Aktenzeichen M 6 K 17.482
VwGO § 166
Leitsatz
Behauptet eine Person, in deren Körper ein Betäubungsmittel oder Abbauprodukte hiervon vorgefunden wurden, sie habe diese Droge unwissentlich eingenommen, so muss sie einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt (Anschluss BayVGH BeckRS 2007, 30888). Vorliegend: verneint für die Behauptung der Einnahme von Muskelaufbaupräparaten als Ursache für Amphetaminkonzentration. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt A… für das Verfahren M 6 K 17.482 wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Klägerin war Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L. Sie wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten vom 15. September 2016, mit dem ihr der Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen wurde.
Dem Entzugsbescheid liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am … Januar 2016 führte die Klägerin ausweislich eines im Rahmen einer Verkehrskontrolle durchgeführten Urintests und eines nachfolgenden toxikologischen Gutachtens ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Amphetaminen. Das von der Polizei angeordnete toxikologische Gutachten ergab dabei einen Wert von 59 µg/l Amphetamin im Blut der Klägerin.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis äußerte sich die Klägerin über ihren Rechtsanwalt mit Schreiben vom … August 2016 dahingehend, dass keine bewusste Einnahme einer verbotenen Substanz vorliege. Alleine der Nachweis eines Betäubungsmittels reiche hierfür nicht aus. Auch das Gutachten führe (lediglich) aus, dass eine Substanz in den Körper gelangt sei, die Amphetamin enthalte oder dazu verstoffwechselt worden sei. In dem toxikologischen Gutachten sei die Menge nur als grenzwertig eingeschätzt. Amphetamine habe die Klägerin niemals eingenommen.
Mit Bescheid vom 31. August 2016 entzog der Beklagte der Klägerin die Fahrerlaubnis aller Klassen und begründete dies damit, dass sich die Klägerin aufgrund des Konsums harter Drogen, worunter auch Amphetamine fielen, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Selbst wenn die unbewusste Einnahme von Amphetamin die generelle Kraftfahrtauglichkeit nicht ausschließen würde, reiche eine unsubstantiierte Behauptung hierfür nicht aus.
Gegen den am 15. September 2016 zugestellten Bescheid erhob die Klägerin mit am 12. Oktober 2016 beim Beklagten eingegangenem Schreiben Widerspruch. Am selben Tage beantragte sie beim Bayerischen Verwaltung München, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Der Eilantrag wurde damit begründet, es sei kein Nachweis geführt, dass die Klägerin Betäubungsmittel willentlich eingenommen habe. Es habe ermittelt werden können, dass der Konsum von Nahrungsergänzungsmittel (Oxilite …, Finaflex…, Mesomorph…) für den festgestellten Amphetaminwert ursächlich sei. Die Klägerin habe im fraglichen Zeitraum körperlich trainiert, häufig das Fitnessstudio besucht und zur Unterstützung die genannten Mittel eingenommen. Von ihrem Arzt habe sie die Mitteilung erhalten, dass die Zuführung der oben genannten Substanzen im Körper zur Bildung von Amphetaminen führen könne.
Der Beklagte fertigte am 17. Oktober 2016 einen Aktenvermerk über ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin des Instituts A… an (Blatt 17 der Akte). Bei Zugrundelegung der im Internet aufgeführten Bestandteile sei nach Mitteilung des Instituts in keinem der Präparate ein Inhaltsstoff genannt, der dazu führen würde, dass Amphetamin im Körper metabolisiert werde. Einige Inhaltsstoffe seien Amphetamin lediglich strukturell ähnlich. Im Übrigen sei die nachgewiesene Konzentration von Amphetamin zwar nicht „immens hoch“. Sollte diese tatsächlich von der Einnahme eines der Präparate herrühren, jedoch als „sehr hoch“ und „relativ viel im Verhältnis“ einzuschätzen. Um eine belastbare Aussage zu treffen, sei eine ausführliche Stoffanalyse notwendig.
