Baurecht

Erfordernis eines gesonderten Befreiungsantrags

Aktenzeichen  M 9 K 16.4678

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132422
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 63 Abs. 2 S. 1
BauGB § 1 Abs. 8, § 31 Abs. 2, § 214 Abs. 4, § 215 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
BauNVO § 19 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Mit der Neufassung von Art. 63 Abs. 2 S. 1 BayBO ist die bisher geübte Praxis, dass mit Stellung des Bauantrags auch die für das Vorhaben erforderlichen Abweichungen als beantragt gelten sollen, nicht mehr zulässig. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung haben, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Dem Bauvorhaben stehen die Festsetzungen des wirksamen (1.) einfachen Bebauungsplans entgegen (2.); die deshalb erforderlichen Befreiungen vom Bebauungsplan, § 31 Abs. 2 BauGB haben die Kläger nicht beantragt (3.).
1. Der Bebauungsplan ist wirksam. Weder ist ein Ausfertigungsmangel gegeben (a) noch ist der Geltungsbereich nicht wirksam festgelegt worden (b). Der Bebauungsplan konnte auch für das gesamte Gemeindegebiet erlassen werden (c). Aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Februar 1998 – 1 B 95.1941 – juris ergibt sich nichts anderes (d). Abwägungsmängel sind nicht mehr überprüfbar, im Übrigen nicht erkennbar (e).
a) Der Bebauungsplan leidet nicht an einem Ausfertigungsmangel.
Vorliegend präzisierte der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung seine schriftsätzliche Einlassung dahingehend, dass seiner Meinung nach ein Problem daraus erwachse, dass die Unterschrift des Bürgermeisters unter den jeweiligen Verfahrensvermerken keine Datumsangabe trage. Der Klägerbevollmächtigte schloss sich diesem Vortrag an.
Zunächst ist dazu zu bemerken, dass dies die Wirksamkeit der Ausfertigung in keinem Fall berührt, sie ist auch ohne Datumsangabe des unterzeichnenden Bürgermeisters und nur durch die Unterschrift unter dem Bestätigungsvermerk bzw. durch Unterzeichnung des Sitzungsprotokolls (statt vieler z.B. BayVGH, U.v. 2.5.2007 – 25 N 04.777 – juris; U.v. 20.6.2005 – 25 N 04.1299 – juris) gegeben. Auch im Hinblick darauf, dass die Ausfertigung zeitlich vor der Bekanntmachung erfolgen muss, ergeben sich vorliegend keine Probleme. Zwar verlangt die Rechtsprechung für den Umstand, dass die Ausfertigung vor der Bekanntmachung erfolgt ist, grundsätzlich die Datumsangabe bei der Unterschrift (BayVGH, U.v. 16.3.1990 – 23 B 88.00567 – juris), es reichen aber auch andere Indizien zum Nachweis aus (OVG NW, U.v. 22.3.2011 – 2 A 371/09 – juris; BayVGH, B.v. 24.6.1993 – 23 B 91.2897 – BeckRS 1993, 11516). Dies ist auch nur folgerichtig, da es in der Bayerischen Gemeindeordnung an einer Art. 76 Abs. 1 BV vergleichbaren Regelung fehlt; Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO beschreibt gerade nicht, wie die Ausfertigung genau erfolgen muss. Generell dürfen die Anforderungen an eine Ausfertigung nicht überspannt werden, es ist vielmehr als ausreichend anzusehen, wenn den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügt wird, um den mit der Ausfertigung verfolgten Zweck zu erreichen (BayVGH, U.v. 10.10.2000 – 20 N 98.3701 – juris).
