Aktenzeichen L 9 EG 38/15
Leitsatz
In der überwiegenden Zahl der Monate des Bemessungszeitraums hat das alte Abzugsmerkmal nur dann im Sinn von § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG gegolten, wenn es in mehr als der Hälfte der Kalendermonate des Bemessungszeitraums ausschließlich, d.h. nicht neben dem neuen Abzugsmerkmal, aufgetaucht ist. (Rn. 43)
Verfahrensgang
S 8 EG 113/14 2015-05-18 Urt SGMUENCHEN SG München
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht verurteilt, dem Kläger höheres Elterngeld ohne Abzug von Sozialabgaben bei der Bildung des Elterngeld-Netto zu gewähren.
Gegenstand der Anfechtungsklage – insgesamt handelt es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage – ist allein der Bewilligungsbescheid vom 28.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2014. Da die Bewilligung endgültig und nicht nur vorläufig ausgesprochen worden war, kam es nicht zum Erlass eines Zweitbescheids. Von dem Vorbehalt des Widerrufs hat der Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Bei dem hier vorliegenden Höhenstreit ist der Streitgegenstand grundsätzlich nicht auf ein einzelnes Berechnungselement beschränkt. Vielmehr prüft der Senat innerhalb der Grenzen des klägerischen Antrags unter allen tatsächlichen und rechtlichen Facetten, ob dem Kläger höhere Leistungen zustehen. Andererseits berücksichtigt der Senat auch solche Aspekte, die das vom Kläger begehrte Optimum auf anderem Wege wieder reduzieren.
Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Anspruchs dem Grunde nach liegen unzweifelhaft vor. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 BEEG in der bis 31.12.2014 geltenden Fassung (aF). Die Maßgeblichkeit dieser Gesetzesfassung ergibt sich aus § 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Nach § 1 Abs. 1 BEEG aF hat Anspruch auf Elterngeld, wer
1.einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Alle diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger. Er hatte während des gesamten Bezugszeitraums seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit L. in einem Haushalt, betreute und erzog sie selbst und übte entsprechend seiner Ankündigung im Elterngeldantrag während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Ein ordnungsgemäßer Antrag auf Elterngeld liegt vor.
Die Höhe des Elterngelds hat der Beklagte zu niedrig festgelegt. In der Tat hätte er bei der Bildung des Elterngeld-Netto von einem Abzug von Sozialabgaben absehen müssen.
Für die Bestimmung der Höhe des Elterngelds ist ebenfalls das bis zum 31.12.2014 geltende Recht (im Folgenden: aF) heranzuziehen. Dies folgt aus § 27 Abs. 1 Satz 2 BEEG. § 2 Abs. 1 und 2 BEEG aF lautet, soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung, wie folgt:
„(1) 1Elterngeld wird in Höhe von 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. 2Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. 3Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus
1. nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Einkommensteuergesetzes sowie
2. …,
die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b … hat.
(2) … 2In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1.200 Euro war, sinkt der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent.“
Eine zeitliche Spezifizierung des Normteils „vor der Geburt des Kindes“ erfolgt in § 2b Abs. 1 Satz 1 BEEG aF. Danach sind für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt die zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt des Kindes maßgeblich. Im Fall des Klägers, der nur Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit bezog, sind das die zwölf Kalendermonate vor März 2014, hier also März 2013 bis einschließlich Februar 2014. Diesen Zeitraum hat der Beklagte korrekt herangezogen.
Als richtig erweist sich auch die weitere Vorgehensweise des Beklagten, wie sie aus der Anlage zum Bewilligungsbescheid vom 28.04.2014 hervorgeht:
– Für alle zwölf Monate des Bemessungszeitraums hat der Beklagte das jeweils erzielte individuelle Einkommen zugrunde gelegt, dabei jedoch zutreffend die im Dezember 2013 zugeflossene Sonderzahlung außer Betracht gelassen.
– Sodann hat er von jedem dieser zwölf Beträge den Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 83,33 EUR abgezogen.
– Dann hat er den monatlichen Durchschnitt, das Elterngeld-Brutto (3.621,79 EUR), gebildet.
– Zur Berechnung der Abzüge für Steuern und Sozialabgaben im Rahmen des Elterngeld-Netto hat er ebenfalls ein monatliches Durchschnittseinkommen ermittelt, das allerdings nicht um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag bereinigt war (vgl. dazu Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.06.2017 – B 10 EG 4/16 R, Rn. 18 des juris-Dokuments). Anhand des elterngeldrechtlichen Steuerbemessungsprogramms hat der Beklagte monatliche Steuern in Höhe von 758,07 EUR angesetzt.
