Europarecht

Antrag auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss eines behördlichen Disziplinarverfahrens

Aktenzeichen  M 19L DA 17.2630

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 161880
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 51, Art. 60

 

Leitsatz

Ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens fehlt, wenn eine unangemessene Verzögerung vorliegt, wenn also die Sachaufklärung und die Entscheidung über eine Einstellung des Verfahrens, den Erlass einer Disziplinarverfügung oder die Erhebung der Disziplinarklage nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind (Köhler in Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 6. Aufl. 2016, § 62 Rn. 10. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Dem Antragsgegner wird zum Erlass einer Disziplinarverfügung, zur Erhebung einer Disziplinarklage oder zur Einstellung des Disziplinarverfahrens eine Frist von drei Monaten ab Zustellung dieses Beschlusses gesetzt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsbeamter beim Freistaat Bayern und dem Landratsamt Rosenheim zur Dienstleistung zugewiesen. Mit Wirkung zum 1. April 2009 wurde er zum … ernannt. Der Antragsteller war vom 1. November 2003 bis zum 31. Dezember 2014 bei der Sozialhilfeverwaltung des Landkreises … tätig. Am 1. Januar 2005 wurde er auf freiwilliger Basis zur damaligen Arbeitsgemeinschaft für Arbeit und Soziales im Landkreis … abgeordnet. Vom 14. Mai 2012 bis 30. Juni 2017 war er als Sachbearbeiter im Sachgebiet … – … … im Bereich der Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – eingesetzt. Seit 1. Juli 2017 ist er im … des Landkreises … mit der Sachbearbeitung im Bereich der Leistungen für Bildung und Teilhabe im kommunalen Bereich betraut. Der Antragsteller hat einen Grad der Behinderung von 30%.
Mit Disziplinarverfügung vom 30. November 2016 leitete das Landratsamt Rosenheim gegen ihn ein Disziplinarverfahren ein. Mit Schreiben vom selben Tag, zugestellt am 14. Dezember 2016, setzte es ihn hiervon in Kenntnis und räumte ihm Gelegenheit zur Äußerung ein. Dem Antragsteller wird vorgeworfen, seinen Aktenbestand aus dem Asylbewerberleistungsbereich nicht nach der internen Dienstanweisung geführt zu haben, in einem Leistungsfall die Gewährung des Mehrbedarfs Schwangerschaft falsch gehandhabt zu haben, in einem weiteren Leistungsfall hinsichtlich der Krankenversicherung und der Fahrtkosten unrichtig vorgegangen zu sein, in mehreren Fällen den Eigenanteil von 1 € pro Mahlzeit nicht von den Leistungen für Bildung und Teilhabe abgezogen zu haben, in einem weiteren Fall unrichtigerweise einen Krankenbehandlungsschein ausgestellt zu haben, in vier Fällen Schulbeihilfe in Form einer Einmalzahlung von 100 € – statt in zwei Teilzahlungen in Höhe von 70 € und 30 € – ausbezahlt zu haben und an einer Teambesprechung am 22. Juni 2016 entschuldigt nicht teilgenommen zu haben. Der Antragsteller äußerte sich mit Schreiben vom 19. Dezember 2016 ausführlich zu den Vorwürfen; dabei wies er insbesondere auf eine Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit durch eine chronische Krankheit und das infolge der sprunghaft angestiegenen Asylbewerberzahlen nicht zu bewältigende Arbeitspensum auf seiner Stelle hin.
Die Regierung von Oberbayern teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 30. Januar 2017 mit, dass in Absprache mit dem Landratsamt Rosenheim beabsichtigt sei, das zuständige Gesundheitsamt mit der Prüfung seiner Dienstfähigkeit und der Klärung der Möglichkeit von Unterstützungsangeboten für seine Genesung zu beauftragen. Im Rahmen der ärztlichen Untersuchung solle geprüft werden, inwieweit seine gesundheitliche Verfassung Einfluss auf die vorgeworfenen Verfehlungen gehabt habe. Mit weiterem Schreiben vom 20. Februar 2017 teilte die Regierung von Oberbayern ihm mit, dass sie das Gesundheitsamt Miesbach mit der Untersuchung beauftragt habe. Vom Ergebnis der am 16. März 2017 durchgeführten Untersuchung setzte die Regierung von Oberbayern das Landratsamt Rosenheim mit Schreiben vom 5. Juli 2017 in Kenntnis.
Der Antragsteller erhob bereits am 13. Juni 2017 „Untätigkeitsklage“ zum Verwaltungsgericht München und beantragte im Hinblick auf die Verfahrensdauer, über das Disziplinarverfahren zu entscheiden. Die Anfrage des Gerichts vom 7. August 2017, ob seine Klage als Antrag nach Art. 60 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) auszulegen sei, bejahte er mit Schreiben vom 7. August 2017.
Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom 16. August 2017 die Behördenakten vor und beantragte,
„die Klage abzuweisen“.
