Aktenzeichen B 6 K 16.31956
Leitsatz
1. Der Vortrag des Klägers ist unglaubhaft, da seine Darstellungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sich nicht nur durch bloße Ungenauigkeiten unterscheiden, sondern in den Grundzügen des Geschehensablaufs. (Rn. 22 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob im Falle der Kläger auf ihre Herkunftsprovinz Sar-i Pul oder auf die Provinz Balkh, in deren Hauptstadt Mazar-e Sharif sie zuletzt gelebt haben, abzustellen ist, kann dahin stehen. Offen bleiben kann auch, ob in diesen Provinzen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht. Denn gegebenenfalls hat sich die von diesem Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr nicht zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Kläger infolge willkürlicher Gewalt verdichtet. (Rn. 33 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner zwei Drittel und die Beklagte ein Drittel.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde (Zuerkennung nationaler Abschiebungsverbote und Aufhebung von Ziffern 4 bis 6 des Bescheides vom 19.12.2016) wird das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt.
2. Im Übrigen ist die zulässige Klage nicht begründet, weil die Ablehnung der Asylanträge rechtmäßig ist und die Kläger dadurch nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG).
Mit ihren Asylanträgen haben die Kläger ihre Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) sowie internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG beantragt (§ 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Nachdem gegen die Ablehnung der Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte (Ziffer 2 des Bescheides vom 19.12.2016) mit der Klageschrift nur eine (nicht statthafte, weil nicht zielführende, vgl. § 42 Abs. 1 VwGO) Anfechtungsklage erhoben und diese mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag nicht weiterverfolgt wurde, legt das Gericht die Anträge so aus, dass Ziffer 2 des Bescheides vom 19.12.2016 von Anfang an nicht Klagegegenstand war mit der Folge, dass die Ablehnung der Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte bestandskräftig geworden ist. Die im Wege der Verpflichtungsklage angefochtene Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung internationalen Schutzes (Ziffern 1 und 3 des Bescheides vom 19.12.2016) ist rechtmäßig, weil die Kläger weder Flüchtlinge im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch subsidiär Schutzberechtigte im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG sind.
2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die möglichen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründe sind in § 3a und § 3b AsylG näher erläutert.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Gemäß § 3c AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3c AsylG kann die Verfolgung bzw. die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3d AsylG, d.h. insbesondere wirksam und nicht nur vorübergehend (§ 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG), Schutz vor Verfolgung bzw. vor einem ernsthaften Schaden zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat bzw. keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung bzw. vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (interner Schutz). Dieser Zumutbarkeitsmaßstab („vernünftigerweise erwartet werden kann“) geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12, Rn. 20, juris). Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG bzw. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU (EU-Qualifikations-RL) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Es spricht einiges dafür, dass die danach zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes – oberhalb der Schwelle des Existenzminimums – auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 – 10 C 11/07, Rn. 35, juris).
Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden muss dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 20, juris; Beschluss vom 25.10.2012 – 10 B 16/12, Rn. 11, juris; Urteil vom 04.09.2012 – 10 C 13/11, Rn. 28, juris). Für diese Prognose ist auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 17, juris; Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 16, juris; Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12, Rn. 13, juris: „der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr“). Die Verhältnisse im übrigen Teil des Herkunftslandes sind eine Frage des internen Schutzes.
Gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung greift nur dann ein, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der Vorverfolgung bzw. Vorschädigung und der befürchteten künftigen Verfolgung bzw. dem befürchteten künftigen Schaden besteht (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09, Rn. 27 und 31, juris; Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 21, juris).
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die danach gebotene Überzeugungsgewissheit muss in dem Sinne bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals sowie von der Richtigkeit der Prognose, dem Kläger drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden, erlangt hat. Da unmittelbare Beweise im Herkunftsland in der Regel nicht erhoben werden können, kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 – 9 C 109/84, Rn. 16 und 17, juris). Der Schutzsuchende muss sein Schicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Lauf des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2013 – A 12 S 2023/11, Rn. 35, juris; Hessischer VGH, Urteil vom 04.09.2014 – 8 A 2434/11.A, Rn. 15).
