Verwaltungsrecht

Widerruf von Familienasyl wegen Straffälligkeit

Aktenzeichen  AN 3 K 16.32056

Datum:
20.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 26 Abs. 2, Abs. 4, § 73 Abs. 2b S. 1, Abs. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, Abs. 8 S. 3
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. § 60 Abs. 8 AufenthG findet auch Anwendung auf strafrechtliche Verurteilungen, die vor Inkrafttreten dieser Norm erfolgt sind. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Prüfung der Asylberechtigung aus anderen Gründen ist im Rahmen eines Widerrufs nach § 73 Abs. 2b S. 1 AsylG nicht vorgesehen; dasselbe gilt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Verfahrens.

Gründe

Der Bescheid des Bundesamtes vom 28. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz. 1 VwGO. Der Widerruf der Asyleigenschaft ist rechtmäßig (Hauptantrag, vgl. I.), der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Asyl- und Flüchtlingseigenschaft, auf Gewährung von subsidiärem Schutz sowie auf die Feststellung, dass Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Hilfsanträge, vgl. II. bis IV.).
I.
Der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nach §§ 73 Abs. 2b Satz 1, 26 Abs. 2 und 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG rechtmäßig, da die Voraussetzungen des Familienasyls durch die rechtskräftige Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren wegen Vergewaltigung mit gefährlicher Körperverletzung nicht mehr vorliegen.
Nach § 73 Abs. 2b Satz 1 AsylG ist in den Fällen des § 26 Abs. 1 bis 3 und 5 AsylG die Anerkennung als Asylberechtigter zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 Satz. 1 AsylG vorliegen. Nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AsylG gelten die Absätze 1 bis 3 nicht für Familienangehörige, bei denen das Bundesamt nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen hat.
Gemäß der ab 17. März 2016 gültigen Fassung des 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG kann von der Flüchtlingsanerkennung abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohungen mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist.
Der Versagungsgrund des § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG ist erfüllt. Mit der rechtskräftigen Verurteilung vom 25. Dezember 2011 zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren wegen Vergewaltigung mit gefährlicher Körperverletzung ist der Widerruf des Familienasyls gerechtfertigt, da der Kläger zum einen zur einer Jugendstrafe von über einem Jahr verurteilt worden ist und dieser Verurteilung Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie die körperliche Unversehrtheit zugrunde liegen und diese mittels Gewalt begangen worden sind.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Versagungsgründe des § 60 Abs. 8 AufenthG anwendbar, da Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes des Klägers nicht entgegenstehen; der Asylstatus des Klägers wird lediglich für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit entzogen, womit dieser Fall nicht vom Rückwirkungsverbot erfasst ist. Die Vorschrift des § 60 Abs. 8
AufenthG findet auch Anwendung auf strafrechtliche Verurteilungen, die vor Inkrafttreten dieser Norm stattfanden, da dies – wie dargestellt – keinen Fall der echten Rückwirkung im Sinne einer Rückwirkung von Rechtsfolgen darstellt (VG München, U.v. 1.12.2016 – M 4 K 16.31646).
Ferner handelt es sich nicht um eine verbotene Doppelbestrafung des Klägers. Die vom Ausländerrecht umfasste Abschiebung des Klägers stellt ein aliud zur strafrechtlichen Verurteilung dar. Sie basiert nicht unmittelbar auf einem strafrechtlich relevanten Verhalten, sondern auf dem Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter.
Ermessensfehler sind aus dem Bescheid des Bundesamtes vom 28. Oktober 2016 nicht ersichtlich. Das Bundesamt hat seinen Ermessensspielraum im Rahmen des § 60 Abs. 8 Satz 3
AufenthG erkannt und sein Ermessen im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung und unter Wahrung von sach- und zweckgerechten Erwägungen ausgeübt.
So hat das Bundesamt in seine Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers eingestellt, dass dieser seit acht Jahren in Deutschland lebt, seine Eltern und einen Bruder ebenfalls in Deutschland sind, er einen Hauptschulabschluss hat sowie aktuell eine befristete Arbeitsstelle in einer Zeitarbeitsfirma. Zulasten des Klägers hat das Bundesamt hauptsächlich auf die rechtskräftige Verurteilung sowie auf die Tatsache, dass der Kläger schon mehrfach in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, abgestellt. Darüber hinaus existiert eine seit 13. März 2014 bestandskräftige Ausweisungsverfügung, aus der sich ebenfalls ein öffentliches Interesse am Widerruf des Asylstatus ergibt.
Für die Entscheidung war gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, zu der sich der Kläger in Untersuchungshaft befand, da gegen ihn eine Anklage wegen Vergewaltigung und schwerer Vergewaltigung jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung vorliegt. Dies unterstützt die vom Bundesamt im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Prognoseentscheidung, dass der Kläger auch in Zukunft schwere Straftaten i.S.d. § 60 Abs. 8 Satz 3
AufenthG begehen wird und damit eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.
Entgegen den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid musste das Bundesamt eine Prüfung der Asylberechtigung im Rahmen des Widerrufs nach § 73 Abs. 2b Satz 1 AsylG nicht durchführen.
Auf Grund des dargestellten Sachverhalts wurde das Asylrecht des Klägers widerrufen. Es wäre widersprüchlich, ihm durch eine erneute Überprüfung seiner Asylberechtigung ihm diesen Status wieder zuzusprechen. Der Gesetzgeber hat für die Fälle des Widerrufs nach § 73 Abs. 2b Satz 2 und 3 AsylG explizit geregelt, dass hier die Frage der Asylberechtigung zu prüfen ist („…und der Ausländer nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigter anerkannt werden könnte“). Für den hier in Betracht kommenden Satz 1 findet sich eine solche Regelung nicht. Dies und die Tatsache, dass im vorliegenden Fall ein Asylantrag nach § 30 Abs. 4 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden müsste, lässt nur den Schluss zu, dass eine Überprüfung der Asylberechtigung im Rahmen eines Widerrufs nach § 73 Abs. 2b Satz 1 AsylG nicht vorgesehen ist.
II.
Dasselbe gilt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Auch wenn nach früherem Recht anerkannt war, im Rahmen des Widerrufsverfahrens erstmalig über die Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden ( (Hailbronner, AuslR, § 73 AsylG, Rn. 102), ist nach Auffassung des Gerichts eine Prüfung dieses Status im Rahmen des § 73 Abs. 2b Satz 1 AsylG nicht vorgesehen.
Darüber hinaus liegen keine Anhaltspunkte vor oder wurden vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdung droht. Im Übrigen wird auf Punkt 2. verwiesen.
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach §§ 73 Abs. 3, 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG.
Gründe hierfür wurden klägerseits weder hinreichend dargelegt noch sind sie sonst ersichtlich.
Darüber hinaus ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ein Ausländer von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen, wenn er eine schwere Straftat begangen hat. Eine Vergewaltigung mit gefährlicher Körperverletzung stellt zweifellos eine schwere Straftat dar.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auch insoweit auf die zutreffende Begründung im Bescheid des Bundesamtes (§ 77 Abs. 2 AsylG).
IV.
Nationale Abschiebungsverbote nach § 73 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7
AufenthG liegen nicht vor.
Für die Annahme einer Verletzung der von Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter, die gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zur Feststellung eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen könnte, liegen keine Anhaltspunkte vor.
Entgegen der Ansicht des Klägers herrscht unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen in Äthiopien keine Hungerkatastrophe und es besteht nicht die Gefahr, dass er bei seiner Rückkehr in existenzielle Nöte gerät. Der Kläger ist ein gesunder junger Mann mit Schulabschluss und deshalb gut in der Lage, sich in Äthiopien Arbeit zu suchen und so seinen Unterhalt zu bestreiten, auch ohne familiäre Bindungen im Heimatland, so dass auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung im Bescheid des Bundesamtes verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Demnach war die Klage abzuweisen.
Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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