Aktenzeichen 4 C 17.878
StPO § 311a entsprechend
VereinsG § 4 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 1, S. 2
Leitsatz
1. Wenn ein OVG/VGH im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens eine Durchsuchung und Beschlagnahme ohne Anhörung des Betroffenen anordnet, muss es dagegen einen (außerordentlichen) Rechtsbehelf geben, der eine nachträgliche Anhörung und eine nochmalige gerichtliche Überprüfung ermöglicht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für vereinsrechtliche Aufklärungsmaßnahmen genügen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht eines beabsichtigten aggressiv-kämpferischen Vorgehens gegen die verfassungsmäßige Ordnung, der Anlass für ein Verbotsverfahren bieten könnte. (Rn. 12 und 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
4 C 17.805 2017-04-25 Bes VGHMUENCHEN VGH München
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 25. April 2017 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren (Ausgangsverfahren: Az. M 7 E 17.1683) auf einen vom Antragsteller am 20. April 2017 gestellten Antrag hin eine vereinsrechtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gegenüber dem Antragsgegner erlassen, die am 27. April 2017 vollzogen wurde (Az. 4 C 17.805).
Der Antragsgegner wendet sich dagegen mit der am 7. Mai 2017 eingegangenen Beschwerde. Er beantragt,
festzustellen, dass die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung vom 25. April 2017 und ihre Durchführung am 27. April 2017 rechtswidrig waren.
Er trägt im Einzelnen vor, in der vereinsrechtlichen Einleitungsverfügung vom 31. März 2017 sei der Anfangsverdacht für einen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung gerichteten Vereinszweck zu Unrecht auf die enge personelle Überschneidung des Schießsportvereins mit PEGIDA München, auf die kurz nach Vereinsgründung erfolgten Vereinsaustritte sowie auf Art und Anzahl der für den Verein angeschafften Waffen gestützt worden.
Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und in den Verfahren Az. 4 C 17.805 und M 7 E 17.1683 verwiesen.
II.
1. Der Antrag festzustellen, „dass die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gegen den Antragsgegner vom 25. April 2017 und ihre Durchführung am 27. April 2017 rechtswidrig waren“, bedarf gemäß § 88 VwGO der Auslegung, wobei die Antragsbegründung und die erkennbare Interessenlage zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2004 – 9 B 29.04 – juris Rn. 5). Danach ist anzunehmen, dass sich der Rechtsbehelf nur gegen die in der stattgebenden Beschwerdeentscheidung des Senats getroffene Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme richtet und nicht auch gegen deren tatsächlichen Vollzug durch Bedienstete des Antragstellers. Zwar kann sich für einen Betroffenen eine eigenständige rechtliche Beschwer auch aus der Art und Weise einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion ergeben, soweit diese nicht schon in der richterlichen Anordnung vorgesehen war oder über den vorgegebenen Rahmen hinausgeht. Der Antragsgegner hat aber in der Beschwerdebegründung nichts Derartiges vorgetragen, sondern lediglich auf den unterschiedlichen Umfang der Beschlagnahmen bei den betroffenen Personen verwiesen, um damit die Ernsthaftigkeit des behördlichen Aufklärungsinteresses in Frage zu stellen. Dass sich sein Feststellungsbegehren auch auf ein spezielles Vorgehen der bei der Aktion am 27. April 2017 eingesetzten Polizeikräfte beziehen soll, lässt sich seinen Ausführungen dagegen nicht entnehmen. Die Art und Weise, in der die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung vollzogen wurde, ist somit nicht Prüfungsgegenstand. Insoweit würde es sich ohnehin um ein gesondert zu behandelndes Verfahren in Form einer (Fortsetzungs-)Feststellungsklage handeln, für das erstinstanzlich nicht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, sondern nach § 45 VwGO das Verwaltungsgericht zuständig wäre (vgl. OVG NW, B.v. 30.1.2009 – 5 E 1492/08 – juris Rn. 11 ff.).
