Baurecht

Nachbarklage wegen Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs gegen Baugenehmigung für einen Biergarten

Aktenzeichen  RO 7 S 17.1174

Datum:
25.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 148013
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 2
BayBO Art. 59 S. 1 Nr. 1, Art. 60 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Für die Beurteilung, ob eine im Sine des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO der Gebietsversorgung dienende Schank- und Speisewirtschaft vorliegt, kommt es auf objektive Kriterien an. Der geforderte Gebietsbezug liegt dann vor, wenn die Anlage eine Größe hat, die erwarten lässt, dass ihre Kapazität in einem erheblichen Umfang von Bewohnern aus dem umgebenden Gebiet ausgelastet werden wird (hier verneint) und fehlt umgekehrt bei Betrieben, die sich vornehmlich an einen außergebietlichen Kundenkreis wenden und damit störenden, nicht gebietseigenen Zu- und Abgangsverkehr in das Wohngebiet ziehen.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 14. Juli 2017 gegen den Bescheid des Landratsamtes C … vom 9. Juni 2017 (Az.: 3.2-00534/2017-A) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtschutzes gegen eine Baugenehmigung, die der Antragsgegner dem Beigeladenen für die Errichtung eines Biergartens erteilte.
Die Antragstellerin ist Alleineigentümerin des am …berg gelegenen und mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Fl.-Nr. 528 der Gemarkung S … (A-straße 6, S …).
Südlich vom Grundstück der Antragstellerin grenzt das Grundstück des Beigeladenen mit der Fl.-Nr. 531 der Gemarkung S … an, auf dem das Restaurant … (A-straße 4) mit Platz für bis zu 540 Personen betrieben wird (Gastraum I/Restaurant ca. 40 Plätze, Gastraum II/Nebenzimmer ca. 50 Plätze, Saal mit Bühne ca. 450 Plätze). Das Objekt in der A-straße 4 war bis zum Erwerb durch den Beigeladenen ein katholisches Jugendheim mit Gaststätte, welches sich im Eigentum der katholischen Kirchenverwaltung befand.
Für die Grundstücke der Antragstellerin und des Beigeladenen sowie die nähere Umgebung davon existiert kein Bebauungsplan.
Mit (modifiziertem) Formblattantrag vom 20. März 2017 beantragte der Beigeladene beim Landratsamt C … die Baugenehmigung für die Errichtung eines an den Saal des Restaurants … angrenzenden Biergarten mit Gastplätzen für 75 Personen, einer Betriebszeit von 10 Uhr bis 22 Uhr und dem Hinweis, dass Musikdarbietungen nur gelegentlich im Rahmen von Events (z.B. Hochzeiten und Kirchweihen) stattfinden. Aus einem undatierten Schreiben des Beigeladenen an das Landratsamt (Bl. 43 im Behördenakt) folgt, dass die Ausgabe von Speisen und Getränken im Biergarten über den Gaststättenbetrieb erfolgen soll und die Hauptbetriebszeiten am Wochenende sein dürften. Die Fläche für den Biergarten (Ausmaß ca. 24,50 m x 13,60 m) befindet sich an der nordöstlichen Seite des Gebäudes des Beigeladenen und südlich vom Grundstück und Wohnhaus der Antragstellerin, wobei der geringste Abstand zwischen Wohnhaus und nördlichster Biergartenfläche knapp 17 m beträgt. Zu dem Biergarten wurde entlang der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin ein terrassierter Weg angelegt.
Während der Bauphase erhob die Antragstellerin gegenüber dem Landratsamt C … mehrmals Einwendungen gegen die Errichtung eines Biergartens auf dem Grundstück des Beigeladenen. Die Antragstellerin berief sich darin u.a. darauf, dass der Biergartenbetrieb in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässig sei.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 9. Juni 2017 (Az. 3.2-00534/2017-A) erteilte das Landratsamt C … dem Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung eines Biergartens angrenzend an den bestehenden Saal des Restaurants … auf dem Grundstück Fl.-Nr. 531, Gemarkung S … Als Nebenbestimmung zum Lärmschutz wurde aufgenommen, dass die Bestimmungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) zu beachten sind (Nr. II. 1) und das Vorhaben nur von 10:00 bis 22:00 Uhr betrieben werden darf (Nr. II. 2).
