Verwaltungsrecht

Situation der Benadiri in Mogadischu

Aktenzeichen  20 ZB 17.31130

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128936
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 138 Nr. 6

 

Leitsatz

1. Ob ein gefahrerhöhender Umstand vorliegt, ist immer eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob in der Person eines Ausländers ein gefahrerhöhender Umstand (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) vorliegt, ist immer nach der individuellen Situation des Ausländers und des jeweiligen Clans, zu dem der Ausländer im konkreten Fall gehört, in der jeweiligen Herkunftsregion zu beantworten. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zugehörigkeit zum Clan bzw. zur Volksgruppe der Benadiri oder Reer Hamar stellt für einen somalischen Staatsangehörigen aus Mogadischu nicht generell einen gefahrerhöhenden Umstand iSv § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG dar. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 17.30323 2017-07-14 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. Juli 2017 hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe entweder nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt wurden oder aber nicht vorliegen.
1. Der Kläger macht einerseits eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung von den Urteilen des Senats vom 17. März 2016 (20 B 13.30233) und vom 7. April 2016 (20 B 14.30101) insoweit geltend, als der Senat dort für einen jungen Mann aus einem somalischen Mehrheits-Clan keinen subsidiären Schutz gewährt habe. Um den Zulassungsgrund der Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ausreichend darzulegen, ist die Divergenzentscheidung zweifelsfrei zu benennen und darzulegen, welcher Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz dazu im Widerspruch steht (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73 u.V.a. BVerwG, NVwZ 2008, 1115/1118). Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Zulassungsantrags nicht. Denn dieser benennt zwar die obergerichtlichen Entscheidungen, von denen seiner Auffassung nach die angefochtene Entscheidung abweicht. Allerdings fehlt es bereits an einer Benennung eines Rechts- oder Tatsachensatzes, der in dem angefochtenen Urteil aufgestellt werde. Insoweit beschränkt sich der Zulassungsantrag vielmehr auf die Angabe, dass das Gericht den Kläger fälschlich wie ein Mitglied eines Mehrheits-Clans behandle. Damit lässt der Kläger jedoch erkennen, dass das Verwaltungsgericht nicht einen von den genannten Entscheidungen des Senats abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat, sondern dass er letztendlich die unrichtige Anwendung der genannten obergerichtlichen Rechtsprechung geltend macht im Sinne des im Asylrecht nicht einschlägigen Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
2. Soweit der Kläger eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG von dem Urteil des Senats vom 7. April 2016 (20 B 14.30101) insoweit geltend macht, als dort die Zugehörigkeit zu einem Minderheiten-Clan bei einem somalischen Staatsangehörigen aus der Provinz Hiiraan einen gefahrerhöhenden Umstand begründet habe, während das angefochtene Urteil genau dies verneint habe, liegt eine Divergenz des angefochtenen Urteils von dem genannten Urteil des Senats tatsächlich nicht vor.
Denn in dem Urteil des Senats vom 7. April 2016 ist entgegen der Auffassung des Klägers kein Rechtssatz dergestalt enthalten, dass die Zugehörigkeit zu einem somalischen Minderheiten-Clan immer einen gefahrerhöhenden Umstand darstellt. Vielmehr ist die Frage, ob in der Person eines Klägers ein gefahrerhöhender Umstand im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris, und v. 17.11.2010 – 10 C 13.10 – juris) vorliegt, immer nach der individuellen Situation des Klägers und des jeweiligen Clans, zu dem der Kläger im konkreten Fall gehört, in der jeweiligen Herkunftsregion zu beantworten. Ob ein gefahrerhöhender Umstand vorliegt ist daher immer eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.
Gegen die Annahme, dass die Zugehörigkeit zum Clan bzw. zur Volksgruppe der Benadiri oder Reer Hamar für einen somalischen Staatsangehörigen aus Mogadischu generell einen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG darstellt, sprechen im Übrigen (ohne dass es hierauf für die Entscheidung über den Zulassungsantrag ankommt) auch gewichtige Gründe. Bei dieser Volksgruppe handelt es sich, wie der Zulassungsantrag zutreffend ausführt, um die Nachkommen von Einwanderern, die seit dem 12. Jahrhundert aus Arabien, Persien und möglicherweise auch aus Südasien gekommen waren. Sie unterscheiden sich von der Mehrheit der Somali durch eine hellere Hautfarbe. Der Name Benadiri leitet sich von der Benadirküste, an der Mogadischu liegt, ab. Die synonym benutzte Bezeichnung Reer Hamar entstammt von dem alten Namen „Hamar“ für Mogadischu, weshalb Reer Hamar letztlich Leute von Mogadischu bedeutet (vgl. den vom Zulassungsantrag zitierten Eintrag bei Wikipedia; außerdem BAMF, Informationszentrum Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, S. 8f).
Auch wenn die Bevölkerungsgruppe während der frühen Bürgerkriegsjahre in Mogadischu immer wieder Gefahr lief, in die Konflikte zwischen den militärisch stärkeren Hawiye-Sub-Clans zu geraten, so ist diese schon seit Ende der 2000er Jahre nicht mehr als „machtlos“ anzusehen und wurde schon zu dieser Zeit nur selten Ziel von Angriffen durch andere Clans (vgl. im Einzelnen Gunkel in ACCORD, Clans in Somalia, Bericht zum Vortrag beim COI-Workshop in Wien am 15.Mai 2009, S. 19f). Inzwischen gibt es in Mogadischu aber keine Clanmilizen und keine Clangewalt mehr (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia, 25.4.2016, S. 22). Anhaltspunkte dafür, dass die Bevölkerungsgruppe in besonderem Maße im Fokus der Al-Shabaab steht, werden nicht berichtet. Auch die Zugehörigkeit zu dem zahlenmäßig kleinen Clan bzw. der Volksgruppe der Benadiri begründet daher in der Situation von Mogadischu zum heutigen Zeitpunkt allgemein gesehen keinen Gefahr erhöhenden Umstand.
3. Die Darlegung des geltend gemachten Begründungsmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO) verlangt, dass dieser in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht konkret bezeichnet wird (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 74). Vorliegend fehlt es bereits an einer konkreten Angabe, inwiefern eine Begründung der Entscheidung fehle. Im Übrigen liegt aber auch kein Begründungsmangel vor. Denn eine Entscheidung ist nur dann nicht im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen, wenn eine Begründung entweder überhaupt oder zu wesentlichen Streitpunkten unterblieben ist. Die Gründe müssen in sich gänzlich lückenhaft sein, weil einzelne Streitgegenstände oder Streitgegenstandsteile vollständig übergangen worden sind. Nicht ausreichend ist, wenn lediglich einzelne Tatumstände oder Anspruchselemente unerwähnt geblieben sind oder wenn sich eine hinreichende Begründung aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe erschließen lässt (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 138 Rn. 56 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das verwaltungsgerichtliche Urteil rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.

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