Medizinrecht

Haltungsverbot für große bzw. aggressive Hunde

Aktenzeichen  Au 1 K 17.1758

Datum:
28.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138484
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 8 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die Untersagung der Hundehaltung ist grundsätzlich die einschneidendste denkbare Maßnahme zur Verhütung und Unterbindung einer von einer Hundehaltung ausgehenden Gefahr und daher idR nur dann verhältnismäßig, wenn sich der Hundehalter dauerhaft und hartnäckig weigert, einer bestehenden sicherheitsbehördlichen Anordnung nachzukommen, und die Behörde grundsätzlich zunächst erfolglos Zwangsmittel zur Durchsetzung von Anordnungen zur Hundehaltung eingesetzt hat (BayVGH BeckRS 2015, 43087   Rn. 8). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Missachtung nicht nur der Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit, sondern auch der Bedürfnisse eines Hundes und eine dadurch bedingte problematische Entwicklung führen bei einem großen Hund zu einem erheblichen Gefahrenpotential, dem durch die Haltungsuntersagung in geeigneter und angemessener Weise Rechnung getragen werden kann. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Gegenstand der Klage ist die Ziffer 4 des Bescheids der Beklagten vom 26. Mai 2017, wonach dem Kläger die Haltung von „großen Hunden mit einer Schulterhöhe von 50 cm“ und „Hunden i.S.d. Verordnung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 10. Juli 1992 über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit“ untersagt wird.
II.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Ziffer 4 des Bescheids der Beklagten vom 26. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage der vorliegenden Anordnung ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Hiernach können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, welche die Gesundheit von Menschen bedrohen oder verletzen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen dienen der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von Menschen, die von der Hundehaltung des Klägers ausgehen. Der Kläger hat sich als ein Hundehalter erwiesen, der nicht geeignet für die Haltung von großen Hunden ist. Da von großen Hunden auch bei hundetypischem und artgerechtem Verhalten eine konkrete Gefahr für die Gesundheit von Menschen ausgeht, müssen deren Halter bestimmten Anforderungen hinsichtlich ihrer Eignung genügen. Insbesondere bedarf es der Einsichtsfähigkeit in die von einem großen Hund ausgehenden Gefahren, der Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Gefahrenabwehr sowie einer gewissen Sensibilität gegenüber den Sicherheitsbelangen der Allgemeinheit. All dies hat der Kläger bei der Haltung des Schäferhundes Tyson nicht ansatzweise erkennen lassen.
a) Mit dem streitgegenständlichen Bescheid sah sich die Beklagte bereits zum dritten Mal veranlasst, sicherheitsrechtliche Maßnahmen wegen der Hundehaltung des Klägers zu ergreifen. Bereits mit Bescheid vom 10. Dezember 2010 ordnete sie einen Leinenzwang an. In Ziffer 2 wurde dabei bestimmt, dass der Hund außerhalb des Halteranwesens in bewohnten Gebieten, auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, in öffentlichen Anlagen, sowie der Öffentlichkeit zugänglichen Privatflächen an einer reißfesten Leine (nicht länger als 1,5 m) mit schlupfsicherem Halsband zu führen ist. Diese Anordnung hat der Kläger nicht erfüllt, so dass es am 23. Oktober 2011 zu einem weiteren Beißvorfall gekommen ist, welcher die Beklagte dazu veranlasste, mit Bescheid vom 9. November 2011 einen Maulkorbzwang anzuordnen. Da diese Auflagen nicht erfüllt wurden, ereignete sich am 30. Juli 2016 ein erneuter Beißvorfall, bei dem der Schäferhund des Klägers eine Nachbarin in die linke Wade biss. Zu diesem Zeitpunkt trug er keinen Maulkorb und war an einer langen Leine unterwegs. Mit Strafbefehl vom 18. November 2016 verhängte das Amtsgericht … gegen den Kläger eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 30,00 EUR wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen sicherheitsrechtlichen Anordnungen waren damit nicht ausreichend, die von der Hundehaltung des Klägers ausgehenden Gefahren für die Gesundheit von Menschen zu beseitigen.
b) Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der letzte Beißvorfall am 30. Juli 2016 nicht nur auf ein einmaliges Versagen des Klägers zurückzuführen ist, sondern vielmehr Konsequenz einer hartnäckigen Nichtbefolgung der sicherheitsrechtlichen Anordnungen ist. Dies steht aufgrund der Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen … und, die beide gemeinsam auf dem Nachbargrundstück wohnen, fest. Beide berichteten übereinstimmend, dass der Kläger dem Hund in den vergangenen Jahren selten bis nie einen Maulkorb angelegt hatte. Zudem führte er ihn zumindest selten an der erforderlichen kurzen Leine, sondern vielmehr im Regelfall an einer langen Laufleine aus. Im Jahr 2016 begann der Kläger sogar, den Hund nicht mehr zu Fuß, sondern auf einem Motorroller fahrend auszuführen und den Hund an der langen Leine neben dem Fahrzeug herlaufen zu lassen, was die Einflussmöglichkeiten auf den Hund weiter einschränkte. Letzteres wird durch die in den Akten befindlichen Fotografien belegt. Die Zeugen sagten inhaltlich übereinstimmend ohne erkennbaren Belastungseifer aus und beantworteten die ihnen gestellten Fragen sicher und glaubwürdig, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Dabei wirkten die jeweiligen Aussagen nicht untereinander abgesprochen. Vielmehr stellten die beiden Zeugen ihre Beobachtungen in ihrer eigenen persönlichen Art dar, ohne dass die Aussagen im Vorfeld zurechtgelegt wirkten. Das vom Kläger behauptete Interesse der Zeugen an einer Beseitigung des Hundes vom klägerischen Grundstück aufgrund der mit der Hundehaltung verbundenen Lärmbelästigung ist für das Gericht nicht ersichtlich, da der Hund auch nach dem Halterwechsel auf demselben Grundstück wohnt.
Damit hat die Beweisaufnahme ergeben, dass sicherheitsrechtliche Anordnungen den Kläger trotz der erwiesenen erheblichen Gefährlichkeit seines Hundes nicht dazu veranlassen konnten, Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich der Tiergefahren zu ergreifen. Von der Haltung großer Hunde durch den Kläger geht damit eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen aus. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger in den vergangenen Jahren durchgehend der Halter des Schäferhundes war. Entscheidend ist vielmehr, dass er nach den diversen Beißvorfällen und als Empfänger der früheren sicherheitsrechtlichen Anordnungen des Leinen- und Maulkorbzwangs von der Gefährlichkeit des Hundes wusste und dennoch nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriff.
2. Die Haltungsuntersagung für große Hunde und Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit ist auch verhältnismäßig i.S.d. Art. 8 LStVG, weil ein milderes Mittel zur effektiven Gefahrenabwehr nicht vorliegt. Die Untersagung der Hundehaltung ist für den Betroffenen grundsätzlich die einschneidendste denkbare Maßnahme zur Verhütung und Unterbindung einer von einer Hundehaltung ausgehenden Gefahr und daher in der Regel nur dann verhältnismäßig i.S.d. Art. 8 Abs. 1 LStVG, wenn sich der Hundehalter dauerhaft und hartnäckig weigert, einer bestehenden sicherheitsbehördlichen Anordnung nachzukommen (BayVGH, B.v. 6.3.2015 – 10 ZB 14.2166 – juris Rn. 8). Vor Erlass einer solchen Haltungsuntersagung muss die Behörde deshalb grundsätzlich zunächst erfolglos Zwangsmittel zur Durchsetzung von Anordnungen zur Haltung von Hunden eingesetzt haben (BayVGH, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall ist im Zeitraum von 2011 bis 2016 kein neuer Vorfall aktenkundig geworden, so dass es nicht zur Festsetzung eines (weiteren) Zwangsgeldes kam. Allerdings verhängte das Amtsgericht … vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids wegen des erneuten Beißvorfalls gegen den Kläger eine Geldstrafe in Höhe von insgesamt 3.600,00 EUR wegen fahrlässiger Körperverletzung. Nicht einmal diese strafgerichtliche Verurteilung konnte den Kläger dazu veranlassen, die von der Beklagten getroffenen sicherheitsrechtlichen Anordnungen zu befolgen. So sagten die Zeugen übereinstimmen aus, den Hund nur an einer langen Leine und selten bis nie mit Maulkorb gesehen zu haben. Dies habe sich auch nach dem Strafverfahren im Anschluss an eine kurze Phase erhöhter Vorsicht fortgesetzt. Das Ausführen des Hundes mit dem Motorroller sei auch nach dem Erlass des Strafbefehls nicht unterblieben. Es ist nicht ersichtlich, dass die Festsetzung eines Zwangsgeldes Erfolg verspricht, wenn selbst eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer nicht unerheblichen Geldstrafe in Höhe von 3:600,00 EUR den Kläger nicht dazu veranlassen konnte, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren seines Hundes zu ergreifen. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles geht das Gericht deshalb davon aus, dass die mehrfache Festsetzung von Zwangsgeldern im Vorfeld der Haltungsuntersagung vorliegend nicht notwendig war.
Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Hundehaltungsverbots ist zu berücksichtigen, dass sich dieses nicht auf sämtliche Hunde, sondern nur auf große Hunde i.S.d. Art. 18 Abs. 1 LStVG und Hunde mit besonderer Gefährlichkeit bezieht. Das Verbot umfasst zudem nur die Haltung der Hunde und nicht auch deren Betreuung. Dem Kläger werden damit weder jegliche Hundehaltung noch jeglicher Umgang mit großen Hunden untersagt. Bei der Anhörung im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Klageverfahren hat er auch nicht vorgebracht, auf die eigene Haltung eines großen Hundes angewiesen zu sein. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der Betreuung großer Hunde und des Haltens von Hunden mit einer Schulterhöhe bis zu 50 cm hat der Kläger die Möglichkeit, sich zu bewähren und nach einiger Zeit die Aufhebung des streitgegenständlichen Verbots zu beantragen, was den Eingriff in seine Rechte wesentlich abmildert.
Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist daneben auch zu berücksichtigen, dass der Kläger die Betreuung seines Hundes in der Vergangenheit in erheblichen Umfang in fremde Hände gegeben hatte. So wohnte er die meiste Zeit nicht dort, wo der Hund gehalten wurde. Nach Aussage der jetzigen Halterin habe sie sich um den Hund gekümmert und ihn schließlich übernommen, da sie gesehen habe, dass sich niemand so richtig um ihn kümmere. Damit trifft die angeordnete Haltungsuntersagung den Kläger persönlich und ideell in einem geringeren Ausmaß als andere Hundehalter, die ihren Hund im eigenen Wohnumfeld halten. Gleichzeitig lässt auch die Art der Hundehaltung durch den Kläger erkennen, dass er nicht nur angesichts der Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit sondern auch angesichts der Bedürfnisse des von ihm gehaltenen Hundes unsensibel agiert. Sowohl nach der Aussage der Zeugin … als auch der Zeugin … und des Zeugen … ist der Hund ruhiger geworden, seit sich die Zeugin … um diesen kümmert. Die Missachtung der Bedürfnisse eines Hundes und eine dadurch bedingte problematische Entwicklung führen bei einem großen Hund zu einem erheblichen Gefahrenpotential, dem durch die Haltungsuntersagung in geeigneter und angemessener Weise Rechnung getragen werden kann. Ein milderes und gleich effektives Mittel ist angesichts der von großen Hunden ausgehenden erheblichen Gefahren und der mangelnden Einsichtsfähigkeit des Klägers nicht ersichtlich. Der von der Beklagten gezogene Rückschluss von der ungenügenden Absicherung der Gefahren, die von dem Schäferhund „…“ ausgehen, auf eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Haltung großer und potentiell gefährlicher Hunde ist nach alledem mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.
Bestätigt wird die Richtigkeit dieser Einschätzung durch die tatsächliche Entwicklung des Hundes seit dem Halterwechsel. Diese legt nahe, dass die Probleme mit dem Hund in der Vergangenheit nicht nur dem Wesen des einzelnen Hundes sondern auch den vom Kläger verantworteten Haltungsbedingungen geschuldet waren. Daneben basieren sie zu einem wesentlichen Teil auf der fehlenden Einsichtsfähigkeit des Klägers, dessen mangelnder Bereitschaft zum Ergreifen notwendiger Sicherungsmaßnahmen sowie dessen ungenügender Sensibilität gegenüber den Belangen der Allgemeinheit. Die Bedenken gegen die Haltung des Schäferhundes „…“ tragen damit im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch die allgemeine Haltungsuntersagung.
3. Ermessensfehler sind unter Berücksichtigung der im gerichtlichen Verfahren ergänzten Ermessenserwägungen nicht ersichtlich. Die Beklagte hat erkannt, dass sie Ermessen ausüben muss und in nicht zu beanstandender Weise den öffentlichen Belangen den Vorrang eingeräumt gegenüber den persönlichen Belangen des Klägers. Sie hat in die Abwägung eingestellt, dass es sich um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Klägers handelt, jedoch die öffentlichen Belange angesichts dessen, dass der Kläger seiner Verantwortung im Hinblick auf das mit der Haltung eines großen oder gefährlichen Hundes verbundene Risiko nicht gerecht wurde und auch in Zukunft Gefahren für Menschen von dessen Hundehaltung ausgehen, in nicht zu beanstandender Weise höher gewichtet.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Teil hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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