kein Förderbetrag. Der Beklagte durfte von einem Vermögen in Höhe von 31.079,05 EUR ausgehen. Der Leistungsberechtigte hatte zum Antragszeitpunkt im Jahr 2005 unstreitig über ein Vermögen in Höhe von 31.079,05 EUR verfügt. Bei den Antragstellungen in den Jahren 2007 und 2008 wurde dem Beklagten mitgeteilt, dass dieses Vermögen noch vorhanden sei. In den Antragsformularen vom 31. Dezember 2011 sowie 2. Dezember 2012 wurden keinerlei Vermögenswerte angegeben. Auf Nachfrage seitens des Beklagten wurden Belege nachgereicht, die ein Vermögen in Höhe von 16.578, 33 EUR zum 18. Juli 2011 auswiesen. Auf den Vermögensverbrauch im Hinblick auf die zuletzt angegebenen 31.079,05 EUR hingewiesen, erklärte der Leistungsberechtigte lediglich, dass ihm Vermögensschwankungen nicht bekannt seien. Auch der Kläger bestätigte, dass der Leistungsberechtigte nicht zu Zuzahlungen zu den Sozialleistungen herangezogen worden sei. Die Vermögensschwankungen konnten nicht aufgeklärt werden. Zu Recht durfte der Beklagte deshalb weiterhin davon ausgehen, dass Vermögen in der zuletzt bekannten Höhe weiterhin vorhanden war. Vom Vermögen in Höhe von 31.079,05 EUR blieb ein Betrag von 5.200,00 EUR anrechnungsfrei. Das verbleibende Vermögen in Höhe von 25.879,05 EUR wurde daraufhin durch die zwölf Monate eines Bewilligungszeitraums geteilt und sodann der Betrag von 2.156,58 EUR auf den monatlichen Bedarf des ersten Bewilligungszeitraums in Höhe von 1.865,43 EUR, sowie auf den monatlichen Bedarf des zweiten Bewilligungszeitraums in Höhe von 1.745,00 EUR angerechnet, § 30 BAföG. Ein Förderbetrag ergab sich somit nicht.
3. Ein über den Betrag von 5.200,00 EUR hinausgehender Teil des Vermögens des Leistungsberechtigten kann nicht anrechnungsfrei bleiben.
Auch über die Regelung des § 29 Abs. 3 BAföG kann hier nicht ein weiterer Teil des Vermögens anrechnungsfrei bleiben. § 29 Abs. 3 BAföG soll unbillige Härten abfedern und ermöglicht, weiteres Vermögen von der Berücksichtigung auszunehmen. Hiermit sollen unzumutbare durch die Pauschalierungen des Gesetzes herbeigeführte Nachteile ausgeglichen werden. Bei der Beurteilung der Härte ist auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn der Auszubildende das Vermögen tatsächlich oder rechtlich nicht verwerten kann und deshalb nicht für den Lebensunterhalt einsetzen kann oder die Verwertung des Vermögens die Lebensgrundlage gefährden könnte (BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 51. Edition, Stand: 01.12.2018, § 29 BAföG, Rn. 10; vgl. BVerwG, U.v. 12.06.1986 – 5 C 65/84 – juris). Dies gilt insbesondere, wenn die berufliche Existenz- oder Lebensgrundlage der Familie zeitlich unmittelbar oder hinreichend sicher in Zukunft gefährdet oder gar ausgeschlossen wäre (Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Auflage 2016, § 29 Rn. 11). Da § 29 Abs. 3 BAföG eine Ausnahmevorschrift darstellt, ist diese eng auszulegen (Rothe/Blanke, BAföG, 5. Auflage, § 29 Rn. 10).
Der Annahme einer unbilligen Härte steht hier jedoch nach Ansicht des Gerichts bereits die Tatsache entgegen, dass lediglich der Erstattungsanspruch zwischen den beiden Leistungsträgern im Streit steht. Es handelt sich vorliegend nicht um den klassischen Fall der unbilligen Härte, die den Auszubildenden selbst trifft. § 29 Abs. 3 BAföG soll Härten abfedern, die dem Auszubildenden aufgrund der teilweise strengen und pauschalen Freibetragsregelung des § 29 Abs. 1 BAföG entstehen (vgl. Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Auflage 2016, Rn. 10). Im Endeffekt soll der Bürger davor geschützt werden, aufgrund der pauschalen Regelungen des BAföG – die zur Bewältigung der Masse an BAföG-Anträgen notwendig sind – seine Existenzgrundlage zu verlieren. Ist, wie hier jedoch eine Beteiligung des Bürgers gar nicht gegeben, da es lediglich um die Erstattung zwischen zwei Leistungsträgern geht, besteht schon kein Raum für die Anwendung des § 29 Abs. 3 BAföG.
4. Auch über die Annahme eines „fiktiven Vermögensverbrauchs“ gelangt man nicht zu einem anderen Ergebnis, da diese Grundsätze hier zur Überzeugung des Gerichts nicht anwendbar sind. Die einzige Konstellation, in der ein fiktiver Vermögensverbrauch angenommen wird, findet sich im Zusammenhang mit der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden, die sich wegen verschwiegenen Vermögens nachträglich als rechtswidrig herausstellen. In diesen Fällen ist von der Behörde rückschauend zu überprüfen, wie für bestimmte, in der Vergangenheit liegende Bewilligungszeiträume die Ausbildungsförderung hätte bemessen werden müssen, wenn der Auszubildende seiner Mitwirkungspflicht aus § 60 Abs. 1 SGB I nachgekommen wäre. Dabei kann nicht unterstellt werden, dass der Auszubildende das Vermögen, das in einem bestimmten Bewilligungszeitraum hätte angerechnet werden müssen, nicht für seine Ausbildung aufgewendet hätte, so dass es im darauffolgenden Bewilligungszeitraum noch zur Verfügung gestanden hätte und deshalb erneut anzurechnen gewesen wäre. Es ist vielmehr vom Normalfall auszugehen, dass der Auszubildende anzurechnendes Vermögen auch tatsächlich zur Deckung des Lebensunterhalts und der Ausbildungskosten verbraucht (BVerwG, B.v. 18.07.1986 – 5 B 10/85 – juris).
Der hier streitgegenständliche Fall ist jedoch nicht mit der gerade dargestellten Konstellation vergleichbar. In der obigen Fallgestaltung ist die Annahme eines fiktiven Vermögensverbrauchs deshalb gerechtfertigt, da in diesem Fall mehrere Zeiträume in der Vergangenheit nachträglich neu bewertet werden, ohne zu wissen, wie der Auszubildende sich bei einer niedrigeren Förderung über mehrere Bewilligungszeiträume hinweg verhalten hätte. Deshalb wird in diesen Fällen angenommen, dass der Auszubildende – bei einer geringer ausfallenden Förderung – seinen Bedarf aus seinem Vermögen bestritten hätte. Dies führt bei der Berechnung des darauffolgenden Bewilligungszeitraums dazu, dass dann nur von einem um den Rückforderungsbetrag geminderten Vermögen zur Deckung des weiteren Bedarfs auszugehen ist. Es kann nicht im Nachhinein eine fiktive Annahme zulasten des Auszubildenden erfolgen. Genau hier liegt der Unterschied zur streitgegenständlichen Konstellation, in der feststeht, dass sich das Vermögen des Leistungsberechtigten – aufgrund der Kostenübernahme durch den Kläger – gerade nicht verringert hat, beziehungsweise eine Verringerung des Vermögens nicht nachgewiesen wurde.
IV.
Die Tatsache, dass der Beklagte das Vermögen des Leistungsberechtigten anrechnen durfte, hat gemäß § 104 Abs. 3 SGB X zur Folge, dass für den streitigen Zeitraum kein Erstattungsanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten besteht, weil der vorrangig zur Leistung verpflichtete Träger gemäß § 104 Abs. 3 SGB X nicht über seine dem Leistungsberechtigten gegenüber bestehende gesetzliche Leistungspflicht hinaus belastet werden kann. Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist also durch das begrenzt, was der vorrangig Verpflichtete, dem Grund nach erstattungspflichtige Leistungsträger, jeweils selbst hätte als Leistung erbringen müssen (VGH Kassel, U.v. 13.2.2018 – 10 A 312/17 – juris Rn. 33). Hierdurch soll der Rechtszustand hergestellt werden, der bestehen würde, wenn der vorrangig verantwortliche Leistungsträger sofort und in vollem Umfang geleistet hätte (vgl. VGH Kassel, U.v. 13.2.2018 – 10 A 312/17 – juris Rn. 36). Im hier streitgegenständlichen Fall führt dies dazu, dass überhaupt kein Erstattungsanspruch besteht, da nach dem BAföG keine Leistungspflicht bestand.
V.
Der Ansatz des Klägers – dass das vorhandene Vermögen des Leistungsberechtigten nach kurzer Zeit aufgezehrt gewesen wäre, wenn dieser die Internatsunterbringung durch das vorhandene Vermögen hätte decken müssen und dann eine Anrechnung dieses Vermögens durch den Beklagten über mehrere Schuljahre hinweg nicht möglich gewesen wäre – widerspricht der gesetzlichen Lage.
Das eben dargestellte Szenario – der Verbrauch des Vermögens nach kürzester Zeit – würde nicht bereits eintreten, wenn man sich die vorherige Leistung des Klägers wegdenken würde, sondern nur, wenn man sich die Leistungspflicht des Klägers gänzlich wegdenken würde. Da jedoch die Leistung nach dem BAföG die Leistung der Eingliederungshilfe nicht entfallen lässt, sondern lediglich ein Vorrang des BAföG besteht, kann die Leistung der Eingliederungshilfe nicht gänzlich ausgeblendet werden.
