Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag gegen Ablehnung eines asylrechtlichen Zweitantrags als unzulässig

Aktenzeichen  W 3 S 17.33500

Datum:
7.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 4, § 71a, § 75
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1-3
GG GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 71a AsylG muss neben der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft auch die Prüfung des subsidiären Schutzes Gegenstand des im sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens gewesen sein. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. September 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der nach eigenen Angaben 1985 geborene Antragsteller, gibt an, er sei eritreischer Staatsangehöriger. Er beantragte am 21. Oktober 2014 die Gewährung von Asyl. Dabei gab er an, er habe sein Heimatland im Jahr 2006 verlassen und mehrere Jahre in Norwegen gelebt. Sein Asylantrag in Norwegen sei abgelehnt worden. Norwegen akzeptierte die Rücküberstellung des Antragstellers nach Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin III-VO. Dabei teilten die norwegischen Behörden mit, der Antragsteller sei äthiopischer Staatsangehöriger („Citizenship Ethiopia“). Sein Asylantrag sei am 18. März 2010 negativ entschieden worden und der Antragsteller sei in Norwegen ab 25. August 2014 als verschwunden registriert worden.
Mit Bescheid vom 11. November 2014 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Antragstellers nach Norwegen angeordnet. Ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde abgelehnt. Nachdem der Antragsteller nachgewiesen hatte, dass er mittlerweile eine äthiopische Staatsangehörige religiös geheiratet hat und für das gemeinsame Kind eine Vaterschaftsanerkennung und eine Sorgerechtserklärung abgegeben hat, erklärte das Bundesamt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts.
Zum Nachweis seiner eritreischen Staatsangehörigkeit hat der Antragsteller beim Bundesamt die Kopie eines Ausweises der „Kommission für eritreische Flüchtlingsangelegenheiten“ vorgelegt, wonach er am 12.9.1999 von Addis Abeba (Migrationsort) nach Asmara (Rückkehrort) ausgewandert ist, sowie die Kopie eines Schülerausweises, versehen mit einem Siegel des Staates Eritrea, Erziehungsministerium. Er gab an, er sei mit seinem Vater 1999 von Äthiopien nach Eritrea abgeschoben worden. Die Mutter sei nicht abgeschoben worden, lebe aber seit 2013 auch in Eritrea. Der Vater sei in Eritrea inhaftiert.
Mit Bescheid vom 21. September 2017 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Äthiopien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Der Antragsteller könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 3). In Ziffer 4 erfolgte die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller habe bereits in einem sicheren Drittstaat ein erfolgloses Asylverfahren absolviert. Er habe insbesondere angegeben, dass er in Norwegen zu seinen Asylgründen angehört worden sei und alle Gründe vorgetragen habe, die ihn dazu gezwungen hätten, sein Heimatland zu verlassen. Somit sei sein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig. Gründe für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Der Antragsteller habe im Rahmen seiner informatorischen Anhörung mitgeteilt, er befürchte im Falle einer Rückkehr nach Eritrea lebenslang verhaftet oder zum Militärdienst gezwungen zu werden. Dies habe er jedoch bereits in seinem Asylverfahren in Norwegen vortragen können. Eine neue Sachlage liege daher nicht vor. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Der Antragsteller habe weder belegen können noch glaubhaft gemacht, dass er die eritreische Staatsangehörigkeit habe. Der Antragsteller sei kein Eritreer, da er in Äthiopien geboren worden sei. Diese Staatsangehörigkeit bestehe fort, denn der Antragsteller hätte aktiv seine eritreische Staatsangehörigkeit beantragen müssen, was er aber nach eigenen Angaben nicht getan habe. Somit müsse davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller noch im Besitz der äthiopischen Staatsangehörigkeit sei. In Äthiopien sei der Antragsteller vor Verfolgung sicher. Der Heimatstaat eines Asylbewerbers sei grundsätzlich nach dem jeweiligen Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates zu bestimmen. Danach seien alle Personen äthiopischer, eritreischer oder gemischt äthiopisch-eritreischer Herkunft, die in Eritrea, Äthiopien oder Drittländern lebten und vor der Unabhängigkeit Eritreas im Jahre 1993 geboren worden seien, äthiopische Staatsbürger. Diese Staatsangehörigkeit habe der Antragsteller auch nicht aufgrund der Entstehung des neuen selbstständigen Staates verloren. Dies gelte unabhängig davon, ob er nach der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit erworben habe. Denn nach dem bis Dezember 2003 gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsrecht habe ein äthiopischer Staatsangehöriger seine Staatsbürgerschaft nur verloren, wenn er diese auf einen eigenen Antrag hin gewechselt oder eine fremde Staatsangehörigkeit erworben habe. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall. Dem Antragsteller würde als äthiopischem Staatsangehörigen im Falle der Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohen. Hierzu sei schon nichts vorgetragen. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller versuche, über seine Staatsangehörigkeit zu täuschen. Da die Anerkennungsquote eritreischer Staatsangehöriger im Asylverfahren sehr hoch sei, sei nicht unwahrscheinlich, dass Staatsangehörige der benachbarten Länder ein vermeintliches Verfolgungsschicksal in Verbindung mit einer unklaren Staatsangehörigkeit konstruierten, um die eigene äthiopische Staatsangehörigkeit zu verschleiern. Äthiopische Staatsangehörigen, die dauerhaft in Eritrea leben würden, seien von der Dienstleistung im Nationaldienst als ausländische Staatsangehörige befreit.