Zu Unrecht hat der Beklagte allerdings monatlich 778,07 EUR für Sozialabgaben vom Elterngeld-Brutto abgezogen, was letztlich zu einem Elterngeld-Netto von lediglich 2.085,65 EUR geführt hat.
Nach § 2c Abs. 1 Satz 1 BEEG aF ergibt der monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Überschuss der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f, das Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit. Gemäß § 2c Abs. 2 BEEG aF sind Grundlage der Ermittlung der Einnahmen die Angaben in den für die maßgeblichen Monate erstellten Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers. Anhand welcher Quelle das Abzugsmerkmal Sozialversicherungspflicht abgelesen wird, regelt § 2c Abs. 3 BEEG aF:
1Grundlage für die Ermittlung der nach §§ 2e und 2f erforderlichen Abzugsmerkmale für Steuern und Sozialabgaben sind die Angaben in der Lohn- und Gehaltsbescheinigung, die für den letzten Monat im Bemessungszeitraum mit Einnahmen nach Absatz 1 erstellt wurde. 2Soweit sich in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Bemessungszeitraums eine Angabe zu einem Abzugsmerkmal geändert hat, ist die von der Angabe nach Satz 1 abweichende Angabe maßgeblich, wenn sie in der überwiegenden Zahl der Monate des Bemessungszeitraums gegolten hat.
Damit legt § 2c Abs. 3 Satz 1 BEEG aF im Gegensatz zum vor dem 18.09.2012 geltenden System der monatsindividuellen Vorgehensweise fest, dass grundsätzlich die Angaben im letzten Entgeltnachweis des Bemessungszeitraums maßgebend sind. Hat während des Bemessungszeitraums ein Wechsel der Abzugsmerkmale stattgefunden, ist nach § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG aF die Angabe im letzten Entgeltnachweis gleichwohl maßgebend, wenn die abweichende Angabe nicht in der überwiegenden Zahl der Kalendermonate erschienen ist.
Gemessen daran erweist sich die Vorgehensweise des Beklagten im Hinblick auf die elterngeldrechtlichen Abzüge für Steuern als korrekt. Für den letzten Monat im Bezugszeitraum war dem Kläger Steuerklasse I zugeordnet (vgl. § 2c Abs. 3 Satz 1 BEEG aF); ein Wechsel der Steuerklasse hat während des Bemessungszeitraums nicht stattgefunden (vgl. § 2c Abs. 3 Satz 1 BEEG aF).
Das ist hinsichtlich der Abzüge für Sozialabgaben anders. Im letzten Monat des Bezugszeitraums war der Kläger nicht sozialversicherungspflichtig, weil verbeamtet. Diesbezüglich ist aber im September 2013 ein Wechsel (Verbeamtung) eingetreten, so dass § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG aF im Fokus steht.
Insoweit ist der Senat zum Ergebnis gelangt, dass die Sozialversicherungspflicht als Abzugsmerkmal nicht „in der überwiegenden Zahl der Monate des Bemessungszeitraums gegolten hat.“ Zwar erscheint die Rechtsauffassung des Beklagten nicht unvertretbar, allerdings spricht eine umfassende Auslegung der Gesetzespassage „in der überwiegenden Zahl der Monate des Bemessungszeitraums gegolten“ für die Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Folgende Auslegungsvarianten erscheinen denkbar:
– Variante 1: Die Sozialversicherungspflicht hat in der überwiegenden Zahl der Monate gegolten, nämlich von März bis August 2013, aber auch im September 2013 (wenn auch dort nur zum Teil). Das sind insgesamt sieben Monate. Sozialversicherungsfreiheit hat dagegen nur von September 2013 bis Februar 2014, also lediglich in sechs Monaten vorgelegen. Diesen Ansatz verfolgt der Beklagte.
– Variante 2: Entgegen Variante 1 (dort sind es dreizehn) darf die Gesamtzahl der in den Vergleich eingehenden Monate nur zwölf betragen. Jeder der zwölf Monate im Bemessungszeitraum muss eindeutig entweder dem einen oder dem anderen Abzugsmerkmal zugeordnet werden. Bei „gemischten“ Monaten wie dem Monat September 2013 kommt es darauf an, ob innerhalb dieses Monats überwiegend die Abweichung gegolten hat. Diese Interpretation von § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG aF hat sich das Sozialgericht zu eigen gemacht.