Hinsichtlich der geforderten Indizien ist zunächst klarzustellen, dass bereits anhand des Bebauungsplans (Originalurkunde) und der Aktenlage ohne Weiteres feststeht, dass der jeweilige Verfahrensschritt am Tag des entsprechenden Satzungsbeschlusses des Gemeinderats vom ersten Bürgermeister auf der Originalurkunde festgehalten wurde. So erfolgte bspw. der Billigungs- und Auslegungsbeschluss am 14. März 2000 und wurde vom ersten Bürgermeister so auch auf der Originalurkunde dokumentiert, wie die im Gemeindeakt enthaltene, zu diesem Zeitpunkt gefertigte Kopie zeigt. Die Unterschriften und Datumsangaben der nachfolgenden Verfahrensschritte blieben noch frei, die Originalurkunde wurde also nicht etwa nachträglich hinsichtlich der Daten pauschal ergänzt. Auch die Bekanntmachung vom 6. Juni 2000 zeigt, dass stets eine Übereinstimmung zwischen Vornahme des Verfahrensschritts und Datumsangabe besteht und bestand. Deshalb hielt es der erste Bürgermeister auch nicht für notwendig, unter den jeweiligen Verfahrensvermerk nochmals die Datumsangabe zu setzen, die sich klar bereits aus dem maschinenschriftlichen Eintrag im jeweiligen Vermerk selbst ergab (gleichwertig wäre hier ein entsprechender Datumsstempel, vgl. BayVGH, U.v. 20.6.2005 – 25 N 04.1299, 25 N 04.2512 – juris). Insofern ist offensichtlich, dass die Originalurkunde endgültig am 5. Juni 2000 hergestellt wurde durch Unterzeichnung des entsprechenden mit maschinenschriftlichem Datum versehenen Verfahrensvermerks (vgl. BayVGH, U.v. 20.6.2005 – 25 N 04.1299, 25 N 04.2512 – juris).
Dies ergibt sich bereits hinreichend klar aus der Originalurkunde selbst und ergänzend aus der gemeindlichen Bebauungsplanakte (s.o.). Im Übrigen ist davon auch deshalb auszugehen, weil es unzweckmäßig wäre, wenn der Bürgermeister am Folgetag zunächst nur die zum Aushang bestimmten Schriftstücke unterzeichnen, dann den Aushang durch einen Mitarbeiter veranlassen und erst danach die Satzung ausfertigen würde. Sinnvoll ist allein, die Unterschrift direkt am Tag der Gemeinderatssitzung auf der Originalurkunde zu leisten (zu Zweckmäßigkeitserwägungen BayVGH, B.v. 7.10.2002 – 20 CS 02.2308 – juris).
Davon abgesehen wurde in der Rechtsprechung wiederholt festgelegt, dass zum einen auch die Unterzeichnung des Sitzungsprotokolls für eine wirksame Ausfertigung genügt und zum anderen, dass bereits eine Aussage des Bürgermeisters über das normale Prozedere den Verfahrensgang in der Gemeinde betreffend ausreicht, um Zweifel an einem ordnungsgemäßen Verfahren auszuräumen; einer Erinnerung an den einen konkreten Fall bedürfe es nicht (BayVGH, B.v. 12.3.2012 – 15 ZB 10.2153 – juris; auch VGH BW, U.v. 9.8.2013 – 8 S 2145/12 – juris). Vorliegend wurde der Bürgermeister in der mündlichen Verhandlung befragt und gab zu Protokoll an, dass das Sitzungsprotokoll stets sofort nach der Sitzung gefertigt und am nächsten Tag von ihm unterschrieben werde. Da das Sitzungsprotokoll vom 5. Juni 2000 keine anderen Inhalte aufweist als den Beschluss über den Bebauungsplan – somit entfällt ein „Heraussuchen“ des Beschlusses aus einer Vielzahl von Tagesordnungspunkten –, da die Bezugnahme eindeutig und hinreichend konkret ist und den Bebauungsplan einschließlich Begründung zum Bestandteil des Beschlusses macht (die „gedankliche Schnur“ ist damit gegeben) und da die Bekanntmachung durch Anschlag an die Gemeindetafeln vollzogen wurde, ist auch damit nachgewiesen, dass die Bekanntmachung der Ausfertigung – hier gemeint: Unterschrift unter das Sitzungsprotokoll – nachfolgte (BayVGH, U.v. 5.2.2009 – 1 N 07.2713 – juris; U.v. 2.5.2007 – 25 N 04.777 – juris; U.v. 20.6.2005 – 25 N 04.1299 – juris; B.v. 7.10.2002 – 20 CS 02.2308 – juris; U.v. 3.9.2002 – 1 B 00.817 – juris; U.v. 10.10.2000 – 20 N 98.3701 – juris; U.v. 23.7.1992 – 26 N 90.3785 – BayVBl 1993, 725; U.v. 18.11.1991 – 14 N 89.1153 – BayVBl 1993, 146; U.v. 16.3.1990 – 23 B 88.567 – BayVBl 1991, 23). Bei Bekanntmachung durch Anschlag an die Gemeindetafeln ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unschädlich, wenn Ausfertigung und Bekanntmachung am selben Tag erfolgen. Wenn, wie hier, keine gegenteiligen konkreten Anhaltspunkte vorgetragen wurden oder ersichtlich sind, spricht nichts dagegen, dass die richtige Reihenfolge eingehalten wurde (z.B. BayVGH, U.v. 30.6.2016 – 2 N 15.713 – juris). Nach der Rechtsmeinung des Beklagtenvertreters dürfte auch das nicht genügen, es müsste hier dann auch die jeweilige Uhrzeit von Ausfertigung und Bekanntmachung angegeben werden.
