Baurecht

Anspruch auf vorläufige Stilllegung eines Steinbruchs

Aktenzeichen  M 19 E 17.4057

Datum:
25.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 148545
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BImSchG § 20 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1
BGB § 133

 

Leitsatz

1. Soweit ausdrückliche Regelungen fehlen, kommen die auch im Verwaltungsrecht anwendbaren allgemeinen Auslegungsregeln des § 133 BGB zur Anwendung. Danach ist zur Bestimmung des Inhalts eines Verwaltungsakts auf den „Empfängerhorizont“ abzustellen, also zu fragen, wie die Erklärung einer Behörde verstanden werden durfte. Maßgeblich ist nicht, was sich die Behörde möglicherweise gedacht hat, sondern der objektive Erklärungswert. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für den Betrieb eines Steinbruchs ist die Festsetzung von räumlichen Abbaugrenzen erforderlich. Sollten diese Grenzen nicht völlig exakt festgelegt worden sein, führt dies nicht zwingend zu einer Nichtigkeit der Genehmigung. Geringe Unschärfen bezüglich des Abbaubereichs stellen keinen besonders schwerwiegenden Fehler iSv Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG dar. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 30.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt als Nachbarin im einstweiligen Rechtsschutz, den Antragsgegner zu verpflichten, den Betrieb des Steinbruchs der Beigeladenen vorläufig stillzulegen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin der Grundstücke FlNr. 864 und 867 Gemarkung … Auf FlNr. 867 befindet sich die im Eigentum der Antragstellerin stehende … Alm. Die Beigeladene betreibt auf den Grundstücken FlNrn. 844/1, 845/1, 846, 848, 849, 1578, 1579 und 1580 Gemarkung … einen Steinbruch.
Mit Beschluss vom 23. Oktober 1961 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die Genehmigung zur Eröffnung und zum Betrieb eines Steinbruchs sowie zum Bau und Betrieb einer Gesteinsaufbereitungsanlage.
Mit Änderungsbescheid vom 21. Juli 1980 genehmigte er ihr die Änderung des Betriebs und der Beschaffenheit des Steinbruchs in … (Nr. I). Laut Nummer II. des Bescheids lagen dem folgende Pläne und Beschreibungen zu Grunde:
1. Abbau- und Rekultivierungsplan L. vom Dezember 1978
2. Abbauplan S.vom 17. Oktober 1978
3. Rekultivierungsplan L. vom Dezember 1978
4. Rekultivierungsplan L. Schnitt a – a vom Dezember 1978
5. Rekultivierungsplan L. Schnitt b – b, c – c, B.detailplan vom Dezember 1978
sowie zwei Lagepläne (6. und 7.). In Nummer V. wird tenoriert: „Durch die in diesem Bescheid festgesetzten Abbaugrenzen und die neue Abbauweise wird insoweit der Bescheid vom 23.10.1961… ersetzt. Ansonsten gilt der Bescheid vom 23.10.1961 weiter“. Hintergrund für diese Änderungsgenehmigung war eine Änderung des Abbauverfahrens.
Mit Bescheid vom 5. September 1994 erhielt der Bescheid vom 21. Juli 1980 in Nummer II. folgenden Wortlaut: „2. Abbauplan des Architekturbüros S. vom 17.10.1978, ergänzt durch den Lage- und Bestandsplan mit Bermenverlauf, Wegeführung und genehmigten Abbaugrenzen des Architekturbüros L. vom September 1993, geändert am 24.03.1994, mit amtlichen Berichtigungen vom 05. September 1994“. Hintergrund für die Neufassung von Nummer II. 2. war nach der Begründung, dass der dem Bescheid vom 21. Juli 1980 zu Grunde liegende Abbauplan des Architekturbüros S. vom 17. Oktober 1978 im Detail Abweichungen von den natürlichen Gegebenheiten aufgewiesen habe. Insbesondere das nach Westen zeigende Ende der nordöstlichen Sichtschutzwand sei in diesem Plan um ca. 30 Meter zu weit nördlich eingezeichnet gewesen. Nachdem der Betreiber des Steinbruchs einen neuen Abbauplan vorgelegt habe, sei dieser Fehler deutlich geworden. Dieser Umstand führe nicht zur Nichtigkeit des Genehmigungsbescheids, da es sich nicht um eine wesentliche Abweichung handele. Denn dadurch seien die Genehmigungsvoraussetzungen jedenfalls nicht tangiert. Es ergebe sich lediglich ein im Umfang verringerter Abbau für den Betreiber.
