Verwaltungsrecht

Verfassungsbeschwerde gegen Kostenentscheidung nach Erledigungserklärung bei Untätigkeitsklage erfolglos

Aktenzeichen  Vf. 55-VI-16

Datum:
5.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 164
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 161 Abs. 2 S. 1, Abs. 3
BV Art. 91 Abs. 1, Art. 118 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Überprüfung eines verwaltungsgerichtlichen Beschlusses, soweit der Beschwerdeführerin darin nach einer Einstellung des Verfahrens dessen Kosten auferlegt wurden, am Maßstab des Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 BV) und des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).
2. Die Annahme, § 161 Abs. 3 VwGO setze eine Erledigung des Rechtsstreits infolge nachträglicher antragsgemäßer Bescheidung des Klägers voraus, ist jedenfalls nicht willkürlich. (Rn. 21 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird durch den Schriftsatz einer Partei kein neuer Prozessstoff in das Verfahren eingeführt, bedarf es hierzu keiner erneuten Anhörung der anderen Partei. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch Kostenentscheidungen, die nach Erledigung der Hauptsache zu treffen sind, können daher mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 16.01342 2016-10-11 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe

I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. Oktober 2016 Az. AN 9 K 16.01342, soweit der Beschwerdeführerin darin nach einer Einstellung des Verfahrens dessen Kosten auferlegt wurden (Nr. 2 des Entscheidungstenors).
1. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer doppelseitigen, freistehenden, unbeleuchteten Werbeanlage. Mit Schreiben vom 9. März 2016 teilte das Landratsamt A. – Bauverwaltung – der Beschwerdeführerin auf Nachfrage mit, dass beabsichtigt sei, den Bauantrag abzulehnen, weil das Vorhaben nicht genehmigungsfähig sei. Der Beschwerdeführerin wurde Gelegenheit gegeben, sich bis spätestens 15. April 2016 hierzu zu äußern. Im Rahmen der Anhörung vertrat die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 5. April 2016 die Ansicht, dem Bauvorhaben stünden keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen. Ein Bescheid erging zunächst nicht.
2. Am 19. Juli 2016 erhob die Beschwerdeführerin Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht Ansbach mit dem Antrag, den Freistaat Bayern zu verpflichten, ihr die Genehmigung entsprechend dem Bauantrag zu erteilen. Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 25. Juli 2016 wurde die Klageschrift dem Landratsamt Ans-bach übermittelt und dieses zugleich um Stellungnahme gebeten, ob ein zureichender Grund im Sinn des § 75 Satz 3 VwGO für die bislang nicht erfolgte Entscheidung vorliege.
Am 23. August 2016 erließ das Landratsamt einen Ablehnungsbescheid. Mit Schreiben vom selben Tag teilte es dem Verwaltungsgericht u. a. mit, dass aufgrund der schwierigen Personalsituation im Bauamt eine adäquate Bearbeitung der Bauanträge nicht möglich gewesen und es deshalb auch bei diesem Verfahren zu Verzögerungen gekommen sei. Die Bearbeitung des Antrags der Beschwerdeführerin habe sich ferner dadurch verzögert, dass die vom Landratsamt angeforderte Stellungnahme der Gemeinde, die am 31. Mai 2016 unvollständig eingegangen sei, dem falschen Verfahren zugeordnet worden sei. Am 3. August 2016 seien die noch fehlenden Angaben bei der Gemeinde erneut angefordert worden. Der Bürgermeister habe die ergänzte E-Mail am 16. August 2016 übersandt.
Mit Schriftsatz vom 20. September 2016 erklärte die Beschwerdeführerin das Verfahren in der Hauptsache für erledigt und beantragte, die Kosten des Verfahrens dem beklagten Freistaat Bayern aufzuerlegen. Das Landratsamt stimmte der Erledigungserklärung mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 zu und stellte den Antrag, die Beschwerdeführerin mit den Kosten zu belasten. Eine frühere Verbescheidung des Antrags sei vor allem deshalb nicht möglich gewesen, weil die letzten Unterlagen, die wegen des verweigerten gemeindlichen Einvernehmens für die Prüfung erforderlich gewesen seien, erst am 16. August 2016 eingegangen seien. Darüber hinaus habe das Bauamt seit der Abstellung von Personal für die Unterbringung von Flüchtlingen Rückstände, die bisher nicht hätten abgearbeitet werden können.