– Variante 3: Mit Variante 2 besteht insoweit Übereinstimmung, als die Summe der herangezogenen Monate zwölf betragen muss. Der Gesetzgeber hat nicht auf die „überwiegende Zeit“ abgestellt, sondern ein Monatsprinzip installiert. Als für das frühere Abzugsmerkmal sprechend darf ein Monat aber nur dann gewertet werden, wenn er von Anfang bis Ende das frühere Abzugsmerkmal aufweist – es müssen also mindestens sieben ganze Monate vorliegen.
– Variante 4: Unabhängig von den Kalendermonaten kommt es nur auf die „überwiegende Zeit“ an.
– Variante 5: Das Erfordernis, das alte Abzugsmerkmal müsse in der überwiegenden Zahl der Monate im Bemessungszeitraum gegolten haben, ist schon dann erfüllt, wenn mehr als die Hälfte der Kalendermonate mit dem alten Abzugsmerkmal lediglich „belegt“ sind. Der „gemischte Monat“ wäre nach dieser Lesart stets zu Gunsten des alten Abzugsmerkmals zu werten, nicht auch zu Gunsten des neuen. Belegt mit dem alten Abzugsmerkmal wären sieben, nicht belegt wären lediglich fünf Monate.
Die Gesetzesauslegung durch den Senat führt zu dem Resultat, dass entweder Variante 2 oder Variante 3 die richtige ist. Beiden Varianten erzeugen das gleiche Ergebnis, welches dem entspricht, das das Sozialgericht gefunden hat.
a) Bei der wörtlichen Auslegung fällt auf, dass die Norm den Ausnahmefall nicht über das neue Abzugsmerkmal, sondern über das alte definiert: Dem Wortlaut nach muss das alte Abzugsmerkmal überwiegen, und zwar in einer monatsbezogenen Betrachtung. Daraus folgt auf jeden Fall, dass nicht auf die „überwiegende Zeit“ abgestellt werden darf; vielmehr müssen ganze Monate gezählt werden. Damit scheidet eine tageweise Berechnung (Variante 4) bereits auf der Ebene der wörtlichen Auslegung aus; darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Dissens.
Variante 1 wird dem Wortlaut von § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG aF voll gerecht, weil eine „Geltung“ im landläufigen Sinn tatsächlich auch für den Monat September 2013 gegeben war. Das alte Abzugsmerkmal tauchte unbestreitbar in sieben Kalendermonaten auf, das neue nur in sechs. Der Wortlaut von § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG aF verlangt auch nicht, dass die Summe der in den Vergleich eingehenden Monate ausnahmslos zwölf betragen muss; er postuliert wie gesagt nur, dass der Vergleich nur mit ganzen Kalendermonaten angestellt wird.
Variante 2 und 3 entfernen sich nur geringfügig vom Wortlaut, stehen zu ihm aber keinesfalls in Widerspruch. Jedoch sind sie nicht in gleichem Maß wie Variante 1 wortlautgetreu, weil sie jeweils etwas hinzuinterpretieren: Variante 3 unterstellt, dass „Geltung des alten Abzugsmerkmals“ die Geltung im vollen Kalendermonat erfordert, Variante 2, dass eine „Geltung“ nur dann vorliegt, wenn sie innerhalb eines Monats überwiegt.
Auch Variante 5 lässt sich mit dem Wortlaut von § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG aF vereinbaren, wobei wiederum etwas hinzuinterpretiert würde: Dort, wo das alte Abzugsmerkmal auftaucht, also „gilt“, kann nicht zugleich auch das neue gelten – dem alten Abzugsmerkmal kommt insoweit eine Ausschlusswirkung zu.