Der Antragsteller ließ am 9. Oktober 2017 Klage erheben (Az.: W 3 K 17.33499).
Gleichzeitig ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. September 2017 anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgebracht, das Bundesamt sei zu Unrecht von einer äthiopischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers ausgegangen. Dieser habe zum Nachweis seiner eritreischen Staatsangehörigkeit den Flüchtlingsausweis der Migrationsbehörde des „Staates von Eritrea“ sowie eine Schulbescheinigung vorgelegt. Durch die Abschiebung des Antragstellers und seines Vaters sei eindeutig, dass Äthiopien die äthiopische Staatsangehörigkeit des Antragstellers nicht anerkenne oder diese aberkannt habe. Außerdem habe sich der Antragsteller von Europa aus exilpolitisch betätigt.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und auf die elektronische Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 i.V.m. § 75 AsylG zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheid des Bundesamtes vom 21. September 2017 anzuordnen, ist begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (Art. 16a Abs. 4 GG, §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 i.V.m. 77 Abs. 1 AsylG).
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Die damit intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Antrages auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig und ist deren Folge.
Seit der Neufassung von § 29 AsylG durch das Integrationsgesetz (G.v. 31.7.2016, BGBl. S. 1939) ist die Ablehnung eines Folgeantrages bzw. eines Zweitantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Somit ist Gegenstand des Hauptsacheverfahrens lediglich die Frage, ob Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Falls dies bejaht wird, muss das Bundesamt ein Folgeverfahren durchführen. Das Bundesverwaltungsgericht hält insbesondere an der früheren Rechtsprechung zur Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zum Durchentscheiden beim Folgeantrag nicht mehr fest (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris).
Daher ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch zu überprüfen, ob der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu Recht als unzulässig abgelehnt wurde. Die Aussetzung der Abschiebung darf aber nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung oder an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen (§ 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abzulehnen, begegnet im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) ernstlichen Zweifeln.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten, oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; andernfalls ist der Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig zurückzuweisen. Ein Verfahren und eine Entscheidung nach § 71a i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, dass ein Asylverfahren nicht durchzuführen und der Asylantrag deswegen unzulässig ist, setzt somit zunächst den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22 ff.; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13 a B 15.50069 – juris Rn. 24).
Der Antragsteller hat unstreitig ein Asylverfahren in Norwegen durchgeführt, das negativ abgeschlossen wurde. Norwegen hatte mit Schreiben vom 11. November 2014 seine Übernahmebereitschaft gemäß Art. 3 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d Dublin III-VO erklärt. Diese Vorschrift betrifft Drittstaatsangehörige, deren Antrag abgelehnt wurde.
Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn (1.) sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (2.) neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder (3.) Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Die Geeignetheit der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG genannten Umstände für eine dem Kläger günstigere Entscheidung muss schlüssig dargelegt werden (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 14).
Im vorliegenden Fall bestehen ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes, ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen.
Diese Zweifel ergeben sich aus Folgendem:
Mangels Unterlagen ist nicht feststellbar, ob die norwegischen Behörden über das Vorbringen des Antragstellers, er sei zusammen mit seinem Vater von Äthiopien nach Eritrea abgeschoben worden, er sei eritreischer Staatsangehöriger und befürchte im Falle einer Rückkehr nach Eritrea zum Nationaldienst eingezogen bzw. wegen der illegalen Einreise bestraft zu werden, überhaupt geprüft hat. In dem Schreiben, mit dem die norwegischen Behörden ihre Zustimmung zur Rückübernahme des Antragstellers erklärt haben, wird als Staatsangehörigkeit äthiopisch angegeben. Möglicherweise wurde auch dort – wie vom Bundesamt im vorliegenden Verfahren – nur die Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien geprüft.
Darüber hinaus hat der Antragsteller neue Gründe vorgebracht (exilpolitische Aktivitäten), die im Bescheid nicht gewürdigt wurden.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag des Antragstellers nicht als identisch mit dem in Norwegen gestellten Asylantrag angesehen werden kann. Bei richtlinienkonformer Auslegung von § 71a AsylG muss neben der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft auch die Prüfung des subsidiären Schutzes Gegenstand des erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens gewesen sei. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Hamburg in seinem Beschluss vom 14. Juli 2016 (1 AE 2790/16, juris, Rn. 10 ff. m.w.N.) sowie des Verwaltungsgerichts Göttingen in seinem Beschluss vom 10. Juni 2016 (2 B 149/16, juris, Rn. 14 ff.) Bezug genommen. Der Asylantrag des Antragstellers in Norwegen wurde endgültig mit Entscheidung vom 18. März 2010 abgelehnt. In Deutschland wurde ein Antrag auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG erst seit Inkrafttreten der geänderten Fassung des § 13 AsylG (Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.1.2013, BGBl I. S. 3474) am 1. Dezember 2013 Gegenstand des Asylantrags. Zuvor umfasste der Antrag auf Asylanerkennung nur das „echte Asyl“ gemäß Art. 16a Abs. 1 GG und den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), während subsidiärer Schutz in Deutschland nur im Rahmen des Abschiebungsschutzes nach § 60 AufenthG geprüft wurde. Wenn die Entwicklung des Asylverfahrens in Norwegen ähnlich gewesen sein sollte, könnte ein dort vor März 2010 gestellter Asylantrag wohl nicht als identisch mit dem der Entscheidung des Bundesamtes im Fall des Antragstellers zugrundeliegenden Antrag angesehen werden. Hiervon ausgehend wäre im Fall eines nicht identischen Antrags vorliegend eine vollständig neue Sachprüfung unter Einbeziehung des internationalen subsidiären Schutzes geboten. Ein anderes Ergebnis hätte zur Folge, dass unter Umständen über den Antrag des Antragstellers auf Gewährung subsidiären Schutzes weder durch die norwegischen Behörden, noch durch das Bundesamt und damit überhaupt nicht entschieden würde. Dies ist vorliegend deshalb von Bedeutung, weil in der Regel Eritreern in Deutschland zumindest subsidiärer Schutz zuerkannt wird.
Die ernstlichen Zweifel bestehen auch hinsichtlich der Entscheidung, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides).
Nach Aktenlage hat das Bundesamt Abschiebungsverbote lediglich für Äthiopien geprüft, da es von einer fortbestehenden äthiopischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers ausgeht. Ob dies tatsächlich der Fall ist, bedarf einer Klärung im Hauptsacheverfahren.
Es mag zwar sein, dass nach äthiopischem Staatsangehörigkeitsrecht der Antragsteller äthiopischer Staatsangehöriger ist/war. Das Bundesamt lässt aber bei seiner Einschätzung völlig außer Acht, dass offenbar die äthiopischen Behörden früher davon ausgegangen sind, dass es sich bei dem Antragsteller um einen Eritreer handelt und diesen deshalb zusammen mit seinem Vater, der eritreischer Staatsangehöriger ist, nach Eritrea abgeschoben haben. Die Vorlage des eritreischen Flüchtlingsausweises durch den Antragsteller wird im Bescheid zwar erwähnt, aber nicht weiter gewürdigt. Offenbar wurde auch nicht geprüft, ob es sich bei den Originalen der Kopien um echte Dokumente handeln könnte. Auch wenn der Antragsteller – aus für das Gericht nachvollziehbaren Gründen – keine eritreische ID-Karte beantragt hat, ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hat und dass Eritrea den Antragsteller als eritreischen Staatsangehörigen ansieht.
Die äthiopische Regierung hat im Rahmen des gewaltsamen Konflikts mit Eritrea von 1998 bis 2000 über 70.000 Personen u.a. wegen ihrer eritreischen Volkszugehörigkeit nach Eritrea abgeschoben und ihnen ihre äthiopische Staatsangehörigkeit aberkannt. Es besteht zwar im Fall des Verlustes der Staatsangehörigkeit die Möglichkeit, die Wiedereinsetzung der Staatsangehörigkeit zu beantragen. Dies ist jedoch daran geknüpft, dass die Person ihren Wohnsitz in Äthiopien hat und seit der Unabhängigkeit Eritreas im Jahr 1993 ununterbrochen in Äthiopien gelebt hat (vgl. amnesty international, Auskunft v. 15.8.2016 an VG Schwerin). Dies ist aber beim Antragsteller nicht der Fall, denn dieser hat nach eigenen Angaben von 1999 bis ca. 2006 in Eritrea gelebt.
Nach eritreischem Staatsangehörigkeitsrecht ist derjenige Eritreer, der von einem eritreischen Staatsangehörigen abstammt. Art. 3 Abs. 1 der eritreischen Verfassung bestimmt, dass Eritreer durch Geburt ist, wessen Mutter oder Vater Eritreer ist. Da die Verfassung jedoch seit ihrer Annahme im Jahr 1997 nicht offiziell in Kraft gesetzt wurde, wird die eritreische Staatsangehörigkeit durch die eritreische Staatsangehörigkeitsverordnung Nr. 21/1992 geregelt. Nach Art. 2 Abs. 5 der Verordnung besitzt jede Person, die eritreische Staatsangehörigkeit durch Geburt, deren Vater oder Mutter eritreischer Abstammung ist, unabhängig davon, ob der Wohnsitz in Eritrea innerhalb oder außerhalb liegt (vgl. amnesty international, Auskunft v. 15.8.2016 an VG Schwerin). Auch aus der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 23. August 2016 an das VG Schwerin ergibt sich, dass der Antragsteller von den eritreischen Behörden wohl auf jeden Fall als Eritreer und auf keinen Fall als Äthiopier angesehen würde. Nach der Proklamation über die Nationaldienstpflicht in Eritrea (Proclamation No. 82/1995 vom 23.10.1995) sind alle Eritreerinnen und Eritreer zwischen 18 und 40 Jahren dienstpflichtig und gehören bis zum 50. Lebensjahr der Reservearmee an. Auch Eritreer, die seit Geburt im Ausland leben, sind nicht von der Dienstpflicht ausgenommen und müssen im Falle eine Rückkehr nach Eritrea Nationaldienst leisten.
Vorliegend wurde nur Abschiebungshindernisse hinsichtlich Äthiopien geprüft. Dies ist wegen der vorstehend aufgezeigten ungeklärten Staatsangehörigkeit des Antragstellers aber nicht ausreichend. In Deutschland wird Eritreern in der Regel wegen der drohenden Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Eritrea subsidiärer Schutz gewährt. Dies entspricht auch der Rechtsprechung der Kammer. Falls in Norwegen das Asylgesuch überhaupt unter dem Gesichtspunkt einer eritreischen Staatsangehörigkeit subsidiärer Schutz geprüft worden wäre – wogegen die Ablehnung des Asylantrages spricht – käme für den Antragsteller zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bezüglich Eritrea in Betracht.
Im Hinblick auf die Abschiebung des Antragstellers von Äthiopien nach Eritrea ist zweifelhaft, ob die äthiopischen Behörden dem Antragsteller überhaupt Passdokumente ausstellen, die ihn zur Einreise nach Äthiopien berechtigen würden (vgl. amnesty international vom 15.8.2016 a.a.O.) Falls aber Äthiopien den Antragsteller einreisen lassen würde, wäre nicht ausgeschlossen, dass die äthiopischen Behörden den Antragsteller als eritreischen Staatsangehörigen ansehen, bzw. davon ausgehen, dass er die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hat und ihn deshalb nach Eritrea abschieben.
Darüber hinaus bezieht sich die Abschiebungsandrohung auch auf Staaten, in die der Antragsteller einreisen darf. Wenn Eritrea den Antragsteller als eritreischen Staatsbürger ansieht, ist nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller nach Eritrea abgeschoben wird.
Da das Gericht aus vorstehenden Gründen ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Bescheides vom 21. September 2017 hat, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

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