Aktenzeichen M 21 S 17.44583
Leitsatz
Ein Verstoß gegen § 33 Abs. 4 AsylG ist geeignet, die Vermutung, das Asylverfahren nicht zu betreiben, zu widerlegen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren M 27 K 17.40777 gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Mai 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 28. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. Mai 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
In der dem Antragsteller in deutscher und englischer Sprache erteilten Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise wurde auf Folgendes hingewiesen:
„Sie erhalten einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Sie sind verpflichtet, diesen Termin persönlich wahrzunehmen… Bitte nehmen Sie den Anhörungstermin unbedingt wahr. Sie werden darauf hinge-wiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Einstellung des Verfahrens bzw. Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher Ihre Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben …“
Der Belehrung war ein Gesetzesauszug aus dem Asylgesetz in deutscher Sprache beigefügt, u.a. ein Auszug aus §§ 10, 15, 25, 33 Abs. 1 und 3 und § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 26. Juni 2016 wurde der Antragsteller zu einer Anhörung am 13. Juli 2016 geladen.
Die Ladung zur Anhörung vor dem Bundesamt enthielt folgenden Hinweis in deutscher Sprache:
„Bitte nehmen Sie diesen Termin unbedingt wahr. Bei Ihrer Anhörung steht ein Dolmetscher zur Verfügung. Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher rechtzeitig Ihre Hinderungsgründe schriftlich dem Bundesamt mitgeteilt zu haben.“
Die Ladung wurde am 29. Juni 2016 per Einschreiben versandt.
Der Antragsteller ist zur Anhörung am 13. Juli 2016 nicht erschienen. Am 25. Juli 2016 ist das Einschreiben mit dem Vermerk „nicht abgeholt“ zum Bundesamt zurückgelangt.
Mit Bescheid vom 8. Mai 2017 stellte das Bundesamt unter der gleichzeitigen Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die Vermutungsregel in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ausgeführt, der Antragsteller sei ohne genügende Entschuldigung nicht zur persönlichen Anhörung erschienen.
In der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:heißt es unter anderem:
„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht München
Bayer Straße 30
80335 München erhoben werden. […] Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO kann bei dem oben genannten Verwaltungsgericht gestellt werden.“
Der Antragsteller hat am 18. Mai 2017 privatschriftlich Klage erhoben.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 12. Juni 2017 beantragte er zudem,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Zur Begründung trägt er vor, er habe die Ladung zur Anhörung niemals erhalten. Es gebe in seiner Unterkunft immer wieder Probleme mit der Postzustellung. Er selbst habe keinen Schlüssel für den Briefkasten und sei darauf angewiesen, dass die Post intern zuverlässig verteilt werde.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 4. August 2017 die Akten vorlegt, sich zum Verfahren jedoch nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der im Rahmen der gebotenen und möglichen Auslegung auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung gerichtete Antrag ist zulässig (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8).
Der Antrag ist insbesondere nicht verfristet. Zwar ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 33 Abs. 6 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides zu stellen. Diese Frist hat der Antragsteller vorliegend nicht gewahrt. Allerdings ist die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:unrichtig erteilt worden, sodass nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist.
Die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:folgt unter anderem daraus, dass der Antragsteller entgegen § 36 Abs. 3 Satz 2 AsylG nicht auf die Geltung der Wochenfrist hingewiesen worden ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung:bezeichnet nur eine – wegen § 74 Abs. 1 AsylG zudem unzutreffende – Klagefrist und erweckt so den Eindruck, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unbefristet möglich oder allenfalls begrenzt auf die genannte zweiwöchige Klagefrist.
Damit gilt vorliegend die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Der Antrag ist somit fristgerecht erfolgt.
Er ist auch begründet.
Das Gericht trifft bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn jedenfalls ist der Antragsteller nicht ausreichend auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen hingewiesen worden.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 ein-tretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion erleiden kann, ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 33 Abs. 4 AsylG entsprochen.
Soll der Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er freilich den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung ist deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht, unentbehrlich.
Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Die Vorschrift lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu.
Diesen Anforderungen genügt der allgemeine (und im Hinblick auf das Schriftformerfordernis von Entschuldigungsgründen auch unzutreffende) Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise nicht. Dabei kann dahinstehen, ob eine Belehrung überhaupt in diesem frühen Stadium des Asylverfahrens, wenn auch gegen Empfangsbestätigung, ausreichend ist (anders VG München, B. v. 8.3.2017 – M 21 S. 16.32737 – juris), denn jedenfalls darf die Belehrung nicht in Teilen fehlerhaft und damit irreführend sein. In diesem Fall wird die Belehrung insgesamt fehlerhaft (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 13.12.1978 – 6 C 77.78 -, juris, Rn. 23). So liegt der Fall aber hier. Das Bundesamt verweist auf die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bzw. der Entscheidung ohne persönliche Anhörung in dem Fall, dass der Antragsteller nicht vor dem Termin schriftlich seine Verhinderung anzeigt. Dass das Asylgesetz in § 33 Abs. 2 Satz 2 aber eine Widerlegung der Vermutung auch dann vorsieht, wenn der Ausländer unverzüglich, also nach dem versäumten Anhörungstermin, nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte, erwähnt die Belehrung nicht. Auch aus dem beigefügten Gesetzestext lässt sich dies nicht entnehmen, da die Vorschrift des § 33 Abs. 2 AsylG gerade nicht abgedruckt worden ist.
Die Belehrung zu § 33 AsylG in der Ladung zur Anhörung ist aus gleichem Grund fehlerhaft und irreführend. Sie ist zudem ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt und dem Antragsteller im Übrigen nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Die Zustellungsfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt die für die Belehrung erforderliche tatsächlich erforderliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Antragstellers über die Belehrung nicht.
Nachdem sich die angefochtene Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung der Klage ohne weitere Prüfung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).