Zusammenfassend lässt sich zum Wortlaut der Regelung feststellen, dass dieser am ehesten für die Lösung des Beklagten (Variante 1) spricht, jedoch weit davon entfernt ist, diese Vorgehensweise alternativlos erscheinen zu lassen. Der Wortlaut erlaubt vielmehr ohne weiteres auch die Varianten 2, 3 und 5.
b) Die historische Auslegung bewirkt gegenüber der Auslegung nach dem Wortlaut keine weitere Verengung des Auslegungsspektrums. Sie zeigt keine Tendenz zu Gunsten oder zu Ungunsten irgendeiner der vier noch verbliebenen Auslegungsvarianten auf. Vor der Schaffung von § 2c Abs. 3 BEEG aF mussten die elterngeldrechtlichen Abzüge für Steuern und Sozialabgaben Monat für Monat ermittelt werden. Der Beklagte hatte den tatsächlichen Steuerbeziehungsweise Beitragsabzug zu übernehmen. Seit der Gesetzesänderung gibt es dagegen nur noch einen Abzugsposten in einer einheitlichen Höhe für alle Kalendermonate des Bemessungszeitraums. Eine bestimmte Handhabung in Bezug auf die hier vorliegende Problematik bietet sich aber aus der Gesetzeshistorie heraus nicht an, geschweige denn drängt sich auf. Die Historie determiniert nicht, wie das Tatbestandsmerkmal „gelten“ auszulegen sein könnte. Auch die Begründung zum Gesetzentwurf in BTDrs 17/9841, die unten wiedergegeben ist, legt keine historischen Fakten offen, die signifikant sein könnten.
c) Die Gesetzessystematik spricht in erster Linie, wenn auch nicht zwingend, für Auslegungsvariante 3.
Den entscheidenden Aspekt im Rahmen der Auslegung sieht der Senat darin, dass der Rückgriff auf das aktuelle Abzugsmerkmal die Regel, der auf das alte Abzugsmerkmal die Ausnahme darstellen soll. Grundsätzlich gibt der letzte Monat des Bemessungszeitraums den Ausschlag, das Abstellen auf das Überwiegen während des Bemessungszeitraums soll dagegen die Ausnahme sein. Ausnahmeregelungen im Allgemeinen, so auch im Sozialrecht und so auch die hier vorliegende, dürfen grundsätzlich nicht extensiv ausgelegt werden. Die Auslegung sollte – im Rahmen des Wortlauts der Vorschrift – nur so weit reichen, wie dies für den Zweck der Ausnahmeregelung wirklich erforderlich ist.
Für die hier vorliegende Konstellation, die sich durch einen offenen Wortlaut der Norm auszeichnet, bedeutet dies, dass wenn möglich eine Auslegung zu wählen ist, welche die Zahl der Ausnahmesachverhalte eher eindämmt. Dabei handelt es sich allerdings zugegebenermaßen nur um eine generelle Richtschnur, nicht aber um ein unbedingtes Muss für jeden Einzelfall.
Angesichts des Ausnahmecharakters von § 2c Abs. 3 Satz 2 BEEG aF verwirft der Senat den Rechtsfindungsmodus des Beklagten (Variante 1), der relativ leicht zum Eintritt des Ausnahmefalls führt. Eigentlich konsequent vom Wortlaut der Norm ausgehend, der auf die Zahl der Monate mit dem alten Abzugsmerkmal abstellt, zählt der Beklagte die Monate mit Sozialversicherungspflicht. In lebensnaher Auslegung des Wortes „gelten“ lässt er es genügen, wenn nur ein Teil des Kalendermonats mit dem Abzugsmerkmal belegt ist; denn dann, so seine Erwägungen, habe das alte Abzugsmerkmal ja irgendwann in dem Monat einmal „gegolten“.
Vorzugswürdig erscheint jedoch, vor dem Hintergrund des beschriebenen Regel-/Ausnahme-Verhältnisses mit den Überlegungen an den Monaten mit dem neuen Abzugsmerkmal anzusetzen: Die Abweichung ist gesetzessystematisch dann gerechtfertigt, wenn das neue Merkmal in mindestens der Hälfte der Kalendermonate nicht mehr auftaucht. Die überwiegende Zahl der Monate muss für das alte Abzugsmerkmal sprechen, damit dieses relevant werden kann. Für das alte Abzugsmerkmal spricht ein Monat – wie September 2013 – aber nicht, wenn in ihm sowohl das alte als auch das neue greift; aus Absatz 3 Satz 1 ergibt sich, dass das neue Abzugsmerkmal Priorität hat.
Abgestellt werden sollte im vorliegenden Fall also darauf, dass ab September 2013 – also für sechs Monate – gerade das neue Abzugsmerkmal erschienen ist. Auch wenn der Monat September 2013 auch das alte Abzugsmerkmal aufweist, so fehlt es doch – immerhin ist der Monat mit dem neuen Abzugsmerkmal belegt – an der inneren Rechtfertigung, diesen Monat zu Gunsten der Ausnahmehandhabung zu instrumentalisieren.
Dass Variante 1 keine adäquate Lösung bietet, wird durch einen gedanklichen Transfer plastisch verdeutlicht: Bei der hier gegebenen Konstellation, wo nur ein einziger Wechsel eines Abzugsmerkmals innerhalb des Bemessungszeitraums erfolgt ist, mögen die Defizite von Variante 1 noch nicht mit den Händen greifbar auffallen. Stellt man sich aber die Konstellation vor, dass häufigere Wechsel der Abzugsmerkmale erfolgen, ändert sich dies. Dann nämlich wird deutlich, dass die Relevanz des letzten Monats als stabilisierendes Element keineswegs vorschnell aufgegeben werden darf. Der Senat verkennt nicht, dass bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden ein mehrfacher Wechsel der Sozialversicherungspflicht nahezu unmöglich ist – denn der Kläger hätte dann zwischen Angestellten- und Beamtenverhältnis quasi hin- und herwechseln müssen. Dennoch dürfen solche virtuell anmutenden Überlegungen bei der Justierung der grundsätzlichen Herangehensweise Berücksichtigung finden.
Gesetzessystematisch fällt weiter auf, dass im Rahmen der Ermittlung des Bemessungsentgelts ein im Ansatz vergleichbares Institut existiert. So werden aus dem Bemessungszeitraum Kalendermonate ausgeklammert, in denen auch nur einen Tag lang Mutterschaftsleistungen bezogen werden. Dies mag dem besonderen Umstand geschuldet sein, dass bereits ein Tag „mathematisch“ ausreicht, um den Kalendermonat als nicht mehr repräsentativ für die aktuelle Einkommenssituation anzusehen. Trotz dieser Unterschiede im Beweggrund für die Regelungen lässt sich aber feststellen, dass das Gesetz im Bemessungsrecht die Anknüpfung an die vollen Kalendermonate auch andernorts kennt. Auch wenn diese Folgerung nicht zwingend ist, so scheint es doch so, als ob jeder Kalendermonat im Bemessungszeitraum einen „einheitlichen Status“ haben soll. Das spricht gegen die Vorgehensweise des Beklagten, den Monat September 2013 im Rahmen des Vergleichs sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite zu zählen. Vielmehr wird die Summe der in den Vergleich eingestellten Kalendermonate tatsächlich nur zwölf betragen müssen. Jeder Monat für sich muss die Abweichung nahelegen. Und nur wenn diese für die Abweichung sprechenden Monate überwiegen, darf die Ausnahmehandhabung greifen.
d) Das Ergebnis der systematischen Auslegung wird durch die teleologische Auslegung bestätigt. Allerdings vermittelt die Begründung zum Gesetzentwurf kaum Erhellendes. Im Rahmen der Schaffung von § 2c BEEG wurde Absatz 3 auszugsweise wie folgt erläutert (BTDrs 17/9841, S. 22):
Zu Absatz 3 Absatz 3 regelt den Nachweis der Abzugsmerkmale, die neben den Daten nach Absatz 2 den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen zu entnehmen sind. … Grundlage der Ermittlung der nach den §§ 2e und 2f erforderlichen Abzugsmerkmale für Steuern und Sozialabgaben sind die Angaben in der Lohn- und Gehaltsbescheinigung, die als letzte für einen Monat im Bemessungszeitraum erstellt wurde. Wie nach Absatz 2 ergibt sich auch aus dieser Regelung für die Angaben aus den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen eine Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung.
Zu Satz 1
…
Zu Satz 2
Satz 2 regelt Fälle, in denen sich eine Angabe nach Satz 1 innerhalb des Bemessungszeitraumes geändert hat. In diesen Fällen ist die abweichende Angabe maßgeblich, wenn sie in der überwiegenden Zahl der Monate des Bemessungszeitraumes gegolten hat. Wenn die abweichende Angabe und die Angabe in der letzten Lohn- und Gehaltsbescheinigung in gleichem Umfang gegolten haben, gilt die Angabe in der letzten Lohn- und Gehaltsbescheinigung. Monate ohne lohnsteuerpflichtige Einnahmen sind nicht zu berücksichtigen. In Fällen, in denen der erste und der letzte Bemessungsmonat mit Einnahmen nach § 2c jeweils die gleichen Angaben enthalten, kann im Verwaltungsvollzug grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die jeweilige Angabe unverändert geblieben ist.
Auch wenn die Begründung relativ wenig Aussagekraft hat, so lässt der Inhalt von § 2c Abs. 3 BEEG aF doch erahnen, dass folgende Motive den Ausschlag gegeben haben:
– Im Wesentlichen ging es um Verwaltungsvereinfachung. Der Gesetzgeber hielt es für nicht opportun, dass die elterngeldrechtlichen Abzüge bis dato für jeden Kalendermonat gesondert berechnet werden mussten. Mit dem Regel-Anknüpfungs-punkt des letzten Monats im Bemessungszeitraum (Satz 1) fand er eine Lösung, die grundsätzlich den Blick in nur eine Entgeltmitteilung, nämlich die letzte, erfordert, gleichzeitig aber eine hinreichende Gewähr bietet, dass der Einkommensausfall nach der Geburt einigermaßen aktuell und authentisch abgebildet wird. Denn nach der Lebenserfahrung hätten sich die Abzugsmerkmale im letzten Kalendermonat des Bemessungszeitraums ohne „Dazwischenkommen“ der Geburt mit einiger Wahrscheinlichkeit fortgesetzt.
– Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber durch die Implementierung von Satz 2 Härten für die Betroffenen abfedern. Die Kompensation von Unzuträglichkeiten sollte aber nicht dadurch erfolgen, dass doch wieder zur monatsindividuellen Berechnung zurückgekehrt würde. Vielmehr strebte der Gesetzgeber an, auf jeden Fall einen einzigen Status für alle Monate des Bemessungszeitraums zu erreichen; auf die Verwaltungsvereinfachung wollte er unter keinen Umständen verzichten.
Bei der Auslegung fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich bei Satz 2 um eine Härteregelung handelt. Damit soll Unbilligkeiten abgeholfen werden, die sich daraus ergeben, dass lediglich ein einziger von insgesamt zwölf Monaten die elterngeldrechtlichen Abzüge determiniert. Die in Satz 2 vorgesehene Abweichung soll bis zu einem gewissen Grad materieller Gerechtigkeit Geltung verschaffen – sie dient damit einem rechtsstaatlichen Anliegen.
Bei den hier maßgebenden Verhältnissen (etwa jeweils hälftig neues und altes Abzugsmerkmal) erscheint jedoch eine Härte, wie sie der Gesetzgeber vor Augen hatte, kaum realistisch. Die Härtefälle dürften vielmehr erst weit jenseits der „Halbe-/Halbe-Konstellation“ vorzufinden sein. Der Beweggrund des Gesetzgebers für die Schaffung der Härteregelung findet damit im vorliegenden Fall keine Projektion. Existieren aber bei einem solchen Befund vom Wortlaut her mehrere zulässige Auslegungsmöglichkeiten, bietet sich diejenige an, welche dem Umstand, dass gerade noch keine Härte vorliegt, am ehesten Rechnung trägt – das ist die Auslegung, die es möglichst bei der Regelhandhabung belässt.
Unter dem Aspekt der Verwaltungsvereinfachung wären Varianten 2 und 3 Variante 1 vorzuziehen. Würde nämlich gemäß Variante 2 oder 3 vorgegangen, müsste sich die Behörde grundsätzlich nur die letzten sechs Entgeltbescheinigungen anschauen. Würde bei allen diesen sechs Entgeltbescheinigungen das neue Abzugsmerkmal erscheinen, stünde die Lösung bereits fest. Bei Variante 1 müsste sie dagegen sieben Entgeltbescheinigungen überprüfen, wegen der Möglichkeit eines häufigeren Lohnsteuerklassenwechsels oder des häufigeren Wechsels der Kinderfreibeträge etc. sogar noch mehr.
Die Realisierung der aktuellen Abzugsmerkmale erscheint, wie bereits angesprochen, auch vor dem Hintergrund erstrebenswert, dass der letzte Kalendermonat im Bemessungszeitraum besser die prognostischen Verhältnisse in der Zukunft abbildet, die sich ohne die Geburt ergeben hätten. Der, wenn man so will, „wahre Einkommensverlust“ durch Betreuung eines Kindes wird authentischer erfasst.
Nach alldem erscheint Variante 3 vorzugswürdig, Variante 2 aber nahezu gleichwertig. Abzulehnen sind Varianten 1 und 5, die sich jeweils zu Ungunsten des Klägers auswirken würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst.