Aktenzeichen M 16 K 16.3881
Gast § 4 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz
Bei der Prognose, ob die die Annahme der gaststättenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigende wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit fortbestehen wird, sind die Gründe, die zur wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben, nicht entscheidend. Maßgebend sind allein die Aussichten für deren Beendigung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Widerruf der dem Kläger erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnis war nicht gerechtfertigt, da die Annahme, dass der Kläger die für den Gaststättenbetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, nicht von hinreichenden Tatsachen getragen war.
Gemäß § 15 Abs. 2 GastG ist die Gaststättenerlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG rechtfertigen würden. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG ist die beantragte Gaststättenerlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Betrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Der Begriff der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG stimmt mit dem des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO überein (vgl. BVerwG, B.v. 23.9.1991 – 1 B 96/91 – juris Rn. 4).
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris). Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folgt, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankommt. Dies gilt auch dann, wenn es um Steuerrückstände geht (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris Rn. 4).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids als eines rechtsgestaltenden Verwaltungsakts (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 15.12.2010 – 22 ZB 10.2293 – juris Rn. 3). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2012 – 22 ZB 12.787 – juris Rn. 16).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Steuerrückstände dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung. Die Steuerrückstände, die zur Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen können, sind solche nicht gezahlten Steuern, die der Steuerschuldner von Rechts wegen bereits hätte zahlen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97- juris Rn. 5).
Bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit muss von einem Gewerbetreibenden im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs erwartet werden, dass er ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Diese – durch die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung begründete – Erwartung ist der eigentliche Grund, den wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als unzuverlässig zu bewerten. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – juris Rn. 15). Da es entscheidend darauf ankommt, ob erkennbar ist, dass und wie die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit künftig in einem hinnehmbaren Zeitraum beendet und damit Gefahren für andere Gewerbetreibende, Kunden, die öffentliche Hand, andere Stellen und die Rechtsordnung insgesamt abgewendet werden können, sind für diese Prognose die Gründe, die zur wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben, nicht entscheidend; maßgeblich sind alleine die Aussichten für deren Beendigung (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2016 – 22 ZB 16.253 – juris Rn. 9).
Unter Berücksichtigung dessen ist bei einer Gesamtbetrachtung und Würdigung aller maßgeblichen Umstände im Zeitpunkt des Bescheidserlasses die negative Prognose hinsichtlich der ordnungsgemäßen Ausübung des Gaststättengewerbes durch den Kläger für die Zukunft nicht gerechtfertigt.
Ausgangspunkt für die Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens war die mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom … Februar 2016 (Az.: …) erfolgte Verurteilung des Klägers wegen Steuerhinterziehung in drei tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen tateinheitlich mit je zwei weiteren Vergehen der Steuerhinterziehung. Dem lag zugrunde, dass im Rahmen von Ermittlungen der Steuerfahndung bei einem Großhandel für Gastronomie festgestellt worden war, dass verschiedenen Kunden, darunter dem Kläger, neben den Einkäufen unter der offiziellen Kundennummer auch umfangreiche Einkäufe für sog. „Eigenbedarf“ ermöglicht worden waren. Im Wege einer Kontrollmitteilung waren dem Finanzamt Erkenntnisse zu diesbezüglichen Warenlieferungen an das Restaurant des Klägers mitgeteilt worden. Dies war dort zum Anlass genommen worden, die sachliche Richtigkeit der Betriebsergebnisse u.a. mittels Nachkalkulation zu überprüfen. Aufgrund erheblicher nicht sachlich klärbarer Differenzen zu den erklärten Betriebsergebnissen war zu folgern gewesen, dass Einnahmen und Umsätze nicht vollständig erklärt und versteuert worden waren. Es wurden Steuerverkürzungen durch den Kläger von insgesamt 29.058,- Euro angenommen (jeweils Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2010 bis 2012). Aus den Einzelstrafen für die einzelnen Veranlagungszeiträume in Höhe von 45, 40 und 120 Tagessätzen wurde eine Gesamtstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen gebildet. Zwar handelt es sich bei den über einen längeren Zeitraum hinweg begangenen Straftaten um gewerbebezogene und im Hinblick auf den beträchtlichen verkürzten Steuerbetrag auch nicht geringfügige Vergehen, wie auch das Strafmaß zum Ausdruck bringt. Allerdings handelt es sich um eine erstmalige strafrechtliche Verurteilung und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich der Kläger die Strafe nicht zur Warnung diesen lassen würde. Wie sich aus dem in der Strafakte befindlichen Schlussvermerk des Finanzamts … vom … Februar 2016 zum Strafbefehlsentwurf ergibt, wurde bei der Strafzumessung zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass er an der vollständigen Aufklärung des Sachverhalts tatkräftig mitgewirkt und sich über seine steuerliche Vertreterin einsichtig gezeigt hatte. Teilweise war eine Schadenswiedergutmachung erfolgt, die verkürzte Steuer war zum Teil beglichen worden und der Kläger bediente das Finanzamt regelmäßig per Ratenzahlung. Ein ernstlicher Wille zur vollständigen Schadenswiedergutmachung war erkennbar, es bestanden keine einschlägigen Vorstrafen. Auch in Bezug auf die verhängte Geldstrafe hatte sich der Kläger zeitnah um eine Ratenzahlungsvereinbarung bemüht, die er auch fortlaufend eingehalten hat. Eine negative Zuverlässigkeitsprognose ließ sich daher allein auf die strafrechtliche Verurteilung des Klägers nicht stützen.
