Aktenzeichen M 6 E 17.49487
VwGO VwGO § 123 Abs. 1
Leitsatz
Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan erreicht keine Intensität, in der nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Schaden an Leib und Leben für Jedermann die Rückkehr dorthin im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage ausschließt (BayVGH BeckRS 2017, 121557). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz in einem Asylfolgeverfahren.
Der ohne Ausweispapiere in das Bundesgebiet eingereist Antragsteller gibt an, 1995 geboren zu sein, die afghanische Staatsangehörigkeit zu besitzen, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein.
Nach seiner Einreise auf dem Landweg im September 2011 beantragte er am … Oktober 2011 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Anerkennung als Asylberechtigter.
In seiner Anhörung vor dem Bundesamt am … September 2012 gab der Antragsteller an, in seinem Heimatland zuletzt in Kunar, A…, B… (Dorf) gelebt zu haben. Sein Vater sei bereits verstorben. Er habe die Koranschule in Konar über einen Zeitraum von 3-4 Jahren besucht.
Als Fluchtgrund gab der Antragsteller an, die pakistanischen Taliban würden versuchen Jugendliche anzuwerben. Ihm habe man gesagt, er solle mitgehen, wenn er es nicht freiwillig mache, würde er gezwungen werden.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2012 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – nicht vorliegen und dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht.
Die hiergegen vom Antragsteller erhobene Klage wies das bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 27. Januar 2016 rechtskräftig ab (VG München 27.1.2016 – M 15 K 13.30029). Im gerichtlichen Verfahren trug der Bevollmächtigte des Antragstellers unter anderem vor, dass der Vortrag des Antragstellers, anders als vom Bundesamt behauptet, in sich schlüssig und glaubwürdig sei. Dies ergebe sich unter anderem daraus, dass der Antragsteller angegeben habe, dass auch der Sohn seines Vermieters von den Taliban angeworben worden sei und daher der wohlhabende Vermieter die Flucht seines Sohnes und die des Antragstellers finanziert habe. Das Verwaltungsgericht München ging in den Urteilsgründen davon aus, der Antragsteller habe eine Verfolgung zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft dargelegt.
Am … Juli 2017 stellte der Antragsteller mit Schreiben seiner Bevollmächtigten einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung machte er im Rahmen der Anhörung zum Folgeantrag durch das Bundesamt am … September 2017 unter anderem geltend, in Afghanistan fielen immer noch Bomben, er könne nicht alleine dorthin zurückkehren, er könne weder lesen noch schreiben und sei dort total verloren, außerdem gäbe es dort Selbstmordattentate und er müsse in die Gegend zurück, in der er bereits gewohnt habe. Dort würden ihn die Leute, die ihn bereits verfolgt hätten wieder verfolgen. Es gebe dort auch Terroristengruppen, die Anschläge verübten. Er sei (in Deutschland) unverschuldet mit der Polizei in Konflikt geraten, möchte demnächst sein Leben ohne solche Zwischenfälle leben und versuchen Arbeit zu finden, auch wenn er jetzt psychische Probleme habe. Er sei ein ganz vernünftiger Mensch, arbeitsfähig und arbeitswillig wie er bereits im Gefängnis gezeigt habe. Ein Attest, welches seine psychischen Probleme bestätigen soll, läge bei seinem Anwalt. Er werde diesen auffordern das Schreiben dem Bundesamt zu übersenden.
Ein Attest über eine psychische Erkrankung des Antragstellers befindet sich nicht in der Akte.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2017, laut Aktenvermerk in der Bundesamtsakte als Einschreiben am 2. November 2017 zur Post gegeben, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids). Des Weiteren lehnte sie den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 14. Dezember 2012 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ab (Nr. 2).
Zur Begründung ist ausgeführt, der Antrag sei unzulässig, weil die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers sei nicht gegeben, neue Beweismittel lägen nicht vor und Wiederaufnahmegründe bestünden nicht. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen und erneute Befassung mit § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Folgeantragsverfahren lägen nicht vor. Die Sachlage im Heimatland stelle sich in Bezug auf die individuellen Umstände des Antragstellers unverändert dar.
Dagegen ließ der Antragsteller am … November 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben, über die bisher noch nicht entschieden ist (M 6 K 17.49406). Die Klage wurde bislang nicht begründet. Mit gleichem Schriftsatz beantragten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gem. § 123 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –,
der Antragsgegnerin aufzugeben, die Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 Asylgesetz – AsylG – einstweilen zurückzunehmen und der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass ein Asylfolgeverfahren durchgeführt wird, hilfsweise, dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG geprüft wird.
Eine Begründung des Eilantrags wurde in dem Schriftsatz angekündigt, ist bis zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nicht erfolgt.
Die Antragsgegnerin übersandte die elektronischen Behördenakten des Asylerstverfahrens und des Asylfolgeverfahren, äußerte sich in der Sache jedoch nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch in den Verfahren M 6 K 17.49406 und M 15 K 13.30029 und der von der Antragsgegnerin übermittelten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist dahingehend auszulegen (§ 88 VwGO), dass mit ihm begehrt wird, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der nach Ablehnung des Folgeantrags ergangenen Mitteilung eine Abschiebung erfolgen darf.
Der so ausgelegte Antrag ist statthaft. Die Antragsgegnerin hat den Antrag des Antragstellers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) bzw. auf Abänderung des Ausgangsbescheids im Erstverfahren abgelehnt, ohne eine weitere Abschiebungsandrohung zu erlassen, § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG. Mangels einer erneuten Abschiebungsandrohung bildet die im Bescheid vom 14. Dezember 2012 enthaltene bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der Mitteilung an die Ausländerbehörde, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – nicht vorliegen, gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Grundlage für den Vollzug einer Abschiebung des Antragstellers. Da die nach §§ 24 Abs. 3, 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG an die Ausländerbehörde gerichtete Mitteilung keinen Verwaltungsakt darstellt, diese Mitteilung somit in der Hauptsache auch nicht mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann, ist vorläufiger Rechtsschutz der Gestalt zu gewähren, dass der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der, nach Ablehnung des Folgeantrags ergangenen, Mitteilung eine Abschiebung erfolgen darf (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris; VG München, B.v. 28.5.2014 – M 24 E 14.30698 – juris Rn. 17 m.w.N.).
2. Der Antrag ist jedoch in der Sache nicht begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
Eine derartige einstweilige Anordnung setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage muss hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem Hauptsacheverfahren gegeben sein. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Nach § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG kann einstweiliger Rechtsschutz nur gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen.
Vorliegend ist kein Anordnungsanspruch gegeben. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Folgeantrags bzw. des Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens durch den Bescheid des Bundesamts vom 27. Oktober 2017 bestehen nicht.
Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrags nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG) und der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylfolgeantrags des Antragstellers mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts. Auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird ausgeführt, dass der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass sich die dem ablehnenden Bescheid zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu seinen Gunsten geändert hätte. Wie bereits im Einzelnen im Urteil vom 26. Januar 2016 ausgeführt, droht dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine ernsthafte individuelle Bedrohung (VG München U.v. 27.1.2016 – M 15 K 13.30029). An dieser Bewertung ist auch im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnismittel festzuhalten. Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan erreicht keine Intensität, in der nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Schaden an Leib und Leben für Jedermann die Rückkehr dorthin im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage ausschließt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris Rn. 5 ff. m.w.N.). Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat der bayerische Verwaltungsgerichtshof für keine der Regionen Afghanistans angenommen und die Lage in Afghanistan nicht derart eingeschätzt, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AsylG anzunehmen wäre.
Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 21.8.20127 – 13a ZB 17.30529 – juris Rn. 13). Dem folgt auch das Gericht in der vorliegenden Entscheidung.
Der Antragsteller hat auch keine neuen Beweismittel vorgelegt, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Die vom Antragsteller erwähnten Gutachten über angebliche psychische Beschwerden wurden nicht vorgelegt. Damit liegt insgesamt keine Glaubhaftmachung vor, aufgrund der von ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts im Bescheid vom 27. Oktober 2017 auszugehen ist.
Die Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens des Verfahrens im Ermessenswege nach § 51 Abs. 5 VwVfG durch Widerruf des Bescheids vom 14. Dezember 2012 hinsichtlich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sind ebenso wenig glaubhaft gemacht. Eine Reduzierung des behördlichen Ermessensspielraums der Antragsgegnerin auf Null mit der Folge ihrer Verpflichtung zu einem solchen Wiederaufgreifen ist auch mit Blick auf die zu schützenden Grundrechte des Antragstellers nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz nicht gegeben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).