Aktenzeichen 15 ZB 17.1736
Leitsatz
1 Der Gehörsanspruch verlangt nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Urteilsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Vollgeschosse im Sinne des Art. 83 Abs. 7 BayBO iVm § 20 Abs. 1 BauNVO und Art. 2 Abs. 5 S. 1 BayBO 1998 sind Geschosse, die neben ihrer Lage über der Geländeoberfläche über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m haben. Zur Grundfläche im Sinne des Art. 2 Abs. 5 S. 1 BayBO 1998 gehören nur die von der Dachkonstruktion überdeckten Flächen gemessen von Außenkante der Außenwand zu Außenkante der Außenwand. Nicht dazu zählen dagegen Terrassen, Balkone und Loggien. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
15 ZB 16.940 2017-08-18 Bes VGHMUENCHEN VG Augsburg
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 VwGO ist auf Rüge eines durch die Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Senat hat durch den Beschluss vom 23. April 2015, mit dem er den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.08.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3). Der Gehörsanspruch verlangt jedoch nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Urteilsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines Beteiligten in den Urteilsgründen nicht abgehandelt hat, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (vgl. BVerwG, B.v. 8.9.2016 – 2 C 10.16 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 8.11.2016 – 15 ZB 15.1069 – juris Rn. 3).
Hieran gemessen ist die Klägerin nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Annahme des Senats im Beschluss vom 18. August 2017, dass es sich bei dem dritten Obergeschoss des mit Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2016 (Az. 630/BA-2015-536-2) genehmigten Vorhabens auf dem Grundstück FlNr. 530 Gemarkung K* … um ein Vollgeschoss und nicht um ein Nicht-Vollgeschoss handelt, beruht weder auf Tatsachen oder Beweisergebnissen, zu denen sich die Klägerin nicht äußern konnte, noch darauf, dass der Senat rechtzeitiges und erhebliches Vorbringen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in seine Erwägungen einbezogen hat. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich aus den genehmigten Planunterlagen, insbesondere auch aus dem genehmigten Eingabeplan Nr. 1e „3. Obergeschoss, Nichtvollgeschoss“), den die Klägerin in Miniaturansicht mit Schriftsatz vom 26. Januar 2016 im Klageverfahren vorgelegt hat (vgl. Blatt 35 der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Augsburg), nicht, dass es sich bei diesem Geschoss um ein Nicht-Vollgeschoss handelt.
Vollgeschosse im Sinn des Art. 83 Abs. 7 BayBO i.V. mit § 20 Abs. 1 BauNVO und Art. 2 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1998 sind Geschosse, die neben ihrer Lage über der Geländeoberfläche über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m haben. Diese Voraussetzungen liegen bei dem hier betreffenden Geschoss vor. Zwar beträgt nach den Angaben des genehmigten Eingabeplans Nr. 1e die Grundfläche des dritten Oberschosses 785,82 m²; davon weisen weniger als zwei Drittel (523,88 m² = 785,82 m² x 2/3), nämlich 521,31 m² (= 785,82 m² abzüglich 264,51 m²) die für ein Vollgeschoss erforderliche Mindesthöhe von 2,30 m auf. Diese Angaben des genehmigten Eingabeplans sind aber unzutreffend, weil in die Grundfläche dieses Obergeschosses fehlerhaft auch Balkonflächen von 18,65 m² und von 55,12 m² eingerechnet wurden. Anders als nach der hier nicht anwendbaren Regelung des Art. 2 Abs. 6 BayBO 2008 errechnet sich die maßgebliche Grundfläche nach Art. 2 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1998 nicht etwa nach der Brutto-Grundfläche der DIN 277 (vgl. dazu Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 2 Rn. 35). Vielmehr gehören zur Grundfläche im Sinn des Art. 2 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1998 nur die von der Dachkonstruktion überdeckten Flächen gemessen von Außenkante der Außenwand zu Außenkante der Außenwand (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.1976 – 29 XIV 76 – S. 10, nicht veröffentlicht). Nicht dazu zählen dagegen Terrassen, Balkone und Loggien (vgl. VGH BW U.v. 15.2.1984 – 3 S 1279/83 – BRS 42 Nr. 114; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer, Die neue Bayerische Bauordnung, Stand: Feb. 2017, Art. 2 Rn. 181; Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Stand 1.9.2007, Art. 2 Anm. 6.4; Rauscher/Franz/Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand Mai 2017, Art. 2 Rn. 618). Die Grundfläche des dritten Obergeschosses beträgt nach richtiger Berechnung daher nicht 785,82 m², sondern nur 712,05 m² (= 785,82 m² abzüglich 18,65 m² und 55,12 m²), und die eine geringere Höhe als 2,30 m aufweisende Fläche nicht 264,51 m², sondern nur 190,74 m² (= 264,51 m² abzüglich 18,65 m² und 55,12 m²). Zwei Drittel der Grundfläche entsprechen damit richtigerweise nur 474,70 m² (= 712,05 m² x 2/3). Da die Summe der die Mindesthöhe von 2,30 m aufweisenden Flächen von 521,31 m² (= 712,05 m² abzüglich 190,74 m²) diesen Zweidrittel-Wert der Grundfläche deutlich überschreitet, handelt es sich bei dem dritten Obergeschoss tatsächlich um ein Vollgeschoss im Sinn des Art. 83 Abs. 7 BayBO i.V. mit § 20 Abs. 1 BauNVO und Art. 2 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1998.
Auf die Frage, ob die als „Lagerflächen“ ausgewiesenen beiden Flächen mit vorgesetzten Balkonen tatsächlich so genutzt werden sollen, obwohl deren Grundrisse exakt spiegelbildlich den gegenüberliegenden Wohnräumen („Zimmer“) entsprechen, kommt es nicht mehr an.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge eine Festgebühr nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) in Höhe von 60,- € anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).