Aktenzeichen 7 K 818/15
FGO § 79a Abs. 3, Abs. 4, § 90 Abs. 2
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Der Beigeladene hat seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der Abzweigungsbescheid der Beklagten vom 28.02.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
Die Familienkasse hat das Kindergeld ermessensfehlerfrei ab Juni 2008 in Höhe von 23 €, ab März 2009 in Höhe von 24,50 € und ab März 2010 in Höhe von 27,78 € monatlich an den Beigeladenen abgezweigt.
1. Nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG kann das für ein Kind nach § 66 Abs. 1 EStG festgesetzte Kindergeld u. a. an die Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Nach § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG kann diese Auszahlung auch dann erfolgen, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld (BFH-Urteil vom 23.02. 2006 III R 65/04, BStBl II 2008, 753).
2. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Abzweigung sind im Streitfall erfüllt. Nach §§ 1601 ff. BGB ist die Klägerin ihrem Sohn zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet, da dieser sich nicht selbst unterhalten kann. Der Unterhaltsanspruch umfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf. Dazu gehören auch die krankheitsbedingten Mehrkosten des behinderten und dauernd pflegebedürftigen Sohnes. Zu dem unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommen zählt zwar auch die Grundsicherung, so dass die Klägerin den Unterhalt nicht tatsächlich zahlen muss. Gleichwohl bleibt die Klägerin zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet. Die Klägerin ist ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht i. S. d. § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nachgekommen, da sie die zum Lebensbedarf ihres Sohnes gehörenden laufenden Kosten der Unterbringung im Blindenheim nicht übernommen hat. Eine Abzweigung war daher dem Grunde nach möglich.
3. Die Abzweigung wurde im Streitfall auch ermessensfehlerfrei vorgenommen.
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG kann die Auszahlung des Kindergeldes bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt. Bei der Abzweigung des Kindergeldes handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Familienkasse. Die Entscheidung ob und ggf. in welcher Höhe Kindergeld abgezweigt wird, steht im Ermessen der Behörde.
Nach § 102 FGO können Ermessensentscheidungen vom Finanzgericht nur darauf überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. § 5 AO). Bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung der Finanzbehörde durch das Finanzgericht ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung abzustellen (BFH, Beschluss vom 20. Februar 2012 – III B 107/11 -, Rn. 10, juris).
a) Die Familienkasse hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt ordnungsgemäß ermittelt. Sie hat sowohl die Klägerin als auch den im Einspruchsverfahren beigeladenen Bezirk angehört und dabei zu klären versucht, welche Aufwendungen das Kind aus eigenen Einkünften decken kann und welche Aufwendungen die Klägerin aus eigenem Einkommen als Unterhalt leistet. Insbesondere hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 12.11.2014 versucht, die Anzahl der Aufenthalte des Sohnes bei der Klägerin zu ermitteln.
Der Bezirk hat gegenüber der Familienkasse die laufenden Einnahmen des Kindes einzeln aufgelistet. Im Übrigen hat der beigeladene Bezirk zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aufwendungen der Klägerin trotz des bereits durchgeführten Gerichtsverfahrens bezüglich des unmittelbar vorangestellten Zeitraums nicht nachgewiesen sind, und dass die Klägerin in Kenntnis der Nachweispflicht insoweit auch keine Beweisvorsorge getroffen hat.
Bei der Sachverhaltsermittlung im Verwaltungsverfahren bezog sich die angehörte Klägerin auf das vorangegangene Gerichtsverfahren und verwies dabei auf angeblich unstreitige Feststellungen zu ihrer Unterhaltsgewährung. Nachweise und Belege zu den Aufwendungen könnten aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr beigebracht werden. Eine Darlegung der Besuchstage des Sohnes bei der Klägerin fehlt gänzlich, erst recht fehlen Nachweise hierfür.
b) Auf dieser Grundlage hat die Beklagte im Streitfall ihr zustehendes Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sie hat sich zutreffend am Zweck des Kindergeldes, Eltern wegen ihrer Unterhaltsaufwendungen zu entlasten, und dem Zweck einer möglichen Abzweigung, das Kindergeld an die den Unterhalt tatsächlich leistenden Sozialhilfeträger auszuzahlen, wenn dem Kindergeldberechtigten kein Aufwand durch den Unterhalt entsteht, orientiert.
Im Ausgangsbescheid vom 28.02.2014 wurden das Interesse der Klägerin und das Interesse des Bezirks unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin ihre Unterhaltsaufwendungen nicht nachgewiesen hatte und dass ihre Unterhaltsaufwendungen das Kindergeld überstiegen hätten, gegeneinander abgewogen. In der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2015 wurden diese Erwägungen überprüft und als zutreffend befunden.
Eine Abzweigung eines Teils des Kindergeldes monatlich jeweils in der vorgenommenen Höhe ist daher ein vom Rahmen und Zweck des Ermessens gedecktes, durch das Gericht nicht zu beanstandendes Ergebnis.
c) Das Ermessen der Familienkasse war nicht auf Null reduziert.
Eine Abzweigung ist nur dann nicht zulässig, wenn die dem Kindergeldberechtigten für sein behindertes, volljähriges Kind erwachsenen Aufwendungen mindestens die Höhe des Kindergeldes erreichen. Das Ermessen der Familienkasse ist in einem solchen Fall eingeschränkt, ermessensgerecht wäre allein die Auszahlung des vollen Kindergeldes an den Kindergeldberechtigten (Urteil des BFH vom 09.02.2009 III R 6/07, BStBl II 2009, 926).
Das ist im Streitfall nicht der Fall, im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung mit der angefochtenen Einspruchsentscheidung am 19.05.2015 hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie tatsächlich Unterhaltsaufwendungen getragen hat. Erst recht hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie tatsächlich höhere Unterhaltsaufwendungen getragen hat, als der Betrag des ihr belassenen Kindergeldes.
1. Die Klägerin hat trotz der ihr obliegenden Mitwirkungspflichten gemäß § 68 EStG keine Nachweise für tatsächlich erbrachte Unterhaltsaufwendungen gebracht. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass bei der Prüfung, ob Aufwendungen in Höhe des Kindergeldes entstanden sind, keine fiktiven Kosten für die Betreuung des Kindes angesetzt werden dürfen, sondern nur tatsächlich entstandene und glaubhaft gemachte Aufwendungen für das Kind berücksichtigt werden (BFH, Urteil vom 09. Februar 2009 – III R 37/07 -, BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928).
2. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter haben sowohl im Klageverfahren als auch im Verwaltungsverfahren wiederholt auf die angeblich unstreitigen Unterhaltsaufwendungen im Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 13.04.2011 (Az. 7 K 913/2008) bezüglich des unmittelbar vorangegangenen Zeitraums Januar 2005 – Mai 2008 hingewiesen und vorgetragen, dass sich die Verhältnisse auch im vorliegenden Streitzeitraum nicht verändert hätten. Zutreffend stellt der steuerliche Vertreter mit seinem Schriftsatz vom 06.11.2015 fest, dass die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung am 19.05.2015 maßgeblich sind, insoweit können Feststellungen aus einem Urteil, welches im Jahr 2011 für den Zeitraum Januar 2005 bis Mai 2008 ergangen ist, gar nicht relevant sein.
Überdies waren, entgegen der Annahme der Klägerin, die Unterhaltsaufwendungen auch im Verfahren 7 K 913/2008 keineswegs unstreitig. Mit Urteil vom 13. April 2011 wurde die Klage als unbegründet abgewiesen, der erkennende Senat stellte im Wesentlichen darauf ab, dass die Klägerin schon damals tatsächlich höhere Unterhaltsaufwendungen als das überlassene Kindergeld nicht nachgewiesen hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde war deshalb nicht erfolgreich (vgl. BFH, Beschluss vom 20. Februar 2012 – III B 107/11 -,juris). Die Unterhaltsaufwendungen sind auch im vorliegenden Verfahren streitig, gerade wegen des Urteils im vorangegangen Gerichtsverfahren hätte die Klägerin Beweisvorsorge für Unterhaltsaufwendungen treffen müssen, die klägerseits vorgetragene Unzumutbarkeit für die Erbringung von Nachweisen ab dem Jahr 2008 kann das Gericht deshalb nicht erkennen.
3. Im Übrigen fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung des Unterhaltsaufwandes, selbst unter Einbeziehung des Vorbringens im vorangegangenen Klageverfahren. Die Angaben zur Unterhaltshöhe (monatlich 522,05 €) in der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin vom 10.07.2012 stehen bereits im Widerspruch zum Vorbringen des steuerlichen Vertreters im Verwaltungsverfahren, dieser hat mit Schreiben vom 11.07.2012 die monatlichen Aufwendungen der Klägerin lediglich mit 422,05 € beziffert.
Überdies sind die Besuchszeiten des Sohnes bei der Klägerin im Streitzeitraum nicht einmal plausibel dargelegt worden. Erst recht fehlen die von der Beklagten angeforderten Nachweise in Form einer Bestätigung des Bezirks oder auch anhand von eigenen Aufzeichnungen. Die Behörde konnte deshalb bei ihrer abschließenden Ermessensentscheidung nicht hinreichend überprüfen, ob und in welcher Höhe Aufwendungen, die mit dem Besuch des Sohnes zusammenhängen (Essen, Wäsche waschen, Freizeitveranstaltungen, Bekleidung usw.) überhaupt angefallen sind. Die Bezugnahme auf das Vorbringen im vorangegangenen Klageverfahren (Besuchszeiten zwischen 1/3 und 1/4 des Jahres) ohne genauere Angaben ist zu vage, zumal der Streitzeitraum sich über mehrere Jahre erstreckt.
4. Das Gericht konnte auch ohne Zeugeneinvernahme von Frau B entscheiden, die klägerseits als Zeugin für die Unterhaltsaufwendungen der Klägerin seit Juni 2008 angeboten wurde. Auf die Zeugeneinvernahme wurde nicht ausdrücklich verzichtet, und auch nicht mittelbar durch das erteilte Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 FGO, denn der steuerliche Vertreter hat mit seinen weiteren Schriftsätzen die Zeugniseinvernahme beantragt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er daran festhalten möchte (BFH, Beschluss vom 18. März 2013 – III B 143/12 -, juris). Allerdings ist für die Frage der Ermessenreduktion auf Null der Kenntnisstand der Behörde im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich, darüber ist kein Zeugenbeweis angeboten worden, sondern lediglich allgemein über die Höhe der Unterhaltsleistungen der Klägerin ab Juni 2008. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, inwieweit Frau B zum Kenntnisstand der Behörde im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung eine Aussage treffen kann. Der Beweisantrag ist für die Entscheidung unerheblich und konnte daher übergangen werden.
5. Auf die klägerseits aufgeworfene Rechtsfrage, wonach das Blindengeld entsprechend der Vermutung des § 1610a BGB nicht als Einkommen des Sohnes angesetzt werden dürfe, kommt es im vorliegenden Streitfall im Ergebnis nicht an. Die Abzweigung von Kindergeld beruht auf einer Ermessensentscheidung der Beklagten, dabei ist auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung abzustellen. Die Familienkasse hat ihre Ermessensentscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Klägerin im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht glaubhaft gemacht oder gar nachgewiesen hat, dass ihr überhaupt Aufwendungen entstanden sind, die den Betrag des überlassenen Kindergeldes überstiegen haben. Bei der Ermessensausübung der Beklagten war das Einkommen des Sohnes bzw. die Zusammensetzung des Einkommens nicht entscheidungserheblich.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.