Arbeitsrecht

Rechtsweg – Entschädigungsklage nach AGG – Sic-non-Fall

Aktenzeichen  2 Ta 142/18

Datum:
28.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34778
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 17a
AGG § 2, § 6, § 15
ZPO § 29, § 145
GKG § 48 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Bei einer Klage auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG genügt die Rechtsbehauptung, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht, um den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zu eröffnen (sog. Sic-non-Fall). (Rn. 20)

Verfahrensgang

4 Ca 419/18 2018-09-26 Bes ARBGWEIDEN ArbG Weiden

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 26.09.2018, Aktenzeichen: 4 Ca 419/18, aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird hinsichtlich des Anspruch auf Herausgabe der Patientenakte abgetrennt und insoweit an das zuständige Amtsgericht Weiden verwiesen.
3. Hinsichtlich des Anspruchs auf Entschädigung nach § 15 AGG ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben..
4. Die Klägerin trägt 1/8, der Beklagte 7/8 der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
5. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um die Herausgabe einer Patientenakte und um Entschädigung nach § 15 AGG.
Zwischen der Klägerin und der AB Gemeinnützige GmbH (künftig GmbH) besteht ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin war zugleich Patientin der GmbH. Die GmbH ist eine unmittelbare Tochtergesellschaft des Beklagten.
Mit Schreiben vom 10.04.2018 (Bl. 76 d.A.) unterbreitete der Beklagte der Klägerin ein Angebot zur Durchführung des BEM nach § 167 Abs. 2 SGB IX.
Am 14.04.2018 nahm die Klägerin ihre Patientenakte aus dem Sprechzimmer der GmbH mit zu sich nach Hause. Mit Schreiben vom 19.04.2018 (Bl. 16 d.A.) forderte die GmbH die Klägerin zur Rückgabe der Patientenakte auf. Die Klägerin ließ ihre Patientenakte am 26.04.2018 bei ihrer Arbeitgeberin zurückgeben.
Mit Schreiben vom 22.05.2018 forderte die Klägerinvertreterin die GmbH auf, die Patientenakte herauszugeben und machte einen Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend.
Hierauf erwiderte der Beklagte mit Schreiben vom 06.06.2018 (Bl. 20 d.A.).
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin vom Beklagten die Herausgabe der Patientenakte und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der Beklagte rügte den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten und beantragte die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Weiden.
Das Arbeitsgericht Weiden verwies das Verfahren an das Landgericht Weiden mit Beschluss vom 26.09.2018. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte nicht Arbeitgeber der Klägerin sei. Damit liege keine Streitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Sinne des § 2 Abs. 1 und Abs. 3 ArbGG vor. Auch ein sic-non-Fall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei nicht gegeben.
Gegen diesen der Klägerinvertreterin am 28.09.2018 zugestellten Beschluss legte diese mit Schriftsatz vom 08.10.2018, eingegangen beim Arbeitsgericht Weiden am selben Tage, sofortige Beschwerde ein. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 10.04.2018 und 06.06.2018 gezeigt, dass er Arbeitgeber der Klägerin sein wolle. Daher sei die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts gegeben.
Der Beklagte entgegnet, dass zwei einfache Schreiben aus der Rechtsabteilung, die bei dem Beklagten angesiedelt sei, nicht den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Beklagten herbeizuführen vermöge. Die GmbH nehme auch bis zum heutigen Tage die Abrechnung des Gehaltes der Klägerin vor.
Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 15.11.2018 nicht ab und legte den Rechtsstreit dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur weiteren Entscheidung vor. In Ergänzung seines Verweisungsbeschlusses führt das Arbeitsgericht aus, dass der Rechtsstreit nicht auf arbeitsrechtlichem Gebiet liege, sondern auf dem Gebiet des zwischen der Klägerin als Patientin und der GmbH geschlossenen Behandlungsvertrags nach §§ 630 a ff. BGB. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts verwiesen (Bl. 95 bis 98 d.A.).
Das Landesarbeitsgericht gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zum Nichtabhilfebeschluss. Mit Schriftsatz vom 19.12.2018 führte die Klägerin unter anderem aus, dass sie im Rahmen des Behandlungsvertrages nur die Herausgabe der Patientenakte verlangen könne, nicht aber die Patientenakte – wie vom Beklagten vorgetragen – „eigenmächtig an sich genommen“ haben könnte.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere in der erforderlichen Form und Frist beim Landesarbeitsgericht eingereicht worden (§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 78 ArbGG, § 569 ZPO).
2. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zum Teil begründet. Für den Anspruch auf Herausgabe der Patientenakte ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet, hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs nach § 15 AGG hingegen schon.
a. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. In Fällen, in denen der eingeklagte Anspruch ausschließlich auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, deren Prüfung gemäß § 2 ArbGG in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fällt (sog. Sic-non-Fälle), sind die Arbeitsgerichte schon dann zuständig, wenn die Klagepartei schlüssig Tatsachen vorträgt, aus denen sich ihre Arbeitnehmereigenschaft iSv § 5 ArbGG ergibt. Ausnahmsweise reicht sogar die bloße Rechtsbehauptung der Arbeitnehmereigenschaft aus. Es wäre sachlich nicht gerechtfertigt, den schlüssigen, aber streitigen Sachvortrag für die Rechtswegzuständigkeit ausreichen zu lassen, nicht jedoch den unstreitigen, aber unschlüssigen Sachvortrag. Denn in beiden Fällen kommt im Ergebnis nur eine abweisende Sachentscheidung in Betracht (zum Ganzen: Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 5. Aufl., 2018, § 2 ArbGG, Rn 237 ff mwN).
In den Fällen, in denen für den geltend gemachten Anspruch sowohl arbeitsrechtliche als auch andere Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen, die sich entweder ausschließen (sog. Aut-aut-Fälle) oder konkurrieren (sog. Et-et-Fälle) ist jedenfalls ein schlüssiger Tatsachenvortrag notwendig. Rechtsbehauptungen genügen insoweit nicht (zum Ganzen Schwab/Weth a.a.O. Rn 240 ff mwN).
Dabei ist für jeden Streitgegenstand die Rechtswegzuständigkeit gesondert zu prüfen.
b. Für den Anspruch auf Entschädigung nach § 15 AGG ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben. Da der Anspruch der Klägerin nur arbeitsrechtlich begründet werden kann – nämlich wenn es sich bei dem Beklagten um einen Arbeitgeber im Sinne des §§ 15 Abs. 2, 6 Abs. 2 AGG handelt – liegt insoweit ein Sic-non-Fall vor (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 23.01.2012 – 9 Ta 17/12 – juris). Die genannten Normen sehen einen Schadensersatzanspruch für Beschäftigte im Sinne des AGG vor, der sich gegen den Arbeitgeber im Sinne des AGG richtet. Zwar erwähnt § 15 Abs. 2 AGG – anders als § 15 Abs. 1 AGG – nicht explizit den Arbeitgeber als Anspruchsgegner, aus § 15 Abs. 5 AGG ergibt sich jedoch eindeutig, dass sich beide Ansprüche nur gegen den Arbeitgeber richten können. Der Klageerfolg hängt folglich auch von den Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind. Bei einem Sic-non-Fall genügt jedoch bereits die bloße Rechtsbehauptung, dass ein Arbeitsverhältnis vorliege.
c. Für den Anspruch auf Herausgabe der Patientenakte ist nach den genannten Grundsätzen der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten hingegen nicht eröffnet. Es kommen mehrere konkurrierende Anspruchsgrundlagen in Betracht, nämlich sowohl der Behandlungsvertrag als auch der Arbeitsvertrag (sog. Et-et-Fall). Zwar stellt die Klägerin die Rechtsbehauptung auf, dass sich der Herausgabeanspruch auch aus dem Arbeitsvertrag ableiten ließe. Die Klägerin hat ein Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten aber nicht schlüssig behauptet. Im Gegenteil ergibt sich aus dem unstreitigen Parteivortrag, dass der Beklagte nicht Arbeitgeber der Klägerin ist, sondern die GmbH. Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass die GmbH nicht ihre Arbeitgeberin sei. Sie trägt lediglich vor, dass der Beklagte sich als Arbeitgeber ausgebe und einen entsprechenden Rechtsschein geschaffen habe. Dies führt jedoch nicht zum Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten. Insbesondere auf Grund der Mitteilung des Betriebsübergangs auf die GmbH vom 28.08.2012 (Blatt 54 ff der Akten) und den Gehaltsabrechnungen (Blatt 57 der Akten) ist klar ersichtlich, dass die GmbH die Arbeitgeberin der Klägerin ist.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten folgt insoweit auch nicht aus § 2 Abs. 3 ArbGG. Abs. 3 findet keine Anwendung, wenn die Zuständigkeit für die Zusammenhangsklage allein aus der Verbindung mit einem Sic-non-Antrag folgen kann (Kalb in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Aufl. 2018, § 2 ArbGG, Rn 130 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedoch vor (s.o.).
Bezüglich des Anspruchs auf Herausgabe der Patientenakte war das Verfahren daher nach § 145 ZPO abzutrennen und an das zuständige Gericht zu verweisen. Dies ist im vorliegenden Falle das Amtsgericht Weiden. Es handelt sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit (§ 12 GVG), so dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts folgt aus § 23 Nr. 1 GVG, da der Streitwert für die Herausgabe der Patientenakte nach dem Dafürhalten des erkennenden Gerichts die Summe von 5.000,- € nicht übersteigt. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Weiden folgt aus §§ 29, 35 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 29 ZPO Rn 25 „ärztlicher Behandlungsvertrag“
III.
1. Das Landesarbeitsgericht hat gemäß § 78 Satz 3 ArbGG durch den Vorsitzenden ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter über die sofortige Beschwerde zu entscheiden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
3. Der Streitwert für den Anspruch auf Herausgabe der Patientenakte wurde für das Beschwerdeverfahren gemäß § 48 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien mit 1.000,00 € bemessen (§ 48 Abs. 2 Satz 1 GKG). Für den Antrag auf Entschädigung wurde der geltend gemachte Betrag von 7.500,00 € angesetzt.
4. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlt es unter Berücksichtigung der §§ 17 a Abs. 4 GVG, 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.

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