Die Ermittlungen der Beklagten hatten zudem ergeben, dass der Kläger bei der Stadtkasse Gewerbesteuerrückstände in Höhe von ca. 15.000,- Euro hatte, zudem bestand zunächst ein Beitragsrückstand bei der AOK in Höhe von 8.027,77 Euro (seit 1. Februar 2016 – Teilmonat), der im Folgenden – noch vor Erlass des Bescheids – beglichen wurde. Von Seiten des Finanzamts war mitgeteilt worden, dass im November 2015 eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen worden sei, die eingehalten werde (Rückstandshöhe zum Stand 9. Mai 2016: 33.071,- Euro). Wie das Finanzamt weiter auf Anfrage des Gerichts mit Schreiben vom 4. Juli 2017 mitgeteilt hat, bestanden zum Stand 25. Juli 2016 in Bezug auf Umsatzsteuern noch Rückstände in Höhe von 541,73 Euro betreffend das Jahr 2014. Die aufgrund einer Außenprüfung nachgeforderten Umsatzsteuern 2010 bis 2013 in Höhe von insgesamt 17.090,- Euro waren zum 25. Juli 2016 im Rahmen einer Ratenzahlungsvereinbarung bereits vollständig beglichen. Die Einkommensteuerrückstände waren im Rahmen einer Stundung mit Ratenzahlung vereinbarungsgemäß und fortlaufend reduziert worden. Bei der Stadtkasse bestanden nach Mitteilung vom 11. Juli 2017 zum Stand 25. Juli 2016 Gewerbesteuerrückstände (einschließlich Nebenforderungen) in Höhe von 6.887,40 Euro. Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 24. März 2016 war zu diesem Zeitpunkt jedoch ausgesetzt, da der Kläger monatliche Teilzahlungen leistete. Insgesamt waren somit zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses die Rückstände entweder bereits ausgeglichen (AOK) oder wurden vom Kläger im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarungen fortlaufend und zuverlässig bedient. Der Kläger war auch unabhängig von dem Gewerbeuntersagungsverfahren bemüht, seine Rückstände zurückzuführen, da die Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen worden waren, bevor der Kläger von dem Verfahren Kenntnis erlangte (Anhörungsschreiben vom 10. Mai 2016). Das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit seinen Rückständen war daher ebenfalls nicht geeignet, hinreichende Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit zu begründen. Auf der Grundlage seines Rückführungsverhaltens war nicht davon auszugehen, dass es zu weiteren Rückständen bei öffentlichen Kassen kommen würde. Zudem war eine zuverlässige Tilgung der Rückstände anzunehmen.
Soweit die Beklagte von einer dauernden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Klägers ausgegangen ist, fehlt es hierfür an hinreichenden Anhaltspunkten. Einträge im Schuldnerverzeichnis bestanden nicht. Zwar waren zum Teil Pfändungsmaßnahmen erfolgt, der Kläger war jedoch erfolgreich bemüht, diese wieder abzuwenden. Die aufgelaufenen Rückstände standen auch in unmittelbarem Zusammenhang mit den nicht unerheblichen Rückforderungen aus den Steuerverkürzungen. Insoweit ist es auch nachvollziehbar, dass der Kläger für die Schuldentilgung auch auf Schenkungen und Privatdarlehen zurückgegriffen hat. Die Gefahr einer weiteren Schädigung der Allgemeinheit oder sonstiger Gläubiger lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten. Auch die Aufstellung der monatlichen Ausgaben des Klägers, die nicht unerheblich durch die Rückführung der Rückstände mitbestimmt waren mit der Folge einer künftigen Reduzierung, standen nicht in einem derart deutlichen Missverhältnis zu den Einnahmen, dass sich schon hieraus die zuverlässige Prognose einer fortdauernden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit hätte ableiten lassen können. Da somit keine hinreichenden Tatsachen für die Annahme einer anhaltenden mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers vorlagen, konnte auch das Fehlen eines nach Auffassung der Beklagten ausreichenden Sanierungskonzepts nicht die Annahme einer gaststättenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers tragen.
Soweit nach einer Mitteilung des zuständigen Landratsamts lebensmittelrechtliche Defizite vorlagen, hat die Beklagte dem offensichtlich keine relevante Bedeutung beigemessen, da sie hierauf im Laufe des Verfahrens keinerlei Bezug genommen hat. Weiterhin ergeben sich aus der Behördenakte auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Steuererklärungen des Klägers ausstehend und erst nachträglich abgegeben worden wären.
Auch nach einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände war nach Auffassung des Gerichts die damalige negative Zukunftsprognose zur Zuverlässigkeit nicht gerechtfertigt. Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, ergeben sich auch aus dem weiteren Verhalten des Klägers nach Erlass des Bescheids keine negativen Erkenntnisse, insbesondere hat er seine Bemühungen zur Tilgung der Rückstände weiterhin unbeanstandet fortgesetzt.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.