Die Antragstellerin hat gegen diese Genehmigung, die ihr am 17. Juni 2017 zugestellt wurde, durch ihren Prozessbevollmächtigten am 14. Juli 2017 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erhoben (Az. RO 7 K 17.1158) und am gleichen Tag um vorliegenden vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Zur Begründung wird Folgendes vorgetragen: Der Genehmigungsbescheid sei wegen des Fehlens einer Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Antragstellerin und damit wegen des Fehlens einer Begründung im Sinne des Art. 68 BayBO nichtig. Darüber hinaus führe auch die Unbestimmtheit des Bescheids zu dessen Nichtigkeit. Der Genehmigungsbescheid enthalte weder eine Begrenzung der Fläche und der Sitzplatzzahl im Biergarten noch Bestimmungen zu Musikveranstaltungen oder genauen Lärmwerten. Der Verweis auf die Betriebsbeschreibung zu den Musikveranstaltungen genüge nicht, zumal die dortige Beschreibung im Hinblick auf Art und Anzahl zu unbestimmt sei. Festlegungen hinsichtlich des Zugangs zum Biergarten und hinsichtlich des durch die zusätzlichen Plätze im Freien erhöhten Stellplatzbedarfs würden fehlen, was wiederum die Unbestimmtheit bzw. Nichtigkeit der Genehmigung zur Folge habe. Überdies sei das als Sonderbau zu bewertende Vorhaben zu Unrecht im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren behandelt worden. Die Errichtung des Biergartens sei zudem bauplanungsrechtlich unzulässig. Das Vorhaben verletze den Gebietserhaltungsanspruch und das Rücksichtnahmegebot, unabhängig davon, ob Beurteilungsgrundlage ein reines oder allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung sei. In einem reinen Wohngebiet könne ein Biergarten nicht zu gelassen werden, in einem allgemeinen Wohngebiet nur dann, wenn dieser gebietsversorgend sei. Letzteres scheide jedoch aus. Der Gaststättenbetrieb mit 540 Restaurant-Sitzplätzen, 25 Terrassenplätzen und 150 möglichen Gastplätzen im Biergarten diene keinesfalls der Versorgung des Gebiets, zumal der Beigeladene gezielt überörtlich und gebietsübergreifend für seinen Betrieb (auch für Busreisende) werbe. Darüber hinaus hätten durch Abholzungen, Abgrabungen und Erdverschiebungen, die im Rahmen der Biergartenerrichtung erfolgt seien, Verstöße gegen Naturschutzrecht stattgefunden. Weitere Verstöße hiergegen seien durch das wilde Parken der Gaststättenbesucher zu erwarten. Die ungeordnete Parksituation durch das Befahren der umliegenden unbebauten Grundstücke, die befürchtete Nutzung des unmittelbar an das Grundstück der Antragstellerin angrenzenden, terrassierten Weges als Biergarteneingang sowie die unzumutbare Lärmbelästigung durch den Biergartenbetrieb verletzten die Antragstellerin in ihren aus dem Gebot der Rücksichtnahme abzuleitenden Rechten. Aus der Stellungnahme des technischen Umweltschutzingenieurs beim Landratsamt C … vom 22. Februar 2017 folge, dass eine erhebliche Überschreitung des Immissionsrichtwerts der TA-Lärm durch die Außengastronomie bezogen auf das Grundstück der Antragstellerin zu erwarten sei und die Belastungen durch Zigarettenrauch nicht ortsüblich und damit störend seien. Über diese Bewertung setze sich die Landratsgenehmigung hinweg. Zudem seien einige Auflagen des Umweltingenieurs aus seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2017 nicht übernommen worden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass es für das Restaurant … keine Baugenehmigung gebe. Die Genehmigung des Landratsamtes C … vom 6. Oktober 1994 beziehe sich auf den Umbau und die Erweiterung des katholischen Jugendheims und umfasse nicht den aktuellen Restaurantbetrieb, der eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstelle. Die fehlende Genehmigung für das Restaurant führe zur Nichtigkeit der Baugenehmigung für den Biergarten, da Letzterer funktionell und logistisch auf die Anlagen des Restaurants … (Küche, Getränke-Ausschank, Kühlung von Speisen und Getränken, WC-Anlagen) angewiesen sei. Weiter widerspreche der Biergarten den Darstellungen des Flächennutzungsplans (Gemeinbedarfsfläche). Schließlich sei der Brandschutz nicht gewährleistet, da durch die Biergartenerrichtung keine hinreichenden Feuerwehr- und Rettungszufahrten mehr vorlägen.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (Az. RO 7 K 17.1158) gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 9. Juni 2017 (Az. 3.2-00534/2017-A) anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Bestimmtheit des Genehmigungsbescheids ergebe sich aus der Bezugnahme des Bescheids auf die Betriebsbeschreibung vom 20. März 2017 sowie aus dem mit Genehmigungsvermerk versehenen Eingabeplan. Dadurch sei klar, dass die Genehmigung nur 75 Gastplätze innerhalb einer begrenzten Betriebszeit und nur gelegentliche Musikdarbietungen zulasse. Die Biergartenfläche werde durch den Eingabeplan bestimmt. Die bereitgestellte Anzahl der Stellplätze auf den umliegenden Grundstücken sei ausreichend, da sich durch die Errichtung eines Biergartens lediglich eine alternative Sitzmöglichkeit für Gäste ergebe, nicht aber ein höheres Gästeaufkommen zu erwarten sei. Die fehlende Begründung im streitgegenständlichen Bescheid könne geheilt werden. Der Biergarten sei getrennt vom Gaststättenbetrieb zu betrachten und umfasse lediglich eine Bewirtungsmöglichkeit für 75 Personen. Daher sei mangels Sonderbaus das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren zugrunde zu legen gewesen. Bei nur 75 Plätzen sei von einem gebietsversorgenden Biergarten auszugehen. Soweit Verstöße gegen Naturschutzrecht geltend gemacht würden, könne hieraus kein Drittschutz abgeleitet werden. Gleiches gelte im Hinblick auf die gerügten Geländeanpassungen. Der Brandschutz sei im vorliegenden Verfahren nicht vom Prüfungsumfang erfasst gewesen; unabhängig davon sei durch das Vorhaben eine Verschlechterung der Brandschutzsituation nicht gegeben, insbesondere der Rettungsweg weiter erhalten. Warum der terrassierte Weg rücksichtslos sein solle, könne nicht nachvollzogen werden. Der Lärmschutz sei geprüft worden. Zusätzliche Auflagen hierzu seien nicht notwendig, die untere Bauaufsichtsbehörde nicht an den Auflagenvorschlag einer Fachstelle gebunden.
Der Beigeladene beantragt unter Berufung auf die Ausführungen des Antragsgegners, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a BauGB statthafte Eilantrag hat Erfolg.
Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung unter Abwägung des aus § 212a BauGB folgenden Sofortvollzugsinteresses einerseits und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs andererseits. Im Rahmen der Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei summarischer Prüfung zu berücksichtigen. Ergibt diese Prüfung, dass der Hauptsacherechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Suspensivinteresse der Antragstellerseite in der Regel hinter das Vollzugsinteresse zurück. Hat die Hauptsacheklage dagegen bei summarischer Prüfung Erfolg, besteht kein Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes. Ist hingegen der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Abwägung der vorgenannten Interessen.
Hiervon ausgehend war dem Eilantrag stattzugeben, weil die Drittanfechtungsklage der Antragstellerin voraussichtlich Erfolg haben wird.
Das Gericht kommt bei summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass die mit streitgegenständlichem Bescheid des Landratsamtes C … erteilte Baugenehmigung vom 9. Juni 2017 rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Norm beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Der Nachbar muss demzufolge durch die Baugenehmigung in einem Recht verletzt sein, das drittschützend und Gegenstand der Baugenehmigung ist.
Hiervon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt gegen den gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 und Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO im Baugenehmigungsverfahren stets zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Gebietserhaltungsanspruch, der drittschützende Wirkung hat.
Der Gebietserhaltungsanspruch ist darauf gerichtet, dass sich ein Nachbar in einem (faktischen) Baugebiet im Sinne von § 1 Abs. 3 und Abs. 2 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) auch ohne konkrete Beeinträchtigung gegen die Zulassung einer in dem Baugebiet gebietswidrigen Nutzung wenden kann. Diese weitreichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Grundstücke in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Der Gebietserhaltungsanspruch gilt nicht nur innerhalb eines durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiets (§ 30 BauGB), sondern auch im unbeplanten Innenbereich innerhalb eines faktischen Baugebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101; B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – jeweils juris).
Für die aneinander angrenzenden Grundstücke der Antragstellerin und des Beigeladenen existiert kein Bebauungsplan. Sie liegen unzweifelhaft im unbeplanten Innenbereich. Die nähere Umgebung entspricht entweder einem faktischen reinen Wohngebiet i.S.v. § 3 BauNVO oder einem faktischen allgemeinen Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO (Letzteres nehmen die Antragstellerin in ihren Schreiben an das Landratsamt, der Antragsgegner und die Gemeinde S … im Rahmen des Einvernehmensverfahrens an). Eine Entscheidung hierüber bedarf es nicht, da in beiden Varianten der Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin verletzt ist.
In einem allgemeinen Wohngebiet sind gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO Biergärten als Schank- und Speisewirtschaften nur zulässig, wenn sie der Versorgung des Gebietes dienen. Dabei kommt es für die Beurteilung, ob der Gaststättenbetrieb des Beigeladenen eine der Gebietsversorgung dienende Schank- und Speisewirtschaft ist, auf objektive Kriterien an. Der von der Norm geforderte Gebietsbezug liegt dann vor, wenn die Anlage eine Größe hat, die erwarten lässt, dass ihre Kapazität in einem erheblichen Umfang von Bewohnern aus dem umgebenden Gebiet ausgelastet werden wird (BayVGH, B.v. 16.1.2014 9 B 10.1979; BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9.97 – jeweils juris). Umgekehrt formuliert fehlt es an dem Merkmal der Gebietsversorgung bei Betrieben, die sich nach objektiven Kriterien vornehmlich an einen außergebietlichen Kundenkreis wenden und damit störenden, nicht gebietseigenen Zu- und Abgangsverkehr in das Wohngebiet ziehen (vgl. Stock in Ernst/ Zinkahn/ Bielenberg/ Krautzberger, Baugesetzbuch, 124. EL Februar 2017, Rn. 64 zu § 4 BauNVO).
Hiervon ausgehend betrifft die streitgegenständliche Baugenehmigung keinen gebietsversorgenden Schank- und Speisebetrieb. Dabei mag dahingestellt bleiben, ob ein Biergarten mit 75 Sitzplätzen als gebietsversorgend in dem Wohngebiet angesehen werden kann. Denn es ist auf den Gaststättenbetrieb insgesamt, also auf die Innen- und Außengastronomie des Beigeladenen mit bis zu 615 Plätzen abzustellen. Wie die Antragstellerseite zu Recht anmerkt, ist der Biergarten funktional auf die Anlagen im Restaurant … ausgerichtet. Er schließt sich auch örtlich unmittelbar an diesen Restaurantbetrieb an. Die Beigeladenenseite hat ferner selbst dargelegt, dass die Ausgabe von Speisen und Getränken im Biergarten über den Gaststättenbetrieb erfolgen soll. Der Biergarten, für den die Genehmigung beantragt wurde, kann somit nicht eigenständig betrieben werden und ist Teil eines einheitlichen baugenehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens. Im Übrigen steht der Biergarten auch „Auswärtigen“ und „Einheimischen“ gleichermaßen zur Verfügung, weshalb auch unter diesem Gesichtspunkt eine Aufspaltung ausscheidet. So betrachtet versteht es sich von selbst, dass bei einem Platzangebot für über 600 Gäste (75 im Biergarten und bis zu 540 im Innen-Restaurant) von einer Gebietsversorgung keine Rede mehr sein kann. Der fehlende gebietsversorgende Charakter ergibt sich ferner aus dem erkennbaren Betriebskonzept des Beigeladenen, der in erheblichem Umfang Personen außerhalb der näheren Umgebung erreichen will (was auf der Hand liegt bei den genannten Platzkapazitäten). Zum einen wirbt er (auch) überregional für seinen Gastronomiebetrieb, für Veranstaltungen im größeren Stil (Homepage, Facebook) und für Busreisen (vgl. Auszüge aus Homepage, Facebook, „Go Yellow.de“ in der Anlage Ast 25-32 zum Schriftsatz vom 17.7.2017). Zum anderen wird der Restaurantbetrieb von Personenkreisen außerhalb der näheren Umgebung besucht, wie die Auflistung der Antragstellerseite (Anlage Ast 23 zum Schriftsatz vom 17.7.2017) zeigt (z.B. SPD-Kreisverband C …; Tage für Rinderhalter, Maschinenring W …; Veranstaltung des Landwirtschaftsministeriums). Darüber hinaus werden laut Homepage des Beigeladenen auch Tagungsräume zur Verfügung gestellt. Aufgrund dessen stellt der Biergarten- bzw. Restaurantbetrieb keinen gebietsversorgenden Betrieb i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO mehr dar.
Der Restaurantbetrieb inklusive Biergarten kann auch nicht ausnahmsweise als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden. Denn Schank- und Speisewirtschaften, die nicht der Versorgung des Gebiets dienen, werden von § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nicht erfasst, da diese speziellere Nutzungsart abschließend in § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO geregelt ist (vgl. Stock in Ernst/ Zinkahn/ Bielenberg/ Krautzberger, Baugesetzbuch, 124. EL Februar 2017, Rn. 118 zu § 4 BauNVO m.w.N.). Aber selbst wenn man dies nicht so sehen sollte, würde eine ausnahmsweise Zulassung bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise (vgl. BVerwG Urt. v. 21.3.2002 – 4 C 1.02 – juris) daran scheitern, dass ein Großrestaurant mit Biergarten unzweifelhaft im Hinblick auf Lärm sowie An- und Abfahrtsverkehr abstrakt störend und nicht verträglich in einem (faktischen) allgemeinen Wohngebiet ist.
Die Antragstellerin macht damit zu Recht eine Verletzung des drittschützenden Gebietserhaltungsanspruchs geltend.
Gleiches würde gelten, wenn von einem (faktisch) reinen Wohngebiet i.S.v. § 3 BauNVO auszugehen ist. Denn der Restaurantbetrieb samt Biergarten ist in einem reinen Wohngebiet weder allgemein nach § 3 Abs. 2 BauNVO (kein Wohngebäude/ keine Anlage der Kinderbetreuung) noch gemäß § 3 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig (kein Laden oder nicht störender Handwerksbetrieb/ keine Anlage für soziale, kirchliche kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke).
Neben der Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs ist auch ein Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis im Hinblick auf die Nebenbestimmung zum Lärmschutz festzustellen. Eine Baugenehmigung muss nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG inhaltlich hinreichend bestimmt sein, so dass die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist. Für den Rechtsschutz des Nachbarn ist dabei entscheidend, dass er feststellen kann, ob und mit welchem Umfang er betroffen ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2016 – 9 ZB 14.1496 – juris).
Das ist vorliegend nicht der Fall. Der streitgegenständliche Bescheid sieht in Nr. II.1 vor, dass die Bestimmungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) vom 26. August 1998 zu beachten sind. Damit bleibt im Unklaren, welche der verschiedenen, nach Baugebietstypen differenzierenden Immissionsrichtwerte der TA-Lärm gelten sollen. Die Antragstellerin muss wissen, was sie nach der Baugenehmigung an Lärm hinzunehmen hat und was nicht. Da es hieran fehlt und es sich bei dieser unbestimmten Regelung um eine wegen des Lärmbezugs drittschützende Regelung handelt, führt diese Unbestimmtheit der Baugenehmigung auch zur Rechtsverletzung der Antragstellerin dadurch.
Schließlich spricht einiges dafür, dass die Baugenehmigung gegen das in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Rücksichtnahmegebot verstößt, weil der durch den Restaurantbetrieb samt Biergarten verursachte Lärm (sowohl durch die Besucher selbst als auch durch den An- und Abfahrtverkehr) für die Antragstellerin unzumutbar ist. Allein die Nähe des Biergartens und Restaurantbetriebs des Beigeladenen zum angrenzenden mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück der Antragstellerin (im 20 m-Bereich) sowie der An- und Abfahrtsverkehr betreffend ein überregional ausgelegtes Großrestaurant (mit Busgästen) legt eine unzumutbare Lärmbelästigung nahe. Ein zu einem anderen Ergebnis gelangendes Lärmgutachten wurde von Beigeladenenseite nicht vorgelegt. Überdies geht der technische Umweltschutzingenieur des Antragsgegners in seiner Stellungnahme vom 22. Februar 2017, auf die er in seiner späteren Beurteilung vom 18. Mai 2017 Bezug nimmt, davon aus, dass eine erhebliche Überschreitung des Immissionsrichtwerts der TA-Lärm durch die Außengastronomie bezogen auf das Grundstück der Antragstellerin zu erwarten sei. Dies wird auch nicht durch die Auflagenfestsetzung in Nr. II.1 des streitgegenständlichen Bescheids verhindert, da diese Auflage, wie dargelegt, unbestimmt ist.
Die Anfechtungsklage der Antragstellerin erweist sich damit bei summarischer Prüfung als voraussichtlich erfolgreich, ohne dass auf die weiteren von Antragstellerseite vorgebrachten Aspekte zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung und zur Frage, ob der derzeitige Restaurantbetrieb im Gebäude über eine Genehmigung verfügt, einzugehen ist. Da an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzenden Verwaltungsakts kein schutzwürdiges Interesse besteht, überwiegt das Interesse der Antragstellerin am Suspensiveffekt ihrer Klage. Dem Eilantrag war demnach stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52, 53 Gerichtskostengesetz (GKG) unter Berücksichtigung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Nr. 9.7.1).

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