Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag für ein in Deutschland geborenes Kind einer (abgelehnten) weißrussischen Asylsuchenden

Aktenzeichen  B 1 K 17.31550

Datum:
21.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 14a Abs. 2, § 24 Abs. 1 S. 6
EMRK EMRK Art. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Bestehen für die Mutter eines in Deutschland geborenen Kindes im Falle ihrer Rückkehr ins Heimatland keine im Asylverfahren zu berücksichtigenden Gefahren, drohen solche dem Kläger als deren Sohn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der weißrussische Staat hat seine Bemühungen, Familien mit Kindern zu unterstützen, in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Bis zum 3. Lebensjahr der Kinder haben Mütter Anspruch auf Kinder- und Erziehungsgeld. In den Städten gibt es Angebote zur Familienpflege, die gerade von kinderreichen Familien besonders gefragt sind. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3 In Weißrussland gibt es diverse Sozialleistungen, insbesondere erreicht das monatliche Kindergeld für Kinder unter 3 Jahren ein das Existenzminimum erheblich überschreitendes Niveau. Auch humanitäre und religiöse Organisationen leisten Hilfen an bedürftige Personen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 20.04.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die weiteren Entscheidungen im angefochtenen Bescheid erweisen sich als rechtmäßig.
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
Das Bundesamt hat den Asylantrag der Mutter des Klägers mit bestandskräftigem Bescheid vom 08.01.2013 zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Nachdem sich die Bestandskraft dieses Bescheids nur auf das Verhältnis der Beklagten zur Mutter des Klägers bezieht, hat das Gericht das gegenüber dem Bundesamt geschilderte (angebliche) Verfolgungsgeschehen im Heimatland noch einmal neu gewürdigt und dabei auch die Angaben der Stiefschwester der Mutter des Klägers beim Bundesamt einbezogen.
Die Würdigung aller in den damaligen Verfahren und im hiesigen Verfahren des Klägers, der als in Deutschland geborenes Kind über keine eigene Verfolgungsgeschichte verfügt, vorgetragenen Aspekte führt zu der Überzeugung des Gerichts, dass die Mutter des Klägers ihr Heimatland seinerzeit aus asylbzw. flüchtlingsrechtlich unerheblichen Gründen verlassen hat. Dementsprechend droht bei einer etwaigen Rückkehr weder ihr selbst noch dem Kläger, in eine rechtlich relevante Gefährdungs-/Bedrohungslage zu geraten.
Bei dem von der Mutter des Klägers vorgetragenen Vorfall, bei dem sie beinahe von einem Auto angefahren worden sein soll, soll nach ihrer Darstellung auch ihre Stiefschwester dabei gewesen sein. Die Stiefschwester selbst hat jedoch klar verneint, bei diesem Vorfall zugegen gewesen zu sein. Ihre Stiefschwester habe ihr lediglich davon erzählt. Es ist jedoch kein plausibler Grund ersichtlich, warum die Stiefschwester der Mutter des Klägers in diesem Punkt unzutreffende Angaben machen sollte.
Weiter hat die Mutter des Klägers von Drohanrufen in einem nach realistischer Einschätzung des Bundesamts deutlich übertriebenem Ausmaß berichtet; die Anrufe sollten auch ihre Stiefschwester erreicht haben, die jedoch anlässlich ihrer eigenen Anhörung von derartigen Anrufen überhaupt nichts wusste („Mich hat niemand angerufen“). Ferner kommt hinzu, dass die Schilderungen der Mutter des Klägers in zeitlicher Hinsicht nicht konsistent waren; das Bundesamt hat auf diesen Umstand ebenfalls zu Recht hingewiesen. So soll sich der Vorfall mit den Hunden ca. Mitte Februar 2012 ereignet haben, der weitere Vorfall im Hausflur soll zwei Tage danach gewesen sein und die Drohanrufe noch einmal zwei Wochen später, so dass diese ca. Anfang März 2012 gewesen sein müssten. Dagegen soll die Ausreise am 26.04.2012 erfolgt sein und die Drohanrufe sollen nach vorheriger Darstellung etwa einen Monat vor der Ausreise, also ca. am 26.03.2012 erfolgt sein. Damit ergibt sich eine zeitliche Diskrepanz von mehreren Wochen, die auch nicht durch zwischenzeitliches Vergessen o.ä. plausibel erklärt werden kann, denn die Mutter des Klägers wurde bereits am 17.07.2012 angehört, also wenige Monate nach den angeblich erlebten Vorfällen.
Darüber hinaus ergeben sich bei einem Abgleich der Schilderungen der Mutter des Klägers und deren Stiefschwester weitere Ungereimtheiten, die deutlich gegen die Authentizität des Vortrags der Mutter des Klägers sprechen. So hat die Stiefschwester davon berichtet, dass ihre Mutter seit Dezember 2011 in Haft sei und kein Kontakt bestehe. Demgegenüber soll nach der Version der Mutter des Klägers deren Mutter kurz vor dem Anhörungstermin bei Bundesamt zusammengeschlagen worden sein; von einer Inhaftierung hat die Mutter des Klägers gar nichts erwähnt. Das Bundesamt hat zudem nachvollziehbar auf weitere Unstimmigkeiten hingewiesen, beispielsweise die Frage, wo die Mutter des Klägers vor ihrer Ausreise gewohnt habe.
Soweit die Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 21.07.2017 eine neue Version ihrer damaligen Fluchtgeschichte vorgetragen hat, dass sie nämlich insbesondere im Heimatland gezwungen worden sein soll, an Drogengeschäften mitzuwirken, kann ihrer Darstellung eine Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden. Insbesondere überzeugt die angegebene Begründung, warum sie damals beim Bundesamt ganz andere Angaben gemacht habe, in keiner Weise. So wolle sie Angst gehabt haben, dass die Angaben ihrer Stiefschwester zugänglich geworden wären und diese sie gleichsam hätte verraten können. Diese Darstellung kann der Mutter des Klägers nicht abgenommen werden. Es hätte sich ihr seinerzeit aufdrängen müssen, auf etwaige derartige Befürchtungen sogleich anlässlich ihrer Anhörung hinzuweisen, so dass ohne weiteres Vorkehrungen hätten getroffen werden können, dass der Stiefschwester die Angaben nicht zugänglich werden. Spätestens aber nachdem die Stiefschwester nach Weißrussland zurückgekehrt war, hätte aller Anlass bestanden, gegenüber dem Bundesamt darauf hinzuweisen, dass sie damals in ganz wesentlichen Punkten unzutreffende bzw. unvollständige Angaben gemacht habe. Selbst im Rahmen ihrer schriftlichen Anhörung im Asylverfahren des hiesigen Klägers hat die Mutter des Klägers einen dahingehenden Vortrag nicht angebracht. Alles in allem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Mutter des Klägers bei einer Rückkehr in das Heimatland keine im Asylverfahren zu berücksichtigenden Gefahren o.ä. drohen. Auch dem Kläger als deren Sohn droht damit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr.
Schließlich hat es das Bundesamt zu Recht abgelehnt, zugunsten des Klägers das Vorliegen eines Abschiebungsverbots festzustellen.
In die Rückkehrprognose einzubeziehen sind die Mutter des Klägers wie auch die beiden Geschwister des Klägers (Az. B 1 K 17.30874 und B 1 K 17.30875), deren Klagen das Gericht mit Urteil vom 21. Juli 2017 abgewiesen hat.
In der mündlichen Verhandlung hat die Mutter des Klägers erläutert, dass der Vater der beiden Geschwister des Klägers armenischer Staatsangehöriger sei, der zwischenzeitlich nach Armenien abgeschoben worden sei. Der Vater des hiesigen Klägers sei Iraner, der sich derzeit in Haft befinde.
Bei Einbeziehung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist davon auszugehen, dass das Existenzminimum des Klägers (wie auch seiner Mutter und seiner Geschwister) bei einer Rückkehr nach Weißrussland gewährleistet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die beiden Geschwister des Kläger bereits mehr als vier Jahre alt sind und demnach einen Kindergarten besuchen können (vgl. Wulff/Malerius, Demokratiebildung in Belarus, Russland und der Ukraine, S. 20; Social infrastructure in Belarus: overview of current kindergarten situation). Der weißrussische Staat hat seine Bemühungen in den letzten Jahren deutlich verstärkt, Familien mit Kindern zu unterstützen. So kann die Mutter des Klägers aufgrund des Umstands, dass der Kläger erst wenige Monate alt ist, mit der Zahlung von Elterngeld rechnen, das in Weißrussland für insgesamt 36 Monate gezahlt wird. Dieses beträgt für das 1. Kind 35 v.H. und für weitere Kinder 40 v.H. des durchschnittlichen Monatslohns (vgl. Moroz/Iljutschik, Soziale Politik in Belarus und in Deutschland im Kontext der Interkulturellen Kommunikation). Kinder- und Erziehungsgeld, auf das Mütter bis zum Erreichen des 3. Lebensjahres ihrer Kinder Anspruch haben, ist nicht an Einnahmen und Beschäftigungssituation der Eltern gebunden und fällt mit jedem Kind höher aus (vgl. Botschaft der Republik Belarus in der Republik Österreich: Nachricht vom 15.10.2014: Belarus verstärkt Förderung von Familien mit Kindern 2016; Russakowitsch in Handbuch Europäischer Sozialpolitiken, S. 212 ff.). In den Städten in Weißrussland haben Zentren für soziale Betreuung der Bevölkerung neue Dienstleistungen eingeführt, z.B. Familienpflege. Besonders gefragt sind diese und andere Dienste bei Familien mit Zwillingen oder bei kinderreichen Familien – dies trifft gerade auf die Situation des Klägers zu. Die Zahl der Pflegerinnen und Pfleger hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. Familien werden auch gezielt gefördert. Immer öfter erhalten arbeitsunfähige Mütter oder Väter zusätzliches Geld zum Kauf von Windeln. Kinder im Alter bis zu zwei Jahren haben Anspruch auf kostenlose Babynahrung – auch dies kommt der Familie des Klägers zugute, denn er ist – wie schon ausgeführt – erst wenige Monate alt. Aus den in das Verfahren eingeführten Quellen ist ebenfalls ersichtlich, dass das Existenzminimum durch den Staat regelmäßig angepasst wird; danach richtet sich dann wiederum die Höhe diverser Sozialleistungen (vgl. u.a. Nachrichten aus Belarus: Höheres Kindergeld ab November 2014). Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird erwähnt, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist. Ebenfalls ausgeführt wird, dass bedürftige Personen vom Staat geringe Beihilfen erhalten, die jedoch selbst nach offiziellen Angaben das Existenzminimum nicht sichern. Bedeutung kommt der Hilfe durch Familie/Verwandte zu, weiter leisten humanitäre und religiöse Organisationen Hilfe (S. 16 des Lageberichts vom 21.6.2017). Andererseits lässt sich den weiteren Erkenntnisquellen deutlich entnehmen, dass gerade Familien mit Kindern in Weißrussland besonders gefördert werden. Insbesondere erreicht das monatliche Kindergeld für Kinder unter drei Jahren ein Niveau, das das Existenzminimum pro Kopf erheblich überschreitet (vgl. exemplarisch Nachrichten aus Belarus: Höheres Kindergeld ab November 2014 und im Vergleich dazu die bei Russakowitsch, a.a.O., angegebenen Beträge in Rubel; s.a. Botschaft der Republik Belarus in der Republik Österreich: Nachricht vom 15.10.2014: Belarus verstärkt Förderung von Familien mit Kindern und ferner Nachrichten aus Belarus: „Staatshaushalt 2016 auf Einnahmeseite zu 100,5% ausgeführt“; danach wurden im Jahr 2016 alle im Haushalt geplanten Sozialleistungen auch tatsächlich in vollem Umfang erfüllt). Insbesondere wegen der an Familien mit Kindern bis zu drei Jahren gezahlten finanziellen Leistungen und sonstigen Unterstützungsleistungen ist nicht zu erwarten, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung einer Gefahr ausgesetzt sein wird, die die Schwelle des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht. Für das Gericht stellt sich die Lage in Weißrussland vielmehr so dar, jedenfalls bis zum Erreichen des 3. Lebensjahres des Klägers seine Familie mit durchaus erheblicher staatlicher Unterstützung rechnen kann. Nach Erreichen seines 3. Lebensjahres ist die Mutter des Klägers auf den Einsatz ihrer Arbeitskraft zu verweisen. Sie mag zwar ihre Ausbildung als Maler nicht abgeschlossen haben, hat jedoch bereits erste berufliche Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt und wird sich ggf. zu bemühen haben, in diesem Handwerkssektor oder auch in einem anderen Wirtschaftsbereich eine Erwerbstätigkeit zu finden, mit der sie ihrer Familie ernähren kann. Ergänzend einzubeziehen ist ferner, dass nach den Angaben der Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch deren eigene Mutter als Rentnerin in Weißrussland lebt, so dass sie ggf. Unterstützung leisten kann, sei es in finanzieller Hinsicht oder vor allem tatkräftig bei der Bewältigung des Alltags mit den drei Kindern. Jedenfalls zur besseren Bewältigung gewisser, mit jeder Abschiebung gleichsam unvermeidlich einhergehender Anfangsschwierigkeiten kann die Mutter der gesetzlichen Vertreterin des Klägers Hilfe leisten, beispielsweise im Hinblick auf eine vorübergehende Unterbringung oder sonstige Unterstützung bei der Suche einer Unterkunft.
Die Klage ist daher insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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