Verwaltungsrecht

Asyl, Ukraine – Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund von Korruption oder kriminellem Unrecht

Aktenzeichen  B 5 K 16.30976

Datum:
24.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146409
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Daraus, dass die Kläger nach ihrem Vortrag Opfer von kriminellem Unrecht wurden, ergibt sich kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Den Klägern droht in der Ukraine kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 AsylG. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den geschilderten Repressalien durch korrupte nichtstaatliche Akteure.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine andauernde Bedrohungssituation in der Ukraine scheint jedenfalls nach dem dortigen Machtwechsel im Jahr 2014 nicht mehr glaubhaft. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4 Durch die Attraktivierung des Dienstes als Zeitsoldat verpflichteten sich derart viele Personen, dass nach der sechsten Mobilisierungswelle auf weitere Mobilisierungswellen verzichtet werden konnte. Weitere Mobilisierungswellen sind bislang nicht vorgesehen. Zudem ist es das legitime Recht eines Staates, zur Unterhaltung seiner Streitkräfte seine Bürger zum Militärdienst heranzuziehen. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden iSd § 4 Abs. 1 AsylG droht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Bundesamts vom 13. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie haben im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylG, noch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG, noch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Als rechtmäßig erweist sich auch die Abschiebungsandrohung.
a) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Als Verfolgung in diesem Sinne gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, § 3a Abs. 1 AsylG. Entsprechende Verfolgungshandlungen können insbesondere in der Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), gesetzlichen, administrativen, polizeilichen oder justiziellen Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG) oder einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG) liegen.
Hieran gemessen sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben, insoweit wird auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist insoweit auszuführen: Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben der Klägerin zu 1 zu ihrem Verfolgungsschicksal ergibt sich keine Verfolgung aufgrund eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Anknüpfungsmerkmale Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Die Kläger wurden nach ihrem eigenen Vortrag vielmehr Opfer von kriminellem Unrecht.
b) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989, a.a.O.). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Wer durch Vortrag eines Verfolgungsschicksals um Asyl nachsucht, ist in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf die Hilfe eines Sprachmittlers angewiesen, um sich mit seinem Begehren verständlich zu machen. Zudem ist er in aller Regel mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Aufnahmelands, mit Behördenzuständigkeiten und Verfahrensabläufen sowie mit den sonstigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, auf die er nunmehr achten soll, nicht vertraut. Es kommt hinzu, dass Asylbewerber, die alsbald nach ihrer Ankunft angehört werden, etwaige physische und psychische Auswirkungen einer Verfolgung und Flucht möglicherweise noch nicht überwunden haben und dies ihre Fähigkeit zu einer überzeugenden Schilderung ihres Fluchtgrunds beeinträchtigen kann (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – NVwZ 1996, 678).
Dabei ist bei der Prüfung sowohl des Flüchtlingsschutzes als auch des subsidiären Schutzes als Prognosemaßstab einheitlich der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377).
Hieran gemessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass den Klägern in ihrem Heimatland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG drohen würde. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin zu 1 geschilderten Repressalien schon kaum die Schwelle eines ernstlichen Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG erreichen dürften. In Betracht kann hier allenfalls eine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommen. Dagegen, dass den Klägern ein solches Schicksal drohen würde, spricht bereits, dass die Schwester der Klägerin zu 1 offenbar bis heute in der Lage ist, einen Teil der Läden der Familie weiterzuführen, die inoffiziellen „Steuern“ weiter zu bezahlen und auch die von der Klägerin zu 1 aufgenommenen Kredite zu tilgen, ohne dass es zu so gravierenden Beeinträchtigungen gekommen wäre, wie sie § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG beschreibt. Im Gegenteil ist die Schwester der Klägerin zu 1 nach deren Angaben in der mündlichen Verhandlung offenbar in der Lage, die Kläger in Deutschland zu besuchen und anschließend wieder in ihr Heimatland zurückzukehren.