2. Das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel gegen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung des Senats vom 25. April 2017 ist statthaft. Zwar schließt § 152 Abs. 1 VwGO die Anfechtung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte mit einer Beschwerde (zum Bundesverwaltungsgericht) in den nicht ausdrücklich genannten Fällen aus. Die Vorschrift geht aber von dem Regelfall aus, dass die nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotene Anhörung der Beteiligten im vorangegangenen Gerichtsverfahren erfolgt ist. Daran fehlt es, wenn wie hier eine Durchsuchung und Beschlagnahme, ohne dass die betroffene Person zuvor angehört worden wäre (dazu BVerfG, B.v 3.4.1979 – 1 BvR 994/76 – BVerfGE 51, 97/111), von einem Oberverwaltungsgericht im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens angeordnet wurde. In diesem Sonderfall muss es zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) auch gegen die zweitinstanzliche Entscheidung einen (außerordentlichen) Rechtsbehelf geben, der eine nochmalige Überprüfung der Maßnahme durch das Gericht auf Antrag des Betroffenen ermöglicht. Das gilt jedenfalls dann, wenn wie bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen wegen der besonderen Schwere des Grundrechtseingriffs von einem nach Beendigung der Maßnahmen fortdauernden Rechtsschutzinteresse auszugehen ist (vgl. BVerfG, B.v. 30.4.1997 – 2 BvR 817/90 u.a. – BVerfGE 96, 27/41; BayVGH B.v. 11.12.2002 – 4 C 02.2478 – VGH n.F. 56, 19 f. m.w.N). Entsprechend der Bestimmung des § 311a StPO steht daher dem Antragsgegner ein Anspruch auf nachträgliche Anhörung und auf erneute gerichtliche Entscheidung unter Berücksichtigung seines Vorbringens zu (vgl. BVerfG, B.v. 11.6.2004 – 2 BvR 1136/03 – juris Rn. 37).
3. Der somit statthafte und auch im Übrigen zulässige Feststellungsantrag des Antragsgegners hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die mit der Antragsbegründung vorgebrachten Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung greifen nicht durch. Der Senat bleibt nach nochmaliger Überprüfung bei seiner im Beschluss vom 25. April 2017 geäußerten Einschätzung, dass beim Antragsgegner die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 VereinsG für eine Durchsuchung seiner Wohnräume und Sachen sowie seiner Person und für eine Beschlagnahme bestimmter Gegenstände vorlagen, da zum damaligen Zeitpunkt hinreichende Anhaltspunkte für das Auffinden von Gegenständen bestanden, die als Beweismittel in einem vereinsrechtlichen Verbotsverfahren bedeutsam werden konnten.
Der Antragsgegner setzt sich in seiner Begründung nicht primär mit den Gründen des angegriffenen Senatsbeschlusses auseinander, sondern wendet sich vor allem gegen bestimmte Aussagen und Schlussfolgerungen in der Einleitungsverfügung des Antragstellers vom 31. März 2017, die dem an das Verwaltungsgericht München gerichteten Antrag vom 20. April 2017 zugrunde lag. Auf diese Einwände kann es hier im Detail schon deshalb nicht ankommen, weil der Senat in den Gründen des Beschlusses vom 25. April 2017 nicht pauschal die Wertungen der Behörde in deren Einleitungsverfügung übernommen, sondern eine eigenständige Gesamtschau des vorgelegten Tatsachenmaterials angestellt hat.
Der angegriffene Beschluss geht – anders als die Einleitungsverfügung der Verbotsbehörde – weder von der rechtlichen Annahme aus, dass sich der DBSSG e.V. die extremistischen Positionen von PEGIDA München e.V. generell zurechnen lassen müsse, noch lässt sich den Beschlussgründen die Aussage entnehmen, dass der Schießsportverein vom Antragsgegner maßgeblich mit der Intention gegründet worden sei und von ihm aufrechterhalten werde, um die verfassungsfeindlichen Ziele von PEGIDA München e.V. in aggressiv kämpferischer Weise zu verwirklichen. Der Senat hat vielmehr nur allgemein auf die Besonderheiten verwiesen, die sich aus der langjährigen personellen Verklammerung der beiden Vereine und der zentralen Rolle des Antragsgegners als Repräsentant und Führungsfigur beider Vereine ergeben. Er hat dabei auch keine abschließende vereinsrechtliche Bewertung der Aktivitäten und Ziele von PEGIDA München e.V. vorgenommen, sondern mit Blick auf diesen unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stehenden Verein dem Gesichtspunkt der Personalunion indizielle Bedeutung für möglicherweise vom DBSSG e.V. verfolgte verfassungsfeindliche Bestrebungen beigemessen.
An der im angegriffenen Beschluss getroffenen Bewertung, wonach sich aus dem mehrfach in appellativer Form verwendeten Schlagwort der „Selbstjustiz“ bzw. der „bewaffneten Bürgerwehr“ ein – für vereinsrechtliche Aufklärungsmaßnahmen hinreichender – Anfangsverdacht in Bezug auf ein beabsichtigtes aggressiv-kämpferisches Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung ableiten lässt, hält der Senat auch bei nochmaliger Überprüfung fest. Die genannten Formulierungen zielten nach ihrem Gesamtkontext – entgegen der jetzigen Darstellung des Antragsgegners – nicht bloß darauf ab, das staatliche Gewaltmonopol in sog. no-go-areas wiederherzustellen bzw. in Einzelsituationen Nothilfe zu leisten. Sie sind vielmehr ebenso wie eine Reihe weiterer, vom Antragsteller im Wortlaut wiedergegebener und vom Antragsgegner nicht bestrittener Äußerungen von Rednern und Veranstaltern der PEGIDA-Demonstrationen dahingehend zu verstehen, dass den staatlichen Organen generell die demokratische Legitimität abgesprochen und ihnen ein nicht bloß punktuelles Versagen bei der Wahrung der inneren Sicherheit attestiert wird, woraus sich für den Bürger bereits jetzt ein Recht zur bewaffneten Selbstverteidigung ergeben soll. Entsprechende Aussagen haben nicht nur Vertreter eindeutig rechtsextremistischer Parteien (NPD, III. Weg, Die Rechte) getroffen, sondern auch der Antragsgegner selbst (Rede vom 19.10.2015: „Scheindemokratie“, „quasidiktatorisches System“, „Selbstjustiz ein legitimes Mittel“), der sich bei anderer Gelegenheit auch positiv zum Gedanken einer Bürgerwehr geäußert hat (Versammlung vom 22.8.2016). Ob darin nach dem objektiven Erklärungsgehalt schon eine (an die damaligen Versammlungsteilnehmer gerichtete) „unmissverständliche Aufforderung“ zur Bildung einer bewaffneten Bürgerwehr lag, kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen, da jedenfalls die innere Einstellung des Antragsgegners zu dieser Thematik aus den Äußerungen unzweideutig hervorgeht.
Die in den Austrittschreiben früherer Vereinsmitglieder gegenüber dem Amtsgericht geäußerte Vermutung, dass „möglicherweise die wahre Absicht einiger Vereinsvorstände nicht schießsportliche Ziele“ seien, versucht der Antragsgegner zwar durch eine eigene Darstellung der damaligen Geschehensabläufe zu entkräften, die er anlässlich einer Strafanzeige gegen eines der genannten Mitglieder zu Protokoll gegeben hat (Bl. 6 f. der Zeugenvernehmung vom 8.3.2013). Dadurch werden aber die bestehenden Verdachtsmomente bezüglich eines eventuellen Missbrauchs der vereinseigenen Schusswaffen nicht ausgeräumt. Dass ein bloßer Streit über den geeigneten Aufbewahrungsort der Waffen gleich vier Gründungsmitglieder bewogen haben soll, in einer öffentlichen Erklärung einen solch schwerwiegenden Verdacht auszusprechen, erscheint kaum vorstellbar. Für seine Version der fraglichen Vorgänge hat der Antragsgegner auch keine objektiven Beweismittel, sondern nur das Zeugnis eines ihm nahestehenden damaligen Vereinsvorstands anbieten können. Aus der von ihm darüber hinaus angeführten Zeugenvernehmung eines früheren Vereinsmitglieds durch das Bayerische Landeskriminalamt am 21. Dezember 2012 und 8. März 2013 geht im Übrigen keineswegs hervor, dass das Motiv für den Vereinsaustritt allein die Enttäuschung über den nicht gewährten Zugriff auf künftige Vereinswaffen gewesen sein könnte. Der Zeuge hat vielmehr erklärt, dass der Antragsgegner entgegen den Wünschen anderer Gründungsmitglieder die Anschaffung einer möglichst großen Zahl großer halbautomatischer Waffen propagiert habe und dass er für deren Aushändigung selbst habe zuständig sein wollen. In dieser Schilderung klingt an, dass sich der Antragsgegner nach dem Eindruck des Zeugen in auffälliger Weise nicht an den gemeinsamen schießsportlichen Belangen der Mitglieder orientiert, sondern persönliche Vorstellungen verfolgt hat. Daraus lässt sich in der Zusammenschau mit den angeführten weiteren Indizien durchaus der Anfangsverdacht ableiten, dass er den jederzeitigen Zugriff auf Schusswaffen auch im Hinblick auf eine Verwirklichung seiner schon damals geäußerten politischen Vorstellungen erstrebt haben könnte.
Die bloße Tatsache, dass jede einzelne der vom DBSSG e.V. erworbenen Schusswaffen auch für schießsportliche Zwecke geeignet und zugelassen ist, ändert entgegen der Auffassung des Antragsgegners noch nichts daran, dass sich dieser Verein auch hinsichtlich Art und Anzahl seiner Waffen in spezifischer Weise von anderen Sportschützenvereinen unterscheidet. In der auf ihn ausgestellten Waffenbesitzkarte sind (lediglich) zwei Scharfschützen- und Präzisionsgewehre sowie zwei großkalibrige halbautomatische Pistolen eingetragen; dem Wunsch früherer Mitglieder nach kleineren und handlicheren Sportwaffen wurde nicht Rechnung getragen. Der Einsatz von Großkaliberwaffen und insbesondere von Scharfschützengewehren stellt im Schießsport nach der unbestrittenen Einschätzung des Antragstellers eine seltene Ausnahme dar (Einleitungsverfügung vom 31.3.2017, S. 21). Dass ausschließlich solche auch für militärische und Selbstverteidigungszwecke einsetzbare Waffen im DBSSG e.V. vorgehalten wurden und werden, unterscheidet ihn demnach signifikant von der großen Mehrzahl der deutschen Schießsportvereine.
Insgesamt lagen hiernach hinreichend gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der DBSSG e.V. mit seinen Aktivitäten auch gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten und damit Anlass für ein Verbotsverfahren bieten könnte. Diese Verdachtsmomente rechtfertigten nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VereinsG eine Durchsuchung von Räumen und Sachen nicht nur beim Antragsgegner, sondern bei allen Mitgliedern des – nur eine geringe Anzahl von Personen umfassenden – Vereins, da mögliche Beweismittel etwa in Gestalt illegal erworbener Schusswaffen sich nicht zwingend im Besitz des Vorstands oder bestimmter Funktionsträger befinden mussten. Dass die mit der Durchsuchung verbundene Anordnung der Beschlagnahme bei denjenigen Mitgliedern, die nachweislich in Verbindung zu PEGIDA München e.V. standen, umfassender war als bei den sonstigen Mitgliedern, war im Übrigen kein Indiz für ein gleichheitswidriges Vorgehen, sondern ergab sich aus dem individuell unterschiedlichen Verdachtsgrad und entsprach damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auf die vom Antragsgegner thematisierte Frage, in welchem Umfang die Vollzugsbehörde von der gerichtlichen Anordnung tatsächlich Gebrauch gemacht hat, kommt es bei der Beurteilung von deren Rechtmäßigkeit nicht an.
4. Aus den vorgenannten Gründen war der vom Antragsgegner für das vorliegende Verfahren gestellte Prozesskostenhilfeantrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht ebenfalls abzulehnen (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
5. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).