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2016 stellte das Verwaltungsgericht Ansbach das Verfahren ein und belastete die Beschwerdeführerin mit dessen Kosten. Über die Kosten des Verfahrens sei gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Es entspreche in der Regel der Billigkeit, dem Verfahrensbeteiligten die Kosten aufzuerlegen, der ohne Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Zwar fielen die Kosten nach § 161 Abs. 3 VwGO in den Fällen der Untätigkeitsklage dem Beklagten dann zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung habe rechnen dürfen. Eine Kostenüberbürdung auf den Beklagten finde jedoch nicht statt, wenn dieser einen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung gehabt habe und dem Kläger dieser Grund bekannt gewesen sei oder hätte bekannt sein müssen. Wegen Unvollständigkeit der gemeindlichen Stellungnahme habe hier ein zureichender Grund dafür vorgelegen, dass eine Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht habe ergehen können. Es entspreche daher billigem Ermessen, nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Kosten des Verfahrens ohne Anwendung der Kostenregelung in § 161 Abs. 3 VwGO der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
3. Mit der gegen die Kostenentscheidung erhobenen Anhörungsrüge beanstandete die Beschwerdeführerin, sie werde durch die unterbliebene Kostenüberbürdung auf den Beklagten in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da ihr Vorbringen nicht angemessen berücksichtigt worden sei. Das Verwaltungsgericht bejahe fälschlicherweise einen zureichenden Grund für die Verzögerung und gehe auf die weitere Frage, ob die Beschwerdeführerin diesen Grund gekannt habe oder hätte kennen müssen, mit keinem Wort ein. Dass dies nicht der Fall gewesen sei, ergebe sich aus der Behördenakte. Zudem habe die Beschwerdeführerin zum Schriftsatz des Landratsamts vom 10. Oktober 2016 keine Stellung nehmen können.
Die Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2016 zurückgewiesen. Der Schriftsatz des Landratsamts vom 10. Oktober 2016 habe keinen neuen entscheidungserheblichen Vortrag enthalten, sodass der Beschwerdeführerin keine erneute Gelegenheit zur Stellungnahme habe gewährt werden müssen. Sie trage keine Umstände vor, wonach ihr Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen worden sei. Bei übereinstimmender Erledigungserklärung treffe das Gericht aufgrund summarischer Überprüfung der Rechtslage nach billigem Ermessen eine Kostenentschei 7 dung. Dass es seine beabsichtigte Kostenentscheidung nicht zur Erörterung stelle, führe zu keiner Verletzung rechtlichen Gehörs. Die Beteiligten hätten vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung vollumfänglich Gelegenheit gehabt, sich zum entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern. Die Kostenentscheidung sei auch in der Sache nicht zu beanstanden, weil die Erledigungserklärung der Beschwerdeführerin nach Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts letztlich einer Aufgabe des Rechtsschutzbegehrens und damit einer Klagerücknahme gleichkomme.
II.
1. Mit ihrer am 31. Oktober 2016 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verstöße gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) und gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV).
a) Das Verwaltungsgericht habe der Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens in unvertretbarer Weise auferlegt, da es sowohl die Notwendigkeit der im Rahmen des § 161 Abs. 3 VwGO vorzunehmenden Prüfung eines objektiv zureichenden Grundes als auch das Fehlen eines solchen Grundes verkannt habe, obwohl es sich um zentrale Fragen des Verfahrens gehandelt habe. Es habe die Tatbestandsvoraussetzungen des § 161 Abs. 3 VwGO contra legem interpretiert und angewandt. Aus den Entscheidungsgründen gehe nicht hervor, dass das Verwaltungsgericht den Parteivortrag der Beschwerdeführerin zur Kostentragung der Gegenseite aufgrund Verschuldens zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe.
Die Ablehnung einer Kostenentscheidung gemäß § 161 Abs. 3 VwGO habe das Verwaltungsgericht lediglich mit der Erwägung begründet, wegen der Unvollständigkeit der gemeindlichen Stellungnahme habe ein zureichender Grund dafür vorgelegen, dass eine Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht habe ergehen können. Auf die weitere Voraussetzung, ob die Beschwerdeführerin diesen Grund gekannt habe oder habe kennen müssen, werde mit keinem Wort eingegangen. Das Fehlen dieser Anforderung sei dem Verwaltungsgericht bewusst gewesen, da die Beschwerdeführerin keine Zwischennachricht der Behörde erhalten habe. Demgegenüber sei das Vorbringen der Gegenseite vollumfassend gewürdigt worden.
Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liege darin, dass das Gericht vor Beschlussfassung nicht darauf hingewiesen habe, dass es entgegen der einschlägigen Rechtsprechung vom Vorliegen eines zureichenden Grundes für die Verzögerung bzw. von der Entbehrlichkeit dieser Tatbestandsvoraussetzung ausgehen werde. Art. 91 Abs. 1 BV sei auch verletzt, weil das Verwaltungsgericht der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme zum Schriftsatz der Gegenseite vom 10. Oktober 2016 eingeräumt habe.
b) Die Kostenentscheidung sei ferner willkürlich, weil das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sei, der Ausschluss einer Kostenbelastung der Beklagtenseite gemäß § 161 Abs. 3 VwGO setze lediglich voraus, dass ein zureichender Grund für das Ausbleiben der behördlichen Entscheidung vorliege. Hinweise oder sonstige erhebliche Tatsachen, die eine darüber hinaus erforderliche entsprechende Kenntnis der Beschwerdeführerin belegen würden, seien nicht gegeben.
2. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei bereits unzulässig und überdies unbegründet.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Ihr fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie sich lediglich gegen eine gerichtliche Kostenentscheidung richtet. Eine solche Entscheidung kann selbstständiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn sich der geltend gemachte Verfassungsverstoß ausschließlich auf die Verpflichtung zur Kostentragung und nicht auch auf die Hauptsache bezieht. Dies gilt unabhängig davon, ob die beanstandete Kostenentscheidung isoliert oder ob sie in Zusammenhang mit einer Entscheidung zur Hauptsache ergangen ist. Auch Kostenentscheidungen, die nach Erledigung der Hauptsache zu treffen sind, können daher mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. Aus dem Ausschluss des fachgerichtlichen Rechtswegs durch die bundesrechtliche Vorschrift des § 158 Abs. 2 VwGO ergibt sich keine andere Beurteilung. Zwar ist danach eine Entscheidung über die Kosten unanfechtbar, wenn in der Hauptsache nicht entschieden wurde. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch ein außerordentlicher verfassungsrechtlicher Rechtsbehelf, dessen Zulässigkeitsvoraussetzungen sich allein nach Landesrecht bestimmen (VerfGH vom 27.7.1979 VerfGHE 32, 104; vom 21.4.1989 VerfGHE 42, 65/68; vom 2.4.1993 – Vf. 122-VI-91 – juris Rn. 17 ff.; BVerfG vom 3.12.1986 BVerfGE 74, 78/90).
IV.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Der Verfassungsgerichtshof überprüft gerichtliche Entscheidungen nur in engen Grenzen. Er ist kein Rechtsmittelgericht; es ist nicht seine Aufgabe, fachgerichtliche Entscheidungen dahingehend zu kontrollieren, ob die tatsächlichen Feststellungen zutreffen oder ob die Gesetze richtig ausgelegt und angewandt wurden. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde beschränkt sich die Prüfung vielmehr auf die Frage, ob die Gerichte gegen Normen der Bayerischen Verfassung verstoßen haben, die ein subjektives Recht des Beschwerdeführers verbürgen. Ist die angefochtene Entscheidung – wie hier – unter Anwendung von Bundesrecht ergangen, das wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung überprüft werden kann, beschränkt sich die Prüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (Art. 118 Abs. 1 BV). In verfahrensrechtlicher Hinsicht überprüft der Verfassungsgerichtshof Entscheidungen, die in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, auch daraufhin, ob ein Verfahrensgrundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt wurde, das, wie z. B. der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 91 Abs. 1 BV, mit gleichem Inhalt im Grundgesetz gewährleistet ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 21.3.1997 VerfGHE 50, 60/62; vom 26.6.2013 VerfGHE 66, 94/96 ff. m. w. N.; vom 13.4.2015 BayVBl 2016, 193 Rn. 11; vom 27.1.2016 BayVBl 2016, 671 Rn. 24).
Unter Beachtung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs können Verfassungsverstöße nicht festgestellt werden.
1. Die angegriffene Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts verstößt nicht gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV).
