Baurecht

Befreiung von der Straßenreinigungspflicht

Aktenzeichen  8 ZB 15.1586

Datum:
30.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 124749
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1 Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse Verfahrensbeteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem ist nicht klärungsbedürftig. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 14.1771 2015-05-20 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine ihr obliegende Straßenreinigungspflicht.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks P.- …-Straße, FlNr. … der Gemarkung L. (…). Das Wohngrundstück grenzt im Norden an die R. Straße, die in diesem Bereich zur Staats Straße … gehört.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2014 beantragte die Klägerin die Befreiung von der Reinigungspflicht betreffend die Straßenrinne an der R. Straße, da diese aufgrund hohen Verkehrsaufkommens mit Gefahren für Leib und Leben verbunden sei.
Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 10. November 2014 unter Hinweis darauf ab, dass keine so starke Verkehrsbelastung vorliege.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 20. Mai 2015 verpflichtet, die Klägerin von der Reinigungspflicht vor ihrem Grundstück in der R. Straße zu befreien, soweit diese die Entfernung von Gras und Unkraut (bis max. 1 m Fahrbahntiefe) umfasst.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 5 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Der von der Beklagten gerügte Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt und liegt auch nicht vor.
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn substanziiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlicher Umstände der Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 8.7.2009 – 4 BN 12.09 – juris Rn. 7). Darüber hinaus setzt die geltend gemachte Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung die Darlegung voraus, dass die unterbliebene Aufklärung – hier also die unterbliebene Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Verkehrsbelastung im streitgegenständlichen Straßenbereich – in dem Verfahren rechtzeitig gerügt worden ist (BVerwG, B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – juris Rn. 25). Daran fehlt es hier. Wie sich aus dem Sitzungsprotokoll (S. 67 ff. des Akts des Erstgerichts) ergibt, hat der Bevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 20. Mai 2015 die Einholung eines Sachverständigengutachtens weder förmlich beantragt noch angeregt. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse Verfahrensbeteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – juris Rn. 2). Daher muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren der Vorinstanz auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisaufnahme bzw. die bezeichneten Ermittlungen dem Gericht auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr; BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 28.7.2008 – 8 B 31.08 – juris Rn. 4).
Daran fehlt es hier. Das Erstgericht hat bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Reinigungsverpflichtung nicht nur auf die Verkehrsbelastung, sondern insgesamt auf die tatsächliche verkehrliche Situation vor Ort abgestellt (vgl. S. 12 des Ersturteils). Hierzu hat es durch Augenschein Beweis erhoben und anschließend den Beteiligten seine vorläufige Einschätzung mitgeteilt (Schreiben vom 23.3.2015, S. 58 des Akts des Erstgerichts). Dem ist die Beklagte nicht substanziiert entgegengetreten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 20. Mai 2015 hat sie lediglich ihr bisheriges Vorbringen wiederholt bzw. vertieft, ohne eine weitere Beweisaufnahme zu beantragen oder anzuregen.
2. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergeben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Insoweit fehlt es größtenteils bereits an der erforderlichen, den Streitstoff durchdringenden Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Der Vortrag der Beklagten, die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen des Erstgerichts seien unvollständig und teilweise nicht nachvollziehbar, greift nicht durch. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung können zwar auch aus der unzureichenden Ermittlung und Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts resultieren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124 Rn. 7b m.w.N.). Entsprechend den obigen Ausführungen ist ein Aufklärungsmangel durch das Erstgericht jedoch nicht ersichtlich.
Im Übrigen ist auch nicht fraglich, dass das Verwaltungsgericht der Klage zu Recht teilweise stattgegeben hat. Das Vorbringen der Beklagten im Zulassungsverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der zur Tatsachenfeststellung und -würdigung des Erstgerichts in der Zulassungsbegründung gegebene Vortrag der Beklagten wiederholt im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen, wonach im streitgegenständlichen Straßenbereich weder ein ausreichend hohes Verkehrsaufkommen noch eine unübersichtliche Verkehrssituation vorliege, ein Betreten der Fahrbahn zu Reinigungszwecken nicht zwingend notwendig sei und die Reinigungsarbeiten zumindest während der Schließung des Bahnübergangs gefahrlos erledigt werden könnten. Bei dem Vortrag der Beklagten, im fraglichen Straßenbereich sei „eher ein Verkehrsrückgang zu verzeichnen“, weshalb kein so hohes Verkehrsaufkommen vorliege, dass der Klägerin die Reinigung der Straßenrinne nicht zugemutet werden könne, fehlt es bereits an der erforderlichen, den Streitstoff durchdringenden Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Auch die Feststellung des Erstgerichts, der streitgegenständliche Streckenabschnitt sei durch den Kurvenverlauf nicht auf eine längere Strecke einsehbar (S. 12 des Ersturteils), wird durch den Vortrag der Beklagten, die fragliche Kurve nach dem Bahnübergang sei vom Grundstück der Klägerin noch ca. 80 bis 100 m entfernt, nicht in Zweifel gezogen. Nicht überzeugend ist zudem der gegen das Vorliegen einer Gefährdung angeführte Einwand der Beklagten, die Beseitigung des Bewuchses könne mit geeigneten Gerätschaften (mit langem Stiel) vom Gehweg aus erfolgen. Die Argumentation einer Beseitigung von Bewuchs aus der Fahrbahnrinne, ohne zumindest gelegentlich die Fahrbahn zu betreten, erachtet der Senat als kaum vertretbar. Ungeachtet dessen würde hierdurch die Gefährdung des Verpflichteten nicht vermieden, da Gefahren – insbesondere diejenige, von einem Fahrzeug erfasst zu werden – nicht erst durch Betreten der Fahrbahn, sondern auch bei Benutzung von Werkzeugen vom Gehsteig aus eintreten können. Das Erstgericht hat bei seiner Gefährdungseinschätzung hierzu auch auf ein hohes Verkehrsaufkommen vor Ort mit schweren Fahrzeugen (Traktoren, Lkw, Busse) abgestellt. Letzterem ist die Beklagte im Zulassungsverfahren nicht substanziiert entgegengetreten. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass von der Klägerin nicht verlangt werden kann, die Arbeiten in den (relativ kurzen) Schließzeiten der Bahnschranke auszuführen.
Auch in rechtlicher Hinsicht hat die Beklagte schlüssige Gegenargumente, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis, d.h. nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838; BayVGH, B.v. 15.3.2017 – 8 ZB 15.1610 – juris Rn. 8 m.w.N.) unrichtig ist, nicht substanziiert vorgetragen. Auf Grundlage des rechtsfehlerfrei festgestellten relevanten Sachverhalts durfte das Erstgericht insbesondere davon ausgehen, dass das Ermessen der Beklagten auf Erteilung einer Befreiung von der Reinigungs- bzw. Beseitigungspflicht auf Null reduziert ist (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 41). Die weitere Behauptung der Beklagten, eine Trennung zwischen der Entfernung von Pflanzenbewuchs und der „restlichen“ Straßenreinigung sei nicht vorstellbar, wird in der Zulassungsbegründung schon nicht näher dargelegt (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
3. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Die Beklagte sieht besondere tatsächliche Schwierigkeiten in denselben Fragen, die sie auch zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts angeführt hat. Diese Fragen können – wie sich aus vorstehenden Darlegungen ergibt – ohne nennenswerten Aufwand im Zulassungsverfahren geklärt werden; ebenso gilt dies für die rechtlichen Fragen. Im Übrigen legt die Zulassungsbegründung bereits nicht substanziiert dar, dass die Rechtssache einen besonders unübersichtlichen oder einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt aufweist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 33).
4. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) scheidet ebenfalls aus. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dient in erster Linie der Rechtseinheit und der Fortentwicklung des Rechts. Er erfordert deshalb, dass die im Zulassungsantrag geltend gemachte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich und bisher höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt ist sowie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung aufweist (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 35 f.). Im Übrigen fehlt es auch an einer hinreichenden Formulierung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328).
Soweit die Zulassungsbegründung die Frage für klärungsbedürftig hält, wann die dem Anlieger auferlegten Leistungen unzumutbar sind, fehlt es schon an der hinreichenden Darlegung eines Zulassungsgrundes, weil sich die Zulassungsbegründung nur unzureichend mit der einschlägigen obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere mit der Grundsatzentscheidung des Senats vom 4. April 2007 (8 B 05.3195, BayVBl 2007, 558), auseinandersetzt. Die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem ist im Übrigen nicht klärungsbedürftig (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 38). Der Vortrag der Beklagten, eine Befreiung von der Reinigungspflicht würde für das Stadtgebiet der Beklagten einen Präzedenzfall schaffen, geht bereits deshalb ins Leere.
5. Lediglich höchst vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass der Senat nicht gehalten ist, in seiner Entscheidung das gesamte, nicht immer zentrale Vorbringen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 28.11.2013 – 9 B 14.13 – DVBl 2014, 237 Rn. 34 m.w.N.).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Mit Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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