Er führte aus, die Klage sei bereits unzulässig, weil § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht einschlägig sei. Die Klage sei auch unbegründet. Da der Antragsteller in seiner Stellungnahme auf seine angegriffene Gesundheit hingewiesen habe, habe es dringend geboten erschienen, zunächst seine gesundheitliche Verfassung und deren Auswirkung auf die ihm vorgeworfenen Dienstvergehen untersuchen zu lassen, zumal auch eine Dienstunfähigkeit nicht auszuschließen gewesen sei. Insoweit sei sogar die formelle Aussetzung des Verfahrens nach Art. 24 Abs. 3 BayDG in Frage gekommen. Ergänzend werde mitgeteilt, dass das Disziplinarverfahren aufgrund neuer Vorwürfe ausgedehnt und zügig fortgeführt werde.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die von dem Antragsteller erhobene und nicht statthafte „Untätigkeitsklage“ nach § 75 VwGO ist als Antrag auf Fristsetzung nach Art. 60 BayDG auszulegen. Dies hat der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt. Das Gericht ist nach § 88 VwGO an die Fassung der Anträge nicht gebunden, sondern gehalten, auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuwirken.
Der so ausgelegte Antrag hat Erfolg.
Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayDG kann der Beamte bei Gericht die Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen, wenn ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Einstellung, durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden ist. Liegt ein zureichender Grund für ein länger als sechs Monate dauerndes behördliches Disziplinarverfahren nicht vor, bestimmt das Gericht nach Art. 60 Abs. 2 Satz 1 BayDG eine Frist, in der das Disziplinarverfahren abzuschließen ist.
Der Antragsgegner hat das Disziplinarverfahren mit Schreiben vom 30. November 2016 eingeleitet (vgl. Art. 19 Abs. 1 BayDG), so dass im maßgeblichen Zeitpunkt dieses Beschlusses mehr als sechs Monate vergangen sind.
Ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens ist nicht gegeben.
Ein solcher fehlt, wenn eine unangemessene Verzögerung des Disziplinarverfahrens vorliegt, wenn also die Sachaufklärung und die Entscheidung über eine Einstellung des Verfahrens, den Erlass einer Disziplinarverfügung oder die Erhebung der Disziplinarklage nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind (vgl. Köhler in Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 6. Aufl. 2016, § 62 Rn. 10). Ein eventuelles säumiges Verhalten der für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständigen Behörde muss dabei schuldhaft sein (BVerwG, B.v. 11.8.2009 – 2 AV 3.98 – juris Rn. 2).
Wie sich aus der vorgelegten Behördenakte ergibt, handelt es sich vorliegend nicht um ein komplexes Verfahren. Im Mittelpunkt steht der Vorwurf an den Antragsteller, er habe seine Dienstgeschäfte nicht ordnungsgemäß wahrgenommen, so Akten nicht nach der internen Dienstanweisung geführt, Leistungen unrichtig gewährt und an einer Teambesprechung entschuldigt gefehlt. Nach der Äußerung des Antragstellers mit Schreiben vom 19. Dezember 2016 leitete der Antragsgegner Ende Januar 2017 bei der Regierung von Oberbayern eine Untersuchung des Antragstellers zur Klärung seiner Dienstfähigkeit und von Unterstützungsmöglichkeiten in die Wege. Diese Untersuchung war schließlich mit dem Bericht der Regierung von Oberbayern vom 5. Juli 2017 zur gesundheitlichen Eignung des Antragstellers abgeschlossen. Seit Erhalt dieses Berichts – und damit seit mehr als zwei Monaten – hat der Antragsgegner das Disziplinarverfahren nach den dem Gericht vorgelegten Unterlagen nicht fortgeführt. Auch hat er nach der Einschaltung der Regierung von Oberbayern Ende Januar 2017 über den Zeitraum von immerhin vier Monaten dort nicht nach dem Verfahrensstand gefragt und auf eine Beschleunigung hingewirkt. Auf die Möglichkeit einer Aussetzung nach Art. 24 Abs. 3 Satz 1 BayDG kann sich der Antragsgegner nicht berufen, da eine solche gerade nicht erfolgt ist.
Ihm war daher eine Frist zu setzen, innerhalb der das Disziplinarverfahren abzuschließen ist. Das Gericht hält hier eine Frist von drei Monaten für ausreichend. Dabei wird einerseits dem Interesse des Antragstellers an einem zügigen Abschluss des Verfahrens Rechnung getragen, andererseits verbleibt dem Antragsgegner ein ausreichender zeitlicher Spielraum, in dem er die Ermittlungen fortsetzen und zum Abschluss bringen kann, dies gegebenenfalls unter Ausdehnung der Vorwürfe.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 60 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Art. 51 Abs. 2 Satz 4 BayDG).

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