Arbeitsrecht

IHK-Angestellter als Syndikusrechtsanwalt

Aktenzeichen  BayAGH I-1-12/16

Datum:
25.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AnwBl – 2017, 1230
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BRAO § 7 Nr. 8, § 46 Abs. 3, § 46a Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 80a
VwVfG § 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein Verwaltungsakt ist inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn aus dem gesamten Inhalt und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung, aus den den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses bzw. aus den dem Erlass vorausgegangenen Anträgen im Weg einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Tätigkeit als Angestellter bei einer IHK ist mit dem Beruf des Rechtsanwalts vereinbar. (Rn. 21 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Prägung der anwaltlichen Tätigkeit liegt vor, wenn der ganz eindeutige Schwerpunkt der im Rahmen des Anstellungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeiten und der bestehenden vertraglichen Leistungspflichten im anwaltlichen Bereich liegt. Aufgaben der Personalführung stehen der Annahme einer Prägung nicht entgegen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. § 112 c Abs. 1 BRAO. Gemäß Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet und war abzuweisen. Die Beklagte hat der Beigeladenen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt zu Recht erteilt.
1. Der Zulassungsbescheid ist formell rechtmäßig.
a. Über den Antrag der Beigeladenen vom 21.03.2016 auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin hat die Beklagte als örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer nach Anhörung des Trägers der Rentenversicherung gemäß § 46 a Abs. 2 S. 1 BRAO entschieden.
b. Mit ihrer Auffassung, die Zulassung erfülle bereits nicht die formellen gesetzlichen Anforderungen, da der Bescheidtenor weder einen Arbeitgeber noch eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit benenne, vermag die Klägerin nicht durchzudringen.
Bei dem streitgegenständlichen Bescheid vom 06.10.2016 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung im Sinne des § 80 a VwGO (Hartung in Har-tung/Scharmer, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 6. Aufl., § 46 b BRAO Rn. 27). Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein, § 37 Abs. 1 VwVfG. Das bedeutet, dass die in der Sache selbst durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei sein muss. Nicht erforderlich ist dabei, dass der Kerninhalt der getroffenen Regelung getrennt von den übrigen Teilen des Verwaltungsakts, insbesondere auch von der Begründung, in einem besonderen Entscheidungssatz zusammengefasst ist, der alle wesentlichen Punkte vollständig und aus sich allein heraus verständlich wiedergibt. Es genügt, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung des Verwaltungsakts, aus den den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses bzw. aus den dem Erlass vorausgegangenen Anträgen im Weg einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl, § 37 Rn. 6 und 12). Bereits aus der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 06.10.2016 ergibt sich, dass es sich um die Tätigkeit der Beigeladenen bei der IHK A. handelt. Deren genauer Inhalt ergibt sich aus der beiden Parteien bekannten Tätigkeitsbeschreibung der Beigeladenen vom 21.03.2016, die in der Begründung des Bescheids vom 06.10.2016 mehrfach erwähnt wurde und die auch im Tenor dadurch in Bezug genommen wurde, dass die Zulassung antragsgemäß (Hervorhebung durch den Senat) erteilt wurde.
2. Der Zulassungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig, da die Voraussetzungen des § 46 a Abs. 1 S. 1 BRAO vorliegen.
Im Einzelnen:
3. Die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO sind erfüllt. Die Beigeladene ist seit dem 03.01.1989 bei der Beklagten zugelassene Rechtsanwältin.
4. Gründe für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 BRAO liegen nicht vor. Vor allem übt die Beigeladene keine Tätigkeit aus, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann (§ 7 Nr. 8 BRAO).
a. Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung bestehen gegen die gesetzliche Beschränkung der Berufswahl durch die Zulassungsschranke in § 7 Nr. 8 BRAO keine verfassungsrechtlichen Bedenken; sie dient – wie die entsprechende Vorschrift über den Widerruf der Zulassung in § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO – der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Das Ziel der Regelungen besteht darin, die fachliche Kompetenz und Integrität sowie ausreichenden Handlungsspielraum der Rechtsanwälte zu sichern sowie die notwendigen Vertrauensgrundlagen der Rechtsanwaltschaft zu schützen. Daher kommt es bei der Frage der Vereinbarkeit des Anwaltsberufes mit anderen Tätigkeiten nicht nur auf die Integrität des einzelnen Bewerbers und die Besonderheiten seiner beruflichen Situation an; selbst wenn diese im Einzelfall durchaus günstig beurteilt werden könnten, muss darüber hinausgehend berücksichtigt werden, ob die Ausübung des zweiten Berufs beim rechtssuchenden Publikum begründete Zweifel an der Unabhängigkeit und Kompetenz eines Rechtsanwalts wecken müsste und dadurch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt in Mitleidenschaft gezogen würde. Insbesondere kann eine Anstellung des Rechtsanwalts im öffentlichen Dienst wegen der damit verbundenen Staatsnähe mit dem Berufsbild der freien Advokatur unvereinbar sein. Ob der Gesichtspunkt der Staatsnähe auch in einem konkreten Fall die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtfertigt oder ob die Beschränkung der Berufswahlfreiheit für den Betroffenen unzumutbar ist, hängt von der Würdigung der Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit ab: Der öffentliche Dienst ist weit gefächert, seine vielfältigen Anforderungen und Dienstleistungen verlangen eine differenzierte Bewertung. Die Rechtsprechung wird dem gerecht, indem sie auf die Art des Aufgabenbereichs und die Bedeutung der Anstellungskörperschaft abstellt. Es wird zur Bejahung des Ver-sagungsgrundes verlangt, dass aus Sicht des rechtssuchenden Publikums wenigstens die Möglichkeit besteht, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts sei durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt (BVerfG Beschluss vom 04.11.1992 – 1 BVR 79/85 u.a., NJW 1993, 317 unter (C) I und insb. II, juris Rn. 99/120; BGH Beschluss vom 26.11.2007 – AnwZ (B) 99/06, NJW-RR 2008, 793 unter II 1; BGH Beschluss vom 21.03.2011 – AnwZ (B) 33/10, NJW-RR 2011, 1204 unter II 1; AGH Hamm Urteil vom 28.04.2017 – 1 AGH 66/16, juris Rn. 27/28; Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 7 Rn. 104, 104 asowie 106 „Verbandsjurist“).
b. Nach Maßgabe dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben ist die streitgegenständliche Tätigkeit der Beigezogenen mit dem Anwaltsberuf nicht unvereinbar und gefährdet nicht das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit.
Aufgabe der IHK A., deren wesentliche Zwecksetzung sich aus § 1 Abs. 1 IHKG ergibt, ist es, die Interessen aller Mitglieder im Bezirk durch eine selbstverwaltete Vertretung zusammenzuführen und dabei alle in einem Bezirk relevanten Vorstellungen zu Gehör zu bringen. Daneben wurde der IHK A. – ausgehend von § 1 Abs. 3 und 4 IHKG – eine Vielzahl von Wirtschaftsverwaltungsaufgaben spezialgesetzlich übertragen. Sie entstammen zwar der ordnungsrechtlichen Funktion des Wirtschafts-verwaltungsrechts, sind aber nicht mit gewerbeaufsichtsrechtlichen Eingriffsbefugnissen verbunden: Es handelt sich insbesondere um die Ausstellung von Bescheinigungen und die Prüfung von Sachkunde in einer Vielzahl von Gewerbezweigen. Diese Aufgaben sind nicht der unmittelbaren Staatsverwaltung vorbehalten und können daher den insoweit sachnahen Kammern übertragen werden. Sie bringen dort die Expertise der Wirtschaft in die Bewältigung solcher Aufgaben ein (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.07.2017 – 1 BvR 2222/12 u.a., NJW 2017, 2744 unter C II 2 insb. Rn. 90 und 98). Anders als in der Sachverhaltskonstellation, in der der Antragsteller als Leiter des Personal-, des Haupt-, des Ordnungs-, des Standes- und des Bauamts einer kleinen Gemeinde Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnahm und als der Entscheidungsträger wahrgenommen wurde, der neben dem Bürgermeister „das Sagen“ hat (BGH Beschluss vom 26.11.2007 – AnwZ (B) 99/06, NJW-RR 2008, 793 unter II 2 ainsb. juris Rn. 7 und 9), ist im vorliegend zu entscheidenden Einzelfall nicht zu besorgen, die Öffentlichkeit könnte den Eindruck gewinnen, die Beigezoge ne vermöge ihre Stellung bei der IHK A. für ihre anwaltliche Tätigkeit auszunutzen. Hinreichend konkretisierte Interessenkonflikte sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Vertretung einer Körperschaft vor Gericht als Prozessvertreter ist – entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung verfochtenen Auffassung -keine hoheitliche Tätigkeit.
5. Die Tätigkeit entspricht den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO.
a. Die Beigeladene ist Angestellte einer anderen als in § 46 Abs. 1 BRAO genannten Person oder Gesellschaft, nämlich der IHK Aschaffenburg.
b. Angestellte Syndikusrechtsanwälte sind anwaltlich tätig, wenn ihre fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeiten durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO aufgeführten Merkmale geprägt sind (§ 46 Abs. 3 BRAO). Eine fachlich unabhängige Tätigkeit übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Die fachliche Unabhängigkeit ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten. Aus § 46 Abs. 2 BRAO i.V.m. § 46 Abs. 3 und 4 BRAO wird deutlich, dass nicht jeder Mitarbeiter eines Unternehmens, der juristisch geprägte Tätigkeiten ausübt, anwaltlich tätig ist. Die anwaltliche Tätigkeit ist entscheidend von der Unabhängigkeit der anwaltlichen Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten geprägt (vgl. § 3 BRAO).
In der Ergänzungsabrede vom 21.03.2016 zum Arbeitsvertrag vom 08.12.2010 betreffend die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung als Syndikusrechtsanwältin wird der Beigeladenen unter Aufhebung etwaiger entgegenstehender Regelungen die fachlich unabhängige Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit gewährleistet und darauf hingewiesen, dass sie keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen unterliege, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließe. Die Tätigkeiten im Einzelnen, die die Beigeladene bei ihrem Arbeitgeber ausübt, werden in der von ihr und ihrem Arbeitgeber am 21.03.2016 unterzeichneten Tätigkeitsbeschreibung beschrieben. Danach handelt es sich um anwaltliche Tätigkeiten.
Es trifft deshalb auch nicht zu, dass die arbeitsvertraglichen Grundlagen der Beschäftigung unklar seien. Der Arbeitsvertrag vom 08.12.2010 wurde wirksam durch die Ergänzungsabrede vom 21.03.2016 ergänzt. Die – aktuelle und vorliegend maßgebliche (vgl. oben unter II 1 b) – Tätigkeit wird durch die Tätigkeitsbeschreibung vom 21.03.2016, die ebenso wie die Ergänzungsabrede vom selben Tag vom Präsidenten und vom Hauptgeschäftsführer der IHK A. sowie von der Beigeladenen unterschrieben wurde, konkretisierend festgehalten.
c. Die anwaltliche Tätigkeit der Beigeladenen wird auch durch die in § 46 Abs. 3 BRAO bezeichneten Merkmale geprägt. Eine derartige Prägung liegt dann vor, wenn der ganz eindeutige Schwerpunkt der im Rahmen des Anstellungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeiten und der bestehenden vertraglichen Leistungspflichten im anwaltlichen Bereich liegt (vgl. Hartung in Hartung/Scharmer, a.a.O., § 46 BRAO Rn. 25/26). Die in der Tätigkeitsbeschreibung aufgeführten Tätigkeiten erfüllen durchweg die in § 46 Abs. 3 BRAO genannten Merkmale, sodass davon auszugehen ist, dass die Beigeladene ganz überwiegend mit anwaltlichen Tätigkeiten beschäftigt ist. Die mit der Verantwortung von fünf Teams mit elf Mitarbeitern verbundenen operativen und strategischen Aufgaben sowie Aufgaben der Personalführung stehen dem nicht entgegen, wie der Vergleich mit einem – fachlich unabhängigen und eigenverantwortlich handelnden – externen Rechtsanwalt (vgl. zu diesem Vergleichsmaßstab BGH Beschluss vom 01.08.2017 – AnwZ (Brfg) 14/17, NJW 2017, 2835 unter II 1 b, insb. juris Rn. 11 und 12) zeigt: Auch ein externer Anwalt, der eine größere Kanzlei mit mehreren (juristisch tätigen) Mitarbeitern betreibt, ist mit derartigen Aufgaben befasst.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 709 S. 2 ZPO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der unterliegenden Klägerin aufzuerlegen, da die Beigeladene erfolgreich Anträge gestellt hat und das Verfahren mit ihren Schriftsätzen auch sonst wesentlich gefördert hat (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 162 Rn. 23). Die Streitwertfestsetzung be ruht auf § 194 Abs. 2 BRAO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung waren nicht gegeben, § 124 Abs. 2 VwGO.

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