Aktenzeichen M 22 S 17.3263
Leitsatz
1 In der Zuweisung einer neuen Obdachlosenunterkunft liegt zugleich die konkludente Beendigung der Unterbringung in der alten Obdachlosenunterkunft. (Rn. 16 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Enthält ein Bescheid zwei Regelungsinhalte, so muss eine für den gesamten Bescheid ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich beider Regelungsinhalte den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO genügen. (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei freilich die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (ebenso BayVGH BeckRS 2012, 57203). (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2017 wird wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin stellte den Antragstellern erstmals mit Bescheid vom 24. Februar 2017 eine Unterkunft für die Zeit vom 20. Februar 2017 bis 30. April 2017 in der Gaststätte Hotel Garni in Sulzemoos zur Verfügung, um die Obdachlosigkeit der Antragsteller zu vermeiden. Die Zuweisung der Unterkunft wurde mit Bescheid vom 28. April 2017 bis zum 31. Mai 2017 verlängert.
Mit Bescheid vom 16. Mai 2017 wies die Antragsgegnerin die Antragsteller ab 18. Mai 2017 der Gemeinschaftsunterkunft in E. Weg-G. (Zimmer Nr. 25) zu. Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit Klage und Eilantrag vom 18. Mai 2017 (M 22 K 17.2178 bzw. M 22 E 17.2183). Mit Bescheid vom 24. Mai 2017 hob die Antragsgegnerin den Bescheid vom 16. Mai 2017 wieder auf und wies die Antragsteller ab 01. Juni 2017 (Zimmer Nr. 23) der Gemeinschaftsunterkunft zu.
Die Antragsgegnerin wurde daraufhin im Eilverfahren dazu verpflichtet, die Antragsteller in einer geeigneten Unterkunft unterzubringen. Insbesondere wurde darauf verwiesen, dass die Unterbringung einer fünfköpfigen Familie in nur einem kleinen Raum nicht zumutbar bzw. angemessen sei.
Seit 01. Juni 2016 sind die Antragsteller wiederum in der Gaststätte Hotel Garni in Sulzemoos untergebracht, wobei die Antragsgegnerin hierfür keinen neuen Bescheid erließ.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2017 wurden den Antragstellern die Zimmer Nr. 2 und 3 der Gemeinschaftsunterkunft in E. Weg-G. zugewiesen (Nr. 1 des Bescheids). Sie sollten sich am 18. Juli 2017 bis 10.00 Uhr dort einfinden. Des Weiteren wurde die Unterbringung auf die Zeit vom 18. Juli 2017 bis 31. August 2017 befristet (Nr. 2 des Bescheids). Ferner wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. 11 des Bescheids).
Begründet wurde die Zuweisung damit, dass in der Gemeinschaftsunterkunft in E. Weg-G. nunmehr zwei Zimmer zu Verfügung stünden. Aufgrund dessen ende die vertragliche Vereinbarung mit der Gaststätte, in der die Antragsteller bisher untergebracht sind. Die Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft seien mit Stockbetten ausgestattet und lägen nebeneinander. Bei der zugewiesenen Unterkunft handle es sich lediglich um eine Notunterkunft, die obdachlosen Personen Schutz und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse bieten solle. Eine weitgehende Einschränkung der Wohnansprüche müsse hingenommen werden.
Gegen diesen Bescheid ließen die Antragsteller durch ihre Bevollmächtigte am 17. Juli 2017 Klage erheben (Az.: M 22 K 17.3262).
Gleichzeitig beantragen sie (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
Zur Begründung des Antrags tragen die Antragsteller vor, der Antragsteller zu 2) habe bereits einmal in der Gemeinschaftsunterkunft gewohnt, bevor die Familie aus Syrien nachziehen durfte. In der Unterkunft würden Rauschgift und Marihuana von anderen Bewohnern konsumiert. Sogar der Rauchmelder habe sich aufgrund des starken Rauches schon mehrfach aktiviert. Der Antragsteller zu 2) habe wegen Herzrhythmusstörungen für zwei Tage in das Krankenhaus eingeliefert werden müssen, weil er auf der Gemeinschaftstoilette Rauch eingeatmet habe. Es werde auch viel Alkohol konsumiert. Die Nachtruhe werde auch nicht eingehalten. Vor allem für die Antragsteller zu 3) bis 5) bestehe eine massive Gefahr für die Gesundheit. Für die Antragsteller zu 2) und 4) wurde ein Attest vorgelegt, aus dem unter anderen die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung hervorgeht. In seiner Anhörung zum Erlass des Bescheides trug der Antragsteller zu 2) weiterhin vor, die Antragsteller zu 3) bis 5) seien traumatisiert. Sie hätten beispielsweise Angst vor Fremden und Menschenansammlungen. Auch hätten die Antragsteller bereits eine neue Wohnung gefunden. Es sei unverhältnismäßig, für den kurzen Zeitraum bis zum Bezug dieser Wohnung in die Gemeinschaftsunterkunft ziehen zu müssen.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Mit Fax vom 18. Juli 2017 äußerte sie sich zum Antrag dahingehend, dass die bisherige Unterbringung in der Gaststätte Hotel Garni von Anfang an befristet erfolgt und nur eine Notlösung aufgrund der drohenden Obdachlosigkeit sei. Die Unterbringung dürfe keine Dauerlösung sein und sei für die Antragsgegnerin mit sehr hohen Kosten verbunden.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig und auch in der Sache begründet. Der Bescheid beinhaltet auch die Beendigung der Unterbringung in der Gaststätte Hotel Garni. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs erweist sich insoweit aber als unzureichend.
1. Der Antrag ist zulässig.
Den Antragstellern steht insbesondere eine Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog zu, da sie Adressaten eines auch belastenden Verwaltungsaktes sind und somit eine mögliche Verletzung eigener Rechte geltend machen können.
Die Kammer geht dabei davon aus, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2017 aus zwei selbstständigen Regelungsbestandteilen besteht:
Zum einen beinhaltet der Bescheid eine Regelung zur Beendigung der Unterbringung der Antragsteller in der bisherigen Unterkunft (Gaststätte Hotel Garni). Dies wird im Bescheid zwar weder im Tenor noch in den Gründen ausdrücklich so bezeichnet, dennoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang und bei verständiger Auslegung, dass die Beendigung der Unterbringung in der derzeitigen Unterkunft zum 18. Juli 2017 zumindest konkludent angeordnet wird. Diese Lesart ist auch dahingehend zwingend, dass andernfalls eine Verpflichtung zum Auszug der Antragsteller aus ihren Räumen in der Gaststätte Hotel Garni gar nicht bestünde.
Zum anderen beinhaltet der Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2017 auch die Zurverfügungstellung bzw. Zuweisung einer neuen Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft E. Weg-G. (Nr. 1 des Bescheids).
Würde sich der Regelungsgehalt des Bescheids in Letzterem erschöpfen, so ginge die Anordnung der sofortigen Vollziehung ins Leere. Bei der Zuweisung einer Obdachlosenwohnung handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Die Antragsteller können von diesem Verwaltungsakt nach Belieben Gebrauch machen. Es besteht hingegen keine Pflicht, tatsächlich in die zur Verfügung gestellte Unterkunft einzuziehen (vgl. VG München, B.v. 24.10.2002 – M 22 E 02.2459 – juris Rn. 53 -; VG Ansbach, B.v. 12.8.2004 – AN 5 S. 04.01448 – juris Rn. 10). Dementsprechend besteht seitens der Antragsteller keine Verpflichtung zum Einzug in die ihnen zugewiesene Unterkunft, die zwangsweise durchgesetzt werden könnte. Somit wäre auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung diesbezüglich bereits unzulässig, da bei einer reinen Begünstigung eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten nicht ersichtlich wäre.
In der Regelung zur Beendigung der Unterbringung in der Pension liegt hingegen eine eigenständige Belastung für die Antragsteller. Diesbezüglich besteht auch Raum für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, da mit der (atypischen) Umsetzungsverfügung eine die Antragsteller belastende Verpflichtung zum Verlassen der Unterkunft einhergeht. Insofern ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft.
2. Der Antrag ist auch begründet. Die Anordnung des Sofortvollzugs entspricht nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung i.S.d § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO und ist somit formell rechtwidrig.
2.1 Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Will die Behörde von diesem Regelfall abweichen, so muss sie gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich begründen. Dabei muss die Begründung eindeutig erkennen lassen, dass sich die Behörde hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auseinandergesetzt hat. Es ist darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43 -; VG Regensburg, B.v. 22.1.2016 – RN 4 S. 15.2215 -; VG München, B.v. 12.4.2016 – M 6 S. 16.1332 – juris Rn. 11).
2.2 Diesen Anforderungen wird die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin im Bescheid vom 17. Juli 2017 nicht gerecht. Die Begründung der Antragsgegnerin erschöpft sich darin, dass mit dem Ende des Unterbringungsvertrags mit der Gaststätte Hotel Garni die Obdachlosigkeit und damit eine Gefahr für Leib und Leben drohten. Der Bescheid besteht jedoch wie dargestellt aus zwei selbstständigen Regelungsbestandteilen: die Beendigung der Unterbringung in der bisherigen Unterkunft und die Zuweisung einer anderen Unterkunft. Hinsichtlich der Regelung zur Beendigung der Unterbringung in der Pension wurden jedoch keine hinreichenden Gründe dargelegt, warum das Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiegen solle. Es sind keine Ausführungen enthalten, weshalb die Umsetzung von der bisherigen in die neue Obdachlosenunterkunft bzw. die Beendigung der bisherigen Unterbringung im überwiegenden öffentlichen Interesse unverzüglich erforderlich sein soll (vgl. VG Ansbach, B.v. 12.8.2004 – AN 5 S. 04.01448 – juris Rn. 11). Ausführungen in diese Richtung sind auch nicht in der Begründung des Bescheids enthalten. Zudem ist mangels Androhung von Zwangsmaßnahmen nicht ersichtlich, dass und wie die Anordnung überhaupt zwangsweise durchgesetzt werden könnte.
Die Ausführungen in der Antragserwiderung vom 18. Juli 2017 vermögen diesen Begründungsmangel nicht zu heilen. Die Begründung kann nach herrschender Meinung im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden, da sie auch dem Interesse des Antragstellers dient, eine Prüfung der Erfolgsaussichten eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz vornehmen zu können (vgl. VG Regensburg, B.v. 22.1.2016 – RN 4 S. 15.2215 – VG Augsburg, B.v. 17.9.2012 – Au 1 S. 12.1089 – juris Rn. 47). Auch wäre dies mit dem Schutzzweck des Begründungszwangs, der Schaffung eines Bewusstseins für die Sondersituation im Zeitpunkt der Anordnung durch die Behörde, nicht vereinbar (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80 Rn. 44).
Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Behörde grundsätzlich nicht am Erlass eines neuen Bescheids mit rechtmäßiger Vollziehungsanordnung gehindert ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl 1999, 465).
3. Für das weitere Verfahren weist die Kammer darauf hin, dass nach vorläufiger Einschätzung aufgrund der Aktenlage keine Bedenken gegen eine Unterbringung der Antragsteller in den von der Antragsgegnerin vorgesehenen zwei Zimmern der Gemeinschaftsunterkunft bestehen.
Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5). Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei freilich die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.7.2005 – 4 C 05.1551).
Vorliegend ist nach der gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich, dass die Gemeinschaftsunterkunft nicht den Mindestanforderungen, die an eine Obdachlosenunterkunft zu stellen sind, genügt. Dabei ist klarzustellen, dass ein Obdachloser keinen Anspruch darauf hat, dass ihm die Obdachlosenbehörde unter den geeigneten Unterbringungsstätten eine speziell von ihm gewünschte zuteilt (vgl. VG München, B.v. 2.12.2008 – M 22 E 08.5680 – juris Rn. 10).
Auch steht der Behörde ein weites Ermessen bei der Auswahl an Möglichkeiten der Unterbringung von Obdachlosen zu. Besondere Umstände, die dieses Ermessen einschränken, sind vorliegend nicht ersichtlich. Den Antragstellern werden zwei Räume, die direkt nebeneinander liegen, zur ausschließlichen Nutzung zur Verfügung gestellt. Damit ist sichergestellt, dass ausreichend Schlaf- und Aufenthaltsmöglichkeiten für die Antragsteller gewährleistet sind. Auch vermag die Kammer keine Gefahren für die Gesundheit der Antragsteller, insbesondere der Antragsteller zu 3) bis 5) zu erkennen. Bei der Zuweisung von zwei Zimmern steht den Antragstellern hinreichender Rückzugsraum zur Verfügung. Aus dem Inhalt der vorgelegten Atteste ergibt sich nicht hinreichend, inwiefern die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Antragsteller haben könnte.
Schließlich ist das Vorbringen der Antragsteller, in Kürze ohnehin in eine Mietwohnung umzuziehen, nicht ausreichend substantiiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.