Aktenzeichen 4 T 2067/17
Leitsatz
1 Ob die Zurückweisung des Betroffenen in sein Heimatland zulässig ist, ist nicht im Verfahren über die Anordnung der Abschiebungshaft zu entscheiden, sondern von dem zuständigen Verwaltungsgericht zu entscheiden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Ausländer kann auf die Benachrichtigung einer Vertrauensperson wirksam verzichten. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
8 XIV 124/17 2017-06-27 AGROSENHEIM AG Rosenheim
Tenor
1. Die Beschwerde des Betroffenen vom 18.07.2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.06.2017 wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Jahr 2015 und erneut 2016 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 20.02.2017 (Bl. 20/27) lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 2), forderte den Betroffenen auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Woche zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Pakistan an (Ziffer 5).
Am 26.06.2017 gegen 21.45 Uhr wollte der Betroffene mit dem Zug EC 82 von Österreich aus erneut nach Deutschland einreisen. Bei einer grenzpolizeilichen Kontrolle im Zug konnte er keine seine Einreise legitimierenden Dokumente vorlegen (vgl. Aufgriffsbericht Bl. 8/10). Dem Betroffenen wurde am 27.06.2017 die Einreise verweigert (vgl. Einreiseverweigerung Bl. 17). Auf die polizeiliche Beschuldigtenvernehmung vom 27.06.2017 (Bl. 10/15) wird verwiesen. Eine Eurodac-Recherche für den Betroffenen (Bl. 16) ergab Treffer für Deutschland (10.11.2015) und für Italien (13.04.2016).
Mit Schreiben vom 27.06.2017 (Bl. 1/7) beantragte die beteiligte Ausländerbehörde beim Amtsgericht Rosenheim Haft zur Sicherung der Zurückweisung für die Dauer von 11 Wochen und drei Tagen bis zum 20.09.2017. Zur Begründung führte sie aus, dass sie die Zurückweisung des Betroffenen nach Pakistan nach Art. 14 VO (EG) Nr. 399/2016 i.V.m. § 15 AufenthG und dem Rücknahmeabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Pakistan durchführt.
Am 27.06.2017 hörte das Amtsgericht Rosenheim den Betroffenen persönlich an. Hierbei äußerte er, dass er nicht nach Pakistan zurück könne (vgl. Protokoll Bl. 31/32). Mit Beschluss vom 27.06.2017 ordnete das Amtsgericht Rosenheim gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis längstens 20.09.2017 an.
Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.06.2017 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom 18.07.2017 (Bl. 38), beim Amtsgericht Rosenheim eingegangen am gleichen Tag, Beschwerde ein und beantragte die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe. Mit Schriftsatz vom 20.07.2017 begründete er die Beschwerde. Er rügte die nicht ausreichende Darlegung der Haftdauer. Die Einhaltung des Beschleunigungsgebots könne nicht nachvollzogen werden. Ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 4 GG werde gerügt. Das Amtsgericht Rosenheim half mit Beschluss vom 21.07.2017 der Beschwerde nicht ab.
II.
1. Gegen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückweisung des Betroffenen durch Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.06.2017 ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Diese wurde fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt und ist zulässig.
2. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.06.2017 ist unbegründet.
Die Anordnung von Zurückweisungshaft beruht auf § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach soll der Ausländer zur Sicherung der Zurückweisung auf richterliche Anordnung in Haft (Zurückweisungshaft) genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
a) Der Betroffene ist am 26.06.2017 nicht in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, so dass sich die Haft zur Zurückweisung des Betroffenen nach § 15 Abs. 5 AufenthG bestimmt.
Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. An der deutsch-österreichischen Grenze finden derzeit aufgrund einer Entscheidung des Bundesministeriums des Inneren auf Basis des Art. 29 Schengener Grenzkodex (SGK) Grenzkontrollen statt. Im Rahmen dieser Grenzkontrolle wurde der Betroffene im Zug bei der Einreise von Österreich nach Deutschland kontrolliert. Die Verbringung des Betroffenen zur Beschuldigtenvernehmung zur Polizeidienststelle und anschließend zur gerichtlichen Anhörung stellt gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 AufenthG keine Einreise im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG dar.
b) Der Anordnung der Zurückweisungshaft lag ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde vom 27.06.2017 zugrunde. Für Zurückweisungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu den Zurückweisungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Zurückweisung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 – 5 FamFG). Inhalt und Umfang der erforderlichen Darlegung bestimmen sich nach dem Zweck des Begründungserfordernisses. Es soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (BGH vom 22. Juli 2010, V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511). Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH vom 15.09.2011, FGPrax 2011, 317).
(1) Die nach § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderliche Zurückweisungsentscheidung liegt vor. Die nationale Zurückweisungsentscheidung wird durch die Einreiseverweigerung nach Art. 14 i.V.m. Anhang V Teil A SGK verdrängt (vgl. Bergmann/Dienelt/Winkelmann, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 15 AufenthG Rn. 9). Die begründete Entscheidung mit genauer Angabe der Gründe für die Einreiseverweigerung wird gemäß Art. 14 Abs. 2 SGK mit dem Standardformular nach Anhang V Teil B SGK erteilt und dem Drittstaatenangehörigen ausgehändigt (Bergmann a.a.O.). Durch die beteiligte Ausländerbehörde wurde am 27.06.2017 die Einreiseverweigerung angeordnet. Diese Einreiseverweigerung wurde dem Betroffenen mittels Dolmetscher übersetzt. Sie entspricht dem o.g. Standardformular. Die Einreiseverweigerung erfolgte zu Recht, da der Betroffene nicht über den für eine Einreise erforderlichen Titel (§ 4 AufenthG) verfügte.
(2) Aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 27.06.2017 geht hervor, dass der Betroffene gemäß § 15 AufenthG, Art. 14 VO (EG) Nr. 562/2006 i.V.m. dem Rückübernahmeabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan nach Pakistan zurückgewiesen werden soll. Ob die Zurückweisung des Betroffenen nach Pakistan zulässig ist, unterliegt nicht dem Prüfungsmaßstab im Beschwerdeverfahren, sondern ist von dem zuständigen Verwaltungsgericht zu entscheiden (vgl. Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 15 Rn. 88). Im Übrigen kann die Kammer einen offensichtlichen Ermessensfehlgebrauch der beteiligten Behörde darin nicht erkennen, dass der Betroffene in sein Heimatland überstellt wird.
(3) Der Antrag enthält eine Begründung, dass die beteiligte Behörde voraussichtlich bis 20.09.2017 für die beabsichtigte Zurückweisung benötigt.
Die beteiligte Behörde führt aus, dass bei ihr für die Bearbeitung einschließlich Übersendung der Unterlagen an das Polizeipräsidium eine Woche Bearbeitungszeit erforderlich ist. Anschließend ist eine Woche Zeit für die Bearbeitung beim Polizeipräsidium einschließlich Übergabe der Unterlagen an die Botschaft erforderlich. Es schließt sich eine Bearbeitungszeit von acht Wochen durch die pakistanischen Behörden an, wenn – wie hier – kein Sachbeweis (z.B. Pass im Original) vorliegt. Bei diesen acht Wochen handelt es sich, wie der Kammer aus verschiedenen anderen Verfahren bekannt ist, um eine durchschnittliche Bearbeitungszeit bei den pakistanischen Behörden. Anschließend ist noch eine Zeit von zwei Wochen und drei Tagen als Bearbeitungszeit für die Organisation der Rückführung einschließlich Flugbuchung und tatsächlicher Rückführung erforderlich. Insgesamt ergibt sich damit eine erforderliche Haftdauer bis 20.09.2017.
b) Der Haftantrag enthält das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Traunstein für die geplante Zurückweisung (Ziffer IV. i). Im Übrigen ist dieses Einvernehmen nach der aktuellen Fassung des § 72 Abs. 4 AufenthG nicht mehr erforderlich.
c) Die Vorschriften über die Haftgründe (§ 62 Abs. 3 AufenthG) sind nicht anwendbar, da § 15 AufenthG für die Zurückweisungshaft nicht auf § 62 Abs. 3 AufenthG verweist. Auch die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) und hierbei insbesondere die Vorschrift des Art. 15 Abs. 1 lit. a über die Voraussetzung der Inhaftierung ist hier nicht anwendbar, da der Betroffene noch nicht nach Deutschland eingereist war und daher kein im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie im Hoheitsgebiet Deutschland illegal aufhältiger Drittstaatenangehöriger ist.
Im Übrigen liegt die nach Art. 15 der Rückführungsrichtlinie erforderliche Fluchtgefahr vor. Es besteht nämlich der Haftgrund der Fluchtgefahr im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5, § 2 Abs. 14 Ziffer 5 AufenthG. Danach kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine erhebliche Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Eine solche Erklärung liegt vor, wenn der Ausländer klar zum Ausdruck bringt, dass er nicht freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen und sich vor allem auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten würde (vgl. BGH, Beschluss vom 02.06.2016, Az. V ZB 36/16). Der Betroffene hat bei seiner polizeilichen Vernehmung am 27.06.2017 geäußert, dass er nicht nach Pakistan wolle und sich auf dem Flug dorthin umbringen werde, wenn man ihn zurückschicke. Er gab ferner an, dass er dem Ausländeramt nicht bei der Passbeschaffung geholfen habe, weil er nicht nach Pakistan wolle. Die Frage, ob er sich für die Abschiebung nach Pakistan zur Verfügung hält hat er verneint und angegeben, dass er bei der Beschaffung des Reisepasses nicht mithelfen werde. Bei der Anhörung durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Rosenheim am 27.06.2017 gab der Betroffene wiederum an, dass er nicht nach Pakistan zurück könne, weil da sein Leben in Gefahr sei und er sich umbringen würde.
Nach Auffassung der Kammer können die zitierten Äußerungen des Betroffenen nur so ausgelegt werden, dass er sich der Zurückweisung nach Pakistan nicht stellen würde. Es ist damit zu rechnen, dass der Betroffene in ein anderes Land reisen würde, um dort erneut Asylantrag zu stellen oder aber in Deutschland untertauchen würde.
c) Die Zurückweisungshaft ist verhältnismäßig (§ 62 Abs. 1 AufenthG). Es besteht – wie ausgeführt – die Gefahr, dass der Betroffene sich ohne Inhaftierung der Zurückweisung nach Pakistan nicht stellen, sondern untertauchen würde.
d) Das Verfahren wird von der beteiligten Behörde mit der nötigen Beschleunigung betrieben. Das Verfahren zur Beschaffung des Passersatzpapieres wurde mit den Antragsunterlagen über das Bundespolizeipräsidium am 06.07.2017 an die pakistanische Botschaft in Berlin weitergeleitet (vgl. Bl. 47/48). Auf das weitere Verfahren hat die beteiligte Behörde keinen Einfluss. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, warum zur weiteren Überprüfung der Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes die Ausländerakte beigezogen werden müsste.
e) Die Haft ist nicht wegen Verstosses gegen § 432 FamFG bzw. Art. 104 Abs. 4 GG aufzuheben. Wie sich aus dem Protokoll des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.06.2017 ergibt, wurde der Betroffene gefragt, ob er die Benachrichtigung einer Vertrauensperson wünscht. Dies hat er ausdrücklich verneint. Ein solcher Verzicht ist zulässig. Im Übrigen kann dem Betroffenen keine Vertrauensperson zugeteilt werden, die er nicht selbst ausgewählt hat, da es sich dann gerade um keine Person seines Vertrauens handeln würde. Im Übrigen würde ein Verstoß nicht zur Rechtswidrigkeit führen (vgl. BGH vom 21.01.2016, V ZB 6/14).
f) Die Haft wird in der zentralen Abschiebehafteinrichtung in E. vollzogen (§ 62a Abs. 1 AufenthG).
3. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war zurückzuweisen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO). Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. BGH vom 20.05.2016, V ZB 140/15). Die Beschwerde war nicht erfolgreich.
Die Verfahrenskostenhilfe war auch nicht wegen der Schwierigkeit der Rechtslage zu gewähren. Da das Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte. Entsprechendes muss dann gelten, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen. (vgl. BGH a.a.O.). Solche schwierigen Rechtsfragen waren hier nicht zu klären.
4. Von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren hat die Kammer abgesehen, da hiervon keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Der Betroffene hat bereits bei der Polizei und beim Amtsgericht eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er sich der Zurückweisung nach Pakistan nicht stellen wird.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
6. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.