Schließlich steht die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrensgangs auch deshalb fest, weil die Bekanntmachungserklärung eine Unterschrift des ersten Bürgermeisters, nunmehr mit ausdrücklicher nochmaliger Datumsangabe enthält. Diese Erklärung stellt ebenfalls eine ausreichende Ausfertigung dar, da der Satzungsbeschluss vom 5. Juni 2000 Erwähnung findet und der auszulegende Bebauungsplan klar bezeichnet wird (vgl. dezidiert BayVGH, U.v. 10.10.2000 – 20 N 98.3701 – juris).
Die Rechtsauffassung, dass kein Ausfertigungsmangel vorliegt, wird dadurch bestätigt, dass der mit diesem einfachen Bebauungsplan bereits zweimal befasste 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keinen Anstoß am Verfahrensgang genommen hat (BayVGH, B.v. 26.2.1998 – 1 B 95.1941 – juris; U.v. 30.7.2009 – 1 B 09.610 – juris).
Ungeachtet dessen, dass der Bebauungsplan formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, wird ergänzend darauf hingewiesen, dass die Verfahrensschritte Ausfertigung und Bekanntmachung nach § 214 Abs. 4 BauGB unter Angabe des Datums der Unterschrift jederzeit „isoliert“ und kurzfristig nachgeholt werden können (vgl. dazu bspw. SächsOVG, U.v. 20.3.2012 – 1 C 21/10 – juris m.w.N.); ein nachhaltiger Angriff auf den Bebauungsplan kann so also von vorn herein nicht geführt werden. Die übrigen Verfahrensschritte wären dabei nicht nachzuholen, da – bei unterstellter Unzulässigkeit wegen fehlender Datumsangabe – die Rügemöglichkeit hier nach § 215 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BauGB 1997 entfallen ist. Auf diese Rechtsfolge wurde in der Bekanntmachung vom 6. Juni 2000 auch hingewiesen, § 215 Abs. 2 BauGB 1997 wurde damit Genüge getan (VG München, U.v. 21.6.2017 – M 9 K 16.2183 – juris).
b) Der Geltungsbereich des Bebauungsplans ist konkret festgesetzt, § 9 Abs. 7 BauGB. Vom Bundesverwaltungsgericht als dynamische Festlegung angesehene Regelungen (U.v. 30.1.1976 – 4 C 26.74 – juris; U.v. 16.6.1994 – 4 C 2/94 – juris) liegen hier bereits nicht vor: Im Streit standen Fälle, in denen bislang geographisch vom einfachen Bebauungsplan nicht betroffene Grundstücke durch Ausdehnung „automatisch eingefasst“ wurden, ohne dass die Eigentümer ihre Belange vortragen und gegen die Ausdehnung intervenieren konnten; der einfache Bebauungsplan „dehnte“ sich dort mit neu hinzukommenden qualifizierten Bebauungsplänen auf bis dato nicht betroffene Gebiete aus. Vorliegend verhält es sich anders: Die äußeren Grenzen des Geltungsbereichs stehen von Anfang an klar definiert fest, eine weitere räumliche Ausdehnung des Bebauungsplans kann nicht stattfinden. Deshalb besteht hier bereits kein im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts „veränderlicher“ Geltungsbereich.
Jedenfalls aber wäre die Festsetzung, wollte man sie als dynamische oder veränderliche Festlegung ansehen, wirksam: Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, a.a.O.) geht hervor, dass eine dynamische Festsetzung des Geltungsbereichs nur dann unzulässig sein soll, wenn dadurch ein vorgeschriebenes Anhörungsverfahren (§§ 2ff. BauGB) umgangen wird. Auch angesichts von § 1 Abs. 8 BauGB, der festlegt, dass das Anhörungsverfahren auch bei der (teilweisen) Änderung oder Aufhebung von Bebauungsplänen stattfinden muss – unterstellt, dass diese Tatbestände bei der „Ablösung“ des einfachen Bebauungsplans durch qualifizierte Bebauungspläne zum Tragen kommen –, werden vorliegend keine Anhörungsrechte verkürzt. Die Belange derjenigen Grundstückseigentümer, die mit ihren Grundstücken aus dem Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans ausscheiden und in den Geltungsbereich eines neuen qualifizierten Bebauungsplans fallen, werden auch hinsichtlich des Verlustes des Regelungsregimes des einfachen Bebauungsplans im Rahmen der Aufstellung des neuen qualifizierten Bebauungsplans hinreichende Berücksichtigung finden. Unabhängig davon ist bei der (Teil-) Ersetzung eines einfachen Bebauungsplans durch einen qualifizierten Bebauungsplan ohnehin kein gesondertes Anhörungsverfahren für eine etwaige (Teil-) Aufhebung des einfachen Bebauungsplans durchzuführen, da eine gesonderte (Teil-) Aufhebung gerade nicht stattfindet. Der neue qualifizierte Bebauungsplan ersetzt den einfachen Bebauungsplan, ohne dass dieser gesondert aufgehoben werden muss (vgl. statt aller König, Baurecht Bayern, Stand: 5. Auflage 2015, Rn. 264). Damit entfällt das einzige rechtlich tragende Argument gegen die Veränderlichkeit/Dynamisierung des Geltungsbereichs.
Ein Problem ergibt sich auch nicht beim „Zurückfallen“ von qualifizierten Bebauungsplanbereichen in den Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans bei etwaiger Änderung oder Aufhebung eines qualifizierten Bebauungsplans, da dafür ein Änderungsbzw. Aufhebungsverfahren hinsichtlich des qualifizierten Bebauungsplans durchzuführen ist, im Rahmen dessen Bedenken hinsichtlich des „Zurückfallens“ in den Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans erörtert werden können und müssen.
Auch das Problem einer „faktischen Verkürzung von Anhörungsrechten“ bestand nicht, da der einfache Bebauungsplan von vorn herein das gesamte Gemeindegebiet umfasst hat.
Ein Bestimmtheitsproblem, Art. 20 Abs. 3 GG ergibt sich entgegen der Rechtsansicht des Beklagtenvertreters aus einer „dynamischen“ Festlegung von vorn herein nicht, wie auch das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) festgestellt hat. Für jedes Grundstück ist zu jeder Zeit klar bestimmt, ob es im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans liegt oder nicht. Dasselbe gilt auch im Hinblick auf die „Ablösung“ durch neu in Kraft gesetzte qualifizierte Bebauungspläne. Dass die Festlegung der Ausnahmebereiche in der als Anlage beigefügten Karte bei dem verwendeten Maßstab von 1 : 25000 nicht parzellenscharf erfolgen konnte, stellt bereits deswegen kein Problem dar, weil die Geltungsbereiche der qualifizierten Bebauungspläne selbst den jeweiligen Satzungen parzellenscharf zu entnehmen sind und die Bürger diese qualifizierten Bebauungspläne bei der Gemeinde einsehen können (sie sind zudem allesamt frei zugänglich über das Geoportal Bayern ins Internet eingestellt). Bezugnahmen auf eigenes Ortsrecht – wie hier auf qualifizierte Bebauungspläne – sind generell zulässig (BVerwG, U.v. 16.6.1994 – 4 C 2/94 – juris). Auch sonstige Bezugnahmen sind jederzeit möglich, wenn die relevanten Regelwerke bei der Gemeinde eingesehen werden können (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2010 – 4 BN 21/10 – juris; U.v. 31.1.2001 – 6 CN 2/00 – juris; B.v. 24.5.1995 – 4 NB 37/94 – juris). Das Konzept des einfachen Bebauungsplans ermöglicht somit eine willkürfreie Handhabung durch Behörden und Gerichte (dazu OVG NW, U.v. 19.5.2015 – 10 D 115/12.NE – juris).
Auch der Halbsatz „soweit nach den §§ 34 und 35 BauGB eine Bebauung überhaupt zulässig ist“ führt nicht zur Unbestimmtheit oder zu einer unzulässigen Dynamisierung. Es ist offensichtlich, dass diesem Zusatz nur klarstellende Funktion dahingehend zukommt, dass die Regelungen des Bebauungsplans nur dort relevant werden, wo eine Bebauung zulässig ist (vgl. den Wortlaut „überhaupt“). Dass sich der Geltungsbereich auf das gesamte Gemeindegebiet erstreckt, wird durch die sonstige textliche Beschreibung und durch die in Anlage beigefügte zeichnerische Darstellung klar festgelegt.
