Baurecht

Ungleichbehandlung in Bebauungsplan durch unterschiedliche Handhabung von Erleichterungen in Bezug auf Kfz-Stellplätze

Aktenzeichen  2 N 16.1243

Datum:
29.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 2
BauGB BauGB § 1 Abs. 7

 

Leitsatz

Das Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB betrifft mit seinen Anforderungen sowohl den Abwägungsvorgang als auch das Abwägungsergebnis. Bei der Abwägung der berührten privaten Belange ist das Gebot der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten, das auch bei der Inhaltsbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zur Geltung kommt (hier Gleichbehandlungsgebot verletzt durch Herausnahme eines Bauquartiers von den übrigen Bauquartieren gewährten Erleichterungen bei der Ermittlung und dem Nachweis der Kfz- und Fahrradstellplätze). (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 133 mit integrierter Grünordnung „Gewerbepark nördlich des U-Bahnhofs G…West, Z…straße, S… Straße“ ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Antragstellerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten entscheidet der Senat ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Antragstellerin hat ihren Antrag entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht teilweise zurückgenommen. Die ursprüngliche schriftsätzliche Antragstellung beinhaltete die Besonderheit, dass im Hauptantrag weniger beantragt wurde als im Hilfsantrag. Während es im Hauptantrag der Antragstellerin erkennbar darum ging, lediglich einen Teil der 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 133 für unwirksam zu erklären, umfasste der Hilfsantrag die gesamte Unwirksamerklärung der 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 133. Der Vorsitzende hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewirkt, dass sachdienliche Anträge gestellt werden (§ 86 Abs. 3 VwGO), weil die angegriffene Norm nicht teilbar ist. Im Übrigen sind zwar Beschränkungen des Antrags auf bestimmte Teile des Bebauungsplans zulässig, das Normenkontrollgericht ist aber hieran nicht gebunden (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 47 Rn. 69). Das Normenkontrollverfahren ist auch objektives Prüfungsverfahren, so dass der Entscheidungsausspruch – wie tenoriert – in jedem Fall auf die gesamte 2. Änderung des Bebauungsplans zu erstrecken war. Auch von daher hatte die Antragsänderung keine Auswirkungen und ist insbesondere nicht als Antragsrücknahme entsprechend § 92 VwGO zu behandeln.
Der zulässige Normenkontrollantrag (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) der Antragstellerin ist begründet. Die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 133 ist unwirksam (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
I.
Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Die Antragstellerin hat ihn mit Schriftsatz vom 22. Juni 2016, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag, und damit binnen der Jahresfrist nach Bekanntmachung des Plans gestellt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Die Antragstellerin ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch antragsbefugt. Sie ist Eigentümerin eines Grundstücks im Plangebiet. Zwar ist sie nicht Eigentümerin von Grundstücken, die die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 133 direkt betreffen. Sie kann jedoch geltend machen, dass ihr Bauquartier GE 4 des Bebauungsplans Nr. 133 von der 2. Änderung des Bebauungsplans nicht hätte ausgenommen werden dürfen. Dies ist für die Antragsbefugnis ausreichend.
II.
Es liegt ein Mangel in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB vor. Mängel im Abwägungsvorgang sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB). Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Satzungsgeber die Norm unverändert erlassen hätte, falls er die Widersprüche in den Festsetzungen sowie ihre Auswirkungen erkannt hätte.
Das Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB ist die zentrale Verpflichtung einer den rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechenden Bauleitplanung. Es betrifft mit seinen Anforderungen sowohl den Abwägungsvorgang als auch das Abwägungsergebnis. Es umfasst dabei insbesondere die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402.01 – UPR 2003, 143; BVerwG, U.v. 16.4.1971 – IV C 66.67 – DVBl 1971, 746/750). Bei der Abwägung der berührten privaten Belange ist ferner das Gebot der Gleichbehandlung aus Art. 3 Satz 1 GG zu beachten, das auch bei der Inhaltsbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zur Geltung kommt (vgl. BVerfG, B.v. 12.1.1967 – 1 BvR 169.63 – BVerfGE 21, 73/82 ff.; BGH, U.v. 11.11.1976 – III ZR 114.75 – BGHZ 67, 320). Das der Planung zugrundeliegende Konzept muss zudem möglichst widerspruchsfrei (konsistent) umgesetzt werden (vgl. BayVGH, U.v. 31.5.2006 – 25 N 03.351 – BayVBl 2006, 177; U.v. 22.3.2011 – 1 N 09.2888 – juris).
Die 2. Bebauungsplanänderung beinhaltet eine Ungleichbehandlung des GE 4 der Antragstellerin gegenüber den übrigen Bauquartieren in Bezug auf die Erleichterungen, die den übrigen Bauquartieren bei der Ermittlung und dem Nachweis der Kfz- und Fahrradstellplätze zu Teil werden. Ein sachgerechter Grund für diese Ungleichbehandlung besteht nicht. Die Antragsgegnerin hat mithin bei der Abwägung der berührten privaten Belange das Gebot der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinreichend beachtet. Durch die Festsetzung gemäß § 2 Abs. 6 der angegriffenen Satzung wird die Ermittlung der Zahl der notwendigen Stellplätze gegenüber den Regelungen der Garagen-, Fahrrad- und Stellplatzsatzung der Stadt G… (GaFStS) und der Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen und über die Zahl der notwendigen Stellplätze (Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV) vereinfacht, in dem geregelt wird, dass die für die Zahl der Stellplätze maßgebliche Nutzfläche durch einen pauschalen 25%igen Abschlag von der Geschossfläche ermittelt wird. Ferner wird normiert, dass für bestimmte Nutzungsarten (Büro, Dienstleistung, Handel, Service, Werkstatt, Lager, Labor, Seminar, Schulung, Besprechung und für Prüf- und Testräume) ein einheitlicher Stellplatzschlüssel von einem Stellplatz je 40 m² Nutzfläche angesetzt wird. Zudem wird die Zahl der notwendigen Stellplätze für alle Nutzungen um 20% reduziert. Auf Seite 6 der Bebauungsplanbegründung heißt es hierzu, dass sich im Plangebiet ein moderner Büro- und Dienstleistungspark befinde, in dem aber auch Nutzungen für Forschungs-, Test- und Entwicklungszwecke angesiedelt würden. Gemäß der Bebauungsplanbegründung ging der Bebauungsplan Nr. 133 seinerzeit von ca. 5.000 Stellplätzen im Endausbau aus. Durch die neuen Festsetzungen reduziere sich die Zahl auf ca. 3.900 Stellplätze (S. 7 der Bebauungsplanbegründung). Begründet wird diese Reduzierung damit, dass sich in einer Entfernung von ca. 400 m zum Zentrum des Plangebiets die U-Bahn-Haltestelle G…- … befinde und dass nach einer Umfrage unter den Beschäftigten des Business … ca. 65% der Beschäftigten das eigene Kfz auf den Weg zur Arbeit nutzen, wohingegen ca. 30% den nahen U-Bahn-Anschluss nutzen und die restlichen 5% andere öffentliche Verkehrsmittel benutzen oder zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit gelangen (S. 7 der Bebauungsplanbegründung). § 2 Abs. 7 des Bebauungsplans enthält entsprechende Vereinfachungen und Erleichterungen für die nachzuweisenden Fahrradstellplätze. Gemäß der GaFStS wäre ein Fahrradstellplatz je 80 m² Hauptnutzfläche nachzuweisen (S. 7 der Bebauungsplanbegründung). Gemäß § 2 Abs. 7 des Bebauungsplans verringert sich dieser Wert auf einen Fahrradstellplatz je 750 m² Nutzfläche, d.h. die Zahl der nachzuweisenden Fahrradstellplätze wird um ca. 90% reduziert.
Das Anliegen der Antragsgegnerin, eine Herstellung von Kfz- und Fahrradstellplätzen am tatsächlichen Bedarf vorbei zu vermeiden, ist im Grundsatz sachgerecht. Dies wird auch von der Antragstellerin zugestanden. Für den Senat ist jedoch nicht ersichtlich, wieso von diesen sinnvollen Erleichterungen alle Bauquartiere mit Ausnahme des Bauquartiers GE 4 der Antragstellerin profitieren sollen. Das Bebauungsplangebiet besteht neben den Bauquartieren mit Sondergebietsnutzung (SO1 und SO2) aus 11 Bauquartieren mit Gewerbegebietsnutzung (GE 1.1 bis GE 8). Für sämtliche Bauquartiere mit Gewerbenutzung enthält der Bebauungsplan hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung identische Festsetzungen, nämlich Gewerbegebiete im Sinn des § 8 BauNVO unter Ausschluss von Vergnügungsstätten, Tankstellen, selbständigen Lagerhäusern, Speditionen und Lagerplätzen (§ 1 des Bebauungsplans). Im Ergebnis sind auf allen GE-Bauquartieren nur höherwertige gewerbliche Nutzungen, insbesondere Büronutzungen zulässig. Das derzeit noch unbebaute GE 4 der Antragstellerin kann in ähnlicher Weise bebaut und genutzt werden wie die übrigen Gewerbegebietsflächen im Bebauungsplanumgriff. Sofern man für die Bauquartiere im Bebauungsplanumgriff Erleichterungen hinsichtlich der Kfz- und Fahrradstellplätze für sachgerecht hält, so muss dies gleichermaßen für alle Bauquartiere gelten. Die Antragstellerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass sämtliche Bauquartiere mit Ausnahme des GE 4 im Eigentum der KG für Vermögensverwaltung G… GmbH & Co. stehen. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso das einzige einem Dritten – der Antragstellerin – gehörende Bauquartier von diesen Erleichterungen nicht profitieren soll. Die Antragstellerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dies umso mehr gilt, als es sich bei dem GE 4 der Antragstellerin um das Bauquartier handelt, das am nächsten zur U-Bahn-Station gelegen ist. Während ausweislich der Bebauungsplanbegründung die U-Bahn-Station vom Zentrum des Bebauungsplangebiets ca. 400 m entfernt liegt, ist vom GE 4 zur U-Bahn-Station lediglich ein Weg von ca. 300 m zurückzulegen. Dort wird die Akzeptanz der U-Bahn als öffentliches Verkehrsmittel höher, mindestens jedoch so hoch sein wie in den übrigen Bauquartieren. Allein der Umstand, dass das GE 4 bislang noch nicht bebaut ist, ist keine Rechtfertigung dafür, das GE 4 von der Privilegierung auszunehmen. Die Antragstellerin muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass bei einer eventuellen Bauantragstellung bei ihr ebenso verfahren werden würde, wie in den übrigen Baugebieten.
Der genannte Mangel des Bebauungsplans ist nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB unbeachtlich geworden. Die Antragstellerin hat ihn innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung der Satzung mit dem Normenkontrollantrag schriftlich gegenüber der Gemeinde substanziiert geltend gemacht.
III.
Auch die übrigen Festsetzungen der 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 133 sind unwirksam, weil der der Änderung zugrundeliegende ursprüngliche Bebauungsplan unwirksam ist. Die Antragsgegnerin hat selbst dargelegt, dass sie den der Änderung zugrundeliegenden Bebauungsplan für unwirksam hält, weil für alle Gebiete eine Gesamtgeschossfläche festgesetzt wurde (mit Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 3.4.2008 – 4 CN 3.07 – juris). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 des Bebauungsplans wird gemäß § 16 BauNVO und § 20 Abs. 3 und 4 BauNVO die Gesamtgeschossfläche für alle Gebiete mit maximal 246.000 m² festgesetzt (Satz 1). Die Festsetzung einer Gesamtgeschossfläche für alle Gebiete ist unwirksam, weil sie nicht auf eine Rechtsgrundlage zurückgeführt werden kann. Sie kann insbesondere nicht auf § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO gestützt werden. Danach ist lediglich die Festsetzung der Größe der Geschossfläche und nicht der Gesamtgeschossfläche für ein Baugebiet zulässig. Die Größe der Geschossfläche ist dabei gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO nach den Außenmaßen der Gebäude in allen Vollgeschossen zu ermitteln. Damit ist Bezugspunkt für die Größe der Geschossfläche das jeweilige Gebäude und die Größe der Geschossfläche ist die in Quadratmetern gemessene Geschossfläche, die auf dem Baugrundstück zulässig ist (vgl. Söfker in Ernst/ Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 1. Februar 2017, § 16 Rn. 25). Mithin ist eine baugebietsbezogene Gesamtgeschossfläche unzulässig, weil eine solche Festsetzung nichts zur zulässigen Geschossfläche eines Baugrundstücks aussagt.
Ein Unwirksamkeitsmangel, der – wie hier – auf einer fehlenden gesetzlichen Regelungsermächtigung beruht, unterfällt nicht dem Regelungsregime der §§ 214, 215 BauGB.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Die Antragsgegnerin hat die Entscheidungsformel des Urteils nach Rechtskraft ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekannt zu machen war (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

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