Aktenzeichen 1 F 1504/18
Leitsatz
Tenor
1. Es wird festgestellt dass bezüglich des Antrags auf Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen bei dem Betroffenen …, keine familiengerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit gegeben ist, weil durch die Anbringung eines Bauchgurts am Rollstuhl, der bedarfsabhängigen Anbringung eines Schmetterlingsgurtes zur Fixierung im Rollstuhl, von Fixiergurten im Stehständer für einen Zeitraum von maximal einer halben Stunde täglich sowie der Verwendung von Arm- und Beinschienen von maximal 10 bis 15 Minuten täglich, keine genehmigungsbedürftigen freiheitsentziehende Maßnahmen im Sinne des § 1631 b Abs. 2 BGB vorliegen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Es liegt ein Antrag der Eltern des Betroffenen vom 12.09.2018 auf Genehmigung von freiheitsentziehenden Maßnahmen vor, unter Berücksichtigung der zum 01.10.2017 eingetretene Rechtsänderung durch das Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern in Einrichtungen.
Bei dem betroffenen Kind erfolgen in der Einrichtung … freiheitsentziehende Maßnahmen durch die Verwendung eines Bauchgurtes am Rollstuhl, bei Bedarf Verwendung eines Schmetterlingsgurtes zum Sitzen im Rollstuhl, Verwendung von Fixiergurten im Stehständer, Verwendung von Arm- und Beinschienen.
Hinsichtlich der vorliegenden Erkrankung und der erforderlichen Maßnahmen liegen ärztliche Atteste von Dr. C. und … vor. Nach dem vorliegenden Attest vom 02.10.2018 dienen die angewendeten Fixierungsmaßnahmen ausschließlich therapeutischen bzw. medizinischen Zwecken und nicht dazu, die Fortbewegung des Kindes zu unterbinden.
Durch den Gesetzestext und dem vom vorgenannten Gesetz beabsichtigten Regelungsgehalt (entsprechend den Ausführungen in der Bundesdrucksache 18/11278) ergibt sich, dass von einer Genehmigungsbedürftigkeit nur umfasst sind Maßnahmen, durch die die Freiheit entzogen werden soll. Das bedeutet, dass die Freiheitsentziehung Zweck der eingesetzten Mittel sein muss, die Maßnahme das Kind also gerade an der Fortbewegung hindern soll.
Aufgrund des vorliegenden ärztlichen Attests leidet das betroffene Kind unter einer progredienten neurodegenerativen Erkrankung mit De-novo-Mutation im CLPB-Gen mit Immundefekt, mikrozytärer Anämie, 3-Methylglutaconazidurie und 3-Methylglutarazidurie, Hepatomegalie, schwerer psychomotorischer Retardierung, Tetraspastik sowie Epilepsie.
Die angeführten „freiheitsentziehenden Maßnahmen“ sind zur Ermöglichung konsequenter Förderung, dem Ausschluss selbstgefährdender Sturzereignisse, damit aus therapeutischen, medizinischen und dem Selbstschutz des Kindes dienenden Gründen des Kindes erforderlich.
… ist wegen seiner multiplen Erkrankung massiv in seiner Bewegung eingeschränkt, freies Sitzen kaum möglich und eine Fortbewegung nur mit technischer Unterstützung (Rollstuhl) möglich.
Die Verwendung eines Stehständers sowie von Arm- und Beinschienen dient der Verbesserung von körperlichen Funktionen des Kindes, wobei die Verwendung dieser Gerätschaften, wenn … Un- oder Widerwillen gegen die Anwendung äußert, nach Aussage der ihn in der Einrichtung betreuenden Personen unterbleibt.
Die angewandten Fixierungsmaßnahmen, die von der erkennenden Richterin bei der persönlichen Anhörung des Kindes am 22.11.2018 in Augenschein genommen wurden, ermöglichen es dem Kind sich überhaupt fortzubewegen und dienen nicht dazu, es in seiner Fortbewegung einzuschränken.
Der Bauchgurt und die Verwendung eines Schmetterlingsgurtes bei der Nutzung des Rollstuhls, ermöglichen … eine Fortbewegung, weil er eigentlich nicht in der Lage ist, ohne Gurt seinen Oberkörper aufrecht zu halten.
Die erkennende Richterin geht deshalb davon aus, dass die vorgenannten Fixierungsmaßnahmen keinen Freiheitsentzug darstellen und trotz der damit einhergehenden Bewegungseinschränkung, keinem familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalt unterliegen.
Es ist noch darauf hinzuweisen, dass die bei … auf dem Schulwegtransport erfolgenden Fixierungen nicht in einer „Einrichtung“ erfolgen und schon deshalb keinem Genehmigungsvorbehalt unterliegen.
Die Anwendung eines elastischen Rumpfmieders dient der Festigung des Oberkörpers und stellt an sich keine freiheitsbeschränkende Maßnahme dar, weil damit keine Beeinträchtigung eventueller willentlicher Bewegungen verbunden ist.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 42 Abs. 2 und 3 FamGKG. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG.