Aktenzeichen 4 C 17.992
Leitsatz
1. Aus der bloßen (kurzzeitigen) Mitgliedschaft in einem Schützenverein, bei dem ein tatsachengestützter Anfangsverdacht in Bezug auf ein beabsichtigtes aggressiv-kämpferisches Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung vorliegt, und dem damit verbundenen Besitz legaler Schusswaffen ergeben sich noch keine “hinreichenden Anhaltspunkte” für ein mögliches Auffinden verbotsrelevanter Gegenstände, die eine Durchsuchung der Wohnung, des Fahrzeugs und der Person rechtfertigen können. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verfolgt ein Verein offiziell eine rein schießsportliche Zielsetzung und findet ein regelmäßiger Trainingsbetrieb statt, liegt die Annahme nahe, dass zumindest ein Teil der Mitglieder von zusätzlichen politischen Aktivitäten der Führungsebene keine Kenntnis hat und nicht in etwaige konspirative Planungen eingeweiht ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 1 X 17.295 2017-04-19 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragsgegner zu 2. und 3. wird verworfen.
II. Es wird festgestellt, dass die gegen den Antragsgegner zu 1. gerichtete Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. April 2017 rechtswidrig war.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen jeweils zur Hälfte der Antragsteller und – als Gesamtschuldner – die Antragsgegner zu 2. und 3.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 19. April 2017 erließ das Verwaltungsgericht Bayreuth auf einen vom Antragsteller am 13. April 2017 gestellten Antrag hin eine auf die Hauptwohnung des Antragsgegners zu 1. bezogene vereinsrechtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, die am 27. April 2017 vollzogen wurde.
Der Antragsgegner zu 1. und seine im selben Haus wohnenden Eltern, die Antragsgegner zu 2. und 3., wenden sich dagegen mit der am 11. Mai 2017 eingegangenen Beschwerde. Sie beantragen
festzustellen, dass die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. April 2017 ausgesprochene Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung rechtswidrig war.
Zur Begründung tragen sie vor, beschwerdeberechtigt seien als Eigentümer des Wohnhauses, in dem die Durchsuchung durchgeführt worden sei, auch die Antragsgegner zu 2. und 3., insbesondere im Hinblick auf mögliche Entschädigungsansprüche. Die Beschwerde sei begründet, da weder dem gerichtlichen Beschluss noch der Antragsschrift und den beigefügten Anlagen Tatsachen zu entnehmen seien, aus denen zu schließen sei, dass sich Beweismittel im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG an der zu durchsuchenden Stelle befänden. Dass der Antragsgegner zu 1. zur Ausübung des Schießsports über legale Schusswaffen verfüge und in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Januar 2017 viermal an Schießveranstaltungen teilgenommen habe, genüge insoweit nicht. Er gehöre weder zu den Führungspersonen des Vereins DBSSG e.V. noch unterhalte er Aktivitäten zu PEGIDA München e.V., sondern distanziere sich entschieden von den Zielen und Äußerungen dieses Vereins. Von der Verflechtung von Vorstandsmitgliedern seines Vereins zu PEGIDA München e.V. habe er absolut keine Kenntnis gehabt; er sei mit den anderen Mitgliedern auch nicht sehr gut persönlich bekannt gewesen. Er habe lediglich zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit in München einen Verein gesucht, um sein Hobby des Schießsports zu betreiben, wobei ihm vom Verein Deutsche Schießsportunion e.V. der Verein DBSSG e.V. empfohlen worden sei. Rechtswidrig sei in jedem Falle die Beschlagnahmeanordnung hinsichtlich der legalen Waffen des Antragsgegners zu 1. Es seien auch die nach § 4 Abs. 4 Satz 4 VereinsG geltenden Durchsuchungsbestimmungen der §§ 104 ff. StPO nicht vollständig eingehalten worden, da es bereits an der Unterschrift des Richters am Ende des Durchsuchungsbeschlusses fehle. Zudem sei die Maßnahme unverhältnismäßig, da die Antragsgegner zu 2. und 3. um 6.30 Uhr überfallartig durch Sturmklingeln geweckt worden seien. Gedemütigt und total schockiert hätten diese im Schlafanzug die Hausdurchsuchung bzw. Durchsuchung des Zimmers ihres Sohnes über sich ergehen lassen müssen, bei der nichts Verdächtiges gefunden worden sei. Aufgrund der Durchsuchung, an der sechs bis sieben Personen teilgenommen hätten und bei der dem Antragsgegner zu 2. sogar das Ankleiden untersagt worden sei, litten sie immer noch unter Schlafstörungen; außerdem seien sie in ihrer Kleinstadt in ihrem Ruf und ihrem Ansehen geschädigt.
Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Ausgangsverfahren verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde ist, soweit sie von den Antragsgegnern zu 2. und 3. erhoben wurde, mangels Beschwerdebefugnis unzulässig.
Die Beschwerde richtet sich, wie dem Antrag vom 11. Mai 2017 zu entnehmen ist, ausschließlich gegen die vom Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 19. April 2017 erlassene Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung. Da diese allein der Person des Antragsgegners zu 1. und dessen Wohnräumen bzw. sonstigen Sachen galt und keine Ermächtigung zu Eingriffen in Rechte der Antragsgegner zu 2. und 3. enthielt, können diese mangels eigener Betroffenheit nicht mit einem förmlichen Rechtsbehelf dagegen vorgehen. Soweit sie in der Begründung ihrer Beschwerde geltend machen, dass durch den Vollzug der Anordnung am 27. April 2017 faktisch auch in ihr Eigentum sowie in ihre Gesundheit und ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen worden sei, wenden sie sich gegen ein behördliches Handeln, das nur im Wege eines gesonderten Klageverfahrens etwa in Form einer Feststellungsklage gerichtlich überprüft werden kann. Für einen solchen, bisher nicht anhängig gemachten Rechtsstreit wäre erstinstanzlich nicht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, sondern nach § 45 VwGO das Verwaltungsgericht zuständig (vgl. OVG NW, B.v. 30.1.2009 – 5 E 1492/08 – juris Rn. 11 ff.).
2. Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde des Antragsgegners zu 1. gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. April 2017 hat Erfolg, da die Voraussetzungen für eine gegen ihn gerichtete Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vorlagen.
Nach § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG können im Rahmen eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens die Räume, die Sachen und die Person eines Vereinsmitglieds durchsucht werden, wenn „hinreichende Anhaltspunkte“ dafür bestehen, dass diese Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen führen wird, die als Beweismittel gemäß Satz 1 der Vorschrift beschlagnahmt werden können. Hieran fehlte es im vorliegenden Fall, da keine konkreten Indizien darauf hindeuteten, dass sich in der Wohnung, dem Kraftfahrzeug oder in der Kleidung des Antragsgegners zu 1. beweisrelevante Schriftstücke oder sonstige Unterlagen oder Hinweise bezüglich einer verfassungsfeindlichen Ausrichtung der DBSSG e.V. befinden konnten.
Hinsichtlich des DBSSG e.V. lag allerdings ein – für vereinsrechtliche Aufklärungsmaßnahmen ausreichender – tatsachengestützter Anfangsverdacht in Bezug auf ein beabsichtigtes aggressiv-kämpferisches Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung vor. Die vom Vorsitzenden dieses Vereins in seiner Funktion als führendes Mitglied von PEGIDA München e.V. getätigten öffentlichen Äußerungen ließen sich, wie der Senat in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017 im Parallelverfahren Az. 4 C 17.878 näher dargelegt hat, dahingehend verstehen, dass den staatlichen Organen generell die demokratische Legitimität abgesprochen und den Bürgern ein Recht zur bewaffneten Selbstverteidigung in Form einer Bürgerwehr zuerkannt werden sollte (vgl. die Rede vom 19.10.2015: „Scheindemokratie“, „quasidiktatorisches System“, „Selbstjustiz ein legitimes Mittel“). Hieraus ergaben sich – zusammen mit weiteren Indizien wie den Austrittsschreiben früherer Vereinsmitglieder und der für einen Sportschützenverein ungewöhnlichen Art der Schusswaffen – konkrete Verdachtsmomente in Bezug auf einen möglicherweise beabsichtigten Missbrauch der vereinseigenen Schusswaffen.
Die daraus folgende Befugnis zu Ermittlungen im Hinblick auf ein vereinsrechtliches Verbotsverfahren rechtfertigte zwar gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 VereinsG eine Durchsuchung von Räumen und Sachen nicht nur beim Vorsitzenden und den sonstigen Führungspersonen des DBSSG e.V., sondern grundsätzlich auch bei einfachen Mitgliedern dieses – nur eine geringe Anzahl von Personen umfassenden – Vereins, da mögliche Beweismittel etwa in Gestalt illegaler Schusswaffen oder geheimer Unterlagen sich nicht zwingend im Besitz des Vorstands befinden mussten. Voraussetzung dafür war jedoch, dass es sich um ein Mitglied handelte, von dem aufgrund objektiver Umstände zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einer persönlichen Nähe zum Vereinsvorsitzenden oder zu den von diesem vertretenen politischen Anschauungen auszugehen war. Letzteres war insbesondere bei jenen Vereinsmitgliedern anzunehmen, die nach den Erkenntnissen des Antragstellers wiederholt an den Kundgebungen des unter Beobachtung des Verfassungsschutz stehenden Vereins PEGIDA München e.V. teilgenommen haben, an denen auch der Vorsitzende des DBSSG e.V. als Redner und zeitweiliger Versammlungsleiter maßgeblich beteiligt war.
Aus der bloßen (kurzzeitigen) Mitgliedschaft in dem Schützenverein DBSSG e.V. und dem damit verbundenen Besitz legaler Schusswaffen ergaben sich dagegen noch keine „hinreichenden Anhaltspunkte“ für ein mögliches Auffinden verbotsrelevanter Gegenstände, die eine Durchsuchung der Wohnung, des Fahrzeugs und der Person des Betreffenden rechtfertigen konnten. Denn angesichts der offiziell verfolgten rein schießsportlichen Zielsetzung des Vereins und seines regelmäßig stattfindenden Trainingsbetriebs lag die Annahme nahe, dass zumindest ein Teil der Mitglieder von den zusätzlichen politischen Aktivitäten der Führungsebene keine Kenntnis hatte und erst recht nicht in etwaige konspirative Planungen eingeweiht war. Für die gegenteilige Annahme, wonach der gesamte Verein als eine Art politischer Gesinnungsgemeinschaft organisiert sein könnte, geben die vom Antragsteller aufgrund langjähriger Beobachtung gewonnenen Erkenntnisse nichts her.
Der Antragsgegner zu 1. als einfaches Vereinsmitglied gehörte hiernach aufgrund seines Werdegangs und seines aktuellen Verhaltens nicht zu denjenigen Personen, bei denen mit dem Auffinden verbotsrelevanter Beweismittel zu rechnen war. Er war als Sportschütze laut den Erkenntnissen des Antragstellers zunächst in verschiedenen oberfränkischen Vereinen aktiv und trat erst Anfang 2014 dem DBSSG e.V. bei, nachdem er im Herbst 2013 berufsbedingt im Großraum München einen Zweitwohnsitz begründet hatte. In dem vom Antragsteller erfassten Beobachtungszeitraum (1.1.2016 bis 31.1.2017) hat er lediglich an vier Schießveranstaltungen des DBSSG e.V. teilgenommen, so dass nicht ohne weiteres von engen persönlichen Kontakten zu den übrigen Vereinsmitgliedern oder zum Vereinsvorstand ausgegangen werden kann. Staatsschutzrelevante Erkenntnisse über den Antragsgegner zu 1. lagen den Behörden erklärtermaßen ebenfalls nicht vor; insbesondere bestanden ersichtlich keinerlei Kontakte zu PEGIDA München e.V. oder ähnlichen Organisationen.
Auch aus waffenrechtlicher Sicht finden sich in den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen keine Auffälligkeiten, die einen Verdacht gegen den Antragsgegner zu 1. begründen könnten. Dass er über legale Schusswaffen verfügte und aufgrund seiner Mitgliedschaft berechtigt war, auch die Vereinswaffen zu nutzen, konnte weder die Durchsuchung seiner Wohnung und seiner sonstigen Sachen noch die vom Verwaltungsgericht angeordnete Beschlagnahme der Waffen rechtfertigen, da aus deren bloßem Vorhandensein keine weitergehenden Erkenntnisse hinsichtlich der Vereinsstrukturen und Vereinsziele des DBSSG e.V. gewonnen werden konnten.
3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).