Im Lage- und Bestandsplan mit Bermenverlauf des Architekturbüros L. vom 5. September 1993 ist die Abbaugrenze mit einer gezackten Linie markiert. Zusätzlich findet sich ein Pfeil-Kästchen auf diese gezackte Linie deutend mit den Worten „genehmigte Abbaugrenze“. Auf diesem Plan ist ferner ein Hinweis vermerkt, dass für den Verlauf der Höhenlinien vom Planverfasser keine Gewährleistung übernommen werde.
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 28. August 2017 stellte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München den Antrag,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Betrieb des Steinbruchs auf den Grundstücken mit den FlNrn. 844/1, 845/1, 846, 848, 849, 1578, 1579 und 1580 Gemarkung … durch die Beigeladene durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Ordnungsverfügung vorläufig stillzulegen.
Zur Begründung führte sie aus, dass zwischen den Beteiligten der Umfang des genehmigten Abbaus streitig sei. Es bestehe insbesondere ein Dissens in Bezug auf die maximale Höhe, bis zu der ein Abbau genehmigt sei. Die Höhenlinie in den Plänen stimme nicht mit dem tatsächlichen Verlauf überein, so dass innerhalb der „Zackenlinie“ im Plan des Architekturbüros L. vom 5. September 1993 ein Abbau bis deutlich über 800 Höhenmeter möglich sei. Damit könne die Sichtschutzwand, deren Oberkante bei 700 Höhenmetern liege, ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, denn § 20 Abs. 2 Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) komme drittschützender Charakter zu. Hintergrund sei, dass der Genehmigungsvorbehalt auch im Interesse der Nachbarn bestehe, denn bei einer ordnungsgemäßen Durchführung eines Genehmigungsverfahrens hätten sich die Nachbarn gegen die Genehmigung zur Wehr setzen können. Aus der vom Bevollmächtigten der Beigeladenen vorgelegten Stellungnahme des Dr. T.R.ergebe sich, dass sich die … Alm grundsätzlich im unmittelbaren Gefahrenbereich befinde und damit gefährdet sei. Ein vorheriger Antrag beim Antragsgegner sei entbehrlich, da dieser eine eindeutig ablehnende Rechtsauffassung bereits deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Richtig sei, dass über die Abbaugrenzen bereits seit einiger Zeit Streit bestehe, die Problematik sei jedoch in der letzten Zeit virulent geworden. Denn die Beigeladene habe auf ihrer Homepage mitgeteilt, dass nach einigen Jahren reduzierten Gesteinsabbaus ab dem Jahr 2018 der Steinbruch wieder in Vollbetrieb gehen werde. Formelle Illegalität genüge, um den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG zu erfüllen. Diese liege hier vor, da die zu Grunde liegenden Genehmigungsbescheide nichtig im Sinne des Art. 44 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) seien. Ihnen fehle die inhaltliche Bestimmtheit. Denn aus dem Zusammenspiel der Bescheide vom 21. Juli 1980 und vom 5. September 1994 gehe nicht klar hervor, wo die Abbaugrenzen lägen. Die exakte, auch höhenmäßige Festlegung der Abbaugrenzen sei aber ein elementarer Bestandteil einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, der nicht im Unklaren bleiben könne. Ausweislich der Regelung des Bescheids vom 5. September 1994 ergänze dieser lediglich den Bescheid vom 21. Juli 1980 in dessen Nr. II. 2. Nr. II. 1. bleibe folglich bestehen. Der Bestands- und Abbauplan des Architekturbüros L. vom Dezember 1978 sei also nach wie vor Bestandteil der Genehmigung. Da dieser keine Haftungsfreizeichnung für die Höhenlinien enthalte, seien die dort eingezeichneten Höhenlinien maßgebend. Diese verliefen – soweit ersichtlich – identisch zu den Höhenlinien im Plan von 1994. Der Unterschied bestehe lediglich darin, dass im Plan von 1994 eine Freizeichnung bezüglich der Höhenlinien erfolge. Einmal seien sie also verbindlich, einmal nicht. Darin liege ein Widerspruch. Ein weiterer Widerspruch liege darin, dass die Zackenlinie im Plan von 1994 annähernd an die 800 Höhenmeter-Marke heranreiche. Der ebenfalls noch maßgebliche Rekultivierungsschnitt a-a sehe aber eine Bruchoberkante von 758 Höhenmetern vor. Die Sichtschutzwand könne ihre Funktion nur erfüllen, wenn die Höhenlinien in den Plänen verbindlich seien. Widersprächen sich diese oder fänden sie in der Natur keine Entsprechung, so sei eine auf ihnen fußende Genehmigung zu unbestimmt. Dieser schwerwiegende Mangel lasse sich durch Planabgleich feststellen, er sei damit offenkundig.
Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom 12. September 2017 die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, maßgeblich sei der Bescheid vom 21. Juli 1980 in Form des Bescheids vom 5. September 1994. Der Bescheid vom 21. Juli 1980 regle die Abbaugrenzen umfassend und abschließend, so dass dem Bescheid vom 23. Oktober 1961 insoweit keine Regelungswirkung mehr zukomme. Aus der im Bescheid vom 21. Juli 1980 enthaltenen Rekultivierungsplanung, die nicht geändert worden sei, folge keine verbindliche Begrenzung der Abbauhöhe. Zur Bestimmung der Abbaugrenzen seien die Abbaupläne maßgeblich. Der ursprünglich maßgebliche Abbauplan vom 17. Oktober 1978 sei durch den Plan vom September 1993 ersetzt worden. Dieser enthalte eine deutlich markierte Abbaugrenze. Die Höhenangaben in diesem Plan hätten nicht verbindlich sein sollen. Ein Widerspruch der Genehmigungsunterlagen sei nicht erkennbar. Eine Nichtigkeit der Abbaugenehmigung scheide aus.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 6. Oktober 2017 nahm die Beigeladene Stellung und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin nicht antragsbefugt sei. Sie könne eine Antragsbefugnis allein auf ihr Eigentumsrecht an ihren Grundstücken stützen. Unwesentliche Eigentumsbeeinträchtigungen seien jedoch hinzunehmen. Sie habe bisher lediglich behauptet, im Rahmen von Sprengungen der Beigeladenen von Staub und Erschütterungen insbesondere bei der … Alm betroffen zu sein. Belange des Landschaftsschutzes könne sie außerhalb der kommunalen Planungshoheit nicht geltend machen. Aus der Stellungnahme von Dr. R. lasse sich nur ableiten, dass die … Alm im Gefahrenbereich für Steinschlag etc. liege. Dies ergebe sich bereits aus öffentlich vorliegenden Kartierungen. Die Lage im Gefahrenbereich bestehe allerdings unabhängig vom Betrieb des Steinbruchs. Es fehle auch am Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin habe weder beim Antragsgegner einen förmlichen Antrag auf Erlass einer Stilllegungsverfügung gestellt, noch eine Klage in der Hauptsache erhoben. Damit sei vorliegend unklar, auf welchen Zeitraum die beantragte „vorläufige“ Stilllegung gerichtet sei. Ferner sei ihr das Rechtsschutzbedürfnis wegen prozessualer Verwirkung abzusprechen. Die fehlende Aussagekraft der Höhenlinien sei der Antragstellerin seit über 20 Jahren bekannt. Ein Vorgehen vor Gericht sei deshalb aufgrund des langen Zeitablaufs nunmehr rechtsmissbräuchlich. Auch habe sie keinen Anordnungsanspruch. Denn der Betrieb der Beigeladenen werde nicht formell illegal geführt. Es bestehe keine Pflicht, die Bestimmtheit einer Genehmigung anhand von Höhenlinien herzustellen. Das gesamte Katasterwesen sei auf einem zweidimensionalen Kartenwesen aufgebaut. Die Bestimmtheit einer grundstücksbezogenen Genehmigung könne also durch Bezugnahme auf die zweidimensionale Projektion hergestellt werden. Die in Bezug genommenen Rekultivierungspläne legten ausschließlich Rekultivierungsmaßnahmen fest, keine Abbaugrenzen. Ferner mangele es an einer Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Das Gericht kann nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auch schon vor Klageerhebung einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung dringend notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder um drohende Gewalt zu verhindern (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 23). Hierfür muss die Antragstellerin sowohl den Anordnungsanspruch als auch den Anordnungsgrund glaubhaft machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend.
I.
Der Antrag ist zulässig.
1. Insbesondere ist die Antragstellerin entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Denn sie wird möglicherweise durch das Unterlassen des Antragsgegners, den Betrieb des Steinbruchs der Beigeladenen stillzulegen, in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt. § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist grundsätzlich drittschützend. In Konstellationen wie der vorliegenden, in der ein Genehmigungsverfahren durchgeführt und eine Genehmigung auch erteilt wurde, jedoch streitig ist, ob diese Bestand hat, liegt eine Antragsbefugnis jedoch nicht unabhängig davon vor, dass die Antragstellerin geltend machen kann, möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von einer Lage, in der überhaupt keine Genehmigung vorliegt und auch kein Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde. Nur im letztgenannten Fall erscheint es möglich, antragsbefugt zu sein, ohne geltend zu machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Denn der Genehmigungsvorbehalt des BImSchG als solcher besteht auch im Interesse der Nachbarn. Sie könnten sich im Rahmen eines durchzuführenden Genehmigungsverfahrens gegen die Genehmigung zur Wehr setzen (Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, Stand 1.5.2017, § 20 Rn. 90). Diese Möglichkeit soll der Nachbarschaft auch gegeben sein, wenn gar kein Verfahren durchgeführt worden ist.
Vorliegend wurde ein Genehmigungsverfahren durchgeführt und eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt. Allein deren Wirksamkeit ist hier umstritten. Die Rechtsprechung verlangt für die Annahme einer Antragsbefugnis in einem solchen Fall, dass ohne behördliches Einschreiten die Verletzung von drittschützenden Vorschriften – insbesondere § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG – droht (BayVGH, B.v. 3.3.2014 – 22 CE 14.439 – juris Rn. 8; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 20 Rn. 44).
Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ist hier gegeben. Die Antragstellerin ist als Eigentümerin der an den Steinbruch der Beigeladenen unmittelbar angrenzenden Grundstücke FlNrn. 864 und 867 Gemarkung … Nachbarin im Sinne des Immissionsschutzrechts, da diese Grundstücke im grundsätzlichen Einwirkungsbereich der Steinbruchanlage liegen. Als benachbarte Grundstückseigentümerin kann sie sich folglich auf die drittschützenden Vorschriften des BImSchG berufen (Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 6 Rn. 71). Die Beigeladene ist gehalten, ihre Anlage so zu betreiben, dass von dieser keine schädlichen Umwelteinwirkungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft ausgehen. Die vorgetragenen Beeinträchtigungen in Form von Erschütterungen und Staubentwicklung durch die von der Beigeladenen vorgenommenen Sprengungen können für die Antragstellerin möglicherweise schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG sein. Denn sowohl bei Erschütterungen als auch bei Staubentwicklung handelt es sich um Immissionen nach § 3 Abs. 2, § 3 Abs. 4 BImSchG. Ob tatsächlich eine Rechtsverletzung besteht, ist eine Frage der Begründetheit.
2. Die Antragstellerin hat ihr Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz nicht verwirkt. Prozessuale Verwirkung liegt vor, wenn ein Klageberechtigter sein Klagerecht so lange Zeit nicht ausgeübt hat, so dass der Prozessgegner darauf vertrauen durfte, Klage werde nicht mehr erhoben (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, vor § 40 Rn. 23). Eine solche Situation ist hier nicht erkennbar. Zwar ist richtig, dass sich der Streit um die zulässigen Abbaugrenzen und insbesondere die Abbauhöhe bereits seit vielen Jahren hinzieht. Es kann aber gerade deshalb nicht die Rede davon sein, dass eine Situation vorliegt, in der sich Antragsgegner und Beigeladene fest darauf einrichten konnten, dass seitens der Antragstellerin kein gerichtliches Rechtsschutzverfahren mehr angestrengt werde.
3. Das Rechtsschutzbedürfnis ist der Antragstellerin auch nicht vor dem Hintergrund abzusprechen, dass sie beim Antragsgegner bisher nicht ausdrücklich die Stilllegung des Steinbruchbetriebs beantragt hat. Denn aus den dem Gericht vorliegenden Verfahrensakten ergibt sich, dass ein solcher Antrag vom Antragsgegner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgelehnt worden wäre. Der Antragsgegner hat sich auf mehrere gemeindliche Vorstöße hin immer auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Genehmigungen berufen. Einen vorherigen Antrag zu verlangen, wäre also eine bloße Förmelei.
II.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
1. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat keinen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Erlass einer Stilllegungsverfügung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG. Nach dieser Vorschrift soll eine Behörde anordnen, dass eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen oder zu beseitigen ist.
a) Der Steinbruch der Beigeladenen ist unstreitig genehmigungsbedürftig nach § 4 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) und Nr. 2.1 des Anhangs zur 4. BImSchV. Um die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG zu erfüllen, müsste er ohne Genehmigung betrieben worden sein. Diese Voraussetzung wird auch durch die sogenannte „formelle Illegalität“ erfüllt. Diese liegt vor, wenn lediglich eine notwendige Genehmigung fehlt, der Anlagenbetrieb aber möglicherweise materiell genehmigungsfähig ist (Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 20 Rn. 37).
b) Mit dem Bescheid vom 21. Juli 1980 in der Form des Bescheids vom 5. September 1994 liegt eine Genehmigung zum Betrieb des Steinbruchs vor. Beide Bescheide sind wirksam. Sie sind nicht nichtig im Sinne des Art. 44 BayVwVfG. Nach dessen Abs. 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Besonders schwer ist ein Fehler, der in einem so schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft steht, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit ihm intendierten Rechtswirkungen hätte (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 44 Rn. 8).
Die Antragstellerin führt die Unbestimmtheit der Genehmigungsbescheide in ihrem Zusammenspiel und die daraus folgende fehlende höhenmäßige Abbaubegrenzung als Nichtigkeitsgrund an. Völlige Unbestimmtheit oder Unverständlichkeit kann im Einzelfall zwar die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts zur Folge haben. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Die Bescheide sind hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Das bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung unter Berücksichtigung der Begründung für die Beteiligten klar erkennbar ist. Die Bezugnahme auf Pläne ist dabei zulässig (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 37 Rn. 6a). Soweit ausdrückliche Regelungen fehlen, kommen die auch im Verwaltungsrecht anwendbaren allgemeinen Auslegungsregeln des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Anwendung (BayVGH, B.v. 24.7.2017 – 1 CS 17.843 – juris Rn. 3). Danach ist zur Bestimmung des Inhalts auf den „Empfängerhorizont“ abzustellen, also zu fragen, wie die Erklärung einer Behörde verstanden werden durfte. Maßgeblich ist also nicht, was sich die Behörde möglicherweise gedacht hat, sondern der objektive Erklärungswert (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 35 Rn. 54 ff.).
Für eine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für den Betrieb eines Steinbruchs ist die Festsetzung von räumlichen Abbaugrenzen erforderlich. Sollten diese Grenzen jedoch nicht völlig exakt festgelegt worden sein, führt dies aber nicht zwingend zu einer Nichtigkeit der Genehmigung. Denn geringe Unschärfen bezüglich des Abbaubereichs stellen jedenfalls keinen besonders schwerwiegenden Fehler i.S.v. Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG dar.
Die räumlichen Abbaugrenzen wurden hier durch die gezackte Linie im Lage- und Bestandsplan mit Bermenverlauf, Wegeführung und genehmigten Abbaugrenzen des Architekturbüros L. vom September 1993 (im Weiteren: Plan 1993), der Grundlage des Bescheids vom 5. September 1994 ist, festgelegt. In einem Pfeil-Kästchen auf dem Plan wird diese Linie als „genehmigte Abbaugrenze“ bezeichnet. Mit dieser räumlich zweidimensionalen Konkretisierung ist der zulässige Abbaubereich hinreichend bestimmt umschrieben. Der Antragsgegner wollte und musste eine höhenmäßige Abbaubeschränkung nicht in die Genehmigung aufnehmen.
Eine ausdrückliche höhenmäßige Abbaubeschränkung findet sich weder in den Bescheiden vom 21. Juli 1980 und vom 5. September 1994 noch in den Plänen 1978 und 1993. Auch im Wege der Auslegung der Planunterlagen kommt man nicht zu dem Ergebnis, dass der Antragsgegner eine Abbaugrenze in die Höhe festlegen wollte. Dies wird für den Plan 1993 im Besonderen deutlich durch den Hinweis, dass für die Höhenlinien keine Gewährleistung übernommen werden kann. Dieser Hinweis geht nach Lage der Akten auf die Tatsache zurück, dass in den der Planung zu Grunde liegenden Plänen die Höhenlinien teilweise unzutreffend wiedergegeben waren. Dadurch, dass der Antragsgegner jedoch diesen Plan 1993 samt der Haftungsfreizeichnung zum Bestandteil der Genehmigung gemacht hat, wird deutlich, dass er eine exakte höhenmäßige Abbaubegrenzung nicht regeln wollte.
Für die Frage, ob eine höhenmäßige Abbaubegrenzung geregelt worden ist, kann nach Auffassung des Gerichts nicht, oder allenfalls ergänzend, die Rekultivierungsplanung herangezogen werden. Denn die Rekultivierung und damit auch die ihr zu Grunde liegende Planung hat eine völlig andere Zielrichtung. Sie ist gerichtet auf die Wiederherstellung der Flächen für die Natur nach dem erfolgten Abbau. Sie muss sich nach dem Abbau am Zustand der vorhandenen Flächen orientieren. Aus der Rekultivierungsplanung kann weder die Art und Weise des Abbaus bestimmt werden, noch dessen flächen- und höhenmäßige Begrenzung. Ob und inwieweit die Pläne zur Rekultivierung daher richtig sind, insbesondere die Höhenlinien und die Situierung des Steinbruchs richtig wiedergeben, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen. Denn sie sind für die Bestimmung der hier allein streitigen Abbaugrenzen nicht relevant.
Damit bleibt festzuhalten, dass eine exakte höhenmäßige Abbaugrenze vom Antragsgegner nicht geregelt worden ist. Dies war auch nicht erforderlich. Denn die höhenmäßig maximale Abbaugrenze lässt sich aus der zweidimensionalen, also horizontalen Begrenzung ableiten, indem man diese mit den Gegebenheiten in der Natur schneidet. Ihr Fehlen führt damit nicht zu einer Unbestimmtheit und folglich nicht zu einer Nichtigkeit des Bescheids.
Eine Nichtigkeit der Genehmigung kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die zugrundeliegenden Pläne widersprüchlich sind. Die Pläne unterscheiden sich insbesondere durch die Verortung der Sichtschutzwand Ost. Sie war im Abbauplan des Architekturbüros S. vom 17. Oktober 1978 (im Weiteren: Plan 1978) im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen in der Natur ca. 30 Meter zu weit nördlich eingezeichnet. Mit dem Plan 1993 wurde die Genehmigungs- an die tatsächliche Situation angeglichen. Ferner enthält nur der Plan 1993 eine Freizeichnung bezüglich der Höhenlinien. Diese Unterschiede führen nicht zur Nichtigkeit, denn der Plan 1993 „ergänzt“ nach dem Bescheid vom 5. September 1994 den Plan 1978. Das bedeutet zum einen, dass der Plan 1978 neben dem Plan 1993 weiter gilt. Zum anderen folgt jedoch aus der Ergänzung, dass die beiden Pläne miteinander zu lesen sind. Soweit sich ihre Darstellungen unterscheiden, ist der Plan 1978 durch den jüngeren Plan 1993 überholt und sind dessen Inhalte maßgeblich. Eine Nichtigkeit ergibt sich hieraus nicht.
Damit handelt es sich um einen genehmigten Abbaubetrieb. Für einen Anordnungsanspruch der Antragstellerin nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG fehlt es bereits an der formellen Illegalität des Betriebs. Auf die Frage, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wurde, kommt es daher nicht mehr an.
2. Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Nachdem die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, waren ihre außergerichtlichen Kosten aus Gründen der Billigkeit der Antragstellerin aufzuerlegen, § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO.
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und orientiert sich an Nr. 19.3, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Stand 2013.

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