Medizinrecht

Anspruch auf Versorgung mit Eculizumab (Solaris)

Aktenzeichen  S 11 KR 489/13

Datum:
27.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 144835
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 1a S. 1, § 27, § 31 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Versicherter hat einen Anspruch auf Versorgung mit Eculizumab (Soliris) auf Grund eines Seltenheitsfalles als auch nach § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V, solange das Transplantat der Spenderniere funktionsfähig ist. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 14.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2013 wird aufgehoben. Der Bescheid vom 11.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 wird aufgehoben. Der Bescheid vom 12.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beklagte bisher Eculizumab (Soliris) an die Klägerin zu Recht leistete.
II. Der Bescheid vom 24.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2017 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zukünftig mit Eculizumab (Soliris) zu versorgen, solange das Transplantat der Spenderniere funktionsfähig ist.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
1. Gegenstand des Verfahrens gemäß § 95 SGG ist der Bescheid vom 14.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2013. Die Bescheide vom 11.01.2017 und 12.01.2017 (in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15.03.2017) sowie der Bescheid vom 24.01.2017 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2017) sind nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, sondern nach § 99 SGG.
Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Bescheide vom 11.01.2017 und 12.01.2017 jeweils in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15.03.2017 beziehen sich auf die Zeiträume vom 22.01.2015 bis 21.01.2016 (Bescheid vom 11.01.2017) und vom 17.02.2016 bis 16.02.2017 (Bescheid vom 12.01.2017), die die streitigen Zeiträume der Beschlüsse vom 22.01.2015 (S 11 KR 32/15 ER) und 17.02.2016 (S 11 KR 21/16 ER) sind. Mit Bescheid vom 24.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids wurde der Antrag der Klägerin auf Versorgung mit Eculizumab (Soliris) – solange das Nierentransplantat funktionsfähig ist – abgelehnt. Damit haben die Bescheide den Regelungsgehalt des Bescheids vom 14.03.2013 weder geändert noch ersetzt: Der Regelungsgehalt des Bescheids vom 14.03.2013 war aus dem Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl., § 31, Rn. 26 m.w.N) so auszulegen, dass die Bewilligung einer Therapie mit Eculizumab (Soliris) auf den Antrag der Klägerin entsprechend dem Therapieplan von Prof. Dr. E. vom 22.01.2013 für lediglich 12 Monate abgelehnt wurde. Eine Auslegung des Regelungsgehalts des Bescheids vom 14.03.2013 dahingehend, dass eine Bewilligung der Versorgung mit Eculizumab (Soliris) auf unbestimmte Zeit abgelehnt worden sei, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil ein solcher Verwaltungsakt über den Antrag der Klägerin hinausginge und damit rechtswidrig wäre.
Die Klägerin hat mit Fax vom 18.04.2017 erklärt, dass sich die Klage auch gegen den Bescheid vom 11.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15.03.2017 und gegen den Bescheid vom 12.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2017 richtet. Mit Fax vom 29.06.2017 hat die Klägerin erklärt, dass sich die Klage auch gegen den Bescheid vom 24.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2017 richtet. Die Voraussetzungen einer Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 SGG liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Beklagte hat jeweils in die Klageänderung eingewilligt, d. h. sich jeweils ohne Widerspruch auf die geänderte Klage eingelassen (§ 99 Abs. 1 1. HS SGG). Darüber hinaus ist die Klageänderung jeweils auch sachdienlich (§ 99 Abs. 1 2. HS SGG). Die allgemeinen Prozessvoraussetzungen der geänderten Klage sind erfüllt (siehe Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12 Aufl., § 99 Rn. 13a m.w.N.).
2. Statthafte Klageart des Klageantrags unter Ziffer 1., nämlich festzustellen, dass die Beklagte bisher Eculizumab (Soliris) zu Recht leistete, ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1 1.HS, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Das Ziel der Klägerin ist nicht nur auf die Aufhebung der Bescheide der Beklagten in der Hauptsache gerichtet, sondern sie will den Rechtsgrund für das „Behaltendürfen“ des Medikaments Eculizumab (Soliris) feststellen lassen. Die Beklagte hatte bereits aufgrund der Verpflichtungen in den genannten Beschlüssen (a.a.O.) im Rahmen des jeweiligen einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Eculizumab (Soliris) geleistet. Die Klägerin ist nicht einer Kostenbelastung durch eine etwaige Selbstbeschaffung bei einem Dritten ausgesetzt, von der die Beklagte die Klägerin jetzt noch freistellen könnte, so dass eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nicht, auch nicht im Sinne einer Kostenfreistellung, in Betracht kommt. Denn sie erhielt aufgrund der Beschlüsse des SG im jeweiligen einstweiligen Rechtsschutz vorläufig Eculizumab (Soliris) für ein Therapieintervall als Naturalleistung. Die Beklagte hat die entsprechenden Zahlungen an das Universitätsklinikum D-Stadt geleistet. Die Klägerin bedarf zur Abwehr der Geltendmachung einer Erstattungsforderung durch die Beklagte ihr gegenüber der Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG), dass die Beklagte die Leistungen zu Recht erbrachte. Das für eine Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse ist zu bejahen. Hat die Klage Erfolg, steht fest, dass die Beklagte Eculizumab (Soliris) bisher zu Recht leistete.
