Baurecht

Anspruch auf isolierte Ausnahme zur Errichtung einer Mobilfunkanlage in einem Wohngebiet

Aktenzeichen  M 9 K 16.2882

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 31 Abs. 1, § 34 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 2, § 14 Abs. 2 S. 2
GG GG Art. 87f Abs. 1

 

Leitsatz

1 Mobilfunkanlagen sind als Bestandteile des Mobilfunknetzes, das gewerblich betrieben wird, nach ständiger Rechtsprechung bauplanungsrechtlich als nichtstörende gewerbliche Anlagen zu betrachten. (Rn. 15) (red. LS Andreas Decker)
2 Die einzelne Mobilfunkbasisstation ist Teil einer Hauptanlage und als solche eine fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVO (BVerwG BeckRS 2012, 46166). (Rn. 15) (red. LS Andreas Decker)

Tenor

I. Der Bescheid vom 1. Juni 2016 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, die beantragte Ausnahme für die Errichtung der Mobilfunkanlage zu erteilen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine isolierte Ausnahme für die Mobilfunkanlage gemäß § 31 Abs. 1, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 14 Abs. 2 und § 4 BauNVO.
Der Bebauungsplan enthält keine ausdrückliche Festsetzung der Gebietsart. Nach dem Ergebnis des Augenscheins und den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem allgemeinen Wohngebiet, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO. In der näheren Umgebung befinden sich die Sparkasse, ein Frisör, die Polizeiinspektion, die Kirche, das Pfarrheim sowie in weiterer Entfernung das Feuerwehrhaus, die Schule, der Hort und der Kindergarten sowie ohne Sichtbeziehung zu dem hier verfahrensgegenständlichen Grundstück das Schloss. In einem allgemeinen Wohngebiet sind nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 nichtstörende Gewebebetriebe als Ausnahme zulässig, so dass gemäß § 34 Abs. 2 die Regelungen des § 31 Abs. 1 BauGB entsprechend gilt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB liegen vor. Der Bebauungsplan enthält in seinen textlichen Festsetzungen keine Regelungen über den Ausschluss nicht störender gewerblicher Anlagen. Mobilfunkanlagen sind als Bestandteile des Mobilfunknetzes, das gewerblich betrieben wird, nach ständiger Rechtsprechung bauplanungsrechtlich als nichtstörende gewerbliche Anlagen zu betrachten (BayVGH U. v. 2.8.2007 1 BV 05.2105). Es handelt sich um den Bestandteil eines gewerblich betriebenen Mobilfunknetzes, woraus die bauplanungsrechtlich nicht störende gewerbliche Nutzung im Sinne der Baunutzungsverordnung folgt. Die einzelne Mobilfunkbasisstation ist Teil einer Hauptanlage und als solche eine fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO (BVerwG B. v. 3.1.2012 4 B 27.11). Entscheidend für diese rechtliche Einordnung ist, dass eine einzelne Mobilfunkanlage bezogen auf das gesamte Mobilfunkversorgungsnetz stets eine untergeordnete Funktion hat, weil regelmäßig ihre Funktion und Bedeutung nicht der Art ist, dass sie eigenständig losgelöst vom Gesamtnetz und damit als Hauptnutzung anzusehen ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin, die den entsprechenden Vortrag der Beklagten weder substantiiert bestritten noch anderweitig widerlegt hat, dient die gegenständliche Anlage der Lückenschließung im Mobilfunknetz der Klägerin. Der Vortrag, die Klägerin habe in benachbarten, entfernteren Baugebieten bereits eine Anlage, die entsprechend verstärkt werden könne und auch das Gebiet um den verfahrensgegenständlichen Standort deshalb ausreichend versorgt werden könne, verkennt, dass dies zu Lasten anderer Wohngebiete ginge. Die Klägerin hat schlüssig und überzeugend dargelegt, dass die Versorgung von weiter entfernten Gemeindegebieten nur durch eine Verstärkung und Erhöhung der Leistungen der dort vorhandenen Mobilfunkanlagen möglich sei und dass dies im Interesse des Ausschlusses von belastenden Immissionen nicht gemacht würde.
Im vorliegenden Fall ist die Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 14 zu erteilen, da eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Erhebliche nachteilige Immissionen gehen von der Anlage nicht aus, da diese den Vorschriften der 26. BImSchV entspricht, mit der der Staat seiner Verpflichtung zur Vorsorge und zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit nachgekommen ist (VG München U. v. 9.1.2008 M 9 K 06.2948). An ihrem Anbringungsort stört sie das Ortsbild nicht, da sie optisch zwar fünf Meter über dem Dachfirst herausragt, aber keine massive Anlage ist. Unter Berücksichtigung der umgebenden Bebauung und des zurückgesetzten Standorts besteht keine Sichtbeziehung zum Schloss. Auch die Kirche und das Pfarrhaus befinden sich auf der anderen Seite des Platzes. Das Gebäude, auf dem die Mobilfunkantenne angebracht wird, ist von der Straße und dem Platz zurückgesetzt. Die übrige Umgebung zeichnet sich nicht durch eine besondere Schutzwürdigkeit aus. Sonstige öffentlichen und privaten Interessen, die gegen den vorgesehenen Mobilfunkstandort sprechen, sind nicht erkennbar. Unter Berücksichtigung dessen, dass das Grundgesetz in Art. 87 f 1 GG einen Versorgungsauftrag enthält und dem Allgemeininteresse an der Lückenlosigkeit der Netzanlagen sowie einer störungsfreien Teilnahme am Mobilfunk erfordert die flächendeckende Versorgung die beantragte Ausnahme. Die Klägerin hat einen Rechtsanspruch darauf, da das in § 34 Abs. 2 BauGB eingeräumte Ermessen mangels entgegenstehender gewichtiger Interessen auf Null reduziert ist. Schule, Hort und Kindergarten sind so weit entfernt, dass sie nicht von den hier sehr geringen Immissionen in irgendeiner Weise durch Strahlung beeinträchtigt sind; die Beklagte ist dieser Behauptung auch nicht weiter nachgegangen.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 stattzugeben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 f. ZPO.

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