Mit Bescheid vom 23. November 2016 hob der Beklagte die sofortige Vollziehung unter Nr. 4 des Bescheids vom 14. September 2016 auf, da deren Begründung von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage ordnete der Beklagte den sofortigen Vollzug der Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 14. September 2016 erneut an und begründete dies insbesondere damit, dass die Klägerin unter dem Einfluss von Amphetamin am Straßenverkehr teilgenommen habe. Es könne daher nicht hingenommen werden, dass die Klägerin bis zum Abschluss eines Verwaltungsrechtstreits durch eine erneute Drogenfahrt die Straßenverkehrssicherheit massiv gefährde. Infolge der beiderseitigen Erledigungserklärungen wurde das Eilverfahren mit Beschluss vom 1. Dezember 2016 eingestellt. Ein erneuter Eilantrag wurde bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Hauptsacheverfahren nicht gestellt.
Die Regierung von Oberbayern wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18. Januar 2017 – der Klägerin zugestellt am 21. Januar 2017 – zurück.
Mit ihrer Klage vom 2. Februar 2017, bei Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 7. Februar 2017, verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und beantragte, den Bescheid des Beklagten aufzuheben.
Gleichzeitig beantragte sie,
der Klägerin Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihren Bevollmächtigten als Rechtsanwalt beizuordnen.
Eine Klagebegründung erfolgte bis zur Entscheidung über den vorliegenden Antrag nicht.
Mit Schreiben vom 5. April 2017, eingegangen bei Gericht am 7. April 2017, legte der Beklagte die Akten vor und beantragte, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wurde auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und die Ausführungen der Widerspruchsbehörde verwiesen.
Mit Schreiben vom 28. August 2017 gab das Gericht der Klägerin auf, ihre im Verwaltungsverfahren vorgetragene Behauptung, das im Blut der Klägerin gemessene Amphetamin sei aus verschiedenen Präparaten metabolisiert worden, näher zu konkretisieren und hierzu insbesondere anzugeben, welche Muskelaufbaupräparate im Zeitraum vom … Dezember 2016 (richtigerweise: 2015) bis zum … Januar 2016 eingenommen wurden (Bezeichnung, Dosierung, Zeitpunkt). Außerdem wurde gebeten, Kaufbelege und Beipackzettel der eingenommen Muskelaufbaupräparate vorzulegen, aus denen die genaue Zusammensetzung der Präparate hervorgehe.
Mit Schreiben vom … September 2017 benannte die Klägerin drei Produkte, die bereits im Verwaltungsverfahren bezeichnet wurden. Von ärztlicher Seite sei bestätigt worden, dass diese Mittel zur Bildung von Amphetaminen führen würden. Zum Nachweis werde insoweit Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Die Dosierung sei nicht im Einzelnen aufgezeichnet worden. Eine entsprechende Beschreibung der Mittel und deren Inhaltsstoffe würden noch vorgelegt und insoweit eine Fristverlängerung von zwei Wochen beantragt. Beipackzettel lägen nicht mehr vor, jedoch könnten Fotos der Verpackungen vorgelegt werden.
Bis zum Entscheidungszeitpunkt gingen keine weiteren Unterlagen mehr ein.
Durch Beschluss vom 19. Oktober 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 VwGO).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten einschließlich derjenigen des Verfahren M 6 S 16.4610 ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
II.
Der Antrag ist abzulehnen, weil die erhobene Klage keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg hat.
1. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung – ZPO – ist einer Partei Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden, insbesondere darf die Rechtsverfolgung nicht in das nur summarische Vorverfahren der Prozesskostenhilfe verlagert werden, so dass dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens tritt. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (vgl. z.B. BVerfG v. 24.7.2002, Az. 2 BvR 2256/99, NJW 2003, 576). Hinreichende Erfolgsaussichten liegen daher nicht erst dann vor, wenn der erfolgreiche Ausgang des Prozesses gewiss oder überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr genügt zur Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit hiervon.
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen. Dem beabsichtigten Verfahren fehlt es an hinreichenden Erfolgsaussichten im o.g. Sinne, da der Entzug der Fahrerlaubnis aller Voraussicht nach zu Recht erfolgte.
2.1 Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnimmt. Ein solcher Fall liegt hier vor.
In dem Gutachten des Instituts A… vom … Juni 2016 wird ausgeführt, dass im bei der Klägerin entnommenen und mittels Gas-Chromatographie/Massenspektronomie untersuchten Blut(-plasma) Amphetamin in einer Konzentration von 59 µg/l festgestellt wurde. Die Konzentration liegt danach in einem vergleichsweise mittleren Bereich. Die Befunde belegen die vorangegangene Aufnahme von Amphetamin bzw. von Substanzen, die zur Amphetamin verstoffwechselt werden. Dabei handelt es sich um ein Betäubungsmittel, das in Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes genannt ist. Die Fahrerlaubnisbehörde konnte und musste daher nach § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen davon ausgehen, dass die Klägerin fahrungeeignet ist und ihr die Fahrerlaubnis entziehen.
