Verwaltungsrecht

Asyl, Afghanistan: keine Gruppenverfolgung der Hazara; westliche Landesteile sind inländische Fluchtalternative

Aktenzeichen  Au 5 K 16.31414

Datum:
5.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27886
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Volkszugehörige der Hazara einschließlich der Untergruppe der Sayed/Sadat unterliegen in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, sind aber keiner durch die Taliban oder anderer nichtstaatlicher Akteure an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt, noch besteht für sie eine relevante Gefahrendichte. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Lage in Afghanistan führt gesamtbetrachtend nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot anzunehmen wäre (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 136946). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3 Selbst wenn man Kabul inzwischen nicht mehr als geeignete innerstaatliche Fluchtalternative ansehen würde, stellt für die Kläger insbesondere Herat eine inländische Fluchtalternative dar. (redaktioneller Leitsatz)
4 Das Risiko, in den westlichen Regionen Afghanistans verletzt oder getötet zu werden, ist nicht ausreichend hoch, um eine individuelle, erhebliche Gefahr allein aufgrund der Anwesenheit in diesem Gebiet anzunehmen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es ist den Klägern weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, noch liegen in ihrer Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 21. Juli 2016 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall der Kläger nicht vor.
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Gemessen an diesen Maßstäben konnten die Kläger eine individuelle Verfolgung nicht glaubhaft machen. Da sich die Kläger bereits seit längerer Zeit vor ihrer Ausreise ausschließlich im Iran aufgehalten haben, scheidet eine asylrechtlich relevante Vorverfolgung im Sinne der §§ 3, 3b AsylG in Bezug auf den Zielstaat Afghanistan aus. Der Kläger zu 1 hat Afghanistan bereits im Alter von 7 Jahren dauerhaft verlassen; seine Ehefrau, die Klägerin zu 2, ist im Iran geboren und weist keine Voraufenthalte in Bezug auf den Zielstaat Afghanistan auf. Mangels Vorverfolgung scheidet eine Flüchtlingsanerkennung für die Kläger aus. Hieran vermag auch die Zugehörigkeit der Kläger zur Volksgruppe der Hazara nichts zu ändern.
b) Eine Verfolgung allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara haben die Kläger nicht zu befürchten. Volkszugehörige der Hazara einschließlich der Untergruppe der Sayed/Sadat unterliegen in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, sind aber keiner durch die Taliban oder anderer nichtstaatlicher Akteure an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ausgesetzt, noch besteht für sie eine entsprechende Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – BVerwGE 126, 243). Danach setzt die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung voraus, dass eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13A B 11.30064 – juris Rn. 20). Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinn der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden (BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 a.a.O.).
Die Hazara sind eine in Untergruppen zerfallende Minderheiten-Volksgruppe in Afghanistan mit Siedlungsschwerpunkt in der Provinz Bamyan; ihre Zahl wird auf rund 1,5 Mio. Menschen in Afghanistan und rund 150.000 Menschen im Iran geschätzt. Hazara unterlägen zwar fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Haft; die Zahl der Entführungen sei seit dem Jahr 2015 gestiegen, teils freigelassen bzw. gegen andere Häftlinge ausgetauscht worden (ACCORD, Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, Abfrage vom 26.8.2016, http://www.ecoi.net/local link/325973/465909_de.html:; auch Amnesty International – AI, Auskunft an das VG Wiesbaden vom 5.2.2018, S. 21 f., 69 f. mit Verweis auf Bamyan als arme Region aber mit wenigen Sicherheitsvorfällen; EASO Country of Origin Information Report, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 53, 55 a.E.). Es fehlt aber an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 13a ZB 17.31611 – Rn. 6 m.w.N.; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 68, 76 ff.). Auch unter Berücksichtigung und Würdigung der aktuellen Auskunftslage und der Stellungnahme des UNHCR (Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016; UNHCR, International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 12.3.2018, S. 12 zu religiösen und ethnischen Minderheiten allgemein) ergibt sich keine abweichende rechtliche Bewertung. Nach den Lageberichten des Auswärtigen Amts hat sich für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara die Lage grundsätzlich verbessert (so auch EASO Country of Origin Information Report, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 53 f.). Die in den Lageberichten geschilderten Überfälle auf schiitische Einrichtungen in Kabul und anderen Städten des Landes zeigen die latenten Spannungen zwischen IS und Hazara, führen aber in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung nicht zur Annahme einer auch in Kabul so für Hazara gesteigerten Leibes- und Lebensgefahr, die jeden zurückkehrenden Hazara treffen würde (vgl. auch VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 47 ff.). Eine höhere Gefahr besteht bei schiitischen Versammlungen und politischen Demonstrationen von Hazara (EASO Country of Origin Information Report, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 54). Gleichwohl zeigt eine Auswertung der Überfälle auf Busreisende, dass Hazara weniger wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit als vielmehr wegen ihrer – auch als Beschäftigte der Regierung oder von Nichtregierungsorganisationen – intensiveren Reisetätigkeit im Vergleich zu anderen Volksgruppen häufiger Ziel von Überfällen und Entführungen entlang der Überlandstraßen werden, wobei die Zahl der Vorfälle zwischen 2015 und 2016 abgenommen habe (EASO Country of Origin Information Report, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 54 f.). Eine vorwiegend ethnische Anknüpfung solcher Überfälle ist daher nicht belegt.
