Aktenzeichen L 12 KA 57/16 ZVW
SGB V SGB V § 73 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
1 Grundsätzlich ist, wenn Leistungen als gleichwertig anzusehen sind, weil sie voraussichtlich mit gleicher Wahrscheinlichkeit den gleichen Behandlungserfolg bringen werden, die kostengünstigere zu wählen ist. Eine „Gleichwertigkeit“ liegt insbesondere dann vor, wenn es sich um identische Arzneimittel handelt und lediglich deren Gebrauchsfertigmachen in zulässiger Weise durch unterschiedliche Personen erfolgt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln durch den Vertragsarzt zur Anwendung an seinen Patienten ist grundsätzlich auch von der Leistungspflicht eines Vertragsarztes mit umfasst, wenn es als notwendige Vorbereitungshandlung selbstverständlicher Teil der ärztlichen Behandlung ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wenn das Gebrauchsfertigmachen eines Arzneimittels besonderer Vorkehrungen bedarf, diese aber vor Ort nicht sichergestellt werden können und müssen, scheidet eine Zubereitung in der Arztpraxis schon aus diesem Grunde aus. Entsprechendes gilt auch dann, wenn die patientengerechte Gebrauchsfertigmachung eines Arzneimittels im Übrigen – insbesondere wegen des hiermit verbundenen zeitlichen Aufwands – besondere Anforderungen an die Arztpraxis stellen würde, die dieser nicht zumutbar sind. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 6 KA 3/15 R 2016-02-17 Urt BSG LSG München
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin einschließlich der Kosten der Beigeladenen zu 1. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Im streitgegenständlichen Zeitraum bestand keine Verpflichtung des Beklagten, einen Regress gegen den Beigeladenen zu 2. wegen der Anforderung von MAK als Rezeptur aus der Apotheke festzusetzen. Der Beigeladene zu 2. hat nämlich nach der Überzeugung des Senats nicht gegen das ihn unmittelbar verpflichtende Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V) verstoßen und damit nicht unwirtschaftlich iS des § 106 Abs. 1 SGB Vgehandelt, als er die für die Behandlung von Versicherten der klagenden Krankenkasse benötigten MAK in Form von Rezepturen von der Apotheke angefordert hat, statt das Arzneimittel selbst gebrauchsfertig zu machen.
Rechtsgrundlage des Arzneikostenregresses ist § 106 Abs. 2 SGB V idF vom 26.03.2007. Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben geprüft, wobei gemäß § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB Vandere arztbezogene Prüfungsarten, insbesondere auch Einzelfallprüfungen (§ 16 der Prüfungsvereinbarung) vereinbart werden können.
Der Beigeladene zu 2. hat bei der Anforderung der MAK aus der Apotheke nicht unwirtschaftlich gehandelt.
Zwar verpflichtet das Wirtschaftlichkeitsgebot den Vertragsarzt, umfassend – also in jedem Teilbereich – wirtschaftlich zu handeln, wie aus dem umfassenden Geltungsanspruch des Wirtschaftlichkeitsgebots folgt, so dass ein Arzt das Wirtschaftlichkeitsgebot bei der Verordnung von Arzneimitteln nicht allein in Bezug auf die Auswahl des Arzneimittels zu beachten hat, sondern auch dann, wenn er vor der Entscheidung steht, ob er ein Arzneimittel selbst zur Anwendung an seinem Patienten gebrauchsfertig macht oder hiermit eine Apotheke beauftragt.
Grundsätzlich ist, wenn Leistungen als gleichwertig anzusehen sind, weil sie voraussichtlich mit gleicher Wahrscheinlichkeit den gleichen Behandlungserfolg bringen werden, die kostengünstigere zu wählen ist. Eine „Gleichwertigkeit“ liegt – erst recht – dann vor, wenn es sich um identische Arzneimittel handelt und lediglich deren Gebrauchsfertigmachen in zulässiger Weise durch unterschiedliche Personen erfolgt.
Das Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln durch den Vertragsarzt zur Anwendung an seinen Patienten ist grundsätzlich auch von der Leistungspflicht eines Vertragsarztes mit umfasst, wenn es als notwendige Vorbereitungshandlung selbstverständlicher Teil der ärztlichen Behandlung i. S.v. § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGB Vist. So hat das BSG z.B. das Einfrieren und die Lagerung von Eierstockgewebe als Teilausschnitt der Gesamtbehandlung bezeichnet; es handele sich um eine unselbstständige Vorbereitungshandlung der späteren (eigentlichen) ärztlichen Krankenbehandlung. Dies fortführend gilt für eine ärztliche Behandlung, deren Inhalt die Gabe von Infusionen ist, dass nicht nur das Legen des Zugangs oder das Einfüllen der Infusionslösung notwendiger Teil der Behandlung ist, sondern auch das vorhergehende Zubereiten der Infusionslösung, weil es sich als notwendige Vorbereitungshandlung zur eigentlichen Krankenbehandlung darstellt.
Wenngleich diese Verpflichtung nicht ausdrücklich normiert ist, können in dieser besonders gelagerten Konstellation unmittelbar aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB Vkonkrete, im Falle der Nichtbeachtung einen Regress auslösende Vorgaben für die ärztliche Behandlung eines Patienten im Einzelfall abgeleitet werden. Die „besondere Konstellation“ ergibt sich regelmäßig daraus, dass es sich um eine Selbstverständlichkeit handelt, dass ein Vertragsarzt ein Arzneimittel, das er für die Behandlung seiner Patienten benötigt, selbst gebrauchsfertig macht.
Eine auf der Üblichkeit des Gebrauchsfertigmachens durch den Arzt beruhende „besondere Konstellation“ ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.02.2016, B 6 KA 3/15 R) jedoch dann zu verneinen, wenn die konkret in Rede stehende Handlung aufgrund von Besonderheiten, die sich aus der Eigenart des Arzneimittels bzw. seiner Verarbeitung und/oder der behandelten Patienten ergeben, gerade nicht zu den üblicherweise in der Arztpraxis durchgeführten, zumutbaren Tätigkeiten gehört. In diesem Fall entfällt zugleich die Verpflichtung des Vertragsarztes, das Medikament selbst gebrauchsfertig zu machen, und damit die entsprechende Handlungsalternative, deren Bestehen Voraussetzung für die Feststellung des unwirtschaftlichen Handelns bei Anforderung der fertigen Mischung als Rezeptur von der Apotheke ist.
Die Feststellung, dass dem Vertragsarzt die Zubereitung von Arzneimitteln in seiner Praxis zugemutet werden kann und er daher unwirtschaftlich handelt, wenn er diese durch die Apotheke vornehmen lässt, ist nur gerechtfertigt, wenn die an die Zubereitung zu stellenden Anforderungen nicht über das Maß hinausgehen, das von jedem Vertragsarzt erwartet werden kann. Wenn das Gebrauchsfertigmachen eines Arzneimittels besonderer Vorkehrungen bedarf, diese aber vor Ort nicht sichergestellt werden können und müssen, scheidet eine Zubereitung in der Arztpraxis schon aus diesem Grunde aus. Entsprechendes gilt auch dann, wenn die patientengerechte Gebrauchsfertigmachung eines Arzneimittels im Übrigen – insbesondere wegen des hiermit verbundenen zeitlichen Aufwands – besondere Anforderungen an die Arztpraxis stellen würde, die dieser nicht zumutbar sind. Die für die Zubereitung des Arzneimittels erforderlichen besonderen Vorkehrungen müssen daher über das allgemein in Arztpraxen Übliche – bei spezialisierten Praxen über das in vergleichbaren Praxen Übliche – hinausgehen. Es muss sich unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit um Vorkehrungen handeln, die zwar von einem Arzt nach eigenem Ermessen getroffen werden könnten, zu denen er aber – auch unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots – nicht verpflichtet ist. Der mit der Zubereitung verbundene zeitliche oder logistische Aufwand muss deutlich über den üblicherweise mit dem Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln verbundenen Aufwand hinausgehen, um die Unzumutbarkeit einer Zubereitung in der Arztpraxis zu begründen; insoweit können die auf Spitzenverbandsebene vereinbarten bzw. die in der AMPreisV genannten Apothekenzuschläge für Zubereitungen einen Anhalt geben. Zu berücksichtigen sind insoweit primär die Eigenheiten des verwendeten Arzneimittels, aber auch das Patientengut (a.a.O., juris Rn. 51 ff.). In Anwendung der Rechtsprechung des BSG kommt der Senat für den streitgegenständlichen Zeitraum zu dem Ergebnis, dass der Beklagte nicht verpflichtet war, einen Regress gegen den Beigeladenen zu 2. festzusetzen.