2.2 Auch die Einlassung der Klägerin, die Amphetaminkonzentration rühre aus der Einnahme von Muskelaufbaupräparaten, führt zu keiner anderen Bewertung. Behauptet eine Person, in deren Körper ein Betäubungsmittel oder Abbauprodukte hiervon vorgefunden wurden, sie habe diese Droge unwissentlich eingenommen, so muss sie einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt (BayVGH, B.v. 10.12.2007 – 11 CS 07.2905 –juris m.w.N.).
Diesen Anforderungen, die für das Vorbringen einer Metabolisierung ebenso gelten, genügt der Vortrag nicht. Trotz Nachfrage des Gerichts konnte die Klägerin keine Angaben zur Dosierung der Nahrungsergänzungsmittel machen und hat entgegen ihrer Ankündigung auch keine weiteren Unterlagen mehr vorgelegt, die sicheren Aufschluss über die Inhaltsstoffe der Präparate hätten geben können. Es ist nicht nachvollziehbar, warum nicht zumindest die Trainingsintervalle (täglich, 3x wöchentlich,…) und die grobe Dosis (Teelöffel, Esslöffel, Tasse, nach Packungsbeschreibung,…) angegeben werden konnten, aus denen zumindest in Ansätzen die konsumierte Menge hätte rückgeschlossen werden können.
Auch der telefonischen Stellungnahme der Mitarbeiterin des Instituts A…, derzufolge die im Internet für die Präparate angegebenen Inhaltsstoffe nicht zur Amphetamin metabolisiert werden und außerdem die Konzentration für eine Metabolisierung sehr hoch sei, ist die Klägerin nicht konkret entgegengetreten, sondern hat nur auf eine nicht näher spezifizierte ärztliche Aussage ihr gegenüber verwiesen, die Quelle aber nicht namentlich benannt. Die Stellungnahme des Instituts A… deckt sich mit den (englischsprachigen) Angaben des Herstellers eines der von der Klägerin benannten Präparate zu dem Inhaltsstoff DMAA (http://www.oxyelite-pro.com/oxyelite-pro-drug-test). Fälschlicherweise positive Ergebnisse seien nur vereinzelt bei Urintests aufgetreten. Aus chemischer Sicht fehle bei DMAA die für Amphetamin charakteristische Phenylkette, die auch nicht metabolisiert werden könne.
Nach alledem konnte der Beklagte von dem Nachweis von Amphetamin auf den (bewussten) Konsum von Betäubungsmitteln schließen, der die Eignung der Klägerin zum Führen von Kraftfahrzeugen entfallen ließ. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist damit grundsätzlich gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne vorherige Einholung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens gerechtfertigt (BayVGH, B.v. 31.5.2007 – 11 C 06.2695). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die Klägerin unter Amphetamineinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hat. Unerheblich ist hierbei bereits nach dem klaren Wortlaut von Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV, ob es hierbei zu Ausfallerscheinungen im Sinne einer Fahruntüchtigkeit gekommen ist.
Aufgrund des ein Jahr unterschreitenden Zeitraums zwischen Nachweis des Betäubungsmittels (27. Januar 2016) und der letzten Behördenentscheidung (Zustellung des Widerspruchsbescheids am 21. Januar 2017) hätte die Klägerin ihre Eignung schließlich auch dann noch nicht wiedererlangt, wenn ab dem Zeitpunkt des Nachweises ihre Abstinenz unterstellt und der Rechtsprechung des BayVGH zur sog. verfahrensrechtlichen Einjahresfrist gefolgt würde (vgl. grundlegend BayVGH, U.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – juris; B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris, ablehnend hierzu die erkennende Kammer, vgl. VG München, U.v. 15.3.2017 – M 6 K 16.4214 – juris m.w.N.).
Sonstige Fehler, die zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führen könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Mangels Bejahung der Erfolgsaussichten der Klage war daher der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
3. Auf eine Kostenentscheidung und auf eine Streitwertfestsetzung konnte verzichtet werden, weil außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und Gerichtsgebühren im Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht anfallen.