Verwaltungsrecht

Erfolgloses Eilbegehren eines Asylbewerbers auf Erteilung einer Duldung wegen erfolgter Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  B 4 E 17.797

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143350
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 5 Abs. 2 AufenthG
§ 10 Abs. 1 AufenthG
§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
AufenthV § 39 Satz 1 Nr. 4 und 5

 

Leitsatz

1. Regelerteilungsvoraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis ist die Einreise mit einem erforderlichen Visum, das auch für die Erlangung eines asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltstitels im Bundesgebiet erforderlich ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Aufenthaltsgestattung erlischt bei Vollziehbarkeit der im Bundesamtsbescheid verfügten Abschiebungsandrohung nach Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet und erfolglosem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag nach § 123 VwGO auf Verpflichtung des Antragsgegners, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen, wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, kosovarischer Staatsangehöriger, wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine beabsichtigte Abschiebung in sein Heimatland.
Der Antragsteller reiste am 26.07.2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 09.08.2017 einen Asylantrag.
Am 23.08.2017 heiratete er die deutsche Staatsangehörige D. M., wohnhaft im Regierungsbezirk Schwaben.
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 12.09.2017 wurde der Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt und ihm die Abschiebung nach Kosovo angedroht, falls er nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland verlässt. Ferner wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG von sechs Monaten ab dem Tag der Ausreise und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG von 20 Monaten ab dem Tag der Abschiebung verfügt.
Gegen den Bescheid des Bundesamts vom 12.09.2017 erhob der Antragsteller am 29.09.2017 Klage und stellte zudem einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Verwaltungsgericht Bayreuth. Der Eilantrag wurde mit Beschluss vom 02.10.2017 (Az.: B 4 S 17.33158) abgelehnt. Das Klageverfahren ist noch unter dem Az. B 4 K 17.33159 anhängig.
Mit Schriftsatz vom 09.10.2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tag, beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers im Wege der einstweiligen Anordnung wie folgt zu beschließen:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, auf Antrag des Antragstellers vom 30.08.2017 diesem den Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft und die Privatwohnungsnahme bei Frau D. M. zu gestatten.
Zur Begründung der Ziffer 1 des Eilantrages führte der Bevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen aus, dem Antragsteller sei die Ausreise und die Durchführung eines Visumverfahrens zum Ehegattennachzug nicht zumutbar. Ihm sei vielmehr gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund seiner Deutschverheiratung zu erteilen. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, der eine unanfechtbare Ablehnung des Asylantrages voraussetze, stehe nicht entgegen. Wegen des grundgesetzlichen Schutzes von Ehe und Familie würden sich aufenthaltsbeendende Maßnahmen verbieten. Dem Antragsteller sei die Wohnungsnahme bei seiner Ehefrau zu gestatten. Die Aufenthaltserlaubnis sei dann beim Landratsamt Augsburg zu beantragen.
Mit Schriftsätzen vom 24.10. und 06.11.2017 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers die Einkommenssituation der Ehefrau dargelegt und mit Unterlagen belegt.
Der Antragsgegner hat am 08.11.2017 die Ausländerakte vorgelegt und beantragt,
den Antrag auf Aussetzung der Abschiebung abzulehnen.
Er verweist darauf, dass ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht gegeben sei, weil die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sei. Einer Prüfung, ob im Ermessenswege von der Nachholung des Visumverfahrens abgesehen werden könne, bedürfe es nicht, weil dann kein strikter, sich bereits aus dem Gesetz ergebender Rechtsanspruch vorliege. Es sei dem Antragsteller, der sich unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte, zuzumuten, sich für die Durchführung des Visumverfahrens von seiner Ehefrau zu trennen. Ob das Einkommen der Ehefrau für die Sicherung des Lebensunterhalts ausreiche, sei nicht entscheidend, da kein strikter Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis bestehe. Der Tatbestand des § 39 Satz 1 Nr. 4 bzw. Nr. 5 AufenthV sei nicht erfüllt, weil der Antragsteller keine Aufenthaltsgestattung mehr besitze, nachdem diese mit Eintritt der vollziehbaren Ausreisepflicht erloschen sei und kein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung bestehe.
Soweit das Eilverfahren auf Verpflichtung des Antragsgegners auf Gestattung des Auszugs aus der Unterkunft und der Privatwohnungsnahme gerichtet ist (Ziffer 2 des Antrags vom 09.10.2017), hat das Gericht den Antrag mit Beschluss vom 13.10.2017 (Az. B 3 E 17.33215) abgelehnt. Auf die Gründe des Beschlusses wird verwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte sowie auf die Gerichts- und Behördenakten in den Verfahren B 3 E 17.33215, B 4 K 17.33159 und B 4 S 17.33158 verwiesen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag auf Aussetzung der Abschiebung dürfte wegen eines fehlenden Rechtschutzbedürfnisses bereits unzulässig sein. Grundsätzlich besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO nur, wenn sich der Antragssteller vor der Anrufung des Gerichts mit seinem Begehren an die zuständige Behörde gewandt hat und die Behörde untätig bleibt oder unmissverständlich zu erkennen gegeben hat, dass sie den Antrag ablehnen wird. Zwar hat sich der Antragsteller wegen seines Umverteilungsbegehrens (Wohnsitznahme bei der Ehefrau) am 30.08.2017 an den Antragsgegner gewandt, hat aber nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung im Bundesamtsbescheid vom 12.09.2017 durch den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 02.10.2017 (B 4 S 17.33158) keinen Antrag auf Aussetzung der Abschiebung bei der Ausländerbehörde gestellt. Der Antragsgegner hat aber im vorliegenden Verfahren durch den Ablehnungsantrag und die Antragserwiderung bereits zu erkennen gegeben, dass er eine Aussetzung der Abschiebung nicht zu gewähren gedenkt.
2. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung ist jedenfalls unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller, dessen Ausreisefrist abgelaufen ist und der vor einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zur freiwilligen Ausreise bereit ist, hat keinen Anspruch darauf, dass gegen ihn keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergriffen werden. Deshalb liegt wegen der drohenden Abschiebung zwar ein Anordnungsgrund, aber kein Anordnungsanspruch vor.
Gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
Rechtlich unmöglich kann eine Abschiebung sein, wenn es durch die Abschiebung unmöglich gemacht oder jedenfalls in unzumutbarer Weise erschwert wird, eine ausländerrechtliche Rechtsposition im Bundesgebiet zu verfolgen (BayVGH, Beschluss vom 25.01.2010, Az. 10 CE 09.2762, juris Rdnr. 10). Ein Anordnungsanspruch besteht deshalb dann, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er einen offenbaren Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, den geltend zu machen die Abschiebung zumindest erschwert (vgl. VG München, Beschluss vom 24.8.2010, Az. M 10 S 10.3263 und 3264, juris Rdnr. 35).
Gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, vor dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn darauf ein gesetzlicher Anspruch besteht. Der Anspruch muss ein strikter Rechtsanspruch sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.2016 – BVerwG 1 C 23.15 -, NVwZ 2016, 1498, 1500; Urt. v. 16.12.2008 – 1 C 37/07 – BVerwGE 132, 382/388). Es müssen alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsnorm auf einen Aufenthaltstitel einschließlich der anwendbaren allgemeinen Vorschriften erfüllt sein. Die Regelung berechtigt einen Ausländer deshalb nicht zur Einholung eines asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltstitels im Bundesgebiet unter Absehen vom Visumerfordernis. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug stellt keine bloße Förmlichkeit dar. Das Visumverfahren ist vielmehr von elementarer Bedeutung als Steuerungsinstrument für die Zuwanderung in das Bundesgebiet (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 17.09 – BVerwGE 138, 122). Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er demnach – nicht anders als jeder andere Ausländer auch – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1 § 5 Rn. 53 m.w.N.). Dementsprechend bestimmt § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als Regelerteilungsvoraussetzung, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (BayVGH, B. v. 23.09.2016 – 10 C 16.818, juris Rn. 11).
Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG liegen im Falle des Antragstellers nicht vor. Zwar vermittelt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für den Ehegattennachzug zu Deutschen grundsätzlich einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis; der Antragsteller erfüllt jedoch nicht das Erfordernis der Einreise „mit dem erforderlichen Visum“, von dem nur nach Ermessensausübung abgesehen werden kann (§ 5 Abs. 2 Satz 1, 2 AufenthG). Damit besteht kein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.
Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, dass er berechtigt ist, im Bundesgebiet einen Aufenthaltstitel einzuholen. Die Regelungen des § 39 AufenthV ermöglichen als Ausnahmen von § 5 Abs. 2 AufenthG zwar die Einholung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug im Bundesgebiet. Der Antragsteller ist von der Durchführung des Visumverfahrens aber nicht nach den hier allein in Betracht kommenden Regelungen in § 39 Nr. 4 oder 5 AufenthV befreit. Für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschriften ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes maßgeblich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 08.12.2011 – 18 B 866/11, juris Rn. 4). Im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fehlt es an den Voraussetzungen des § 39 Nr. 4 AufenthV, weil der Antragsteller nicht mehr über eine Aufenthaltsgestattung verfügt. Diese ist gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG erloschen, da die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.09.2017 enthaltene, auf §§ 34, 36 Abs. 1 AsylVfG beruhende Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist, nachdem der Asylantrag des Antragstellers nach § 29a Abs. 1 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde und auch der hiergegen gerichtete Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erfolglos blieb (Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 02.10.2017 – B 4 S 17.33158). Trotz des noch anhängigen Asylklageverfahrens ist der Antragsteller daher nicht mehr zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Die Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV liegen ebenfalls nicht vor. Der Antragsteller ist gegenwärtig allenfalls im Besitz einer konkludenten verfahrensbezogenen Duldung. Eine derartige Duldung bleibt nach Sinn und Zweck der Regelung, nur diejenigen Ausländer zu begünstigen, die nicht abgeschoben werden können, im Rahmen des § 39 Nr. 5 AufenthV aber außer Betracht.
3. Als unterliegender Teil trägt der Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr.1 und § 52 Abs. 1 GKG. Dabei war der halbe Auffangstreitwert, der in einem auf eine Duldung gerichteten Klageverfahren anzusetzen ist, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wiederum zu halbieren.

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