3. Statthafte Klageart des Klageantrags unter Ziffer 2., nämlich die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheids vom 24.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2017 die Klägerin zukünftig mit Eculizumab (Soliris) zu versorgen, solange das Transplantat der Spenderniere funktionsfähig ist, ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. HS, Abs. 4 SGG. Denn die Klägerin begehrt für die Zukunft bis zum Ende der Funktionsfähigkeit des Transplantats der Spenderniere eine Versorgung mit Eculizumab (Soliris) als Sachleistung.
II.
Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat sowohl Anspruch auf die Feststellung, dass die Beklagte an sie Eculizumab (Soliris) bisher aufgrund der Verpflichtungen in den Beschlüssen des SG vom 13.11.2013 [S 7 KR 445/13], 22.01.2015 [S 11 KR 32/15 ER], 17.02.2016 [S 11 KR 21/16 ER] und vom 01.02.2017 [S 11 KR 60/17 ER] zu Recht leistete, als auch Anspruch auf zukünftige Versorgung mit Eculizumab (Soliris), solange das Transplantat der Spenderniere funktionsfähig ist.
Zwar kann sich die Klägerin für die von ihr geltend gemachten Ansprüche nicht auf § 31 Abs. 1 SGB V berufen, weil das Arzneimittel Eculizumab (Soliris) nicht für die bei der Klägerin bestehende Erkrankung (MPGN-C3-Nephropathie) zugelassen ist.
Die Klägerin kann sich jedoch für die von ihr beantragte Feststellung, dass die Beklagte bisher Eculizumab (Soliris) an sie zu Recht leistete, und für ihren Antrag, sie zukünftig mit Eculizumab (Soliris) zu versorgen, solange das Transplantat der Spenderniere funktionsfähig ist, sowohl auf einen Seltenheitsfall als auch auf § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V (in Kraft seit 01.01.2012; Art. 1 Nr. 1 und Art. 15 Abs. 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG] vom 22.12.2011, BGBl. I 2983) berufen.
1. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten liegen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für einen sog. Seltenheitsfall, in dem sich eine Krankheit und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung entzieht und bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkasse in Betracht zu ziehen ist (vgl. dazu BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils Rn. 21 – Visodyne), vor.
Voraussetzung für das Vorliegen eines sog. Seltenheitsfalles ist zunächst, dass das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar ist (vgl. auch BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 20, Rn. 14 – Leucinose; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 22, Rn. 19). Insoweit führt das BSG im Urteil vom 13.12.2016 (B 1 KR 1/16 R) zutreffend aus:
„… Es ist aber ausgeschlossen, für die genannten Seltenheitsfälle allein auf die Häufigkeit einer Erkrankung abzustellen (vgl. BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 22, Rn. 20). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht ….“
Eine Ähnlichkeit der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung zu weit verbreiteten Erkrankungen ist jedoch nicht gegeben, wurde im Übrigen von der Beklagten auch nicht behauptet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die geringe Zahl von Patienten, die an einer MPGN-C3-Nephropathie leiden, eine wissenschaftliche Erforschung dieser Krankheit ausschließt. Prof. Dr. E. hat in seiner Stellungnahme vom 28.04.2013 zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht von einer Zulassungsstudie in den nächsten Jahren ausgegangen werden könne, weil die Patientenzahlen aufgrund der Seltenheit der Erkrankung nicht erreicht werden könnten. Zutreffend hat der gerichtliche Sachverständige Dr. D. in seiner Stellungnahme vom 16.04.2015 die Häufigkeit der Erkrankung der Klägerin auf 1,5 auf 1 Million Einwohner anhand von epidemiologischen Untersuchungen geschätzt (in der EU wird eine Erkrankung als selten definiert, wenn von ihr maximal 5 von 10.000 Menschen betroffen sind, vgl. DocCheckFlexikon). Zu Recht hat der gerichtliche Sachverständige Dr. D. in der öffentlichen Sitzung vom 27.09.2017 ausgeführt, dass aufgrund der geringen Fallzahlen der Erkrankung eine medizinisch-wissenschaftliche Statistik nicht durchführbar ist. Eine gewisse Fallzahl ist jedoch erforderlich, um die Fehlerwahrscheinlichkeit zu unterschreiten. In der Studie „State-of-the-Art C3 Glomerulopathie und membrano-proliferative Glomerulonephritis“ wurde von 21 Patienten in Deutschland berichtet, die Therapiemöglichkeiten und der Verlauf beschrieben und zu Therapieentscheidungen Stellung genommen. Bei diesen 21 Patienten hat die Studie – trotz teils gleicher Behandlungsmethoden – völlig verschiedene Ergebnisse gebracht, so dass allein deshalb eine statistische Aufarbeitung nicht möglich ist.
Auch die in der Entscheidung des BSG vom 19.10.2004 (B 1 KR 27/02 R) zugrunde gelegten weiteren Kriterien für das Vorliegen eines „Seltenheitsfalls“, nämlich dass ein Mindestmaß an Arzneimittel- und Behandlungsqualität eingehalten wird (BSG, Urteil vom 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R), sind im vorliegenden Fall erfüllt. Daher kann letztlich dahinstehen, ob diese Kriterien, die vom BSG in der zitierten Entscheidung für den Fall der Beschaffung eines in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels aus dem Ausland zudem für maßgeblich erachtet wurden, auf den hier vorliegenden Fall, in dem das Arzneimittel in Deutschland für andere Krankheiten zugelassen ist, überhaupt übertragbar sind. In Übereinstimmung mit den überzeugenden Ausführungen des BSG ist hier keine generelle Aussage zur Unbedenklichkeit in Bezug auf die Krankheit zu fordern. Vielmehr muss es ausreichen, ist andererseits vor dem Hintergrund der Wissenschaftlichkeits-Klausel des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V aber auch erforderlich, dass zuverlässige pharmakologisch-toxische Daten und aussagekräftige Studien die Unbedenklichkeit und therapeutische Wirksamkeit des Mittels zumindest für andere Krankheiten belegen. Die Begründung der Therapieempfehlung von Prof. Dr. E. vom 22.01.2013 genügt diesen Anforderungen. Danach greift das Medikament Soliris bei einer gesteigerten Komplementaktivierung ursächlich ein. Es ist für die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) sowie für das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS) zugelassen. Dieser Antikörper ist gegen das humane Komplementprotein C5 gerichtet und blockiert damit die Bildung des terminalen Komplexes C5 b-9. Die Sicherheitsdaten sind hervorragend. Nach allgemeiner Expertenmeinung kann mit Eculizumab eine ursächliche und wirksame Therapie bei der MPGN bestehen (RJH Smith et al. für die „DDD Focus Group“; J Am Assoc Nephrol 2007, V.M. Holers, Immunol Rev 2008, B. Alchi D. Jayne, Pediatr. Nephrology 2010; Sethi Fervenza NEJM 2012). Die erstmals publizierten Fallberichte bei MPGN konnten den überzeugenden Erfolg des Medikaments bei vergleichbaren Patienten wie bei der Klägerin demonstrieren und sind im bedeutendsten medizinischen Journal erschienen (Radhakrishnan et al., Vivarelli et al. und Daina et al., jeweils NEJM 2012). In der Dosierung von Eculizumab richtet sich das Universitätsklinikum D-Stadt nach der Zulassung für die PNH und die publizierten Berichte (1. Monat 600 mg/Woche; ab Woche 5 900 mg alle 2 Wochen). Somit liegen ausreichende und nachprüfbare Aussagen zur Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels vor.
Soweit die Beklagte mit Schriftsätzen vom 19.01.2015 und 26.02.2015 hiergegen einwendet, dass es sich bei der MPGN II nicht um eine singuläre Erkrankung handele, sie sei nicht so selten, dass nicht klinische Studien mit dem Endziel einer Zulassungserweiterung von Soliris möglich wären, ist dies letztlich eine pauschale Behauptung ohne jede medizinisch-wissenschaftliche Begründung. Insofern unterscheidet die Beklagte schon nicht zwischen der bei der Klägerin vorliegenden membranoproliferativen Glomerulonephritis und anderen Glomerulonephritiden.
Das Gericht vermag auch nicht der Begründung der Beklagten im Schriftsatz vom 15.10.2015 – gestützt auf das Gutachten des MDK vom 09.10.2015 – zur Verneinung eines sog. Seltenheitsfalls zu folgen. Insoweit trägt die Beklagte vor, dass bei weiterhin offenen Fragen zur diagnostischen Einordnung, Pathophysiologie und differenzial-therapeutischer Wirksamkeit anhand veröffentlichter wissenschaftlicher Studien eine Bewertung des medizinischen Nutzens und eine ausreichende Risiko-/Nutzenabwägung nach den Vorgaben des BSG nicht möglich und weitere wissenschaftliche Evaluation zum Erkenntnisgewinn erforderlich sei. Trotz der sehr seltenen Erkrankung der Versicherten (umschriebene Mutation mit C3-DN) – jedoch keiner singulären Erkrankung – sei eine wissenschaftliche Erprobung – wenn auch auf eingeschränktem Evidenzniveau – nicht ausgeschlossen und die Notwendigkeit der Evaluation in der wissenschaftlichen Diskussion anerkannt. Hiergegen wendet der gerichtliche Sachverständige Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.02.2016 zutreffend ein, dass der Hinweis des MDK, dass eine wissenschaftliche Erprobung, wenn auch auf eingeschränktem Evidenzniveau, nicht ausgeschlossen sei, allgemein und diffus ist. Insoweit ist schon nicht erkennbar, was die Beklagte unter einem „eingeschränktem Evidenzniveau“ versteht. Die Aussage des MDK ist auch – worauf Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.02.2016 zu Recht hinweist – widersprüchlich, weil zum einen vom MDK eingeräumt wird, dass aufgrund der Seltenheit der Erkrankung nur ein eingeschränktes Evidenzniveau einer wissenschaftlichen Erprobung zu erwarten ist, zum anderen wird eine unzureichende Evidenz für eine arzneimittelrechtliche Zulassungserweiterung bemängelt. Damit geht die Beklagte letztlich selbst nicht von einer grundsätzlichen Möglichkeit der medizinisch-wissenschaftlichen Erforschung der Krankheit der Klägerin aus. Die Verneinung eines sog. Seltenheitsfalls mit der dargestellten widersprüchlichen Begründung und trotz der Unmöglichkeit einer medizinisch-wissenschaftlichen Erforschung der Krankheit – bei fehlender Vergleichbarkeit der Erkrankung zu weit verbreiteten Erkrankungen – ist mit der in §§ 27, 31 SGB V auf einfach-gesetzlicher Ebene normierten und im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungskonform auszulegenden vorrangigen Zielsetzung der „Heilung einer Krankheit“ nicht zu vereinbaren.
2. Darüber hinaus sind die Klageanträge unter Ziffern 1. und 2. auch nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V begründet. Die vom Bundesverfassungsgericht zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden im Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891) entwickelten Grundsätze gelten sinngemäß auch im Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem genannten Beschluss zu einer ärztlichen Behandlungsmethode das Urteil des BSG vom 16.09.1997 (BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr. 4) aufgehoben und entschieden, dass es mit den Grundrechten nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Der Beschluss hat insoweit eine verfassungswidrige Auslegung im Grundsatz verfassungsgemäßer Vorschriften des SGB V durch das BSG beanstandet.
Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA, vgl. § 91 SGB V) diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat (zusammenfassend BSGE 94, 221 Rn. 23 = SozR 4-2400 § 89 Nr. 3, Rn. 24 m.w.N.), verstößt nach § 2 Abs. 1a Satz 1 und der Rechtsprechung des BVerfG gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
– Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor, – für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht und – bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten bzw. vom Versicherten begehrten, nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Sachliche Gründe dafür, bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen danach zu differenzieren, ob der krankenversicherungsrechtliche Anspruch des Versicherten auf eine bestimmte Art der ärztlichen Behandlung oder auf die Versorgung mit einem Arzneimittel gerichtet ist, sind nicht ersichtlich, weil die verfassungsrechtliche Problematik sich unabhängig davon stellt, welche konkrete Leistungsart des SGB V im Streit ist. Dies entspricht auch dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005, zumal darin das Urteil des BSG vom 19.10.2004 (BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1 – Visodyne(r)) zitiert worden ist. In dem dem Urteil des BSG vom 19.10.2004 (a.a.O.) zugrunde liegenden Sachverhalt war es auch um die Anwendung eines Fertigarzneimittels gegangen.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass bei der Klägerin die Kriterien des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V erfüllt sind. Dabei stützt sich das Gericht auf eine Gesamtwürdigung der in den Akten enthaltenen (medizinischen) Stellungnahmen und Befunde, insbesondere auf das schlüssige Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. D. vom 07.01.2015 einschließlich ergänzender Stellungnahmen vom 06.09.2015, 02.02.2016, 13.07.2017 und in der öffentlichen Sitzung vom 27.09.2017.
Danach liegt bei der Klägerin eine regelmäßig tödliche bzw. zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor.
Bei der Klägerin liegen folgende Gesundheitsstörungen vor:
1. Membranoproliferative Glomerulonephritis (MPGN-C3-Nephropathie) 2. Zustand nach terminaler Niereninsuffizienz 3. Zustand nach Erst-Nierentransplantation am 19.02.2012 in die linke Fossa iliaca Bei der Klägerin liegt eine MPGN-C3-Nephropathie vor, die entsprechend dem Befundbericht der Medizinischen Klinik IV 1986 bereits durch Biopsie gesichert wurde. Im weiteren Verlauf entwickelte sich ein nephrotisches Syndrom. 2001 wurde die Klägerin dialysepflichtig. Die Klägerin stand nach ihren Angaben 10 Jahre auf der Transplantationsliste. Im Februar 2011 erfolgte die Nierentransplantation in die linke Fossa iliaca.
Die zugrunde liegende Erkrankung, die idiopathische MPGN, ist eine Erkrankung des Komplementsystems, die bei der Klägerin auf eine Mutation des aktivierenden Komplements C3 mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückzuführen ist (siehe Befundbericht der Medizinischen Klinik IV des Universitätsklinikums D-Stadt). Die Untersuchungen zeigten eine starke Aktivierung des alternativen Komplementwegs mit dauerhaftem Verbrauch des Komplementfaktors C3 und dadurch einer extremen Steigerung des terminalen Endkomplexes C5 b-9. Als Ergebnis werden 2.448 mg/ml genannt bei einem Normwert ( 320 mg/ml.
Da die zugrunde liegende Störung, die angeborene aktivierende C3-Mutation, auch nach Transplantation der Spenderniere weiter fortbesteht, wäre ohne die Versorgung der Klägerin mit Soliris aus pathophysiologischen Überlegungen heraus eine Zerstörung der Transplantatniere durch eine erneute Entstehung der MPGN zu erwarten. Es wurde aus der Transplantatniere vor Transplantation am 19.02.2012 ein Nierenstanzzylinder untersucht, der mit Ausnahme der akuten Veränderungen einen ansonsten regelhaften Befund erbrachte, insbesondere keinen Hinweis auf eine Immunkomplexglomerulonephritis. Zur Verlaufskontrolle erfolgte eine erneute Nierenbiopsie am 22.05.2012. Hier konnte bereits die mesangioproliferative und intrakapilläre proliferierende C3-Glomerulonephritis im Transplantat nachgewiesen werden. Eine weitere Biopsie am 08.01.2013 ergab eine mäßiggradige diffuse mesangioproliferative und endokapillär proliferative komplementvermittelte C3-Glomerulonephritis sowie den Befund einer Borderline-Abstoßung. Der Versuch einer Plasmapherese zeigte keine Wirkung bezüglich der Komplementaktivierung. Im Hinblick auf den histologisch nachweisbaren Befall der Spenderniere mit der membranoglomerulären Nephritis ist letztlich zu erwarten, dass ohne die Versorgung der Klägerin mit Soliris auch die Spenderniere durch die Grundkrankheit zerstört wird, die Klägerin die Transplantatniere verliert und wieder dialysepflichtig wird.
Da der Verlust der Nierenfunktion lebensbedrohlich und regelmäßig tödlich ist (so zu Recht auch BayLSG, Beschluss vom 20.01.2014, a.a.O., S. 8), liegt bei der Klägerin eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödliche Erkrankung vor. Zudem hat das Bundessozialgericht in den Anwendungsbereich der verfassungsrechtlich gebotenen erweiterten Leistungspflichten in der gesetzlichen Krankenversicherung neben notstandsähnlichen Situationen, die einen der Lebenserhaltung dienenden akuten Behandlungsbedarf begründen, auch Erkrankungen einbezogen, in denen es um einen nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion geht (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, Rn. 20). Zweifellos zählt hierzu auch die für den Organismus unabdingbare Nierenfunktion. Auf die Argumentation der Beklagten, es sei ein schnelles Versagen der Transplantatniere nicht zu erwarten, kommt es aus den dargelegten Gründen nicht an. Zu Unrecht vertritt die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.01.2017 im Verfahren S 11 KR 60/17 ER die Auffassung, dass es sich bei der Klägerin nicht um eine derart schwerwiegende Erkrankung handelt, dass die Kriterien der Rechtsprechung des BSG-Urteils vom 06.12.2005 – gemeint ist damit wohl der Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) – erfüllt wären. Soweit die Beklagte ausführt:
„… Falls es längerfristig zum Transplantatversagen kommt, steht erneut die bewährte Nierenersatztherapie mittels Hämodialyse und Peritonealdialyse ohne Verzug zur Verfügung. Bei der Dialyse handelt es sich um eine sehr häufige Behandlungsmethode zur Behandlung des chronischen Nierenversagens, die in Deutschland bei ca. 80.000 Patienten zum Teil seit Jahrzehnten bei einer akzeptablen Lebensqualität durchgeführt wird. Auch eine erneute Nierentransplantation wäre möglich. Somit läge auch im Falle des Transplantatversagens keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Die Möglichkeiten alternativer Standardtherapien sind daher nicht ausgeschöpft …”, vermengt sie die Frage, ob eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegt, auf unzulässige Weise mit der Frage, ob eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht. Die beiden Voraussetzungen sind jedoch getrennt voneinander zu beurteilen. Die erste Voraussetzung, nämlich das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung bzw. wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung, kann nicht allein mit dem Hinweis darauf verneint werden, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung stehe.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Gericht in Übereinstimmung mit der Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. D. und unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. E. erhobenen Befunde, insbesondere auch aufgrund des Krankheitsverlaufs und des Therapieerfolgs durch Anwendung von Eculizumab (Soliris) bei der Klägerin, davon überzeugt, dass es im Arzneimittelbereich keine therapeutische(n) Alternative(n) zu Eculizumab (Soliris) gibt, die gleichermaßen für die Klägerin geeignet und wirksam ist (sind).
Die bisherige Anwendung von Eculizumab (Soliris) bei der Klägerin war durchgehend erfolgreich. Dieser Erfolg ist sowohl histologisch als auch anhand der Nierenfunktionswerte umfassend dokumentiert. Die Therapie wird von der Klägerin auch ohne Nebenwirkungen vertragen. Hingegen ist – wie bereits dargestellt – bei Beendigung dieser Therapie davon auszugehen, dass die Grunderkrankung die Transplantatniere wieder befallen und zum Verlust der Transplantatniere führen wird. Die Spenderniere würde innerhalb von sehr wenigen Jahren wieder zerstört, so dass eine erneute Dialysepflichtigkeit entstünde. Die Lebenserwartung von Patienten mit Dialyse ist – worauf der gerichtliche Sachverständige Dr. D. zu Recht hinweist (öffentliche Sitzung vom 27.09.2017) – durch die sich schneller entwickelnden Gefäßveränderungen und -verkalkungen im Vergleich zu nicht dialysepflichtigen Menschen verkürzt.
Im Einzelnen: Im Verlauf nach der Nierentransplantation am 19.02.2012 konnte zum 22.05.2012 bei der Untersuchung anlässlich einer Nierenbiopsie bereits wieder eine C3-Glomerulonephritis nachgewiesen werden. Auch die weitere Biopsie vom 08.01.2013 bestätigte diese C3-Glomerulonephritis sowie den Befund einer Borderline-Abstoßung. Zur Rettung der Transplantatniere wurde eine Plasmapherese versucht, die aber keine Wirkung bezüglich der Komplementaktivierung zeigte. Aus dem histologisch dokumentierten Verlauf war letztlich zu erwarten, dass die Transplantatniere zerstört wird und die Klägerin die Niere verliert und wieder dialysepflichtig wird. Ursächlich hierfür ist die vererbte Mutation, über die es zu einer sehr starken Aktivierung des alternativen Komplementweges kommt, wodurch hohe Serumkonzentrationen des hoch entzündlichen End-Komplexes C5 b-9 entstehen, die auch zutreffend im Befundbericht der Medizinischen Klinik IV vom 17.05.2017 dargestellt werden. Der drohende Verlust der Spenderniere war nicht nur durch die Nierenbiopsie erkennbar, sondern auch durch eine zunehmend verschlechterte Nierenfunktion mit Anstieg des Kreatinin-Wertes auf maximal 1,7 und Zunahme der Eiweißausscheidung im Urin bis zu 1,5 g/l. Der ansteigende Kreatinin-Wert und vor allem die stark ansteigende Eiweißausscheidung im Urin sind sehr übersichtlich auf den Laborgraphiken erkennbar. Dieses erkennbare Nierenversagen würde regelmäßig zum Tod bzw. zur erneuten Dialysepflichtigkeit führen. Die regelmäßige Dialyse ist jedoch ebenfalls mit einer verkürzten Lebenserwartung verbunden. Ab 10.02.2014 konnte die Klägerin mit Eculizumab behandelt werden. Aus dem Befundbericht der Medizinischen Klinik IV der Universität D-Stadt ist ersichtlich, dass unter der Behandlung eine sehr eindrucksvolle klinische und teils histologische Remission eingetreten ist. Aus der oben genannten graphischen Darstellung der Eiweißausscheidung von März 2012 bis Mai 2017 geht hervor, dass seitdem sich die Eiweißausscheidung wieder vollständig normalisiert hat. Auch der Kreatinin-Wert ging zum Teil auf unter 1 mg/dl zurück. Aus dem Verlauf unter der Behandlung mit Eculizumab zeigt sich, dass es keine weitere(n) Alternative(n) im Arzneimittelbereich oder therapeutische Alternativen gibt, die gleichermaßen geeignet oder wirksam sind.
Soweit die Beklagte ihren ablehnenden Bescheid vom 14.03.2013 auf das Gutachten des MDK Bayern vom 07.03.2013 stützt, in dem der MDK die Auffassung vertritt, dass zur Behandlung der Glomerulonephritis anerkannte Behandlungsoptionen, wie Basistherapie, Einsparung von Kortikosteroiden, Immunsupressiva, zur Verfügung stünden, verkennt sie bereits das Krankheitsbild der Klägerin. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte zudem auf die Möglichkeiten einer erneuten Dialyse bzw. erneuten Nierentransplantation als geeignete und wirksame Therapiealternativen. Insoweit verkennt die Beklagte bereits, dass die Dialyse schon nach dem Wortsinn keine Therapie zum Erhalt der Transplantatniere ist und nicht das übergeordnete Ziel einer Therapie verfolgt, nämlich die normalen physischen (und psychischen) Funktionen des Patienten wieder herzustellen. Vielmehr ist die Dialyse lediglich eine „symptomatische Therapie“, die den Ausfall der Nierenfunktion ersetzen bzw. mildern soll.
Bei der Frage, ob eine Behandlung mit zugelassenen Mitteln in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären (vgl. BSGE 97, 190 [201]). Bereits aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergibt sich, dass die Möglichkeit der Heilung einer Krankheit als das vorrangige Behandlungsziel anzustreben ist, während die Verhütung einer Verschlimmerung oder die Linderung von Krankheitsbeschwerden regelmäßig nachrangige Behandlungsziele sind (vgl. BSGE 78, 70 [85]; SG B-Stadt, Beschluss vom 13.11.2013, S. 11). Nach dem BVerfG (stattgebender Kammerbeschluss vom 26.02.2013, 1 BvR 2045/12) ist es mit Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr nicht zu vereinbaren, Versicherte auf eine nur auf die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie zu verweisen, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht.
Diese Grundsätze sind auch auf eine Sachverhaltskonstellation zu übertragen, bei der – wie im vorliegenden Fall – mit einer Dialyse lediglich eine „symptomatische Therapie“ durchgeführt werden kann und eine Heilung der Erkrankung bzw. eine gesundheitliche Situation, in der die normalen physischen Funktionen wieder annähernd hergestellt werden, schon von vorneherein von der Beklagten nicht angestrebt wird. Die Klägerin muss sich daher nicht auf die Dialyse verweisen lassen, durch die letztlich nur die Folgen des Ausfalls ihrer Nierenfunktion – auch nur zeitlich begrenzt – behoben bzw. abgemildert werden können, während durch die streitgegenständliche Behandlung mit Eculizumab (Soliris) eine zumindest ursächliche wirksame Behandlung der MPGN-Erkrankung mit Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung der Nierenfunktion der Transplantatniere möglich ist.
Letztlich verstößt die Beklagte mit der Begründung, es liege keine notstandsähnliche Situation vor, weil im Falle des Versagens der Nierenfunktion der Klägerin die Dialyse zur Verfügung stehe bzw. sie sich erneut einer Nierentransplantation unterziehen könne, in eklatanter Weise gegen das Recht der Klägerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und die im Lichte dieses Grundrechts auszulegenden §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Mit dieser Argumentation nimmt die Beklagte ein Abwarten bis zum Funktionsverlust der Niere und eine schwerwiegende Gesundheitsschädigung in Kauf. Zu Recht weist der gerichtliche Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 06.09.2015 darauf hin, dass der Zeitpunkt bis zum Versagen der Niere nicht als Beurteilungskriterium herangezogen werden kann, da zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeiten zum Erhalt der Niere mehr bestehen. Vielmehr müssen bereits vorher bei erkennbarer Krankheitsaktivität, die später zum Versagen führt, differenzialtherapeutische Überlegungen angestellt werden, wie das Versagen verhindert werden kann. Bei einem Abwarten bis zu einem Nierenorganversagen ist sogar unmittelbar mit Lebensgefahr zu rechnen. Denn die Behandlungsmethode der Dialyse greift erst dann ein, wenn bereits ein Organversagen eingetreten ist.
Darüber hinaus ist der Verweis der Beklagten auf die Möglichkeit einer erneuten Nierentransplantation schon deshalb widersinnig, weil bei einer solchen Durchführung erneut mit einem Rezidiv der Grunderkrankung zu rechnen wäre und die Umsetzung dieses Vorschlags mit einem erneuten schwerwiegenden operativen Eingriff verbunden wäre.
Soweit die Beklagte die Dialyse als eine alternative Behandlungsmethode bewertet, weil diese bei einer „akzeptablen Lebensqualität“ durchgeführt werde, verkennt sie die vom BVerfG für maßgeblich erachteten Kriterien im Hinblick auf die gebotene verfassungsgemäße Auslegung der §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Abgesehen davon, dass eine „akzeptable Lebensqualität“ auch unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Situation zu unbestimmt ist, um ein taugliches Kriterium für die Erreichung der in den §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V normierten Ziele darstellen zu können, werden bei dieser Argumentation die medizinischen Folgeerscheinungen an Knochen und Gefäßen sowie die durch den erheblichen zeitlichen Aufwand verbundenen Risiken völlig unberücksichtigt gelassen. Insoweit führt der gerichtliche Sachverständige Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.02.2016 zutreffend aus, dass die Lebenserwartung bei Dialyse im Vergleich zur Lebenserwartung mit eigener oder Transplantatniere durch die sich schneller entwickelnden Gefäßveränderungen und -verkalkungen im Vergleich zu nicht dialysepflichtigen Menschen erheblich verkürzt ist.
Schließlich bestand auch bei der Versorgung der Klägerin mit Eculizumab (Soliris) in der Vergangenheit aus der ex-ante-Sicht jeweils nicht nur eine nicht entfernt liegende Aussicht auf Heilung bzw. auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf – was bereits die dritte Voraussetzung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V erfüllt -, sondern die spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf war aufgrund der histologischen Befunde sowie der Laborbefunde von Eiweißausscheidung im Urin und Kreatinin-Messungen ab der erstmaligen Gabe von Eculizumab (Soliris) bis zur jeweiligen Entscheidung des Gerichts – wie bereits dargestellt – sogar jeweils nachgewiesen. Diese Besonderheit im vorliegenden Fall und die von Prof. Dr. E. und vom gerichtlichen Sachverständigen Dr. D. festgestellte Datenlage belegen, dass Eculizumab (Soliris) nicht mit einer rein experimentellen Therapie gleichgesetzt werden kann.
Aus den dargelegten Gründen besteht ohne Zweifel auch für die Zukunft eine nicht entfernt liegende Aussicht auf eine weitere spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die Versorgung der Klägerin mit Eculizumab (Soliris). Demgegenüber würde die von der Beklagten genannte Alternative einer erneuten Dialyse gerade nicht spürbar positiv auf den Krankheitsverlauf der Klägerin einwirken, sondern lediglich den Verlust der Nierenfunktion symptomorientiert „mildern“.
Entsprechend dem Therapieplan von Prof. Dr. E. vom 08.11.2016 ist bei der Versorgung der Klägerin mit Eculizumab (Soliris) – solange das Transplantat der Spenderniere funktionsfähig ist – von einer Medikation 900 mg alle zwei Wochen auszugehen.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

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