Jedenfalls erscheint aber zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen heutigen Zeitpunkt eine andauernde Bedrohungssituation in der Ukraine nach dem dortigen Machtwechsel im Jahr 2014 nicht mehr glaubhaft. Denn nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG ist eine – hier allein in Betracht kommende – Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure auch hinsichtlich der Gewährung von subsidiärem Schutz nur dann flüchtlingsrechtlich relevant, wenn der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, hinreichenden Schutz i.S.d. § 3d AsylG vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3d Abs. 2 AsylG muss ein entsprechender Schutz vor Verfolgung wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein; ein solcher Schutz ist danach gewährleistet, wenn der Staat oder Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Es kann allerdings nach der Auskunftslage nicht angenommen werden, dass – jedenfalls im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen heutigen Zeitpunkt – staatliche Stellen in der Ukraine nicht willens oder in der Lage wären, einen ausreichenden Schutz zu bieten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird eine von nichtstaatlicher Seite, also insbesondere von Privatpersonen oder nichtstaatlichen Organisationen, ausgehende Verfolgung dem Staat zugerechnet, wenn dieser die Verfolgung billigt oder fördert, ferner, wenn er nicht willens oder – trotz vorhandener Gebietsgewalt – nicht in der Lage ist, die Betroffenen gegen Übergriffe Privater zu schützen. Dabei besteht die Zurechenbarkeit begründende Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit nicht bereits dann, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall effektiver staatlicher Schutz nicht geleistet worden ist. Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten, lückenlosen Schutz zu gewähren und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen oder „Pannen“ sonstiger Art bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgabe der Wahrung des inneren Friedens nicht vorkommen. Deshalb schließt weder Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch die im Einzelfall von dem Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit aus. Vielmehr sind Übergriffe Privater dem Staat als mittelbar staatliche Verfolgung nur dann zuzurechnen, wenn er gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-)Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind, vorkommende Fälle von Schutzverweigerung mithin ein von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten der Handelnden in Einzelfällen sind (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.1994 – 9 C 1/94 – BayVBl 1995, 186 m.w.N.).
Der nach der „Revolution der Würde“ auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von W. J. mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 7. Juni 2014 direkt zum Präsidenten gewählte P. P1. verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine unterstützt. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und Justizreform. Kernstück der im Rahmen dieser Reformen neu geschaffenen Institutionen ist ein transparenter Auswahlprozess unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft, der deren Unabhängigkeit von politischer und finanzieller Einflussnahme sicherstellen soll (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, Stand: Januar 2017, VS-NfD, S. 7). Das Lustrationsgesetz von 2014 zur Entfernung von politisch belasteten Mitarbeitern aus dem ukrainischen Staatsdienst ist gemäß Justizministerium zu 99% umgesetzt. Etwa 70.000 Beamte und Amtsträger waren auf der Lustrationsliste. Die Überprüfungen führten zur Entlassung von etwa 1.000 Beamten. Laut parlamentarischem Antikorruptionskomitee wurden 80% der Amtsträger der Ära J. von ihren Posten entfernt (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ukraine, Stand: 26.7.2017, VS, S. 27). Dass den Klägern auch noch zum heutigen Zeitpunkt staatlicher Schutz gegen die angeführten Repressalien im dargestellten Sinne verweigert würde, ist aufgrund der zwischenzeitlich in der Ukraine vorgenommenen Reformen und Umstrukturierungen im Polizeibereich nicht anzunehmen. Das sichtbarste Ergebnis der Polizeireform der Ukraine, die am 2. Juli 2015 beschlossen wurde, ist sicherlich die (Neu-)Gründung der Nationalen Polizei, die im selben Monat noch in drei ausgewählten Regionen und insgesamt 32 Städten (darunter auch Kiew, Lemberg, Kharkiv, Kramatorsk, Slaviansk und Mariupol) ihre Tätigkeit aufnahm. Als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, das anhand von europäischen Standards mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft aufgebaut wurde, stellt die neue Nationale Polizei jedenfalls einen wesentlichen Schritt vorwärts dar. Mit 7. November 2015 ersetzte die neue Nationale Polizei der Ukraine offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte Militsiya. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Struktur aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungs-Prozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritäts-Prüfungen durchlaufen. Am 20. Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses. Im Zuge dessen wurden 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft. Allgemein wird der vorläufig große Erfolg dieser Reform oft als Aushängeschild der allgemeinen Reformvorhaben gesehen (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ukraine, Stand: 26.7.2017, VS, S. 22). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die neue Nationale Polizei ein Vorgehen gegen die Verfolger der Kläger ablehnen würde.
Letztendlich kann dies aber dahinstehen, da die Kläger jedenfalls auf die Möglichkeit internen Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG innerhalb der Ukraine zu verweisen sind. Danach scheidet auch die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn ein Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Auch insoweit wird auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich weder aus dem Vortrag der Klägerin zu 1 ergibt noch sonst ersichtlich wäre, dass die Kläger in der gesamten Ukraine einer entsprechenden Verfolgung ausgesetzt wären. Vielmehr handelte es sich bei den von den Klägern geschilderten Repressalien offenbar um ein Vorgehen von Kriminellen, denen alle Inhaber von Läden am Markt in … gleichermaßen zum Opfer fielen. Es ergeben sich aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich um mehr als eine lokale Organisation gehandelt hätte, so dass nicht ersichtlich ist, dass den Klägern eine überregionale Verfolgung drohen würde. Die Klägerin zu 1 war auch bisher in der Lage, als selbständige Unternehmerin für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Kinder zu sorgen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ihr das in einem anderen Teil der Ukraine nicht möglich sein sollte. Somit ist es den Klägern möglich und – abgesehen von den Krisengebieten der Oblaste Donezk und Luhansk sowie der Halbinsel Krim – auch zumutbar, einer Verfolgung in … durch eine Niederlassung in anderen Teilen der Ukraine auszuweichen.
Hinsichtlich der von der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung geäußerten Befürchtung, der Kläger zu 2 könne in der Ukraine zum Wehrdienst eingezogen werden oder sich freiwillig zum Militär melden, ist darauf zu verweisen, dass in der Ukraine nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht am 1. Mai 2014 insgesamt sechs Mobilisierungswellen erfolgten, die hauptsächlich Reservisten, aber auch Grundwehrdienstleistende (letztere zu einer sechsmonatigen Ausbildung) erfassten. Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Heranziehung keine Rolle. Ende Oktober 2016 wurde die Demobilisierung der sechsten Mobilisierungswelle abgeschlossen. Durch die Attraktivierung des Dienstes als Zeitsoldat verpflichteten sich derart viele Personen, dass nach der sechsten Mobilisierungswelle auf eine (bereits angekündigte) siebte Welle verzichtet werden konnte. Im November 2016 versicherte Präsident Poroschenko, dass es nach Abschluss der Demobilisierung der sechsten Welle keine Mobilisierten mehr an der Front der ATO-Zone geben würde. Weitere Mobilisierungswellen sind bislang nicht vorgesehen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, Stand: Januar 2017, VS-NfD, S. 9; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ukraine, Stand: 26.7.2017, VS, S. 35). Zudem ist es das legitime Recht eines Staates, zur Unterhaltung seiner Streitkräfte seine Bürger zum Militärdienst heranzuziehen. Vor diesem Hintergrund kann insoweit nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger zu 2 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG drohen würde. Erst recht kann es keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung darstellen, wenn der Kläger zu 2 sich freiwillig zum Militär melden sollte.
c) Die Kläger können sich auch nicht erfolgreich auf das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Das Gericht schließt sich den zutreffenden und nachvollziehbaren Ausführungen in den Gründen des Bescheids vom 13. Juli 2016 an, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, § 77 Abs. 2 AsylG.
d) Der Bescheid des Bundesamtes gibt schließlich auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides keinen Anlass zu Bedenken. Diese entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und § 38 Abs. 1 AsylG.
2. Die Kläger haben als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – dann allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.

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