Der Leistungsberechtigte hat – selbst wenn ihm der Anspruch auf BAföG verwehrt wird – immer noch den Anspruch gegen den Kläger auf Eingliederungshilfe und würde keinesfalls sein eigenes Vermögen heranziehen, wie der streitgegenständliche Fall zeigt. Vielmehr nimmt der Leistungsberechtigte dann die Eingliederungshilfe in Anspruch und deckt so seinen Bedarf. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe entfällt nicht, sobald dem Grunde nach ein BAföG-Anspruch besteht. Die beiden Ansprüche schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie bestehen beide nebeneinander, wenn auch in einem Rangverhältnis. Wenn also der vorrangig Verpflichtete nicht zur Leistung verpflichtet ist, hat der Leistungsberechtigte trotzdem noch seinen Anspruch gegen den nachrangig Verpflichteten. Der Leistungsberechtigte schont also im Endeffekt wieder sein eigenes Vermögen und nimmt stattdessen den Kläger in Anspruch. Somit wird das Vermögen des Leistungsberechtigten nicht verbraucht und kann jedes Jahr aufs Neue im Rahmen des BAföG-Anspruchs angerechnet werden.
Ein Verstoß gegen das Nachrangprinzip des § 2 SGB XII ist nicht gegeben. Der Grundsatz des Nachrangs bleibt gewahrt, da grundsätzlich der vorrangig verpflichtete Beklagte in dem Umfang leisten muss, zu dem er nach den Regelungen des BAföG verpflichtet ist. Führen die gesetzlichen Regelungen des BAföG jedoch dazu, dass der Umfang der – dem Grunde nach zu gewährenden – Ausbildungsförderung auf 0,00 EUR festgesetzt wird, so ist dies hinzunehmen.
VI.
Der Ausfall des Erstattungsanspruchs des bloß nachrangig verpflichteten Klägers findet seine Rechtfertigung auch in den unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Leistungssysteme.
1. Nach § 1 SGB XII ist es Ziel der Sozialhilfe, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Leistung soll die Leistungsberechtigten so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben.
Das Sozialrecht ist immer auf das Überwinden bestimmter Bedarfslagen ausgerichtet (BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 51. Edition, Stand: 01.12.2018, § 1 SGB I Rn. 9). Die Eingliederungshilfe im Speziellen hat gemäß § 53 Abs. 3 SGB XII das Ziel, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den Menschen mit Behinderung die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
Die Leistungen der Eingliederungshilfe müssen darauf gerichtet sein, denjenigen, die ihre Grundrechte zum Beispiel wegen einer Behinderung faktisch nicht ausüben können, dennoch die Möglichkeit zu verschaffen, sich selbst als Grundrechtsinhaber zu erleben und die Grundrechte trotz bestehender Funktions- und Fähigkeitsstörungen wahrnehmen zu können. Maßstab ist hierfür die Möglichkeit der Wahrnehmung von Freiheitsrechten, die Menschen ohne Behinderung offen steht (Bieritz-Harder/Conradis/Thie, Sozialgesetzbuch XII, 11. Auflage 2018, § 53 Rn. 21).
Im Vordergrund steht hier also nicht die finanzielle Bedürftigkeit, sondern vielmehr die vorliegende Behinderung, die durch die Eingliederungshilfe zumindest abgemildert werden soll.
Dieser Zielsetzung entsprechend ist gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.v.m. § 19 Abs. 3 SGB XII das Vermögen des Leistungsberechtigten im Rahmen der Eingliederungshilfe zur angemessenen Schulbildung nicht zu berücksichtigen.
2. Dem gegenüber steht die in § 1 BAföG normierte ausbildungsförderungsrechtliche Zielsetzung, jenen Menschen eine adäquate Ausbildung zu ermöglichen, die sich diese nicht selbst finanzieren können und auch nicht auf die finanzielle Unterstützung ihrer Familie zurückgreifen können (vgl. BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, 51. Edition, Stand: 01.12.2018, § 1 BAföG Rn. 2).
Im Rahmen des BAföG steht die finanzielle Bedürftigkeit im Vordergrund, sodass eigenes Vermögen einzusetzen ist, unabhängig davon, ob der dahinterstehende Auszubildende eine Behinderung hat oder nicht. Regelungen, die dem § 92 SGB XII entsprechen, wurden im BAföG nicht getroffen.
Nach alledem war im Rahmen des Anspruchs auf Ausbildungsförderung das Vermögen des Auszubildenden in vollem Umfang anzurechnen. Dass diese Handhabung letztlich zu dem Ergebnis führt, dass im hier streitgegenständlichen Fall der vorrangig Verpflichtete Beklagte gänzlich von seiner Leistungspflicht befreit wird, spiegelt lediglich die unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Leistungssysteme wieder.
Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten der Internatsunterbringung bestand demnach nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskostenfreiheit besteht nach § 188 Satz 2 HS 2 VwGO in Kostenerstattungsstreitigkeiten nicht.

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