2.2 Das Gericht vermochte nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass die Kläger Afghanistan unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bzw. eines erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens verlassen haben und dass ihnen im Falle einer Rückkehr (erneut) Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
2.2.1 Das Vorbringen des Klägers zu 1, ihm drohe eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, weil er in den Verdacht geraten sei, Alkohol verkauft bzw. konsumiert zu haben, ist nicht glaubhaft. Die Darstellungen des Vorfalles beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sind zu unterschiedlich, um glauben zu können, dass der Kläger zu 1 von einem Geschehen berichtet, das er tatsächlich erlebt hat.
Beim Bundesamt gab der Kläger zu 1 auf die Frage, wann der Nachbar den Kanister mit dem Alkohol gebracht habe, an, das sei ungefähr um drei Uhr nachmittags gewesen. Bis zum Mittag sei der Nachbar zusammen mit seinem Freund und Mitinhaber im Laden gewesen. Als der Kläger zu 1 nach dem Mittag seinen Laden wieder geöffnet habe, sei der Nachbarladen geschlossen gewesen. Am Nachmittag sei der Nachbar mit dem 20-Liter-Kanister und den beiden Kartons gekommen und habe gesagt, sein Freund und Mitinhaber sei krank, und er müsse von ihm erst den Schlüssel holen. Er (der Kläger zu 1) habe nicht gewusst, dass Alkohol in dem Kanister sei.
In der mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger zu 1 den Geschehensablauf anders. Der Geschäftsnachbar habe ihn ungefähr um elf Uhr vormittags gebeten, den Alkohol bei ihm unterstellen zu dürfen, weil er den Schlüssel holen müsse. Er (der Kläger zu 1) habe darauf hingewiesen, dass man sieben oder acht Jahre Gefängnis bekomme, wenn Alkohol gefunden werde. Nachdem der Nachbar nicht, wie angekündigt, gleich zurückgekommen sei, sei er (der Kläger zu 1) zu ihm nach Hause gegangen, habe dort aber nur die Ehefrau angetroffen. Dann sei er zu sich nach Hause gegangen und habe sich nicht getraut, sein Geschäft am Nachmittag wieder zu öffnen.
Die beiden Darstellungen unterscheiden sich nicht nur durch bloße Ungenauigkeiten, sondern in den Grundzügen des Geschehensablaufs. Wenn der Kläger tatsächlich erst nachmittags und in Unkenntnis ihres Inhalts die Behältnisse bei sich eingestellt hätte, ist kein vernünftiger Grund erkennbar, warum er bei anderer Gelegenheit berichtet, dies habe sich vormittags ereignet und er habe den Nachbarn auf die strafrechtlichen Folgen im Falle der Entdeckung des Alkohols hingewiesen. Umgekehrt gilt dasselbe. Die Unterschiede vermag sich das Gericht nur so zu erklären, dass der Kläger den behaupteten Sachverhalt gar nicht selbst erlebt, sondern erfunden und es dabei versäumt hat, sich die Einzelheiten des zuerst geschilderten Geschehensablaufs zu merken.
2.2.2 Auch das Vorbringen, vom Ex-Verlobten der Klägerin zu 2 gehe Verfolgung bzw. die Gefahr eines ernsthaften Schadens für die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 1 aus, ist nicht glaubhaft.
Zunächst erschließt sich nicht, warum der Ex-Verlobte der Klägerin zu 2 ihr und ihrem Ehemann nach dem Leben trachten oder ihnen zumindest nachhaltig schaden wollen sollte, nachdem er es war, der sich von der Klägerin zu 2 scheiden ließ. So haben es sowohl die Klägerin zu 2 als auch der Kläger zu 1 beim Bundesamt vorgetragen. Erst nachdem das Gericht diese Frage in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen hatte, gab die Klägerin zu 2 an, sie habe ihren Ex-Verlobten abgewiesen und dadurch seine Ehre verletzt. Dafür wolle er sich rächen. Der Erklärungsversuch der Klägerin zu 2, beim Bundesamt sei falsch übersetzt worden, überzeugt nicht. Die Korrektur der Aufenthaltsdauer in Mazar-e Sharif im Zuge der Rückübersetzung belegt, dass Richtigstellungen möglich waren. Außerdem ist es äußerst unwahrscheinlich, dass gerade die diesbezügliche Aussage sowohl der Klägerin zu 2 als auch des Klägers zu 1 falsch übersetzt wurde. Der Versuch, den Sachverhalt wegen Unstimmigkeiten nunmehr genau anders herum darzustellen, begründet ernstliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin zu 2.
Selbst wenn man ungeachtet dessen als wahr unterstellt, dass die Klägerin zu 2 zehn bis zwölf Jahre nach der Scheidung von ihrem Ex-Verlobten von diesem überfallen wurde, und annimmt, dass sie dadurch eine Verfolgung, anknüpfend an das Geschlecht (§ 3a Abs. 2 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG), oder zumindest einen ernsthaften Schaden (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) erlitten hat, ist dies nicht gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als ernsthafter Hinweis darauf zu werten, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass sie tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Aus den Angaben der Klägerin zu 2 beim Bundesamt ergibt sich nicht, dass sie einen erneuten Überfall befürchtete. Grund für den Umzug aus der Provinz Sar-i Pul nach Mazar-e Sharif war allein der Umstand, dass nach dem Vorfall mit ihrem Ex-Verlobten im Dorf schlecht über sie geredet wurde. Auch aus dem Anhörungsvorbringen des Klägers zu 1 geht nicht hervor, dass er aus Furcht vor dem Ex-Verlobten seiner Frau mit seiner Familie umgezogen sei. Während der Zeit in Mazar-e Sharif ist es dann nach dem Anhörungsvorbringen zu keinem unmittelbaren Zwischenfall mit dem Ex-Verlobten mehr gekommen. Die Klägerin zu 2 gab an, ihn seit dem Überfall nicht mehr gesehen zu haben. Der Kläger zu 1 gab an, nach der Eröffnung eines neuen Geschäftes in Mazar-e Sharif habe er „wieder normal gearbeitet ohne Probleme und Schwierigkeiten“, und äußerte lediglich die wage Vermutung, hinter dem angeblichen Vorfall mit dem Alkohol könne sein Feind, der Ex-Verlobte seiner Frau stecken. Vor diesem Hintergrund ist das gesteigerte Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, der Ex-Verlobte habe sie in Mazar-e Sharif tagtäglich bedroht, nicht glaubhaft, und die vorgelegten Bestätigungen von Dorfbewohnern und einem Cousin der Klägerin zu 2, dass der Ex-Verlobte ihr nach dem Leben trachte, stellen sich als reine Gefälligkeitsbescheinigungen dar.
2.2.3 Den Klägern droht in Afghanistan auch kein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
2.2.3.1 Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt jedenfalls dann vor, wenn der bewaffnete Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II (Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte) erfüllt, d.h. wenn er im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfindet, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des „bewaffneten Konflikts“ wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 19 bis 22, juris). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt auch dann vor, wenn diese Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt sind (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 25, juris; Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 17, juris; Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12, Rn. 13, juris).
2.2.3.2 Die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt setzt eine individuelle Verdichtung der allgemeinen von dem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität ausgehenden Gefahr in der Person des Klägers voraus. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Klägers ergeben. Unabhängig davon kann sie ausnahmsweise eintreten, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 34 und 35, juris; Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 13 bis 15, juris; Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09, Rn. 32, juris; Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 17 bis 19, juris). Aus diesem Verständnis des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09, Rn. 33, juris; Urteil vom 13.02.2014 – 10 C 6/13, Rn. 24, juris). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10, Rn. 23). Auf die wertende Gesamtbetrachtung kann verzichtet werden, wenn die Höhe des quantitativ ermittelten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem für ein ganzes Jahr ermittelten Verletzungs-/Tötungsrisiko von ungefähr 1:800 (0,125%) angenommen. Die allgemeinen Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind – etwa eine dadurch bedingte Verschlechterung der Versorgungslage – können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07, Rn. 35, juris).
2.2.3.3 Liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht landesweit vor, kommt die Zuerkennung subsidiären Schutzes in der Regel nur in Betracht, wenn der bewaffnete Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird. In diesem Fall ist weiter zu prüfen, ob der Kläger in anderen Teilen seines Herkunftslandes, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz gemäß § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3e AsylG finden kann. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Kläger stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08, Rn. 17 und 18, juris). Hat sich allerdings der Kläger schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von seiner Herkunftsregion gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen, dort auf unabsehbare Zeit zu leben, verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose aus (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12, Rn. 14, juris).
2.2.3.4 Ob im Falle der Kläger auf ihre Herkunftsprovinz Sar-i Pul oder auf die Provinz Balkh, in deren Hauptstadt Mazar-e Sharif sie zuletzt gelebt haben, abzustellen ist, kann dahin stehen. Offen bleiben kann auch, ob in diesen Provinzen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht. Denn gegebenenfalls hat sich die von diesem Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr nicht zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Kläger infolge willkürlicher Gewalt verdichtet.