Die Situation einer gewissen Diskriminierung gilt auch für die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Schiiten, da Schiiten zwar nicht in allen Landesteilen gleichermaßen zahlenmäßig vertreten sind, aber doch neben den Sunniten mit etwa 19% die zahlenmäßig nächst große Religionsgruppe bilden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31.5.2018, S. 10 f.) und ein entsprechendes Gegengewicht bilden, so dass nicht von einer landesweiten Gruppenverfolgung ausgegangen werden kann. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten als auch im Hohen Friedensrat sind auch Schiiten vertreten. Beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31.5.2018 S. 11). Auch wenn sich einzelne lokale oder regionale Angriffe der Taliban gegen Angehörige und Einrichtungen schiitischer Religionszugehörigkeit richten (vgl. AI, Auskunft vom 8.1.2018 an das VG Leipzig, S. 8; EASO Country of Origin Information Report, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, S. 53 f.), fehlt es jedenfalls an der für die Annahme einer landesweiten Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte. Schiiten sind daher keiner an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfenden, gruppengerichteten Verfolgung durch die Taliban oder andere nichtstaatliche Akteure ausgesetzt (vgl. VG Augsburg, U.v. 23.10.2017 – Au 6 K 16.32308 – juris Rn. 20 m.w.N.).
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Die Kläger haben nicht glaubhaft machen können, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
a) Es ist nicht zu erwarten, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnten. Die Kläger haben hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht. Hierzu ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
Auch führt die Lage in Afghanistan gesamtbetrachtend nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2018 – 13a ZB 17.30687 – nicht veröffentlicht; B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris; B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167).
Zudem wären die Kläger insofern auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG). Selbst wenn man Kabul inzwischen nicht mehr als geeignete innerstaatliche Fluchtalternative ansehen würde, stellt für die Kläger insbesondere Herat eine inländische Fluchtalternative vor den Gefahren ernsthafter Schäden i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylG dar.
Eine erhebliche individuelle Gefahr für die Kläger trotz Fehlens individueller gefahrerhöhender Umstände ist in Herat auch nicht aufgrund eines besonders hohen Niveaus willkürlicher Gewalt anzunehmen.
In der westlichen Region Afghanistans, zu der auch die Provinz Herat zählt, wurden nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen Afghanistan (UNAMA, Jahresreport 2017, dort S. 7) im Jahr 2017 insgesamt 998 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 3,5 Mio. in dieser Region (vgl. VG München, U.v. 11.7.2017 – M 26 K 17. 30939 – juris Rn. 29), ergibt sich ein jährliches Risiko von 1:3507 verletzt oder getötet zu werden. Selbst bei einer Verdreifachung der Anzahl der Verletzten und Getöteten aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergäbe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1196, was nach dem vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Maßstab – danach ist ein Risiko von 1:800, in einem Gebiet verletzt oder getötet zu werden, nicht ausreichend, um eine individuelle, erhebliche Gefahr allein aufgrund der Anwesenheit in diesem Gebiet anzunehmen – (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 21.1.2010 – 13a B 08.30285 – juris Rn. 27) keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei alleiniger Betrachtung der Provinz Herat. Dort gab es im Jahr 2017 insgesamt 495 verletzte und getötete Zivilisten, davon 238 Tote und 257 Verletzte (UNAMA, Halbjahresbericht 2017, S. 67). Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz Herat von ca. 1,9 Mio. Einwohnern entspreche dies keinem für eine Schutzgewährung ausreichendem Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dieses läge bei 1:3838, bei einer hypothetischen Verdreifachung bei 1:1279.