Unabhängig von alledem wird darauf hingewiesen, dass sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits mehrmals mit dem streitgegenständlichen Bebauungsplan beschäftigt hat (BayVGH, B.v. 26.2.1998 – 1 B 95.1941 – juris; U.v. 30.7.2009 – 1 B 09.610 – juris). Die Festlegung des Geltungsbereichs wurde dabei – im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – nicht beanstandet. Es hätte sich dabei nicht um eine sog. ungefragte Fehlersuche gehandelt, mit der sich der Senat nicht hätte beschäftigen dürfen, da diese Frage zentral für die Anwendbarkeit des gesamten Bebauungsplans ist und alle Festsetzungen betrifft; somit sprechen die Entscheidungen des BayVGH gerade dafür, dass ein derartiges Bebauungsplankonzept zulässig ist.
c) Eine Binnendifferenzierung, wie sie der Beklagtenvertreter mit Verweis auf die Praxis bei z.B. Werbeanlagensatzungen oder Gestaltungssatzungen für notwendig erachtet, ist im Rahmen des vorliegenden einfachen Bebauungsplans nicht angezeigt. Der einfache Bebauungsplan dient der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des vorhandenen Abwassersystems, einem zweifelsfrei städtebaulichen Belang nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 lit. e BauGB. Dies wird aus der Begründung und den Zielen des Bebauungsplans deutlich, wenn dort ausgeführt wird, dass K. wegen der großen Längenausdehnung und des fehlenden Gefälles im Vakuumsystem entwässert werde, wobei dieses System eine begrenzte Aufnahmekapazität habe und aus technischen Gründen nicht beliebig erweiterbar sei. Die zunehmenden Versuche, unbebaute Grundstücke oder Grundstücksteile mit möglichst hoher Ausnutzung zu bebauen, hätten die Beigeladene veranlasst, die Entwicklung zu steuern und für den unbeplanten Bereich der Gemeinde einen einfachen Bebauungsplan aufzustellen. Daraus ist das übergeordnete Ziel, die Funktionsfähigkeit des Abwasserbeseitigungssystems sowie die ortstypische Wohnqualität zu erhalten, klar erkennbar. Dass dieses Konzept für den gesamten Gemeindebereich Gültigkeit beanspruchen muss, leuchtet ein; der das Gemeindegebiet umspannende Bebauungsplan ist somit erforderlich i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Auch der BayVGH hat in seiner Entscheidung vom 26.2.1998 – 1 B 95.1941 – juris Rn. 29 festgehalten, dass wegen der besonderen örtlichen Abwasserproblematik derlei Festsetzungen grundsätzlich zulässig sind. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die nachfolgend erlassenen qualifizierten Bebauungspläne (bspw. Nr. 14 „N. Straße Südwest“) deshalb auch die Regelungen des einfachen Bebauungsplans zum Maß der baulichen Nutzung und zur Anzahl der Wohneinheiten entweder exakt übernehmen oder sie noch weiter verschärfen. Das Konzept ist damit nicht etwa vorgeschoben, sondern tragender Gesichtspunkt für die gesamte Bauleitplanung der Beigeladenen. Schließlich ist auch keine Vergleichbarkeit mit der Situation bei sonstigen Satzungen gegeben, die eine Binnendifferenzierung bspw. wegen der Bezogenheit auf die Gebietsart notwendig machen. So ist z.B. ein Ausschluss von Werbeanlagen bereits von Gesetzes wegen bspw. in überwiegend gewerblich geprägten Bereichen der Art der baulichen Nutzung nach unzulässig (§ 6, § 8 BauNVO), im Umfeld reiner Wohnbebauung aber zulässig. Das hat mit dem vorliegenden Fall eines einheitlichen Regelungsbedarfs für die gesamte bebaute Gemeindefläche aber nichts zu tun.
d) Aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Februar 1998 – 1 B 95.1941 – juris ergibt sich, anders als die Beteiligten meinen, keine Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Ziff. 1 der Urfassung, zu der die Entscheidung erging, wurde abgeändert. Ziff. 1 der 1. Änderung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 8.10.1998 – 4 C 1/97 – juris) zulässig, insbesondere richtigerweise auf § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB gestützt worden. Auch die neuere Entscheidung des BayVGH, U.v. 30.7.2009 – 1 B 09.610 – juris ändert daran nichts, da dort nur Ziff. 7 der 1. Änderung für unwirksam erklärt wurde. Die restlichen Regelungen können auch ohne diese Bestimmung bestehen, § 139 Halbs. 2 BGB analog; die Beigeladene als Inhaberin der Planungshoheit hätte den Bebauungsplan auch ohne Ziff. 7 beschlossen.
