Aktenzeichen W 6 K 16.31984
Leitsatz
1 Es gibt keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der ukrainische Staat grds. nicht in der Lage oder willens wäre, Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure zu bieten. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die medizinische Versorgung ist in der Ukraine nach aktueller Auskunftslage kostenlos und flächendeckend, auch wenn qualitativ höherwertige Leistungen teilweise von privaten Zuzahlungen abhängig sind. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 19. Oktober 2016 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (1.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (2.).
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S. des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
1.1. Soweit der Kläger zu 1) vorträgt, dass er von Sympathisanten bzw. Unterstützern der syrischen Regierung aufgrund seiner Beteiligung an Demonstrationen in der Ukraine gegen das syrische Assad-Regime verfolgt worden sei, führt dies nicht zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger zu 1) auch in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar darlegen konnte, welches Interesse die syrische Regierung oder deren Anhänger bzw. Gefolgsleute daran haben könnten, Teilnehmer an friedlichen, in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Demonstrationen im Ausland – hier in der Ukraine – zu verfolgen und zu unterdrücken. Auch das geschilderte Gesamtgeschehen ist in sich nicht schlüssig und vermag keine flüchtlingsrelevanten Belange glaubhaft darzulegen. So äußerte der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung, er habe ungefähr Anfang 2011 an insgesamt ca. 6-7 Demonstrationen teilgenommen; die Kläger zu 1) und 2) trugen auf Nachfrage des Gerichts vor, dass der Vorfall mit dem vermeintlichen – aber nicht entflammten – Brandsatz, der in die Wohnung der Kläger geworfen worden war, sich im Jahr 2012 vorgetragen habe. Die Klägerin zu 2) präzisierte des Weiteren auf Nachfrage des Gerichts, dass ihr Ehemann im März 2013 zusammengeschlagen worden sei. Diese zeitlichen Angaben erscheinen (in Abgrenzung zu den Angaben bei der Anhörung der Klägerin zu 2) beim Bundesamt) zutreffend, da die Kläger nun zudem angegeben haben, nach dem Vorfall mit dem Zusammenschlagen des Klägers zu 1) – d.h. im März 2013 – sich nicht mehr in dem Haus aufgehalten zu haben. Folglich kann der Vorfall mit dem vermeintlichen Brandsatz nicht im Sommer 2013 stattgefunden haben. Den Klägern ist nicht bekannt, wer den vermeintlichen Brandsatz geworfen oder den Kläger zu 1) zusammengeschlagen hat. Der Kläger zu 1) behauptet lediglich, dass es Angehörige einer Bande gewesen seien, die dem syrischen Regime zuzurechnen sei. Die Kläger haben nichts vorgetragen, um trotz der großen zeitlichen Abstände einen Zusammenhang plausibel zu erklären; aufgrund der Zeitspanne von gut zwei Jahren erscheint eine zufällige Koinzidenz dieser einzelnen Vorfälle, die von unbekannten Dritten zu verantworten sind, plausibel, so dass es an einem sachlichen Zusammenhang fehlt. Der Sachverhalt ist insgesamt unstimmig und nicht geeignet, das Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen. In der Gesamtbetrachtung des Geschilderten hält das Gericht das vermeintliche Verfolgungsschicksal für konstruiert und den Vortrag daher für unglaubhaft.
1.2. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend auch deswegen ausgeschlossen, weil die Kläger in ihrer Heimat um Schutz vor Verfolgung nachsuchen können (§ 3d AsylG), sollte es tatsächlich zu konkreten Bedrohungen bei einer Rückkehr kommen. Nach der Erkenntnislage gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der ukrainische Staat grundsätzlich nicht in der Lage oder willens wäre, Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure zu bieten. Daneben müssen sich die Kläger gemäß § 3e AsylG auf die bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verweisen lassen. Interner Schutz besteht nach dieser Vorschrift dann, wenn die Kläger in einem Teil ihres Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung haben und in diesen Landesteil sicher und legal reisen können, dort aufgenommen werden und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort niederlassen. Konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Gefahr der landesweiten Verfolgung – sofern denn eine solche überhaupt stattgefunden haben mag – haben die Kläger nicht glaubhaft vorgetragen, so dass es ihnen zuzumuten ist, sich in einem anderen Teil der Ukraine niederzulassen und sich bei erneuten Vorkommnissen an die Polizei bzw. Strafverfolgungsbehörden zu wenden.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen. Die Ausführungen der Kläger vermögen eine subsidiäre Schutzberechtigung nicht zu begründen; stichhaltige Gründe i.S. von § 4 AsylG wurden nicht vorgebracht. Wie bereits oben unter (1.) festgestellt, haben die Kläger ihre Furcht vor Verfolgung nicht hinreichend begründet, da ihr Sachvortrag als unglaubhaft zu bewerten ist. Im Übrigen sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), und im Übrigen auf die obigen Ausführungen verwiesen (vgl. 1.).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Kläger gerade nicht wegen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Osten der Ukraine geflohen sind, sondern schon vor dessen Ausbruch. Unabhängig davon ist aufgrund des seit dem Frühjahr 2014 in den Oblasten Donezk und Luhansk bestehenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von einem erhöhten Migrationspotential auszugehen. Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge ist bis Januar 2017 auf 1,6 Millionen gestiegen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 11). Die Grundversorgung für Rückkehrer ist jedoch, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, knapp ausreichend. Zudem bestehen in der Ukraine soziale Sicherungssysteme. Mit dem ukrainischen Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) steht eine Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung der Kläger gewährleistet (BayVGH, B. v. 16.3.2017 – 11 ZB 17.30218, BeckRS 2017, 105454).
Hinsichtlich der Erkrankung der Klägerin zu 2) wird der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass sie zwar nicht gesund ist und sich derzeit in einer Nachbehandlung mittels Tabletten befindet. Es ist weder ersichtlich, noch wurde es vorgetragen, dass sie ihre Nachbehandlung nicht in der Ukraine fortführen kann. Die medizinische Versorgung ist nach aktueller Auskunftslage kostenlos und flächendeckend, auch wenn qualitativ höherwertige Leistungen teilweise von privaten Zuzahlungen abhängig sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, S. 15). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin zu 2) bei ihrer Rückkehr ist nach derzeitigem Kenntnisstand jedenfalls nicht zu erwarten.
3. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Hilfsbeweisantrag stellt lediglich eine Anregung zur weiteren Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO dar (BVerwG, B.v.10.6.1999 – 9 B 81.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302 und BVerwG, B.v. 19.8.2010 – 10 B 22.10, 10 PKH 11.10 – juris Rn. 10). Das Gericht brauchte den Sachverhalt jedoch nicht weiter aufzuklären, da der Vortrag des Klägers zu 1) hinsichtlich der behaupteten Verfolgung durch das Assad-Regime schon als unglaubhaft bewertet wurde. Im Übrigen wäre ein Sachverständigengutachten mit der allgemeinen Feststellung, dass das Assad-Regime auch im Ausland seine Staatsangehörigen überwachen und auch entführen lässt, nicht geeignet, im hier vorliegenden konkreten Einzelfall das persönliche Verfolgungsschicksal des Klägers zu 1) zu belegen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).