Gefahrerhöhende Umstände in der Person der Kläger sind nicht ersichtlich. Das in diesem Fall erforderliche besonders hohe Niveau willkürlicher Gewalt wird sowohl in Sar-i Pul als auch in Balkh bei Weitem nicht erreicht.
2.2.3.4.1 Die Bevölkerungszahl der Provinz Sar-i Pul wird auf über 500.000 geschätzt (Wikipedia: 532.000 (2013); Republik Österreich, BFA Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, Seite 99: 569.043).
Im Zeitraum 01.09.2015 bis 31.05.2016 (9 Monate) wurden in Sar-i Pul 142 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich wie folgt aufgliedern (Republik Österreich, BFA Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, Seite 99/100; EASO, Country of Origin Information Report: Afghanistan – Security Situation, November 2016, Seite 154):
Violence targeting individuals = Gewalt gegen Einzelpersonen
18
Armed confrontations and airstrikes = bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe
100
Explosions = Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen
11
Security enforcement = wirksame Einsätze von Sicherheitskräften
11
Non-conflict related incidents = Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt
2
Other incidents = andere Vorfälle
142
Die Zahl der zivilen Opfer (Tote und Verletzte) in ganz Afghanistan betrug von Januar bis September 2016 (9 Monate) 8.531 und hatte damit den höchsten Stand seit 2009 erreicht. In derselben Periode des Jahres 2017 war ein Rückgang um 6% auf 8.019 zu verzeichnen (UNAMA, Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflict, Quarterly Report, 12. October 2017). Davon entfielen in der ersten Jahreshälfte 2017 (1. Januar bis 30. Juni 2017) 40 zivile Opfer (22 Tote und 18 Verletzte) auf die Provinz Sar-i Pul, was gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Rückgang um 20% bedeutete (UNAMA, Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflict, Midyear Report 2017, July 2017, Annex III).
Ausgehend von einer Bevölkerungszahl von (nur) 500.000 und einer auf das Gesamtjahr 2017 hochgerechneten Opferzahl von rund 100 ergibt sich ein Verletzungs-/Tötungsrisiko von 0,02% (1:5.000). Dieses quantitativ ermittelte Risiko eines den Klägern drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch ohne wertende Gesamtbetrachtung eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr verneint werden kann.
2.2.3.4.2 Die Bevölkerungszahl der Provinz Balkh wird auf über 1.300.000 geschätzt (Wikipedia: 1.325.700 (2015); Republik Österreich, BFA Bundesamt für Fremdwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, Seite 44: 1.353.626).
Im Zeitraum 01.09.2015 bis 31.05.2016 (9 Monate) wurden in Balkh 373 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich wie folgt aufgliedern (EASO, Country of Origin Information Report: Afghanistan – Security Situation, November 2016, Seite 150):
Violence targeting individuals = Gewalt gegen Einzelpersonen
48
Armed confrontations and airstrikes = bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe
165
Explosions = Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen
62
Security enforcement = wirksame Einsätze von Sicherheitskräften
93
Non-conflict related incidents = Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt
4
Other incidents = andere Vorfälle
1
373
Von den 8.019 zivilen Opfern in ganz Afghanistan von Januar bis September 2017 entfielen in der ersten Jahreshälfte 2017 (1. Januar bis 30. Juni 2017) 46 zivile Opfer (19 Tote und 27 Verletzte) auf die Provinz Balkh, was gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Rückgang um 56% bedeutete (UNAMA, Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflict, Midyear Report 2017, July 2017, Annex III).
Ausgehend von einer Bevölkerungszahl von (nur) 1.300.000 und einer auf das Gesamtjahr 2017 hochgerechneten Opferzahl von rund 100 ergibt sich ein Verletzungs-/Tötungsrisiko von 0,008% (1:12.500). Dieses quantitativ ermittelte Risiko eines den Klägern drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch ohne wertende Gesamtbetrachtung eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr verneint werden kann.
3. Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde (Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten), entspricht es im Hinblick auf die Abhilfeentscheidung vom 22.08.2017 billigem Ermessen, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Soweit die Klage abgewiesen wird (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes), tragen die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner (§ 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO VwGO).
Demzufolge hält das Gericht die Teilung der Kosten im Verhältnis von zwei Dritteln zu Lasten der Kläger und einem Drittel zu Lasten der Beklagten für angemessen.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.