Kosten- und Gebührenrecht

Streitwert des Vergleichs bei (mit-) erledigter Hilfsaufrechnung

Aktenzeichen  13 W 1528/17

Datum:
26.9.2017
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 3
GKG GKG § 45 Abs. 4

 

Leitsatz

Werden Gegenforderungen, mit denen hilfsweise die Aufrechnung erklärt wurde, durch einen Vergleich mit erledigt, erhöht sich der Streitwert für den Vergleich um den Wert der Gegenforderungen. (Rn. 12 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 O 1322/14 2017-08-22 Bes LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 22.08.2017, Az. 6 O 1322/14, in Ziffer II (Streitwertfestsetzung) aufgehoben.
2. Der Streitwert des Verfahrens erster Instanz wird auf 117.536,08 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Prozessbevollmächtigte der Klagepartei wendet sich aus eigenem Recht gegen die Streitwertfestsetzung durch das Landgericht.
Mit Klage vom 07.04.2014 machte die Klägerin Restwerklohnansprüche gegen die Beklagte geltend und verlangte die Zahlung von 70.936,64 €. Die Beklagte verteidigte sich gegen die Klage wie folgt: Die Höhe der Klageforderung sei nicht nachvollziehbar. Außerdem würden zu Unrecht Mehrkosten geltend gemacht, die über die ursprüngliche Kostenschätzung hinausgingen. Die von der Klägerin ausgeführten Bauarbeiten und erbrachten Planungsleistungen seien außerdem mangelhaft. Eine Abnahme sei im Gegensatz zum Vortrag der Klagepartei nicht erfolgt. Die Mängel seien trotz Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht behoben worden, weshalb der Beklagten gegen die Klägerin ein „Anspruch auf Schadensersatz bzw. Minderung“ zustehe. Ihre Gegenansprüche bezifferte die Beklagte auf insgesamt 46.599,44 €. Diese seien von der Klageforderung in Abzug zu bringen. Insgesamt liege daher eine Überzahlung der Klägerin in Höhe von 8.119,93 € vor. Insoweit wird auf die Berechnung auf Bl. 15 der Klageerwiderung vom 06.06.2014 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 22.08.2017 (Bl. 224/225 d.A.) stellte das Landgericht gem. § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen eines Vergleichs fest. Darin verpflichtete sich die Beklagte unter Abgeltung aller wechselseitigen Ansprüche zur Zahlung von 53.000,- € an die Klägerin. Den Streitwert setzte das Landgericht auf 70.936,64 € fest. Ein überschießender Vergleichswert bestehe nicht.
Dieser Beschluss wurde der Klagepartei am 23.08.2017 zugestellt. Dagegen legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aus eigenem Recht mit Schriftsatz vom 30.08.2017, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, Streitwertbeschwerde ein. Diese wurde damit begründet, dass das Landgericht übersehen habe dass durch den Vergleich die Aufrechnungsforderungen der Beklagten mit abgegolten seien. Dabei habe es sich nicht etwa nur um Hilfsaufrechnungen, sondern um Primäraufrechnungen gehandelt. Der Streitwert müsse um die Höhe der geltend gemachten Gegenansprüche erhöht werden, insgesamt daher auf 117.536,08 €.
Die Beklagte wendet ein, sie habe weder eine Primäraufrechnung, noch eine Hilfsaufrechnung erklärt. Der Streitwert sei daher korrekt festgesetzt worden.
Mit Beschluss vom 19.09.2017 half das Landgericht Traunstein der Beschwerde nicht ab und legte die Akten mit Verfügung vom gleichen Tage dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung über die Beschwerde vor.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 68, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
2. Zur Entscheidung über die Beschwerde ist gem. § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter berufen.
II.
Die Beschwerde ist begründet.
Das Landgericht Traunstein hat den Streitwert zu Unrecht nur auf 70.936,64 € (Höhe der Klageforderung) festgesetzt und die behaupteten Gegenforderungen der Beklagten zu Unrecht nicht berücksichtigt.
1. Maßgeblich ist insoweit die Vorschrift des § 45 Abs. 4 GKG, der bestimmt, dass bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich die Absätze 1 bis 3 des § 45 GKG entsprechend anzuwenden sind. § 45 Abs. 3 GKG bestimmt, dass die hilfsweise erklärte Aufrechnung den Streitwert erhöht, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.
Für den hier geschlossenen Vergleich bedeutet das Folgendes: Die Beklagte hatte Gegenansprüche in Höhe von 46.599,44 € behauptet. Da der Vergleich eine Abgeltungsklausel enthält, bedeutet dies, dass die behaupteten Gegenforderungen durch den Vergleich mit erledigt wurden; die Beklagte kann sie nicht mehr in einem anderen bzw. neuen Verfahren geltend machen.
Mit diesen Gegenforderungen hatte die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung erklärt.
Soweit der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführt, es habe sich um eine Primäraufrechnung gehandelt, ist das nicht richtig, wie sich aus der Lektüre der Klageerwiderung ergibt (nicht richtig ist im Übrigen auch die Begründung des Landgerichts im Nichtabhilfebeschluss, insoweit handele es sich „erkennbar um ein Schreibversehen“ des Beschwerdeführers). Die Beklagte hat sich gegen die Klage u.a. mit dem Vortrag verteidigt, eine Abnahme sei nicht erfolgt. Außerdem sei die Schlussrechnung überhöht. Lediglich zusätzlich hat sie eingewandt, ihr stünden Gegenforderungen zu, deren Höhe letztlich zu einer Überzahlung der Klägerin führten. Bei einer derartigen Verteidigung handelt es sich nicht um eine Primäraufrechnung, sondern üblicherweise um eine Hilfsaufrechnung. Eine Primäraufrechnung würde im Übrigen gem. § 45 Abs. 3 GKG nicht streitwerterhöhend wirken.
Dass die Beklagte nicht ausdrücklich das Wort „Aufrechnung“ verwendete, sondern lediglich von „Abzügen“ und „Gegenansprüchen“ sprach, steht der Annahme der Erklärung einer Hilfsaufrechnung nicht entgegen. Schließlich können derartige (behauptete) Gegenansprüche der mit der Klage geltend gemachten Restwerklohnforderung nur im Wege einer Aufrechnung entgegengehalten werden, soweit ein „Abzug“ gewollt ist.
Ebenfalls nicht entgegen steht der Annahme einer Hilfsaufrechnung, dass die Argumentation der Beklagten in der Klageerwiderung dogmatisch inkonsistent ist. Zum einen hat sie nämlich eine Abnahme bestritten, zum anderen aber Mängelansprüche gem. § 634 BGB geltend gemacht, was ohne Abnahme jedoch grundsätzlich nicht möglich ist (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom19.01.2017, Az.: VII ZR 301/13 = NJW 2017, 1604; zitiert nach beck-online). Dogmatische oder logische Brüche in der Klageerwiderung bzw. im weiteren Verteidigungsvorbringen vermögen aber nichts daran zu ändern, dass sich die Beklagte dieser Gegenansprüche berühmte, diese aber nunmehr mit dem Vergleich ebenfalls abgegolten sind. Deshalb wirken sie gem. §§ 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 GKG streitwerterhöhend.
2. Dabei ist der Streitwert für das gesamte Verfahren zu erhöhen; es handelt sich nicht etwa nur um einen „überschießenden Vergleichswert“. § 45 Abs. 4 GKG spricht ausdrücklich davon, dass Abs. 3 entsprechend (also für das gesamte Verfahren) und nicht nur für den Gegenstandswert des Vergleichs anzuwenden ist. Dies ist schon deshalb richtig, weil die Abgeltung der hilfsweise geltend gemachten Gegenansprüche wirtschaftlich gesehen einer Entscheidung über derartige Ansprüche durch Urteil gleichkommt (“soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht“, Abs. 3). An die Stelle einer rechtskraftfähigen „Entscheidung“ über die Gegenforderung tritt deren vergleichsweise Erledigung (vgl. Dörndorfer in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 3. Aufl. 2014, § 45 Rn. 34-35, beck-online).
Deutlich wird dies zum Beispiel auch an den Ausführungen, die die Beklagte im Rahmen der Vergleichsverhandlungen machte. So berechnet die Beklagte im Schriftsatz vom 20.07.2017 (Bl. 203/208 d.A.) zunächst die – ihrer Meinung nach – richtige Summe für alle Leistungen der Klägerin, um dann unter Ziffer II. auszuführen, dass diese Berechnung aber noch nicht die geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Beklagten enthalte. Diese müssten aber bei einem Vergleichsvorschlag des Gerichts ebenfalls berücksichtigt werden.
III.
Eine Kostenentscheidung und eine Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren sind nicht veranlasst, da gemäß § 68 Abs. 3 GKG das Verfahren der Streitwertbeschwerde gebührenfrei ist und (außergerichtliche) Kosten nicht erstattet werden (vgl. Zöller- Herget, 30. Aufl., § 3 Rn. 12).
IV.
Einer Entscheidung über die Zulassung der weiteren Beschwerde bzw. der Rechtsbeschwerde bedarf es nicht, wenn das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht entschieden hat.
Eine Rechtsbeschwerde gibt es im Verfahren der Streitwertfestsetzung nicht, da deren Funktion gem. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG die weitere Beschwerde gemäß § 66 Abs. 4 GKG übernimmt (vgl. Zöller- Herget, 30. Aufl., § 3 Rn. 9). Die weitere Beschwerde ist aber nur statthaft, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden hat (vgl. Herget, a.a.O.). Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG findet eine weitere Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes von Gesetzes wegen nicht statt. Eine weitere Beschwerde oder eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof gibt es mithin nicht (vgl. Zimmermann in: Binz/ Dörndorfer/ Petzold/ Zimmermann, Gerichtskostengesetz, 3. Aufl. 2014, § 68 GKG Rn. 28, zitiert nach Beck-Online).

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