Nach den Ermittlungen des Senats war 2008/2009 das Gebrauchsfertigmachen von MAK durch den behandelnden Arzt – bzw. unter dessen Aufsicht durch sein medizinisches Fachpersonal – in onkologischen Praxen mit zumutbarem Aufwand nicht möglich und auch nicht „üblich“ und es konnte daher auch nicht erwartet werden, dass ein Arzt bzw. das Praxispersonal die patientengerechte Zubereitung des Arzneimittels selbst vornimmt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der Stellungnahme des Berufsverbands der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen vom 30.03.2017.
Dieser teilte mit, es sei im Zeitraum 2008/2009 „ausgesprochen unüblich“ gewesen, parenterale Infusionen mit Zytostatika und MAK in onkologischen Praxen zuzubereiten. Konkret seien in Bayern von damals 44 Praxen lediglich 10 räumlich, technisch und personell in der Lage gewesen, MAK in der Praxis gebrauchsfertig zu machen, also weniger als 1/4 der onkologischen Praxen. Diese Angaben werden von der Klägerin zwar als „nicht nachvollziehbar“ bewertet, jedoch nicht schlüssig widerlegt. Alleine die Bezugnahme auf die Verordnungsvolumina von Herceptin als Fertigarzneimittel lässt nach Auffassung des Senats keine Schlüsse auf die in onkologischen Praxen übliche Vorgehensweise zu, zumal die vorgelegten Daten nicht in Relation zu den Gesamtaufwendungen für dieses Medikament im GKV-Bereich gesetzt wurden.
Hinzu kommt, dass der zeitliche und logistische Aufwand für das Gebrauchsfertigmachen von MAK deutlich über den üblicherweise mit dem Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln verbundenen hinausgeht und damit nicht mehr zumutbar ist.
Nach den Angaben des Berufsverbands ist das Medikament nach der Beschaffung (Verordnung) zunächst zu rekonstituieren, da es sich bei MAK entweder um ein Trockenpulver (z.B. Trastuzumab/Herceptin) oder um ein Konzentrat (z.B. Rituximab/Mabthera) handelt. Dabei ist auf aseptische Bedingungen zu achten. Da MAK nach der Bewertung der Berufsgenossenschaft sog. CMR-Arzneistoffe, d.h. cancerogene, mutagene und reproduktionstoxische Arzneimittel, seien, müssten vom Arzt bzw. Personal entsprechende Sicherheitsmaßnahmen vorgehalten bzw. beachtet werden, u.a. eine geregelte Zu- und Abluftführung. Entsprechende Lösungsmittel seien bereitzuhalten, die für den individuellen Patienten erforderliche Menge und das entsprechende Volumen (z.B. gemäß des aktuellen Körpergewichts) zu bestimmen und die entsprechende Menge der rekonstituierten Lösung in einen Infusionsbeutel einzubringen und ohne Schaumbildung zu vermischen. Diese Zubereitung sei zu dokumentieren, das Infusionsbehältnis entsprechend mit Patientennamen, Geburtsdatum, Angabe des Medikaments, Dosierung, Endvolumen, Herstellungs- und Haltbarkeitsdatum zu versehen. Der zeitliche Aufwand gehe signifikant über den hinaus, der beim Gebrauchsfertigmachen anderer Arzneimittel zur unmittelbaren Anwendung am Patienten wie z.B. dem „Aufziehen“ eines Schmerzmittels, eines Kortisonpräparates usw. erforderlich sei. Dafür seien ca. 30 bis 60 Sekunden nötig, während das Gebrauchsfertigmachen eines MAK mindestens 15 min. benötige.
Diese Darlegungen des Berufsverbands zum Aufwand hält der Senat für nachvollziehbar und überzeugend. Bei der Beweiswürdigung berücksichtigt der Senat auch, dass § 5 AMPreisV für die Zubereitung eine Vergütung im streitgegenständlichen Zeitraum von immerhin 71,- EUR vorsah (aktuell nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 AMPreisV 87,- EUR). Diese Vergütung indiziert den hohen zeitlichen und logistischen Aufwand beim Gebrauchsfertigmachen von MAK. Damit ist der zeitliche und logistische Aufwand bei der Zubereitung monoklonaler Antikörper in einer onkologischen Praxis nicht mehr zumutbar.
Aber sogar wenn der Senat ausschließlich die Darlegungen des Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zugrunde legte, ist der zeitliche und logistische Aufwand für die Zubereitung monoklonaler Antikörper onkologischen Praxen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zumutbar. Die vom Fachbereich Apotheken der Klägerin ermittelten acht Minuten Zubereitungszeit – so die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung – übersteigen nämlich die Zubereitungszeit bei anderen Medikamenten von ca. einer Minute so erheblich, dass nicht mehr von einer geradezu selbstverständlichen notwendigen Vorbereitungshandlung im Sinne der BSG-Rechtsprechung ausgegangen werden kann. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass diese Bewertung nur den streitgegenständlichen Zeitraum betrifft, da sich die Medikamente und vor allem die Darreichungsformen sowie die Zubereitung laufend weiterentwickeln, so dass keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können.
An die Aufbewahrung und Zubereitung monoklonaler Antikörper sind nach den Ermittlungen des Senats hohe Anforderungen zu stellen, da es sich nach der Datenlage im streitgegenständlichen Zeitraum um CMR-Arzneimittel handelt. Der Berufsverband legte in seiner Stellungnahme dar, MAK in der Krebsbehandlung seien zytotoxisch, d.h. zellschädigend bzw. zellvernichtend und dürften daher nicht in Kontakt mit Gesunden kommen, da toxische und andere unerwünschte Wirkungen auf den Arzt und das Personal auftreten könnten bzw. nicht auszuschließen seien, wie sich aus dem Gutachten der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege von 2008 ergebe. Die Aufnahme dieser Substanzen über Haut und Schleimhäute bzw. das Einatmen von Aerosolen sei strikt zu vermeiden. Dementsprechend bestehe prinzipiell sowohl für das Personal als auch für die Patienten eine Gefährdung.
Die Ausführungen des Berufsverbandes werden von der Klägerin bestritten, wobei sie insbesondere auf ein pharmakologisches Gutachten der Ludwig-Maximilians-Universität B-Stadt vom 29.05.2012 hinweist, nach dem CMR-Wirkungen von MAK mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können. Dieser Einwand ist jedoch im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.04.2008 bis 31.12.2009 nicht entscheidungserheblich, da die Zumutbarkeit nur nach dem damaligen Kenntnisstand beurteilt werden kann. Im Übrigen ist ein Vertragsarzt nach dem Arbeitsschutzrecht gehalten, eine Gefährdung seiner Mitarbeiter durch entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen auszuschließen. Aufgrund der Datenlage im streitgegenständlichen Zeitraum folgt der Senat der Auffassung des Berufsverbands.
Im Ergebnis kommt der Senat aufgrund der Beweiserhebung in Anwendung der vom BSG entwickelten Grundsätze zu dem Ergebnis, dass das Gebrauchsfertigmachen monoklonaler Antikörper im streitgegenständlichen Zeitraum keine selbstverständliche notwendige Vorbereitungshandlung als Teil der ärztlichen Behandlung war, weil sie aufgrund des erforderlichen zeitlichen und logistischen Aufwands nicht mehr zumutbar war. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.