Verwaltungsrecht

Prozesskostenhilfe für Klage auf Teilnahme am Integrationskurs

Aktenzeichen  AN 6 K 16.01443

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 25 Abs. 3, Abs. 4, § 44 Abs. 4 S. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

1 Im Prozesskostenhilfeverfahren ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung der Frage, ob eine Klage hinreichende Erfolgsaussichten besitzt, der Zeitpunkt der Entscheidungs- bzw. Bewilligungsreife (wie BayVGH BeckRS 2003, 26841), was grundsätzlich den Eingang der Behördenakten und der Klageerwiderung voraussetzt (wie BayVGH BeckRS 2004, 29732). Legt der Beklagte Letztere verspätet vor, tritt Bewilligungsreife bereits dann ein, wenn eine unangemessen Zeit seit der Aufforderung zur Stellungnahme und Aktenübermittlung verstrichen ist.  (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Bei einem Asylbewerber ist dann ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt iSv § 44 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 AufenthG zu erwarten und liegt demnach eine gute Bleibeperspektive vor, wenn er aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommt oder bei ihm eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ob auch derjenige Asylbewerber eine gute Bleibeperspektive besitzt, dem das Bundesamt allein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich seines Herkunftsstaats zuerkannt hat, stellt eine schwierige, nur in einem Hauptsacheverfahren zu beantwortende Rechtsfrage dar. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

Dem Kläger wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin …, Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe

I.
Mit Bescheid vom 4. Mai 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen am 29. Februar 2016 gestellten Zulassungsantrag des – nach seinen Angaben aus Afghanistan stammenden – Klägers zum Integrationskurs ab. In der Begründung hieß es, dass eine gute Bleibeperspektive für Asylbewerber bestehe, wenn sie die Staatsangehörigkeit eines Herkunftslandes mit einer hohen Schutzquote besitzen und die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, dass aber der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht die Staatsangehörigkeit eines solchen Herkunftslandes besitze.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 6. Juni 2016 Widerspruch; es sei von einer guten Bleibeperspektive auszugehen, der Kläger sei Vater von neun Kindern und es sei davon auszugehen, dass für diese ein Abschiebeverbot festgestellt werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2016 wies das BAMF den Widerspruch als unbegründet zurück; nach den dort vorliegenden Erkenntnissen sei der Kläger afghanischer Staatsbürger, so dass in seinem Fall derzeit nicht von einer guten Bleibeperspektive ausgegangen werden könne.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 29. Juli 2016 erhob der Kläger Klage auf Verpflichtung der Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts den Antrag auf Zulassung zum Integrationskurs erneut zu bescheiden. Er ließ darauf verweisen, dass er 2014 mit zwei Ehefrauen und zehn Kindern eingereist sei und dass im Hinblick auf die Größe der Familie und die Rechtsprechung zur Sicherung des Existenzminimums in Afghanistan ohne weiteres davon auszugehen sei, dass der Familie im Klageverfahren Abschiebungsschutz gewährt werde; außerdem sei im Hinblick auf die erfolgreich laufende Ausbildung der Kinder von einem späteren humanitären Aufenthalt, sei es nach § 25 Abs. 4 AufenthG, sei es nach §§ 25a oder b AufenthG, auszugehen.
Zugleich ließ der Kläger beantragen,
ihm für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, und mit Schreiben vom 8. August 2016 die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse samt Anlagen nachreichen.
Mit Schreiben vom 15. November 2016 trat das BAMF der Klage entgegen und führte aus, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Zulassung zum Integrationskurs gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 AufenthG nicht erfülle; für ihn bestehe keine gute Bleibeperspektive, weil er im Rahmen seiner Anhörung im Asylverfahren keine Asylgründe habe darlegen können. Mit Bescheid vom 4. Juli 2016 sei dem Kläger weder die Flüchtlingseigenschaft noch ein subsidiärer Schutzstatus zuerkannt worden, der Asylantrag sei abgelehnt worden und es sei auch festgestellt worden, dass Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen; der Kläger sei aufgrund dessen zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung aufgefordert worden. Im Rahmen der dagegen erhobenen Klage sei der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mit Beschluss des VG Greifswald vom 21. Oktober 2016 abgelehnt worden mit der Begründung, dass der Kläger keine vollständige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben habe. Die Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache stehe noch aus. Im Hinblick auf die Begrenztheit der verfügbaren Plätze müsse die Beklagte unter Berücksichtigung der dargestellten Umstände des Einzelfalls eine Ermessensentscheidung treffen (§ 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Das Vorliegen anderer Gründe bzw. Tatsachen, die für eine gute Bleibeperspektive sprächen, sei nicht ersichtlich.
Mit Urteil vom 23. November 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht Greifswald das BAMF auf die Klage des Klägers, (u.a.) bei diesem ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Afghanistan festzustellen. In der Folge stellte das BAMF mit Bescheid vom 16. Februar 2017 fest, dass (u.a.) beim Kläger das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich der I. R. Afghanistan vorliegt.
Die Klägerbevollmächtigte, die zunächst nur ergänzend geltend gemacht hatte, dass inzwischen mehr als 50% der afghanischen Staatsangehörigen im Rahmen des Asylverfahrens ein Aufenthaltsrecht erhielten, verwies sodann auf dieses Urteil und den Bundesamtsbescheid vom 16. Februar 2017.
Das BAMF erklärte dazu mit Schreiben vom 27. März 2017, dass der Kläger nach Auffassung der Beklagten keinen Zulassungsanspruch nach § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 AufenthG habe; sollte er eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG vorlegen, werde geprüft, ob eine Abhilfeentscheidung gemäß § 44 Abs. 4 AufenthG in Betracht komme.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers entgegnete mit Schreiben vom 5. Juli 2017, dass aufgrund des Urteils und des Bescheids ganz offensichtlich von einer Bleiberechtsperspektive auszugehen sei. Es komme insbesondere nach § 44 Abs. 4 AufenthG nicht darauf an, ob die Ausländerbehörde bereits eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt habe. Es sei im Übrigen widersinnig, in einem offenkundigen Anspruchsfall auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG auf die Erteilung durch die Ausländerbehörde zu warten, wenn die Beklagte selbst das Abschiebungsverbot festgestellt habe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Bundesamtsakte zum Integrationskurszulassungsverfahren des Klägers Bezug genommen.
II.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist stattzugeben. Prozesskostenhilfe ist gemäß §§ 166 VwGO, 114 ZPO auf Antrag einem Beteiligten zu bewilligen, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung der Frage, ob eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage gegeben ist, ist der Zeitpunkt der Entscheidungs- bzw. Bewilligungsreife (BayVGH, B.v. 4.2.2003 – 12 C 02.1942 – und B.v. 28.4.2003 – 12 C 03.488). Als Zeitpunkt der Entscheidungsreife wird grundsätzlich der Zeitpunkt nach Eingang der Behördenakten und der Klageerwiderung angenommen (BayVGH, B.v. 28.12.2004 – 12 CE 04.2960 – u.a.). Erfolgt diese Vorlage von Seiten des/r Beklagten allerdings verzögert, so tritt dieser Zeitpunkt grundsätzlich bereits ein, wenn eine unangemessene Zeit seit der Aufforderung zur Stellungnahme und Aktenübermittlung verstrichen ist.
Maßstab für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfe-Bewilligungsgesuch ist das vom Grundgesetz aufgestellte Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation der Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtschutzes. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten in einer den Unbemittelten benachteiligenden Weise nicht überspannt werden. Prozesskostenhilfe muss zwar danach nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Frage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber in Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als schwierig erscheint (BVerfG, B.v. 13.3.1990 – 2 BvR 1439/88). Hinreichende Erfolgsaussicht in diesem Sinne besteht jedoch zum Beispiel dann, wenn die Entscheidung von rechtlich oder tatsächlich schwierigen Fragen abhängig ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 28.4.2003 – 12 C 03.488) oder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife die Möglichkeit einer entscheidungserheblichen Beweisführung besteht (BayVGH, B.v. 4.2.2003 – 12 C 02.1942).
Gemessen an diesen Grundsätzen besitzt die vorliegende Klage hinreichende Erfolgsaussichten. Denn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife (vgl. oben) stellen sich die Erfolgsaussichten als zumindest offen dar.
Für diesen Zeitpunkt, der hier im Dezember 2016 anzusetzen ist, gelten folgende Überlegungen: Der Kläger kann zwar weder auf den Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG noch auf den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verweisen, so dass Erfolgsaussichten nicht nach § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 2 oder 3 AufenthG in Betracht kommen. Der Kläger kann jedoch auch gem. § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG dann im Rahmen verfügbarer Kursplätze zum Integrationskurs zugelassen werden, wenn er eine Aufenthaltsgestattung besitzt und sein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten ist. Zum maßgeblichen Zeitpunkt hiesiger Entscheidungsreife bezüglich des Prozesskostenhilfeantrags war der Kläger im Besitz einer Aufenthaltsgestattung, so dass die Prozesskostenhilfebewilligung von der Einschätzung der Bleibeperspektive des Klägers – zum damaligen Zeitpunkt – abhängt. Eine Legaldefinition, wann ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, ist nicht vorhanden. Nach der Intention des Gesetzgebers soll über die in § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 bis 3 AufenthG genannten Voraussetzungen der Kreis der Ausländer auf diejenigen eingegrenzt werden, die eine gute Bleibeperspektive haben; nach der Gesetzesentwurfsbegründung in BT-Drs18/6185, S. 48 f., sollen von Nr. 1 Asylbewerber erfasst sein, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht. Ob dies dann vorliegt, wenn – wie hier – in der Entscheidung über den Asylantrag des Betreffenden diesem (nur) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt worden ist, stellt dabei eine schwierige Rechtsfrage dar, die nur aufgrund eingehender Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften beantwortet werden kann, was nicht Gegenstand des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens sein darf, sondern einem Klageverfahren vorbehalten bleiben muss. Zu dieser Frage gibt es auch, soweit ersichtlich, keine gesicherte obergerichtliche Rechtsprechung, weshalb von den Erfolgsaussichten der Klage her die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfebewilligung vorliegen.
Dahinstehen kann dabei, was aber hier mit Blick auf die anstehende Entscheidung im Klageverfahren angemerkt wird, dass aufgrund des zeitlich nachfolgenden Abschlusses des Asylverfahrens die Aufenthaltsgestattung des Klägers entfallen sein dürfte, weshalb es nunmehr möglicherweise entscheidungserheblich darauf ankommt, ob der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis tatsächlich beantragt und erlangt hat bzw. ggf. warum nicht, was – soweit nicht, was ebenfalls zur Debatte steht, die erfolgte Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG schon an sich einen Zulassungsanspruch eröffnet – weiterer Aufklärung bedarf.
Da der Kläger mit der am 10. August 2016 eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse samt Anlagen auch dargetan hat, dass er die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung erfüllt, ist hier im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren jedenfalls dem Bewilligungsantrag des Klägers unter Rechtsanwaltsbeiordnung gemäß § 121 Abs. 2 ZPO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 2 und 3 ZPO).

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