Aktenzeichen 4 ZB 18.1593
Leitsatz
Die Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen bezieht sich nur auf solche Tatsachen, die nach der Rechtsauffassung des Gerichts für den konkreten Streitfall entscheidungsrelevant und daher aufklärungsbedürftig sind (hier für unsubstantiierte Einwände gegen kommunale Gebührenkalkulationen verneint). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 4 K 17.635 2018-06-27 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tagen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 244,80 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen ihre Heranziehung zu Abfallgebühren für das Jahr 2017 durch den Beklagten. Sie machen geltend, dass die Gebührenfestsetzung zu Unrecht nicht durch vorläufigen Bescheid erfolgt sei, und rügen die fehlende Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Gebührenberechnung.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage nach Verzicht der Beteiligten auf mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren mit Urteil vom 27. Juni 2018 abgewiesen. Einer vorläufigen Gebührenfestsetzung bedürfe es nach den gesetzlichen Vorschriften nicht. Eine substantiierte Kalkulationsrüge hätten die Kläger nicht erhoben.
Die Kläger beantragen, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen.
Der Beklagte und die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses treten dem Zulassungsantrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.
Die Kläger tragen zur Begründung ihres Antrags vor, das Verwaltungsgericht habe die Pflicht zur Amtsermittlung und zur Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt sowie gegen die prozessuale Fürsorge- und Hinweispflicht verstoßen. Die Klageerwiderung sei den Klägern mit Schreiben des Gerichts vom 13. Oktober 2017 ohne Fristsetzung nur zur Stellungnahme übermittelt worden. Erstmals mit Schreiben vom 20. Juni 2018 sei eine abschließende Äußerungsfrist bis zum 25. Juni 2018 gesetzt worden; dem seien die Kläger mit Schriftsatz vom 25. Juni 2018 auch nachgekommen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hätte, so dass Amtsermittlungen seitens des Verwaltungsgerichts insoweit nicht erfolgt seien. In einem mündlichen Termin hätte klägerseits ein entsprechender Beweisantrag gestellt werden können, um der Darlegungsobliegenheit zu entsprechen. Angesichts der Ausführungen im angegriffenen Urteil, wonach bei der Kalkulationsrüge eine eingehende Darlegung hätte erfolgen müssen, hätte sich entweder dem Verwaltungsgericht eine Beweisaufnahme aufdrängen müssen oder das Gericht hätte seine Entscheidung, nach § 101 Abs. 2 VwGO zu verfahren, rückgängig machen und einen richterlichen Hinweis erteilen müssen. Der Sachverhalt sei folglich in tatsächlicher Hinsicht nicht geklärt.
Diese Ausführungen lassen keinen Verfahrensmangel erkennen, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann.
Soweit die Kläger einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 1 VwGO) darin sehen, dass den in ihrem Schriftsatz vom 25. Juni 2018 erstmals erhobenen Einwänden gegen die Kalkulation der Abfallgebühren nicht weiter nachgegangen worden sei, übersehen sie, dass die Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen sich nur auf solche Tatsachen bezieht, die nach der Rechtsauffassung des Gerichts für den konkreten Streitfall entscheidungsrelevant und daher aufklärungsbedürftig sind (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.2016 – 9 BN 3.16 – NVwZ-RR 2017, 1037 Rn. 4; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 27 m.w.N.). Ausgehend von dem im angegriffenen Urteil erläuterten, im Berufungszulassungsverfahren nicht in Zweifel gezogenen Grundsatz, dass kommunale Gebührenkalkulationen in der Regel nur auf substantiierte Einwände hin gerichtlich zu überprüfen sind (BVerwG, U.v. 17.4.2002 – 9 CN 1.01 – BVerwGE 116, 188/197; BayVGH, B.v 5.6.2018 – 4 ZB 17.1865 – juris Rn. 28; B.v. 19.3.2018 – 20 ZB 17.1681- juris Rn. 6; vgl. auch Schübel-Pfister, a.a.O., Rn. 34), bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, sich mit den nach seiner Einschätzung unsubstantiierten Einwänden gegen die Gebührenkalkulation näher auseinanderzusetzen und hierzu etwa die entsprechenden Berechnungsgrundlagen vom Beklagten anzufordern.
In dieser Verfahrensweise des Gerichts lag auch kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) oder gegen die aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens folgende gerichtliche Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO). Nachdem seitens der Beteiligten mit Schriftsätzen vom 4. und 16. Juni 2018 der Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt worden war, hatte das Gericht mit Telefax-Schreiben vom 20. Juni 2018 eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren für den 27. Juni 2018 angekündigt und gemäß § 87b Abs. 1 und 3 VwGO für „abschließendes Klagevorbringen“ eine Äußerungsfrist bis zum 25. Juni 2018, 12 Uhr, gesetzt. Dass die Kläger diese (ihnen überobligationsmäßig gewährte) Gelegenheit zur nochmaligen Stellungnahme genutzt haben, um gegen den angegriffenen Bescheid neue, auf die Gebührenkalkulation bezogene Einwände zu erheben, ohne sie in der gebotenen Weise zu substantiieren, hinderte das Verwaltungsgericht nicht an der angekündigten schriftlichen Entscheidung, da aus seiner Sicht auch hierdurch kein Aufklärungsbedarf entstanden war. In der damaligen Situation bestand auch keine Verpflichtung, durch einen entsprechenden richterlichen Hinweis den Klägern die Gelegenheit zur erneuten Ergänzung ihres Sachvortrags oder zur Stellung von Beweisanträgen zu geben, über die auch im schriftlichen Verfahren vorab zu entscheiden gewesen wäre (vgl. dazu Schübel-Pfister, a.a.O., § 86 Rn. 60 m.w.N.). Ein Gericht muss die Beteiligten vor Erlass der Entscheidung nur dann auf die von ihm vertretene Rechtsauffassung hinweisen, wenn es Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. Kraft in Eyermann, a.a.O., § 108 Rn. 110 m.w.N.). Dies war hier nicht der Fall, da die vom Verwaltungsgericht geforderte Substantiierung von Kalkulationsrügen der ständigen Rechtsprechung der Abgabensenate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprach und daher den anwaltlich vertretenen Klägern hätte bekannt sein müssen.
Soweit sich die Kläger darauf berufen, dass der Beklagte keine Gelegenheit mehr gehabt habe, zu dem von ihnen eingereichten Schriftsatz vom 25. Juni 2018 Stellung zu nehmen, trifft dies schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Wie sich aus einem Vermerk in der vorgelegten Gerichtsakte (Bl. 66) ergibt, hat ein zuständiger Mitarbeiter des Landratsamts gegenüber der Berichterstatterin in einem Telefonat am 26. Juni 2018 erklärt, dass ihm der Schriftsatz der Kläger vorliege und dass eine Stellungnahme nicht beabsichtigt sei. Damit lag in jedem Fall eine hinreichende Anhörung des Beklagten vor Erlass der Entscheidung vor. Auf einen diesbezüglichen Verfahrensverstoß könnten sich die Kläger im Übrigen mangels eigener Betroffenheit ohnehin nicht berufen (vgl. BVerwG, B.v. 18.11.2002 – 8 B 79.02 – juris Rn. 4 m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).