Die Kläger könnten auch sicher und legal i.S.d. § 3e AsylG nach Herat reisen. Üblicher Zielort von Rückführungen abgelehnter Asylbewerber ist zwar Kabul. Von dort aus fliegen täglich drei Flugzeuge der afghanischen Fluglinie Kam Air zum Flughafen von Herat. Darüber hinaus gibt es auch einige internationale Flüge nach Herat.
Schließlich kann von den Klägern auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich in Herat niederlassen. Das Gericht weist darauf hin, dass den Klägern die Abschiebung nach Afghanistan und nicht ausschließlich nach Kabul angedroht wurde.
Die Provinz und die Stadt Herat sind schon seit langem Zielort zahlreicher, oft mittelloser Binnenflüchtlinge aus umliegenden Gebieten. In Herat leben lt. EASO zwischen ca. 477.000 und 730.000 Menschen. Herat verfügt über eine starke und relativ vielfältige Wirtschaft. Herat ist einer von Afghanistans größten Handelspunkten, allerdings wird ein Rückgang des Handelsvolumens aufgrund der stagnierenden Wirtschaft erwartet. Die Lage für Rückkehrer in Herat ist eine ähnliche wie die in Kabul. Die mit Abstand wichtigste Einkommensquelle sind Gelegenheitsarbeiten, z.B. im Bausektor oder beim Warentransport auf Märkten. Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist in Herat besser als in anderen Großstädten. Zwar ist das dortige Gesundheitssystem immer noch im Aufbau befindlich, jedoch sind Psychotherapie und Medikamente in allen Gesundheitszentren der Provinz verfügbar. Bei einfachen Beschwerden können sich Rückkehrer an die kostenlosen staatlichen Stellen wenden.
Gemessen hieran würde es den Klägern nach Auffassung des Gerichts voraussichtlich möglich sein, in Herat wirtschaftlich Fuß zu fassen. Es ist in dieser Stadt üblich und relativ leicht möglich, Arbeit als Tagelöhner zu finden und sich auf diese Weise angemessen zu versorgen. Trotz aller bestehenden Widrigkeiten würde es den Klägern nach Auffassung des Gerichts aller Voraussicht nach möglich sein, in Herat Arbeit als Tagelöhner zu finden und dadurch ihre Grundbedürfnisse zu sichern.
Zu dieser Einschätzung gelangt das Gericht dadurch, dass vor ihrer Ausreise aus dem Iran sowohl der Kläger zu 1 als auch die Klägerin zu 2 berufstätig waren. So hat der Kläger zu 1 nach seinem eigenen Vorbringen zunächst als Schneider gearbeitet und war später auf Baustellen seines Vaters als Vorarbeiter tätig. Dass der Kläger deshalb aufgrund seiner bereits im Alter von 6 bzw. 7 Jahren erlittenen schwerwiegenden Brandverletzung zu keiner beruflichen Tätigkeit fähig wäre, ist zu verneinen. Hinzu kommt, dass anders als in afghanischen Familien mit minderjährigen Kindern die Klägerin zu 2 nicht als Hausfrau tätig war, sondern vor ihrer Ausreise im Iran ebenfalls einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen ist. So hat die Klägerin bis zu ihrer Ausreise zunächst als Schneiderin und später im Kosmetikbereich gearbeitet. Da nicht zu erkennen ist, dass die Kläger dauerfristig arbeitsunfähig sind und auch einer der Landessprachen (Dari) mächtig sind, erachtet das Gericht eine Rückkehr für das kinderlose Ehepaar für zumutbar.
Überdies könnten die Kläger zumindest für die erste Zeit nach ihrer Rückkehr verschiedene Rückkehrförderprogramme in Anspruch nehmen, welche u.a. kleine Reisebeihilfen, Startgelder, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, Unterkunft sowie finanzielle Integrationshilfen vorsehen.
b) Die Kläger haben damit keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil den Klägern bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren aufgrund willkürlicher Gewalt landesweit drohen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zur Sicherheitslage in Afghanistan (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31. Mai 2018 S. 4) erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt jedenfalls in Herat als innerstaatlicher Fluchtalternative kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris; B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris; B.v. 10.6.2013 – 13a ZB 13.30128 – juris; U.v. 15.3.2013 – 13a B 12.30406 – juris; U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30394 – juris). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Person der Kläger führen, sind nicht ersichtlich.
