Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen möglichem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG aufgrund posttraumatischer Belastungsstörung

Aktenzeichen  M 18 S 17.41435

Datum:
30.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG §§ 29 Abs. 1 Nr. 4, 34, 36, 71, 77
VwVfG VwVfG § 51

 

Leitsatz

1. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylG stellt sich nach aktueller Rechtslage der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar und ist mit der Anfechtungsklage anzugreifen (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 111567). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach gefestigter obergerichtlicher Rspr. des BayVGH ist zum aktuellen Zeitpunkt zwar von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG in Afghanistan auszugehen, jedoch ist bisher in noch keiner Region ein derart hohes Maß an willkürlicher Gewalt festgestellt, dass jeder zurückgeführte Afghane durch diese Gewalt individuell betroffen wäre und daher Abschiebeschutz erlangen müsste (vgl. u.a. BayVGH BeckRS 2017, 107849). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach § 31 Abs. 3 S.1 AsylG nF ist nunmehr ohne Vorprüfung des Vorliegens der Wiederaufgreifensvoraussetzungen des § 51 VwVfG auch bei Feststellung der Unzulässigkeit von Asylanträgen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. VG Oldenburg BeckRS 2017, 110705). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 18 K 17.41434) gegen Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … … … wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für die Klage M 18 K 17.41434 unter Beiordnung des Rechtsanwaltes F. Sch. gewährt, soweit beantragt wurde, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Aufhebung der jeweiligen Ziffern in den streitgegenständlichen Bescheiden verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen und die Abschiebungsandrohungen nach Afghanistan in beiden streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben werden sollen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Gründe

I.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Variante 1 VwGO ist begründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 i.V.m. 71a Abs. 4 Satz 1, 34 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG)), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
1. Statthafte Klageart gegen einen Bescheid, der nach einem Asylfolgeantrag diesen als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ablehnt, ist eine Anfechtungsklage. Der Asylsuchende muss nach der Neufassung des § 29 AsylG die Aufhebung des Bescheides, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt wird, erreichen. Nur so kann er eine inhaltliche Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten. Die frühere Rechtsprechung, nach der in solchem Falle eine Verpflichtungsklage statthaft ist, ist wegen der Gesetzesänderungen nach aktueller Rechtsprechung nicht mehr aufrecht zu erhalten (BVerwG, U.v. 14.12.2016, AZ. 1 C 4.16, juris Rn. 15 ff.; VG Oldenburg, B.v. 16.3.2017, AZ. 3 B 1322-17 – juris. Randziffer 4). Der Verpflichtungsantrag des Bevollmächtigten des Antragstellers in Ziffer 3 des Schriftsatzes vom 22. Mai 2017 bezüglich der Verpflichtung des Bundesamtes, dem Beklagten subsidiären Schutz zuzuerkennen, hat daher grundsätzlich keine Aussicht auf Erfolg im vorgestuften Zulässigkeitsverfahren. Dies ist im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu beachten.
2. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG hat das Gericht die Aussetzung der Abschiebung nur anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Maßgeblich ist hierbei auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse abzustellen, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG); dies gilt auch für asylrechtliche Anfechtungsklagen. Vorliegend handelt sich um eine Abschiebungsandrohung gem. § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG i.V.m. § 34 AsylG. Unstreitig handelt es sich um einen Asylfolgeantrag nach § 71 Abs. 1 AsylG. Nach § 13 Absätze 1 und 2 Satz 1 AsylG ist vom Asylantrag nur die Asylberechtigung nach Art. 16a GG und internationaler Schutz nach den §§ 3,4 AsylG umfasst, nicht jedoch der nationale Abschiebeschutz nach § 60 AufenthG. Der Folgeantrag ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nur unter den Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz zulässig.
2.1 Nach der vorzunehmenden summarischen Prüfung ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Folgeantrages nach § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen. Zur Begründung wird nach § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des Bescheids vom … verwiesen.
Die in den Schriftsätzen des Antragsbevollmächtigten vorgetragenen weiteren Quellen zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan führen zu keiner anderen Beurteilung. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung des VGH München ist zum aktuellen Zeitpunkt zwar von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Afghanistan auszugehen. Jedoch ist bisher in noch keiner Region ein derart hohes Maß an willkürlicher Gewalt festgestellt, dass jeder zurückgeführte Afghane durch diese Gewalt individuell betroffen wäre und daher Abschiebeschutz erlagen müsste. (BayVGH, B.v. 25. Januar 2017, 13a ZB 16.30374; BayVGH; BayVGH, B.v. 11. April 2017, 13a ZB 17.30294; BayVGH, B.v. 6. April 2017, 13a ZB 17.30254). Gefahrerhöhende Umstände beim Kläger sind nicht ersichtlich.
Die vom Bevollmächtigten des Antragsteller angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BvR 273/16) ist vorliegend nicht anwendbar. Entgegen dem Sachverhalt in der vorgenannten Entscheidung setzte das Bundesamt sich inhaltlich mit den vorgelegten und amtsbekannten Berichten des UNHCR und weiterer Institutionen im Bescheid konkret auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass keine neue Sachlage zugunsten des Klägers eingetreten ist. Auch zum aktuellen Zeitpunkt (UNAMA Halbjahresbericht 2017 vom Juli 2017 und UNAMA quarterly report vom Oktober 2017; EASO, COI Bericht vom August 2017; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 19. Juli 2017; und weitere) ergibt sich eine Stabilisierung der Gewalt auf relativ hohem Niveau. Die den Entscheidungen des VGH München zugrunde liegenden Voraussetzungen, haben sich daher nicht erheblich geändert, so dass sich keine neue Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG ergeben hat.
Da das Vorbringen des Klägers im Rahmen des Erstverfahrens, dass er von seinem Onkel aufgrund von langjährigen Grundstücksstreitigkeiten verfolgt werde, nicht als glaubhaft angesehen wurde, kommt es im Rahmen der Prüfung der §§ 3 und 4 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht auf eine verbesserte Machtposition des Onkels des Antragstellers an.
2.2 Es bestehen jedoch nach den gegenwärtigen Sachstand ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, weil die Voraussetzungen des § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG zum aktuellen Zeitpunkt nicht vorliegen.
Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist nunmehr auch bei Feststellung der Unzulässigkeit von Asylanträgen (wie hier nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG) zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Insoweit ist wegen des klaren Wortlautes und der gesetzlichen Systematik aus den §§ 13 Abs. 1, 2 Satz 1, 71 Abs. 4, 29 Abs. 1 Nr. 5, 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht vorzuprüfen, ob die Wiederaufgreifensvoraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen. Insoweit ist der Bescheid rechtswidrig, da zunächst festgestellt wird, dass die Voraussetzung des § 51 VwVfG nicht vorliegen. (VG Oldenburg, B.v. 16.3.2017 AZ. 3 B 1322 aus 17 juris Rn. 11).
Wegen des weiter klar angeordneten maßgeblichen Zeitpunktes nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist für die Prüfung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes die Sachlage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen. (so auch Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016 Randziffer 3 ff.).
Das am 31. Mai 2017 vorgelegte fachärztliche Attest der Ärzte Dr. …, in dem ein Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung beim Antragsteller diagnostiziert wurde, genügt nicht den Anforderungen der Rechtsprechungen des Bundesverwaltungsgerichts für die Substantiierung eines Sachvortrages bezüglich eines Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei PTBS (BVerwG vom 11.9.2007, Az. 10 C 8/2007 – juris. Rn. 15). In diesem vorgelegten Attest werden nur auf Grundlage der Angaben des Klägers und ohne genaue Darstellung der eigenen Untersuchungen und der bisherigen ärztlichen Genese des Antragstellers die Diagnosen gestellt. Auf welcher Grundlage eine Selbstgefährdung des Patienten und sogar eine nichtbestehende Reisefähigkeit angenommen wird, ist nicht näher erläutert.
Jedoch wurde in dem Attest von Dr. … und Kollegen vom 10. Oktober 2017 ein (gerade noch) den Anforderungen der Bundesverwaltungsgerichtsrechtsprechung genügendes Attest vorgelegt, das aussagt, dass der Antragsteller an PTBS leide und eine starke Verschlimmerung bei Abschiebung in sein Heimatland zu erwarten sei. Mithin steht nach summarischer Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein mögliches Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Raum. Die Ablehnung des Antrags auf Abänderung des Bescheides vom … … … bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes in Ziffer 2 des Bescheids vom … … … ist mithin wegen der Einreichung des aussagekräftigen Attests von Dr. … nach summarischer Prüfung mit einiger Wahrscheinlichkeit rechtswidrig geworden.
II.
Der Antrag des Antragstellers auf Prozesskostenhilfe für die Klage M 18 K 17.41434 ist teilweise erfolgreich.
Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO, dass neben dem Vorliegen der Bedürftigkeit die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Maßstab für die Erfolgsaussichten darf dabei nicht zu streng ausgelegt werden. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs bzw. eine sich bereits bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolgs genügt.
Wie bereits unter 2. beschrieben, ist die Erfolgsaussicht des Antrags Nr. 3 der Klageschrift vom 22. Mai 2017 bezüglich des Verpflichtungsantrags zu § 4 AsylG nicht gegeben. Ein Durchentscheiden ist nach der neuen höchstrichterlichen Rechtslage durch die Gerichte nicht mehr vorzunehmen.
Auch bezüglich des Aufhebungsantrages in Ziffer 1 des Schriftsatzes vom 22. Mai 2017 ist, soweit die Aufhebung der Nr. 1 des Bescheids vom … beantragt wurde, die Erfolgsaussichten zu verneinen (s.o.).
Offene Erfolgsaussichten bestehen jedoch hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen die Ziffern 2 und 3 des streitgegenständlichen Bescheides, sowie hinsichtlich der diesbezüglichen Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom … und hinsichtlich des Verpflichtungsantrags gegen die Beklagte, hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Der Antragsteller ist nach der vorgelegten Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die beabsichtigte Rechtsverfolgung selbst zu finanzieren.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Beschluss ist in den Tenorziffern I. und II. unanfechtbar, § 80 AsylG.

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