e) Vom Beklagtenvertreter und im Anschluss daran auch vonseiten des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung pauschal gerügte Abwägungsmängel sind – auch inzident – nicht mehr überprüfbar. Die 1. Änderung des Bebauungsplans trat im Jahr 2000 in Kraft. Nach dem damals geltenden § 215 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BauGB 1997 mussten Mängel der Abwägung binnen sieben Jahren ab Inkrafttreten geltend gemacht werden. Anders als nach heutiger Rechtslage war ein Abwägungsfehler nach der gemäß § 233 Abs. 2 Satz 2 BauGB weiter anwendbaren Rechtslage mithin kein sog. Ewigkeitsmangel (vgl. dazu BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 1 B 14.1652 – juris; OVG NW, U.v. 22.2.2017 – 7 A 1397/15 – juris), sondern die Rügemöglichkeit verfiel nach Ablauf der Frist. Letzteres gilt analog auch für Klagen betreffend Einzelvorhaben und für die Möglichkeit einer Inzidentkontrolle des einschlägigen Bebauungsplans (siehe BayVGH, a.a.O. und OVG NW, a.a.O.). Auf diese Rechtsfolge wurde in der Bekanntmachung vom 6. Juni 2000 auch hingewiesen, § 215 Abs. 2 BauGB 1997 wurde damit Genüge getan (vgl. statt aller VG München, U.v. 21.6.2017 – M 9 K 16.2183 – juris). Unabhängig davon sind auch keine Abwägungsmängel erkennbar.
2. Die Festsetzungen des wirksamen Bebauungsplans stehen dem Vorhaben der Kläger entgegen. Die geplanten baulichen Änderungen (Carport, Stellplatz, Schuppen) erhöhen die GRZ auf einen nach Ziff. 4 Satz 2 i.V.m. Ziff. 3 Bebauungsplanfestsetzungen unzulässigen Faktor von 0,52, vgl. § 19 Abs. 4 Satz 1 BauNVO; weitere Überschreitungsmöglichkeiten nach § 19 Abs. 4 Satz 2 und 3 BauNVO schließt der Bebauungsplan ausdrücklich aus, § 19 Abs. 4 Satz 4 BauNVO i.V.m. Ziff. 4 Satz 3 Bebauungsplanfestsetzungen. Auch die Zahl der geplanten sechs Wohneinheiten übersteigt die nach Ziff. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. Ziff. 4 Bebauungsplanfestsetzungen maximal zulässigen vier Wohneinheiten inklusive einer Wohneinheit unter 60 m².
3. Es ist wegen des fehlenden gesonderten Befreiungsantrags nicht möglich, inhaltlich über die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für die nach Ziff. 2 des hiesigen Urteils notwendigen Befreiungen zu entscheiden. Dafür fehlt es bereits an der Vorbefassung des Beklagten (und der Beigeladenen) – unabhängig davon, ob sie sich im Rahmen des Baugenehmigungsbescheids bzw. der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens bereits zu nicht beantragten Befreiungsmöglichkeiten geäußert haben. Auch kann nicht auf den Bauantrag als solchen abgestellt werden. Der bayerische Gesetzgeber hat mit der Neufassung von Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO die bisher geübte Praxis, dass mit Stellung des Bauantrags auch die für das Vorhaben erforderlichen Abweichungen als beantragt gelten sollen (vgl. BVerwG, B.v. 28.5.1990 – 4 B 56/90 – juris), als nicht (mehr) zulässig angesehen (BeckOK BauordnungsR Bayern, Stand: 5. Ed. 1.9.2017, BayBO Art. 63 Rn. 47). Das Verpflichtungsbegehren ist im Hinblick auf die insoweit fehlende Vorbefassung des Beklagten (und der Beigeladenen) gemäß § 42 Abs. 1, 2. Var. VwGO an sich unzulässig, jedenfalls aber unbegründet (VG Berlin, U.v. 28.4.2014 – 19 K 146.13 – juris m.w.N.; Scheidler, UPR 2015, 281). Die Befreiung kann auch nicht etwa durch das Gericht im Rahmen der Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen für die von den Klägern begehrte Baugenehmigung ersetzt werden (kein „Durchentscheiden“).
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO – die Beigeladene hat sich mangels Antragstellung in kein Kostenrisiko begeben, weswegen es nicht der Billigkeit entspräche, ihre außergerichtlichen Kosten den Klägern aufzuerlegen –, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.

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