Sozialrecht

Abrechnungsermittlung der Deutschen Rentenversicherung

Aktenzeichen  L 13 R 171/15

Datum:
27.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X SGB X § 31, § 102, § 104, § 107
SGG SGG § 54 Abs. 1 S. 1, § 66 Abs. 2, § 67, § 77,  § 83, § 84 Abs. 1 S. 1, § 99 Abs. 3 Nr. 2, § 160 Abs. 2, § 193
SGB VI SGB VI § 117
BGB BGB § 133, § 157
SGB II SGB II § 34a, § 34b
SGB XII SGB XII § 114

 

Leitsatz

Die Abrechnungsermittlung der Deutschen Rentenversicherung stellt einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X dar. (Rn. 22)

Verfahrensgang

S 12 R 783/11 2014-09-24 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.09.2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auszahlung einer weiteren Rentennachzahlung aus dem Nachzahlungsbescheid der Beklagten vom 20.04.2009 in Höhe von 16.072,39 €. Die Abrechnungsmitteilung der Beklagten vom 03.07.2009 stellt einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – dar. Auf Grund nicht fristgerechter Widerspruchseinlegung ist dieser Abrechnungsbescheid bestandskräftig geworden und bindet die Beteiligten gem. § 77 Sozialgerichtsgesetz – SGG. Das Sozialgericht hat somit im Ergebnis die Klage zu Recht abgewiesen, da einem möglichen Auszahlungsanspruch des Klägers der bestandskräftige Abrechnungsbescheid vom 03.07.2009 entgegensteht.
I.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob die im Abrechnungsbescheid der Beklagten vom 03.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2011 vorgenommene Einbehaltung von 16.072,09 € aus einer zunächst bewilligten Rentennachzahlung auf Grund geltend gemachter Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1) und 2) rechtmäßig erfolgte bzw. ob der Kläger einen entsprechenden Nachzahlungsanspruch gegenüber der Beklagten hat. Der Übergang von der allgemeinen Leistungsklage im Verfahren vor dem Sozialgericht zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Berufungsverfahren stellt gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG keine Klageänderung dar (vgl. nur Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, 12. Aufl. 2017, § 99 Rn. 4).
II.
Der Kläger verfolgt im Berufungsverfahren sein Rechtsschutzbegehren zu Recht mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, da die Abrechnung der Rentennachzahlung im Bescheid der Beklagten vom 03.07.2009 eine Regelung beinhaltet und damit einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X darstellt.
Gemäß § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung und andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich danach, wie der Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles zu deuten hatte. Maßgeblich ist, ob eine solche verständige Würdigung zu dem Ergebnis führt, dass die Behörde mit der fraglichen Erklärung eine – endgültige – Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, treffen wollte (BSG, Urteil vom 30.09.1996 – 10 RKg 20/95 -, juris).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend bei der Abrechnung der Rentennachzahlung erfüllt. Denn damit wird der Verbleib der zunächst gemäß Rentenänderungsbescheid vom 20.04.2009 „vorläufig“ nicht ausgezahlten Nachzahlung geregelt. Aus der Sicht eines verständigen Empfängers ergab sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 03.07.2009 unmissverständlich, dass die Beklagte in Anwendung der Vorgaben des SGB VI und des SGB X dem Kläger persönlich einen Anspruch auf Auszahlung einer Nachzahlung alleine in Höhe von 3.030,57 € zusprechen wollte. Die ausdrückliche Erklärung der Beklagten in dieser Abrechnung vom 03.07.2009, wonach der in Höhe von 3.030,57 € ermittelte „Rentennachzahlungsbetrag auf Ihr Konto überwiesen“ wird, brachte aus der Sicht eines verständigen Empfängers klar und deutlich zum Ausdruck, dass die Beklagte im Ergebnis die verbindliche Entscheidung treffen wollte, dass dieser Teilbetrag dem Versicherten persönlich zustand und auf Grund Eintritt der Erfüllungswirkung kein Anspruch auf einen höhere Leistung bestand. Gerade die Feststellung der Erfüllungswirkung gem. 107 SGB X verlangt die Abklärung und Feststellung der jeweiligen mitunter auch durchaus komplexen tatbestandlichen Voraussetzungen der maßgeblichen normativen Vorgaben.
Die Beklagte hat somit zur Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen den Auszahlungsanspruch des Klägers der Höhe nach konkretisiert und verbindlich festgestellt. Es handelte sich um eine hoheitliche Maßnahme, also eine einseitige behördliche Handlung, die nur dem Sozialleistungsträger, nicht aber ihren Adressaten, dem Sozialleistungsempfänger, in dieser Form ihrer Art nach zusteht (vgl. zu diesen Kriterien: BSG, Beschluss vom 31.08.2011 – GS 2/10 -, BSGE 109, 81). Im Ergebnis durfte im vorliegenden Verfahren ein verständiger Empfänger das Schreiben vom 03.07.2009 als verbindliche Feststellung (vgl. zu diesem Kriterium BSG, Urteil vom 11.03.2014 – B 11 AL 19/12 R -, SozR 4-4300 § 421g Nr. 5) eines Auszahlungsanspruchs in Höhe von 3.030,57 € verstehen. Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Beklagte selbst in dem Schreiben vom 03.07.2009 darauf hingewiesen hat, dass es sich um einen Bescheid handelt. Auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 22.09.2011 gegenüber dem Sozialgericht ausgeführt, dass es sich bei der Mitteilung der Beklagten vom 03.07.2009 nicht um schlichtes Verwaltungshandeln, sondern um einen Verwaltungsakt gehandelt hat.
Auch die Systematik des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch – SGB VI – spricht für die Annahme eines Verwaltungsaktes. § 117 SGB VI verlangt ausdrücklich eine „Entscheidung“, d.h. eine verbindliche Regelung, über die beantragten Leistungen. Dies bedeutet, dass (Aus-) Zahlungsansprüche (auch für vergangene Zeiträume) in Form eines Verwaltungsakts festzustellen sind. Die Rentenversicherungsträger müssen nach § 117 SGB VI i. V. m. § 37 Satz 1 SGB I über einen (jeden) Anspruch auf Leistung, der gegen sie durch einen Antrag erhoben wird, schriftlich entscheiden, also einen schriftlichen Verwaltungsakt erlassen (BSG, Urteil vom 18. 0.2005 – B 4 RA 21/05 R -, juris). Dieser gesetzlichen Verpflichtung entsprechend hat die Beklagte mit der Verwaltungsentscheidung vom 03.07.2009 verbindlich über den Auszahlungsanspruch des Klägers entschieden. Der Rentenänderungsbescheid vom 20.04.2009 enthielt hierzu keine Regelung sondern lediglich den Hinweis, dass vorläufig nicht ausgezahlt wird, da zunächst die Ansprüche anderer Stellen zu klären waren. Damit wurde erstmals mit Abrechnungsbescheid vom 03.07.2009 im Wege eines vollstreckungsfähigen Bescheids über den konkreten Auszahlungsanspruch des Klägers entschieden.
Schließlich spricht auch die Rechtsprechung des BSG zu vergleichbaren Fallgestaltungen für eine Verwaltungsaktqualität. Das BSG misst Mitteilungen der Rentenversicherungsträger, wonach etwa die Rente aus der deutschen Rentenversicherung nicht in der grundsätzlich festgestellten Höhe, sondern nur um eine ausländische Leistung gemindert zu zahlen ist (BSG, Urteil vom 11.05.2011 – B 5 R 8/10 R -, BSGE 108, 152-158, SozR 4-5050 § 31 Nr. 1, SozR 4-6050 Art. 44 Nr. 1), oder Mitteilungen über das Ausmaß einer sog. Abschmelzung eines Auffüllbetrags (BSG, Urteil vom 20.07.2005 – B 13 RJ 17/04 R -, SozR 4-2600 § 315a Nr. 2) einen Regelungsgehalt im Sinne des § 31 SGB X bei. Es ist nichts dafür ersichtlich, weshalb die Berechnung der genauen Höhe des dem Versicherten nach Anwendung des § 107 SGB X zustehenden Nachzahlungsbetrags keinen Regelungscharakter haben sollte. Auch ein rechtswegübergreifender Blick bestätigt das vorliegende Ergebnis. So hat z.B. der BFH in der Konstellation des Erstattungsanspruchs des Sozialleistungsträgers beim Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch den Kindergeldberechtigten dem Abrechnungsbescheid ebenfalls Verwaltungsaktqualität zugesprochen (vgl. BFH Urteil vom 22.11.2012 – III R 24/11; Beschluss vom 01.04.2014 – XI B 145/13).
III.
Der Abrechnungsbescheid vom 03.07.2009 ist bestandskräftig, da der Kläger nicht fristgerecht Widerspruch gem. § 83 SGG eingelegt hat. Die Beklagte hat damit zu Recht mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2011 den Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen. Der bestandskräftige Abrechnungsbescheid bindet die Beteiligten gem. § 77 SGG.
Für den Kläger war vorliegend für den am 03.07.2009 ohne Rechtsbehelfsbelehrung:gefertigten Abrechnungsbescheid (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) gem. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 66 Abs. 2 SGG die Jahresfrist für die fristgerechte Widerspruchseinlegung eröffnet. Vorliegend greift für den Fristbeginn zwar nicht die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X, weil sich dem Verwaltungsakt ein Vermerk über die Aufgabe des Bescheids zur Post nicht entnehmen lässt (zur Erforderlichkeit eines solchen Vermerks vgl. Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 37 Rn. 12a m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat den Abrechnungsbescheid von diesem aber spätestens im Juli 2010 erhalten. Dies steht zur vollen Überzeugung des Senats auch deshalb fest, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich mit Schreiben vom 05.07.2010 an die Beklagte und die Beigeladenen gewandt hat und unter Bezug auf den Abrechnungsbescheid vom 03.07.2009 Auskünfte verlangt hat. Nach dem unstreitigen Vortrag der Beteiligten hat der Kläger jedoch erst mit Schreiben vom 11.08.2011 Widerspruch eingelegt und damit offensichtlich außerhalb der spätestens am 06.07.2010 beginnenden und am 05.07.2011 endenden Jahresfrist gem. § 84 Abs. 2 S. 3 SGG i. V. m. § 66 Abs. 2 SGG. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 05.07.2010 kann auch nicht als Widerspruch gem. §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes setzt eine Auslegung voraus, dass ein Antrag unklar ist. Erst bei einem unklaren Antrag muss das Gericht und im Verwaltungsverfahren die Behörde klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.2005 – B 6 KA 77/03; BSG, Urteil vom 24.02.2011 – B 14 AS 49/AS). Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, ein Rechtsanwalt, eine Auskunft von den beteiligten Behörden verlangt, auf Grund welcher Rechtsgrundlage die Erstattungsansprüche geltend gemacht wurden. Bei der Vertretung durch einen Rechtskundigen besteht regelmäßig keine Veranlassung, dieses Vorbringen auszulegen. Vorliegend hat sich nicht einmal der Prozessbevollmächtigte selbst darauf berufen, dass das Schreiben vom 05.07.2010 als Widerspruch zu werten sei. Dagegen würde auch sprechen, dass er nach Auskunftserteilung Klagen gegen die Beigeladenen zu 1) und 2) erhoben, jedoch erst nach einem Hinweis des SG mit Schreiben vom 13.07.2011 auch gegenüber der Beklagten einen Auszahlungsanspruch geltend gemacht hat.
Eine Antrag auf Wiedereinsetzung nach den § 67 SGG ist nicht gestellt worden. Im Übrigen sind auch keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ersichtlich.
Der somit bestandskräftige Bescheid vom 03.07.2009 steht einem Rückforderungsanspruch des Klägers entgegen.
IV.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass gegen den Abrechnungsbescheid vom 03.07.2009 auch materiell-rechtlich keine schwerwiegenden Bedenken bestehen. Vorliegend liegen wirksame Erstattungsansprüche gem. § 104 SGB X der Beigeladenen zu 1) und 2) vor. Damit gilt nach § 107 SGB X der Anspruch des Berechtigten (hier: Kläger) gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger (Beklagten) als erfüllt.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben im Berufungsverfahren vor dem Senat mit Schriftsätzen vom 02.06.2017 und 14.06.2017 hinreichend dargelegt, wie sich der jeweilige Erstattungsbetrag im Einzelnen zusammensetzt. Bestehende Unsicherheiten wurden beseitigt. Die Erstattungsforderungen wurden vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 27.06.2017 auch nicht mehr in Frage gestellt. Dem Kläger ist zwar zuzustimmen, dass er im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend nicht selbst Empfänger von „Grundsicherungsleistungen“ war. Bei einer isolierten Anwendung des § 104 Absatz 1 Satz 1 SGB X käme ein Erstattungsanspruch mangels Personenidentität des Sozialhilfe- bzw. SGB II-Empfängers und des Rentenempfängers somit nicht in Betracht. Die Beigeladenen waren jedoch berechtigt, die an die frühere Ehefrau und an die im streitgegenständlichen Zeitraum minderjährigen Kinder geleistete Sozialhilfe bzw. SGB II-Leistungen als Erstattungsanspruch gegen die Beklagte geltend zu machen. Das für die §§ 102 ff. SGB X grundsätzlich geltende Prinzip der Personenidentität wird in der vorliegenden Konstellation auf Grund der § 104 SGB X ergänzenden Sondervorschriften § 140 BSHG (ab 1.1.2005 § 114 SGB XII)) und § 34a SGB II a. F. (ab 01.01.2011 § 34b SGB II) für Mitglieder einer Einsatz- und Bedarfsgemeinschaften durchbrochen.
Aus diesen Gründen ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.09.2014 zurückzuweisen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
VI.
Gründe die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

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