Aktenzeichen 15 C 15.747
ZPO § 572 Abs. 2 S. 2
GKG § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2
Leitsatz
1 Durch die Festsetzung eines niedrigeren als den von ihnen für zutreffend gehaltenen Streitwerts werden die Verfahrensbeteiligten in der Regel nicht beschwert. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es entspricht im Regelfall der Ausübung sachgerechten Ermessens, sich bei der Festsetzung des Streitwerts an den Empfehlungen des von der Streitwertkommission erarbeiteten Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu orientieren. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 5 S 14.1612 2015-02-05 VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen wird verworfen.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 5. Februar 2015, dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugestellt am 11. Februar 2015, lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin für die Errichtung einer Asylbewerberunterkunft durch die Beigeladene ab, erlegte den Antragstellern als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auf und setzte den Streitwert für dieses Verfahren auf der Grundlage von § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Hinweis auf Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 3.750,- Euro fest. Hiergegen wendet sich die Beigeladene über ihre Prozessbevollmächtigten mit ihrer am 18. März 2015 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Beschwerde.
Die Beigeladene beantragt,
den Streitwert anderweitig, mindestens auf 135.000,- Euro festzusetzen.
Die Antragstellerinnen machten als Eigentümerinnen einer ca. 22.500 m² großen Gewerbeimmobilie eine Beeinträchtigung durch die heranrückende Wohnnutzung geltend. Der Mietpreis für Gewerbeimmobilien liege bei Lagerflächen am Cityrand bei ca. 3,50 Euro, bei Produktionsflächen bei 4,40 Euro pro Quadratmeter. Die Monatsmiete für das Grundstück der Antragstellerinnen läge damit bei 22.500 m² x 4 Euro pro m² = 90.000,- Euro. Selbst wenn man nur drei Monatsmieten als Schaden durch Leerstände des Grundstück ansetzen wollte, läge der Streitwert in der Hauptsache bei 3 x 90.000 Euro = 270.000,- Euro; im Eilverfahren wäre dieser Wert auf 135.000,- Euro zu halbieren. Der Streitwert sei neu auf das zu schätzende wirtschaftliche Interesse der Antragstellerinnen an der Verhinderung des Bauvorhabens, mindestens aber auf 135.000,- Euro festzusetzen.
Die Antragstellerinnen erwidern über ihre Bevollmächtigten, dass der Versuch der Beigeladenen, den Streitwert am konkreten Einzelfall festzumachen zu erheblichen praktischen Problemen führen würde. Der drohende wirtschaftliche Schaden müsste – gegebenenfalls über eine Beweiserhebung – ermittelt werden. Berechnungen des Schadens – wie hier durch den Bevollmächtigten der Beigeladenen – seien letztlich nur Versuche einen (möglichst hohen) Betrag zu greifen, belegt seien sie durch nichts. Es sei auch unklar, worauf abzustellen sein sollte, falls die Klage in der Hauptsache unbegründet sei, komme es dann auf die subjektive Einschätzung der Wertminderung des Klägers oder auf die von ihm als beeinträchtigt geltend gemachten Rechte (Abstandsflächen, Brandschutz, Lärm) an? Das alles spreche für die Beibehaltung pauschalierter Streitwerte. Eine Abweichung hiervon könne nur gerechtfertigt sein, wenn sich im Einzelfall ausnahmsweise eine erhebliche Wertminderung aufdränge, was hier aber nicht gegeben sei.
II.
1. Die Beschwerde ist unzulässig.
Durch die Festsetzung eines niedrigeren als den von ihnen für zutreffend gehaltenen Streitwert werden die Verfahrensbeteiligten in der Regel nicht beschwert. Vielmehr vermindern sich dadurch die von ihnen zu entrichtenden wertabhängigen Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren (§ 3 Abs. 1 GKG, § 2 Abs. 1, § 23 Abs. 1 RVG). Für die Streitwertbeschwerde, die im Namen eines Beteiligten mit dem Ziel der Heraufsetzung eines vermeintlich zu niedrigen Streitwerts erhoben wird, besteht daher in der Regel kein Rechtsschutzinteresse (BayVGH, B.v. 9.5.2018 – 8 C 18.776 – juris Rn. 5 m.w.N.). Insbesondere kann eine Partei die Streitwertbeschwerde nicht dazu nutzen, durch die Erhöhung des Streitwerts das finanzielle Risiko der Gegenpartei an der Prozessführung zu steigern (BGH, B.v. 20.12.2011 – VIII ZB 59/11 – juris Rn. 6).
Die Beschwerde war daher nach § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 2 Satz 2 ZPO mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig zu verwerfen.
2. Die Beschwerde wäre darüber hinaus auch unbegründet.
Gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers bzw. Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgebend ist nicht die subjektive Bedeutung, die der Antragsteller bzw. Kläger der Sache beimisst (Affektionsinteresse), sondern der Wert, den die Sache bei objektiver Beurteilung für den Antragsteller bzw. Kläger hat, vgl. VGH BW, B.v. 20.12.1976 – III 1594/76 – NJW 1977, 827. Es entspricht im Regelfall der Ausübung sachgerechten Ermessens, sich bei der Festsetzung des Streitwerts an den Empfehlungen des von der Streitwertkommission erarbeiteten Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – hier in der im November 2013 veröffentlichten Fassung (Streitwertkatalog 2013, NVwZ-Beilage 2/2013 S. 57 ff., BayVBl-Beilage 1/2014) – zu orientieren. Dieser schlägt unter Nr. 9.7.1 für die Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung einen Streitwert zwischen 7.500,- Euro und 15.000,- Euro vor, soweit nicht ein höherer wirtschaftlicher Schaden feststellbar ist; in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert nach der Empfehlung Nr. 1.5 in der Regel die Hälfte. Der relativ geringe Ansatz des Streitwerts für Nachbarklagen soll es betroffenen Nachbarn ermöglichen, sich unabhängig von ihrer Finanzkraft oder der Werthaltigkeit ihres Grundeigentums oder des als beeinträchtigt geltend gemachten subjektiv-öffentlichen Rechts vor den Verwaltungsgerichten gegen die Genehmigung von Vorhaben in ihrer Nachbarschaft wehren zu können, ohne von unübersehbaren Kosten abgeschreckt zu werden.
Dass sich das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall an den vorgenannten Empfehlungen orientiert hat, kann nicht beanstandet werden. Die Darlegungen der Beschwerde führen nicht zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Konkret belegbare wirtschaftliche Auswirkungen für die Antragstellerinnen und Klägerinnen hätte der Wegfall der im Streit stehenden Baugenehmigung nicht. Die Angaben der Beschwerde der Beigeladenen hierzu sind – worauf die Antragstellerinnen zu Recht hingewiesen haben – lediglich in den Raum gestellt.
Der Wegfall der streitigen Genehmigung würde nach Lage der Dinge auch die rechtliche Situation nicht zu Gunsten der Antragstellerinnen verändern. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss ausführlich dargelegt, dass die bauplanungsrechtliche Situation die Errichtung einer weiteren Anlage für soziale Zwecke unter jedem denkbaren Blickwinkel zulässt und eine derartige Genehmigung nicht zu einer Beeinträchtigung der gewerblichen Nutzung der Grundstücke der Antragstellerinnen führt. Bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts sei in der unmittelbaren Umgebung der Grundstücke der Antragstellerinnen Wohnnutzung in näherer oder annähernd gleicher Entfernung vorhanden (BA Rn. 75), die bei der Bestimmung des Maßes der Zumutbarkeit zu berücksichtigen sei. Die vorhandene Situation werde durch das Hinzutreten des streitigen Vorhabens nicht zu Lasten der Antragstellerinnen verschärft.
Ohne Einfluss auf die Bemessung des Streitwerts ist die Bedeutung des Vorhabens für die Allgemeinheit, die sich nach den Ausführungen der Beschwerde im Abwehrinteresse der Antragstellerinnen widerspiegle, zumal für Flüchtlinge bereits Notunterkünfte in Turn- und Stadthallen errichtet würden. Die Gemeinwohldienlichkeit eines Vorhabens ist kein für die Bestimmung des Abwehrinteresses eines Nachbarn geeignetes Kriterium.
In Anbetracht dieser Umstände scheidet im vorliegenden Fall die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Schätzung eines wirtschaftlichen Schadens analog § 287 ZPO i.V.m. § 173 VwGO nach Ermessen aus.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 68 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.