Aktenzeichen M 21 S 17.42070
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Dublin II-VO Dublin II-VO Art. 21 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
1 Ist dem Asylbewerber der Ausgang seines Asylverfahrens in Italien nicht bekannt, hat die Behörde den Sachverhalt aufzuklären und den gesetzlich vorgesehenen Weg eines Info-Requests (hier nach der Dublin II-VO) zu beschreiten. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist das Bundesamt der Pflicht zur Amtsermittlung nicht nachgekommen und stehen die Voraussetzungen für die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nicht fest, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Aufklärung des Sachverhalts im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Amts wegen ist aus Gründen der Prozessökonomie und der Gewaltenteilung nicht veranlasst. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. Mai 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 2. April 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 31. Mai 2016 bei dem Bundesamt für … (im folgenden Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats erklärte der Antragsteller, er habe bereits in Italien internationalen Schutz beantragt. Er habe zwei Jahre in Sizilien gelebt. Auf dem vom Bundesamt übersandten Fragebogen zum Sachstand des Verfahrens für die Zuerkennung des internationalen Schutzes in Italien kreuzte der Antragsteller an: „Der andere Mitgliedstaat, in dem ich zuerst Schutz beantragt habe, hat mir den Flüchtlingsstatus zuerkannt.“ Handschriftlich ergänzte er, er wisse seinen Schutzstatus nicht. Er habe in Italien keine Arbeit gehabt und sei deshalb nach Deutschland gekommen.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 11. Oktober 2016 brachte der Antragsteller vor, seine Stiefmutter habe magische Kräfte und wolle ihn umbringen.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 15. Mai 2017 wurde der Antrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Es wurde ferner festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), und der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Italien wurde angedroht (Nr. 3). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, weil ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Antragsteller bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt habe. Der Antragsteller habe bei seiner Anhörung angegeben, dass er bereits Flüchtlingsschutz in Italien erhalten habe. Dies werde durch einen Treffer in der Eurotaktdatenbank aus Italien bestätigt, wonach der Antragsteller dort einen Asylantrag gestellt habe.
Hiergegen erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 24. Mai 2017 Klage (M 21 K 17. 42069), mit der er (sinngemäß) beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 15. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz materiell zu prüfen.
Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung führt er aus, die Antragsgegnerin gehe von nachweislich falschen Tatsachen aus, wenn sie annehme, dass dem Antragsteller in Italien bereits internationaler Schutz gewährt worden sei. Zudem lägen systemische Mängel im italienischen Asylsystem vor.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 1. Juni 2017 die Behördenakten vorgelegt. Eine Äußerung erfolgte weder zum Klagenoch zum Eilverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. § 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 gewährt hat. Diese Voraussetzungen stehen nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung im vorliegenden Fall nicht fest.
Das Bundesamt hat seine Entscheidung maßgeblich auf die Angaben des Antragstellers, wonach er internationalen Schutz in Italien erhalten habe, gestützt. Ungeachtet der Tatsache, dass der Antragsteller eine solche Aussage nicht getroffen, sondern vielmehr deutlich gemacht hat, dass ihm der Ausgang seines Asylverfahrens in Italien unbekannt sei, besteht der gesetzlich vorgesehene Weg der Verifizierung solcher Angaben in einem sogenannten Info-Request nach Art. 21 Abs. 1 und 2 der VO 343/2003 (Dublin– II –VO), die hier nach Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der VO 604/2013 (Dublin– III –VO) anwendbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.). Eine solche Anfrage wurde vorliegend noch nicht einmal gestellt. Die Antragsgegnerin ist ihrer Pflicht zur Amtsermittlung noch nicht einmal im Ansatz nachgekommen. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Amts wegen ist bei dieser Sachlage im Hinblick auf eine sachgerechte Begrenzung der Amtsermittlung durch Gesichtspunkte der Prozessökonomie und Gewaltenteilung (BVerwG, U.v. 18.2.2015 – 1 B 2/15 – juris Rn. 4) ebenfalls nicht veranlasst.
Nach alldem bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids, so dass dem Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).