Aktenzeichen M 4 S 17.46562
ZPO ZPO § 415, § 418
Leitsatz
Über die Tatsache, dass ein Asylbewerber unter seiner Anschrift nicht zu ermitteln war und ihm deshalb die Sendung nicht zugestellt werden konnte, erbringt die Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde den vollen Beweis (§§ 415, 418 ZPO iVm § 173 VwGO). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem sein Asylverfahren eingestellt wurde, weil der Antragsteller einer Ladung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht Folge geleistet hat.
Er stellte erstmals am 9. Juni 2016 einen Asylantrag. Seine Anschrift lautete zu diesem Zeitpunkt: K.-straße … in M. Unter dieser Anschrift wurde mit ihm auch ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 9. Juni 2016 (Erstbefragung) durchgeführt. Auch die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender vom 6. Mai 2016, mit der er zur Anhörung auf den 9. Juni 2016 geladen wurde, erging an diese Adresse. Bereits am 25. Januar 2016 wurde dem Antragsteller in Zirndorf eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender ausgestellt. Der Antragsteller legte einen irakischen Reisepass vor.
Unter der Anschrift K.-straße … in M. erging an den Antragsteller unter dem 9. September 2016 auch eine Ladung zur Anhörung für den 19. September 2016 in Bamberg. Laut eines Aktenvermerks des Bundesamtes wurde der PZU-Rückläufer nicht zugestellt. Im Visa-Portal sei keine neue Adresse hinterlegt.
Am 2. Februar 2017 richtete der Antragsteller auf dem Briefbogen des Sozialdienstes für Flüchtlinge und Asylsuchende, Innere Mission München e.V., eine Sachstandsanfrage an das Bundesamt. Er habe einen ersten Termin am 9. Juni 2016 gehabt und noch keine Einladung zur Anhörung erhalten. Als Wohnort gab er nun die S.-straße … in M. an.
Unter dem 31. Mai 2017 erging an den Antragsteller unter der neuen Adresse S.-straße … in M. eine erneute Ladung zur Anhörung für den 21. Juni 2017 in München. Auf der Postzustellungsurkunde wurde vermerkt „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“.
Einem Aktenvermerk des Bundesamtes zufolge ist der Antragsteller am 11. Mai 2017 unter neuer Adresse in der H. Straße … in M. gemeldet (lt. Ausländerzentralregister).
Schließlich wurde der Antragsteller am 5. Juli 2017 unter seiner Anchrift H. Straße … in M. zum dritten Mal zur persönlichen Anhörung für den 19. Juli 2017 geladen.
Auch hier gelangte die Postzustellungsurkunde mit dem Vermerk „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ in Rücklauf.
Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 26. Juli 2017 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (1.) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (2.). Für den Fall nicht fristgerechter Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung wurde dem Antragsteller die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat angedroht (3.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (4.).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei einer Aufforderung zur Anhörung nicht nachgekommen; daher werde gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zweite Alternative AsylG vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibt. Ein Nachweis, dass das oben genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen gewesen sei, auf die der Antragsteller keinen Einfluss gehabt hätte, sei bis zur Entscheidung nicht eingereicht worden.
Dieser Bescheid wurde als Einschreiben gemäß § 4 Abs. 2 VwZG am 27. Juli 2017 zur Post gegeben.
Er war an die letzte bekannte Anschrift des Antragstellers (H. Straße … in M.) adressiert.
Mit Schriftsatz vom 3. August 2017, am selben Tag beim Verwaltungsgericht München eingegangen, ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 26. Juli 2017 erheben (M 4 K 17.46561) und gleichzeitig nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung führte die Bevollmächtigte des Antragstellers aus, der Kläger habe das Schreiben zu seiner persönlichen Anhörung nicht erhalten. Er habe demzufolge auch keine Kenntnis von dem Termin zur persönlichen Anhörung für den 19. Juli 2017 gehabt. Er gebe an, seine Post immer zuverlässig abzuholen. Bislang habe er jede an ihn gerichtete Post erhalten. Da der Antragsteller die Ladung zur persönlichen Anhörung nicht erhalten habe, habe er auch über die Folgen eines Ausbleibens nicht belehrt werden können.
Das Bundesamt legte die Behördenakten vor, äußerte sich aber nicht weiter zum Verfahren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt worden, er ist aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs überwiegt das öffentliche Interesse, weil sich der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er unter anderem einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist.
Dieser Tatbestand ist im Falle des Antragstellers erfüllt.
Der Antragsteller hat seine Mitwirkungspflichten verletzt; ein Nichtvertreten ist nicht erkennbar. Es ist Aufgabe des Antragstellers, sein Asylverfahren so zu betreiben, dass er für die Behörde postalisch erreichbar ist. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller mehrfach unter den ihr bekannten Adressen zur Anhörung geladen. Auch wurde dem Antragsteller – zumindest im Zusammenhang mit seiner Asylantragstellung – eine Belehrung entsprechend § 33 Abs. 4 AsylG in seiner Heimatsprache ausgehändigt.
Der Antragsteller kann sich also nicht darauf berufen, über die Folgen eines Ausbleibens nicht belehrt worden zu sein, weil er die Ladungen zur persönlichen Anhörung jeweils nicht erhalten habe. Er muss Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle aufgrund seines Asylantrages oder seiner Mitteilung bekannt sind, gegen sich gelten lassen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Nach § 10 Abs. 1 AsylG hat er vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes stets erreichen können. Insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen. Hinsichtlich seiner Anschrift „S.-straße … in M.“ hat er das zwar mit Schreiben vom 2. Februar 2017 getan, aber offensichtlich nicht unverzüglich, da ihn bereits die Ladung für September 2016 nicht erreicht hat; seine Verlegung in die H. Straße … in M., laut Ausländerzentralregister am 11. Mai 2017 wirksam geworden, hat er dem Bundesamt zu keinem Zeitpunkt bekanntgegeben. Selbst wenn er also zum Zeitpunkt des letzten Zustellversuchs am 10. Juli 2017 noch nicht in der H. Straße … gewohnt haben sollte (was angesichts der einwohnerrechtlichen Meldung bereits am 11.5.2017 unwahrscheinlich erscheint), hat er fehlende Kenntnis vom Zustellversuch zu vertreten, weil er nicht dafür Sorge getragen hat, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes trotz der Tatsache, dass er sich möglicherweise noch in der S.-straße … aufgehalten hat, erreichen.
Auch die letzte Zustellung in die H. Straße …, die als unzustellbar in Rücklauf gekommen ist, gilt nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG als dem Antragsteller mit der Aufgabe zur Post (ein in den Bundesamtsakten nicht genauer dokumentierter Zeitpunkt zwischen dem 5. und dem 7. Juli 2017) als zugestellt. Über die Tatsache, dass der Antragsteller unter der Ansschrift H Straße … nicht zu ermitteln war und ihm deshalb die Sendung nicht zugestellt werden konnte, somit über eine Tatbestandsvoraussetzung des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG erbringt die Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde den vollen Beweis (§§ 415, 418 ZPO i.V.m. § 173 VwGO) (Harrer/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Art. 3 VwZVG, Ziff. 5).
Den statthaften Gegenbeweis, dass fälschlicherweise die Nichtermittlung des Antragstellers unter dieser Anschrift beurkundet wurde, hat der Antragsteller nicht geführt. Die bloße Behauptung, seine Post immer zuverlässig abzuholen, genügt insoweit nicht. Auch die Einlassung, bislang habe er jede an ihn gerichtete Post erhalten, ist unbehelflich, da der Antragsteller dies schon gar nicht wissen kann. Angesichts der Tatsache, dass der Antragsteller jetzt unter derselben Adresse, unter der er am 10. Juli 2017 nicht ermittelt werden konnte, Klage- und Eilantrag erhoben hat, ist es vielmehr erforderlich, dass der Antragsteller einen alternativen Geschehensablauf substantiiert darlegt und mit Beweisangeboten untermauert (Harrer/Kugele/Thum/Tegethoff, a.a.O. m.w.N.). Insbesondere wären Umstände darzulegen und zu beweisen, die ein Fehlverhalten des Zustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde zu belegen geeignet sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).