3. Es liegen in der Person der Kläger auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Es ist nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Sinne des Art. 3 EMRK drohen könnten.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine solche Abschiebestoppanordnung besteht für die Personengruppe, der die Kläger angehören, nicht.
Auch ist das Gericht der Auffassung, dass die allgemeinen Gefahren in Afghanistan sich für die Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet hat, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13a ZB 13.30119 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.4.2012 – A 11 S 3079/11 – DÖV 2012, 651). Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer reinen quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssten jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23). Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für die Kläger weder aus ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan.
Den Klägern droht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Afghanistan. Zwar gestaltet sich die allgemeine Versorgungslage nach wie vor schwierig. Trotz dieser kritischen Versorgungslage muss nicht jeder Rückkehrer aus Europa generell im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung erleiden. In der Gesamtschau der ins Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel ist nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer generell in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Afghanistan erleiden müsste (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016 S. 4; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5). Nur für besonders schutzwürdige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen, Familien und Personen, die aufgrund persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen, lässt sich eine extreme Gefahrenlage begründen.
Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen ist derzeit keine extreme Gefahrenlage anzunehmen, die zu einem Abschiebungsverbot führen würde (BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rn. 4). Anhaltspunkte, die im Fall der Kläger zu einer anderweitigen Einschätzung führen würden, sind nicht ersichtlich. Bei den Klägern handelt es sich um ein kinderloses Ehepaar, bei dem beide Lebenspartner vor ihrer Ausreise aus dem Iran dauerhaft berufstätig waren. Zwar verkennt das Gericht die Schwere der beim Kläger zu 1 vorhandenen Brandverletzung nicht, jedoch bleibt zu berücksichtigen, dass es dem Kläger zu 1 im Iran, also außerhalb seines Heimatlandes, mit dieser Verletzung gelungen ist, sich dauerhaft am Arbeitsmarkt zu betätigen. Auch die Klägerin zu 2 war bis zu ihrer Ausreise dauerhaft berufstätig. All diese Umstände lassen erwarten, dass den Klägern auch ohne nennenswerte familiäre Unterstützung eine Integration in die afghanische Gesellschaft gelingen wird. Den Klägern ist auch angesichts ihres Alters ein erneutes Bemühen um eine Anstellung auf dem hart umkämpften afghanischen Arbeitsmarkt nach Auffassung des Gerichts durchaus zumutbar. Der langjährige Voraufenthalt der Kläger im Iran steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Ein besonderes Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen wird für eine Rückkehr nicht verlangt. Es genügt insoweit, dass die Kläger in einem islamisch geprägten Umfeld aufgewachsen sind und in einem solchen auch berufstätig waren.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vermag das Gericht nicht zugunsten der Kläger und hier insbesondere des Klägers zu 1 zu erkennen. Dass es sich bei der Brandverletzung des Klägers mit der erforderlichen Behandlung um eine lebensbedrohliche Erkrankung handeln könnte, die sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan umgehend derart verschlechtern würde, dass hieraus eine Lebensgefahr für den Kläger zu 1 resultieren könnte, ist für das Gericht nicht im Ansatz erkennbar. Dem steht auch entgegen, dass der Kläger zu 1 diese Brandverletzung bereits im Alter von 6 bzw. 7 Jahren in Afghanistan erlitten hat und diese Verletzung den Kläger nicht daran gehindert hat, im Iran dauerhaft berufstätig zu sein und auch die Ausreise nach Europa dessen ungeachtet anzutreten. Den im Verfahren vorgelegten ärztlichen Berichten ist eine Lebensbedrohlichkeit der beim Kläger zu 1 vorliegenden Erkrankung nicht zu entnehmen. Vielmehr ist den vorgelegten Befundberichten des Klinikums … zu entnehmen, dass es sich um eine Narbenkorrektur handelt, die beim Kläger zu 1 temporär Bewegungseinschränkungen und eine eingeschränkte Belastbarkeit zur Folge hat. Lediglich schwere Arbeiten sind dem Kläger zu 1 zeitweise nicht möglich.
4. Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sowie die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen haben die Kläger auch nicht erhoben.
Damit war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO. Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen