Handels- und Gesellschaftsrecht

Innenverhältnis einer Nießbrauchsgemeinschaft

Aktenzeichen  20 U 818/17

Datum:
9.8.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 121741
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 592, § 597
BGB § 743

 

Leitsatz

1 Das Innenverhältnis einer Nießbrauchsgemeinschaft richtet sich nach den Vorschriften über die Bruchteilsgemeinschaft gemäß §§ 741 ff. BGB. Dabei braucht kein Teilhaber darin einzuwilligen, dass aus den Nutzungen ein echter Reserverfonds für spätere Instandsetzungsarbeiten gebildet und unterhalten wird; Rückstellungen für künftige Aufwendungen der Gemeinschaft können nur ausnahmsweise gebildet bzw. verlangt werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Beurteilung der Sachdienlichkeit einer Klageänderung ist entscheidend, ob und inwieweit die Zulassung der geänderten Klage den Streit im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt, so dass sich ein weiterer Prozess vermeiden lässt. Eine Klageänderung ist danach nicht sachdienlich, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird, ohne dass dafür das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden kann. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 O 3396/16 2017-02-14 Urt LGMUENCHENII LG München II

Tenor

I. Auf die Berufungen der Parteien wird das End- und Teilvorbehaltsurteil des Landgerichts München II vom 14.02.2017, Az. 12 O 3396/16, in Ziffern 1 und 2 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, der Auszahlung eines Betrages in Höhe von 9.075,00 € von dem Konto der Nießbrauchsgemeinschaft Dr. M. R.G. und Gerold R. bei der ….-bank eG, Kontoinhaber Dr. M. R.-G. und G. R., …, an die Klägerin zuzustimmen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens erster Instanz.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 01.08.2017 auf 18.538 € und danach auf 12.556,69 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Darstellung eines Tatbestandes bedarf es nicht, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist (§ 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO).
II.
Die zulässigen Berufungen des Beklagten und der Klägerin haben jeweils in der Sache Erfolg.
1. Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung des erstinstanzlich zugesprochenen Betrages von 3.481,69 € besteht nicht. Die Klage ist daher insoweit auf die Berufung des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
a) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Klage zulässig und im Urkundenprozess auch statthaft.
Die Klage einschließlich des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es besteht lediglich Streit zwischen den Parteien über die rechtliche Bewertung des Sachverhalts.
Die Klage ist auch im Urkundenprozess statthaft, § 592 ZPO. Den Parteien ist es unbenommen und auch möglich, den Reinerlös der Nießbrauchsgemeinschaft mit Urkunden (Mietverträge, Rechnungen, Kontoauszüge etc.) nachzuweisen. Eine irgendwie geartete Saldobildung oder Abrechnung ist nicht geschuldet. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass eine dementsprechende Vereinbarung in der Gemeinschaft existiert. Der Annahme einer konkludenten Vereinbarung, die von beiden Parteien übereinstimmend verneint wurde, vermag sich der Senat mangels konkreter Anhaltspunkte nicht anzuschließen.
Eine Divergenz zu der vom Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 19.12.2008 – I-22 U 86/08) liegt nicht vor. Vorliegend geht es – anders als dort – nicht um ein Guthaben bzw. Saldo aus einer Schlussrechnung als einseitige Erklärung der Klagepartei, die nicht zum Beweis für die tatsächliche Leistungserbringung geeignet ist.
Soweit die Klage bereits nicht schlüssig begründet worden ist, ist sie nach § 597 Abs. 1 ZPO als unbegründet und nicht nach § 597 Abs. 2 ZPO als im Urkundenprozess unstatthaft abzuweisen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Auflage 2016, § 597 Rn. 1a und 6).
b) Das Urteil des Landgerichts kann bereits insoweit keinen Bestand haben, als der Beklagte zur Zahlung von 3.481,69 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt worden ist. Denn die Klägerin hatte lediglich die Zahlung auf das gemeinsame Konto der Nießbrauchsgemeinschaft bei der …-bank eG und nicht an sich selbst beantragt, so dass etwas anderes zugesprochen wurde als beantragt (§ 308 ZPO).
c) Die Klage ist aber auch im Hinblick auf die von der Klägerin begehrte Zahlung auf das gemeinsame Nießbrauchskonto unbegründet, da es an einer schlüssigen Begründung des Zahlungsanspruchs fehlt.
aa) Das Innenverhältnis der Parteien richtet sich im Hinblick auf das gemeinsame Nießbrauchsrecht nach den Vorschriften über die Bruchteilsgemeinschaft, §§ 741 ff BGB. Dem Beklagten steht daher im Sinne einer vorweggenommenen Teilung aus § 743 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Auszahlung des seinem Anteil entsprechenden (hälftigen) Reinerlöses zu, wobei für die Teilung §§ 752 ff. BGB gelten (vgl. BGHZ 40, 326, juris Rn. 10; Staudinger/von Proff, BGB, Neubearbeitung 2015, § 743 Rn. 13 f.; Palandt/Sprau, BGB, 76. Auflage 2017, § 743 Rn. 2 f.). Von den Früchten sind mithin zunächst die Lasten und Kosten gemäß § 748 BGB abzuziehen. Dagegen braucht kein Teilhaber darin einzuwilligen, dass aus den Nutzungen ein echter Reserverfonds für spätere Instandsetzungsarbeiten gebildet und unterhalten wird; Rückstellungen für künftige Aufwendungen der Gemeinschaft können nur ausnahmsweise gebildet bzw. verlangt werden (vgl. Staudinger/Proff a.a.O. § 743 Rn. 15; Palandt/Sprau a.a.O. § 743 Rn. 2 f.). Auch soweit die Klägerin die zulässige Bildung gewisser Rücklagen im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung angesprochen hat, fehlt es vorliegend an konkretem Vortrag zu den Besonderheiten der Gemeinschaft, denen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bestimmung Rechnung zu tragen ist (BGHZ 140, 72, juris Rn. 19). Der allgemeine Verweis auf anstehende Reparaturen genügt nicht.
Der Beklagte hat mithin aus § 743 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Auszahlung des hälftigen Reinerlöses. Seine Darlegungs- und Beweislast beschränkt sich auf die Bruttoeinnahmen, wohingegen die Klägerin die Ausgaben darzulegen hat, die einem entsprechenden Anteil am Erlös entgegenstehen (MüKoBGB/Karsten Schmidt, 7. Auflage 2017, § 743 Rn. 7).
bb) Nicht der Anspruch aus § 743 Abs. 1 BGB, sondern die Entnahme ist abhängig von der Zustimmung des weiteren Nießbrauchsberechtigten. Zutreffend verweist die Klägerin darauf, dass mit § 743 BGB kein Eingriffsrecht verbunden ist. Dies ändert allerdings nichts daran, dass im Rahmen des hier zu prüfenden Bereicherungsanspruchs der Klägerin aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (Eingriffskondiktion) der Anspruch des Beklagten aus § 743 Abs. 1 BGB einen Rechtsgrund zum Behaltendürfen darstellt.
Für die Frage der Rechtsgrundlosigkeit ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Handlung, die zum Rechtserwerb des Schuldners auf Kosten des Gläubigers führte, rechtswidrig ist. Entscheidend ist vielmehr der schließlich eingetretene Zustand: Zu fragen ist, ob der Empfänger das Erlangte nach den allgemeinen Regeln der Güterzuordnung behalten darf (vgl. MüKoBGB/Schwab, 7. Auflage 2017, BGB, § 812 Rn. 412). Auch ein Rückgriff auf § 858 Abs. 2 BGB ist hier nicht möglich, da ein Kontoguthaben eine Forderung darstellt, aber keinen unmittelbaren Besitz an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache (vgl. KG Berlin, MDR 2013, 1296).
Zu Recht hat der Beklagte darauf verwiesen, dass als Urteilsgrundlage für den Prozessstoff der Schluss der mündlichen Verhandlung maßgeblich ist (Zöller/Vollkommer a.a.O. § 300 Rn. 5). Dies bedeutet, dass die Klage auch bezüglich des erstinstanzlich zugesprochenen Betrages von 3.481,69 € nicht schlüssig ist. Denn die Klägerin hat angesichts des durch Kontoauszüge belegten Stands des Nießbrauchskontos mit den Mieteinnahmen nicht vorgetragen, geschweige denn nachgewiesen, warum der Beklagte zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt mehr entnommen haben soll als ihm zusteht. So belief sich der Kontostand gemäß der vom Beklagten zuletzt vorgelegten Anlage B OLG 2 zum 30.06.2017 auf 42.939,59 €.
Auf die Berufung des Beklagten hin war das erstinstanzliche Urteil daher dahingehend abzuändern, dass die Klage auch bezüglich des geltend gemachten Betrages von 3.481,69 € (im Übrigen) abgewiesen wird.
2. Die im Berufungsverfahren geänderte Klage auf Zustimmung des Beklagten zur Auszahlung von 9.075 € vom gemeinsamen Nießbrauchskonto an die Klägerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
a) Der Senat hält die Klageänderung für sachdienlich, auch kann diese auf Tatsachen gestützt werden, die der Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen sind, § 533 ZPO.
Dem Bundesgerichtshof zufolge ist für die Beurteilung der Sachdienlichkeit entscheidend, ob und inwieweit die Zulassung der geänderten Klage den Streit im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt, so dass sich ein weiterer Prozess vermeiden lässt. Eine Klageänderung ist danach nicht sachdienlich, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird, ohne dass dafür das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2012 – VIII ZR 109/11, NJW 2012, 2662, juris Rn. 20). Letzteres kann hier nicht angenommen werden. Vielmehr ist für die Prüfung des nunmehr geltend gemachten Anspruchs der Klägerin derselbe Prozessstoff heranzuziehen, der auch für die Beurteilung der bisherigen Klage und den in diesem Rahmen zu prüfenden Anspruch des Beklagten aus § 743 BGB maßgeblich ist. Ein weiterer Prozess über die Zustimmung des Beklagten zu entsprechenden Entnahmen der Klägerin wird vermieden.
Die Klageänderung stützt sich mithin zugleich auf Tatsachen, die der Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen sind.
b) Ein Anerkenntnisurteil konnte vorliegend nicht ergehen, nachdem der Beklagte den geänderten Klageantrag nur mit der Maßgabe anerkannt hat, dass seine Zustimmung zur Auszahlung nur Zug um Zug gegen Weisung der Klägerin an die Bank zur Umwandlung des gemeinsamen Kontos in ein Oder-Konto zu erfolgen hat und die Klägerin einen Antrag auf Erlass eines entsprechenden Anerkenntnisurteils nicht gestellt hat.
Inhaltlich beruft sich der Beklagte damit auf ein Zurückbehaltungsrecht. Dieses betrifft die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Klägerin das Und-Konto rechtswidrig in ein Oder-Konto umgewandelt hat und kann hier mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln nicht abschließend bewiesen werden. Darüber hinaus wäre im Einzelnen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 320 BGB oder § 273 BGB hier erfüllt sind.
c) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die geänderte Klage nicht bereits deshalb zu verneinen, weil die Klägerin die aus seiner Sicht rechtswidrige Umwandlung des Kontos von einem Oderin ein Und-Konto problemlos rückgängig machen könnte.
Ob dies der Klägerin tatsächlich möglich ist, kann hier dahinstehen. Jedenfalls vermag der Senat eine entsprechende Verpflichtung der Klägerin hierzu – unabhängig von der behaupteten rechtswidrigen Kontoumwandlung – nicht zu erkennen. Denn das Und-Konto steht mit der gesetzlichen Regelung in Form einer gemeinschaftlichen Berechtigung und Verwaltung im Einklang, im Übrigen führt auch ein Oder-Konto nicht dazu, dass sich jeder Teilhaber ohne Zustimmung des anderen Teilhabers von dem Konto Beträge entnehmen darf (s.o.). Anders als der Beklagte meint, existiert kein Entnahmerecht in Höhe eines Abschlages auf den hälftigen Erlös, dessen Fälligkeit sich nach § 271 BGB richtet. Die vom Beklagten insoweit herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft einen völlig anders gelagerten Sachverhalt und zwar den gesetzlich geregelten Anspruch eines Anlagenbetreibers gegen den Netzbetreiber gemäß § 16 Abs. 1 Satz 3 EEG 2012 auf Zahlung von monatlichen Abschlägen auf die zu erwartende Einspeisevergütung (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.2014 – VIII ZR 79/14). Für das vorliegende Verfahren können hieraus keinerlei Rückschlüsse gezogen werden.
d) Die geänderte Klage auf Zustimmung zur Auszahlung von 9.075 € ist auch begründet.
Mit derselben Argumentation, die dem Beklagten einen Anspruch auf das Entnommene einräumt, steht auch der Klägerin gemäß § 743 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf den hälftigen Reinerlös bzw. auf entsprechende Entnahmen von dem gemeinsamen Konto zu, der mit den vorliegenden Urkunden belegt werden kann. Ausgaben, die einem entsprechenden Anteil der Klägerin am Erlös entgegenstehen, sind von dem insoweit beweispflichtigen Beklagten nicht mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln nachgewiesen wurden.
Auf die Berufung der Klägerin hin war der Beklagte daher zur Zustimmung zur Auszahlung von 9.075 € von dem gemeinsamen Konto an die Klägerin zu verurteilen.
3. Nachdem eine Verurteilung des Beklagten erfolgt und sich dieser die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten hat, war der entsprechende Vorbehalt in Ziffer 4 des erstinstanzlichen Urteils aufrechtzuerhalten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91, § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren bestimmt sich nach § 47, § 48 GKG, § 3 ZPO. Er war bis zur Zustellung der Klageänderung auf 18.538,38 € und danach auf 12.556,69 € festzusetzen.

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