Willkürlich wäre eine gerichtliche Entscheidung nur dann, wenn sie bei Würdigung der die Verfassung beherrschenden Grundsätze nicht mehr verständlich wäre und sich der Schluss aufdrängte, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Selbst eine fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet allein noch keinen Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV. Die Entscheidung dürfte unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar erscheinen; sie müsste schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig, eindeutig unangemessen sein (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 7.8.2013 VerfGHE 66, 144/152).
Dies lässt sich hier nicht feststellen.
a) Wird ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsstreit – wie hier – übereinstimmend für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht grundsätzlich gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Eine Sonderregelung enthält § 161 Abs. 3 VwGO für die Fälle einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO. Demnach fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Beklagte einen objektiv zureichenden Grund hatte, den bei ihm gestellten Antrag nicht vor Klageerhebung zu bescheiden, und der Kläger diesen Verzögerungsgrund kannte oder kennen musste.
Nach deutlich überwiegender Ansicht wird dabei nicht darauf abgestellt, ob die Entscheidung der Verwaltung für den Kläger positiv ist, d. h. seinem Begehren entspricht (BVerwG vom 23.7.1991 NVwZ 1991, 1180 ff.; Schenke in Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 161 Rn. 34 ff.; Clausing in Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, § 161 Rn. 40; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 161 Rn. 20 ff.; Weides/Bertrams, NVwZ 1988, 673/679). Daneben wird jedoch auch die Ansicht vertreten, § 161 Abs. 3 VwGO setze eine Erledigung des Rechtsstreits infolge nachträglicher antragsgemäßer Bescheidung des Klägers voraus. Werde der Antrag des Klägers nach erhobener Untätigkeitsklage ablehnend verbeschie-den, so sei kein Fall der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache gegeben, weil das Begehren des Klägers weder gegenstandslos geworden sei noch der Beklagte ihn klaglos gestellt habe; § 161 Abs. 3 VwGO finde dann keine Anwendung (BVerwG vom 4.5.1977 Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 46; BayVGH vom 23.10.1970 BayVBl 1971, 25; HessVGH vom 8.2.1990 NVwZ 1990, 1088 f.; VG Hamburg vom 25.8.1992 – 19 VG 426/92 – juris Rn. 3 ff.; Ring, NVwZ 1995, 1191/1193).
b) In den Gründen der angegriffenen Kostenentscheidung geht das Verwaltungsgericht von der Unanwendbarkeit des § 161 Abs. 3 VwGO aus, ohne sich dabei mit der Frage der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens im Hinblick auf den Verzögerungsgrund zu befassen. Zwar ist diese Begründung für sich genommen nicht verständlich. Durch die Hilfsbegründung des Beschlusses vom 15. Dezember 2016 über die Anhörungsrüge wird jedoch deutlich, dass sich das Verwaltungsgericht der oben dargestellten Gegenmeinung zum Anwendungsbereich des § 161 Abs. 3 VwGO anschließt. In diesem Beschluss ist – im Rahmen der Prüfung der Entscheidungserheblichkeit eines möglichen Gehörsverstoßes – u. a. ausgeführt, dass die Erledigungserklärung der Beschwerdeführerin nach Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts letztlich einer Aufgabe des Rechtsschutzbegehrens und damit einer Klagerücknahme gleichkomme, weshalb die getroffene Kostenentscheidung inhaltlich nicht zu beanstanden sei; ergänzend wird dies durch mehrere Zitate aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung belegt.
Zwar mag dieser Einschätzung entgegenzuhalten sein, § 161 Abs. 3 VwGO solle gewährleisten, dass ein Kläger, der nur durch die Untätigkeit der Behörde zur Klage veranlasst wird, unabhängig vom Erfolg seines Begehrens in der Sache keine kostenmäßigen Nachteile erleidet (vgl. Weides/Bertrams, NVwZ 1988, 673/679). Die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts im konkreten Fall ist jedoch Sache der hierfür zuständigen Fachgerichte und der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung grundsätzlich entzogen. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, die Richtigkeit dieser Wertungen wie ein Rechtsmittelgericht zu überprüfen (VerfGH vom 27.6.2017 – Vf. 42-VI-16 – juris Rn. 35 m. w. N.). Dies gilt auch für die Frage, ob das Verwaltungsgericht den Gedanken des § 155 Abs. 4 VwGO in seine Überlegungen hätte einbeziehen müssen; danach können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Die Schwelle zur Willkür ist vor dem oben unter a) dargestellten Hintergrund nicht überschritten.
2. Das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) ist nicht verletzt.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör hat eine doppelte Ausprägung: Zum einen untersagt er den Gerichten, ihren Entscheidungen Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen die Parteien sich nicht äußern konnten. Zum anderen gibt er den Parteien einen Anspruch darauf, dass die Gerichte ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis nehmen und bei ihren Entscheidungen in Erwägung ziehen, soweit es nach den Prozessvorschriften nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 15.7.2005 VerfGHE 58, 178/180; vom 31.3.2008 VerfGHE 61, 66/70).
a) Art. 91 Abs. 1 BV ist nicht dadurch verletzt, dass die Beschwerdeführerin vor Erlass der angegriffenen Kostenentscheidung keine Gelegenheit hatte, zum Schriftsatz der Gegenseite vom 10. Oktober 2016 Stellung zu nehmen. In diesem Schriftsatz hat das Landratsamt das Vorbringen vertieft, warum aus seiner Sicht eine frühere Verbescheidung des Antrags der Beschwerdeführerin nicht möglich war. Er enthält im Vergleich zum früheren, der Beschwerdeführerin Anfang September 2016 übersandten Schreiben des Landratsamts vom 23. August 2016 keine wesentlich anderen Gesichtspunkte. Da somit kein neuer Prozessstoff in das Verfahren eingeführt wurde, bedurfte es auch keiner erneuten Anhörung. Zudem hatte die Beschwerdeführerin im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens Gelegenheit, sich zu dem Schriftsatz vom 10. Oktober 2016 zu äußern; die Gewährung rechtlichen Gehörs wurde daher jedenfalls nachgeholt (vgl. VerfGH vom 16.11.2011 VerfGHE 64, 195/199). Einer Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit den Gründen der Verzögerung bei der Verbescheidung durch das Landratsamt bedurfte es im Übrigen nicht, weil – wie bereits dargelegt – nach der im Beschluss vom 15. Dezember 2016 hilfsweise geäußerten Rechtsmeinung des Gerichts § 161 Abs. 3 VwGO nicht anwendbar war und es daher für die Kostenentscheidung auf diese Frage nicht ankam.
b) Ebenso wenig ist eine unzulässige Überraschungsentscheidung gegeben.
Aus Art. 91 Abs. 1 BV ergibt sich keine allgemeine und unbegrenzte Aufklärungsund Hinweispflicht. Das Gericht ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, die Rechtslage mit den Parteien zu erörtern, sie auf alle möglicherweise maßgeblichen Umstände hinzuweisen oder vor dem Erlass seiner Entscheidung darzulegen, welchen Sachverhalt oder welche Rechtsmeinung es seiner Entscheidung zugrunde legen wird. Art. 91 Abs. 1 BV bewahrt die Parteien nicht schlechthin davor, dass das Gericht seine Entscheidung aus Gründen trifft, mit denen sie nicht gerechnet haben. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn das Gericht einen vor seiner Entscheidung überhaupt nicht erörterten tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und dadurch dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Parteien nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen konnten (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 21.2.1997 VerfGHE 50, 9/13 f.; vom 28.11.2005 VerfGHE 58, 266/269 f.).
Dies ist hier nicht der Fall. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung haben die Parteien des Ausgangsverfahrens im Hinblick auf die Kostentragung gegenläufige Anträge gestellt, über die das Verwaltungsgericht zu entscheiden hatte. Die Beschwerdeführerin hatte in diesem Zusammenhang Gelegenheit, ihre Sichtweise darzulegen. Aus Art. 91 Abs. 1 BV ergab sich keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, vor Erlass des Beschlusses vom 11. Oktober 2016 darauf hinzuweisen, welcher Rechtsmeinung es folgen würde.
c) Es ist auch nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht Vorbringen der Beschwerdeführerin übergangen hätte. Die Gründe der Verzögerung bei der Verbescheidung durch das Landratsamt und die Frage, ob die Beschwerdeführerin diese kannte oder kennen musste, waren aus der Sicht des Verwaltungsgerichts für den Beschluss über die Kostentragung nicht entscheidungserheblich.
V.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen