Aktenzeichen 7 WF 493/17
Leitsatz
Ein zum Vormund eines minderjährigen Kindes bestellter Vormundschaftsverein kann alleine mit der Begründung, einen Vergütungsanspruch begründen zu wollen, verlangen, dass er als Vormund entlassen und ein geeigneter Mitarbeiter des Vereins zum neuen Vormund bestellt wird. (Rn. 20)
Verfahrensgang
154 F 3427/16 2017-03-24 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg
Tenor
I. Auf die Beschwerde des „L. i. V. e.V.“ wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 24.03.2017 abgeändert und neu gefasst wie folgt:
1. Auf Antrag des „L. i. V. e.V.“ wird er als Vereinsvormund des Kindes R. N., geb. am …, entlassen.
2. Als neuer Vormund für das Kind R… N…, geb. am …, wird Frau A. E. als Mitarbeiterin des „L. i. V. e.V.“ ausgewählt. Für den Fall der Verhinderung von Frau A. E. (z.B. durch Urlaub, Krankheit oder Fortbildungszeiten) wird Frau A. H., Mitarbeiterin des „L. i. V. e.V.“, als Ersatzvormund ausgewählt.
II. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Das Kind R. N., geb. am …, afghanischer Staatsangehöriger, hält sich seit dem 29.11.2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in Deutschland auf. Der konkrete Aufenthalt seiner Eltern L. S. und I. N. ist unbekannt.
Mit Beschluss vom 12.01.2016 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg festgestellt, dass die elterliche Sorge der Eltern des Kindes R. N. ruht, da beide Elternteile auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben können. Gleichzeitig hat das Amtsgericht Vormundschaft angeordnet und als Vormund den „L. i. V. e.V.“ ausgewählt. Mit Schreiben vom 22.12.2016 hat der „L. i. V. e.V.“ beantragt, ihn als Vormund zu entbinden und die persönliche Bestellung seiner Mitarbeiterin, Frau A. E., als „Vereinsvormund“ beantragt. Als Ersatzvormund für den Fall der Verhinderung von Frau E. soll die weitere Mitarbeiterin des „L. i. V. e.V.“, Frau A. H., bestellt werden. Die dem „L. i. V. e.V.“ übertragene Vormundschaft werde von Anfang an von Frau E. bearbeitet. Beide Mitarbeiterinnen würden sich laufend kollegial austauschen, weshalb Frau H. mit dem Sachverhalt im Einzelfall stets vertraut sei.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg hat den Antrag vom 22.12.2016 mit Beschluss vom 24.03.2017 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es dargelegt, ein Grund für die Entlassung des bisherigen Vormunds sei nicht gegeben. Dem „L. i. V. e.V.“ sei bereits bei seiner Bestellung die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Vergütungsansprüchen eines Vormundschaftsvereins bzw. seiner Mitarbeiter bekannt gewesen. Zudem sei mit dem Verein bei einer Besprechung zwischen dem Familiengericht Nürnberg, der Geschäftsleitung des Vereins sowie dem Jugendamt N… im Herbst 2015 eine mündliche Vereinbarung getroffen worden, dass vom Familiengericht Nürnberg nur der Verein selbst und nicht ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Vereins als Vormund bestellt werde. Außerdem sei keine geeignete Person, die vorrangig zu bestellen sei, vorhanden. Nach aktueller Rechtslage könne nur ein Verein selbst zum Vormund bestellt werden, nicht dagegen einzelne Mitglieder oder Mitarbeiter des Vereins. Dass sich ein Vormundschaftsverein bei der Führung der Vormundschaft einzelner Mitglieder oder Mitarbeiter bediene, wirke nur intern, ändere aber nichts daran, dass ausschließlich der Verein selbst als Vormund zu bestellen sei.
Gegen diese Entscheidung, welche ihm über seinen Vorstand am 29.03.2017 zugestellt worden ist, hat der „L. i. V. e.V.“, vertreten durch den geschäftsführenden Vorstand J. G., mit Schreiben vom 24.04.2017 Beschwerde eingelegt, mit welcher der Antrag vom 22.12.2016 weiterverfolgt wird. Zur Begründung macht er geltend, auch das Bestreben, eine Vergütung zu erreichen, welche nur von einem Einzelvormund verlangt werden könne, rechtfertige die begehrte Änderung bezüglich des Vormundes. Da Frau A. E. innerhalb des Vereins bereits seit der Bestellung des „L. i. V. e.V.“ für die Betreuung des Jugendlichen R… N…zuständig sei, sei sie als geeignet anzusehen, die Vormundschaft persönlich zu führen.
Im Übrigen sei bei dem Gespräch im Herbst 2015 deutliche gemacht worden, dass mit einer Bestellung als Vereinsvormund längerfristig nur Einverständnis bestehe, wenn die von der Stadt N… in Aussicht gestellte Finanzierung erfolgen werde. Zu einer langfristigen Finanzierung des Vormundschaftsvereins durch die Stadt N… sei es allerdings nicht gekommen. Deshalb sei nun eine Vergütung nach den Vorschriften des Betreuungsrechts unverzichtbar.
Der Senat hat die Beteiligten im Termin vom 21.06.2017 angehört. Zum Ergebnis wird auf die Niederschrift Bezug genommen. Der betroffene Jugendliche hat der Bestellung von Frau A…E… zum persönlichen „Vereinsvormund“ und die Bestellung von Frau A. H. als Ersatzvormund zugestimmt. Der geschäftsführende Vorstand des „L. i. V. e.V.“ hat der Berufung seiner Mitarbeiterinnen ebenfalls zugestimmt.
II.
Die statthafte und zulässige Beschwerde führt im Ergebnis zu einer Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung, wie sie sich aus dem Beschlusstenor ergibt.
1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus Art. 13 Abs. 2 EuEheVO.
2. Die Beschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig.
Der bisherige Vormund, der „L. i. V. e.V.“ ist gem. § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt, weil er durch die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts in seinem Anspruch auf Entlassung als Vormund und Auswahl und Bestellung einer Mitarbeiterin zum „Vereinsvormund“ bzw. „Vereinsersatzvormund“ in eigenen Rechten verletzt sein kann.
Dass Amtsgericht hat mit Beschluss vom 12.01.2016 den „L. i. V. e.V.“ zwar als Vormund ausgewählt, den Verein aber entgegen § 1791a Abs. 2 BGB nicht ausdrücklich als Vormund bestellt. Dies ändert an der Beschwerdebefugnis des „L. i. V. e.V.“ jedoch nichts, weil sein Abänderungsantrag auch die Entscheidung zur Auswahl des Vormunds betrifft und, wie unten noch näher dargelegt wird, der Beschluss vom 12.01.2016 auch die stillschweigende Bestellung zum Vormund umfasst.
Im Übrigen ist die Beschwerde form- und fristgerecht bei dem Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg eingelegt worden, §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG.
3. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
3.1. Anzuwenden ist deutsches Recht, weil sich das betroffene Kind als unbegleiteter Flüchtling in Deutschland aufhält, Art. 6 Abs. 1 KSÜ. Ein Fall des Art. 16 KSÜ liegt nicht vor, weil die elterliche Sorge bei tatsächlicher Verhinderung der Eltern nur nach einer Feststellung durch das Familiengericht ruht. Außerdem hat das Kind inzwischen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, weshalb auch nach Art. 16 KSÜ deutsches Recht zur Anwendung kommt.
3.2. Der „L. i. V. e.V.“ ist gem. § 1889 Abs. 2 BGB antragsgemäß als Vormund zu entlassen, weil eine andere als Vormund geeignete Person vorhanden ist und das Wohl des Mündels dieser Maßnahme nicht entgegen steht. Darüberhinaus liegt auch ein wichtiger Grund vor.
Umstände, weshalb die Diplom-Pädagogin A… E…, die als Mitarbeiterin des bisherigen Vormunds bereits bisher tatsächlich die in Ausübung der Vormundschaft notwendigen Geschäfte für den Jugendlichen R… N…erledigt hat, ungeeignet sein sollte, als Einzelperson im Rahmen ihrer Tätigkeit für den „L. i. V. e.V.“ die Vormundschaft zu übernehmen, sind nicht ersichtlich.
In entsprechender Anwendung des § 1897 Abs. 2 Satz 1 BGB besteht grundsätzlich die Möglichkeit, nicht nur einen Vormundschaftsverein gemäß § 1791 a Abs. 1 BGB zum Vormund zu bestellen, sondern auch eine Mitarbeiterin eines Vormundschaftsvereins, wenn diese bei dem Verein ausschließlich oder teilweise als Vormund tätig ist. Weitere Voraussetzung ist, dass der rechtsfähige Verein von dem Landesjugendamt als zur Ausübung von Vormundschaft geeignet erklärt worden ist, § 1791 a Abs. 1 Satz 1 BGB, und der Verein mit der Bestellung seines Mitarbeiters zum „Vereinsvormund“ einverstanden ist, § 1897 Abs. 2 Satz 1 BGB (vergl. BGH FamRZ 2011, 1394). Der Bundesgerichtshof hat die entsprechende Anwendung des § 1897 Abs. 2 Satz 1 BGB in der genannten Entscheidung ausdrücklich für rechtens erklärt. Der Senat schließt sich dieser Bewertung in vollem Umfang an.
Im Übrigen liegt auch ein wichtiger Grund für die Entlassung im Sinn des § 1889 Abs. 2 Satz 2 BGB vor.
Der nach § 1791 a BGB zum Vormund bestellte „L. i. V. e.V.“ kann eine Vergütung aus der Staatskasse nicht erlangen (vgl. BGH FamRZ 2007, 900). Wird jedoch ein Mitarbeiter eines Vormundschaftsvereins zum „Vereinsvormund“ bestellt, kann der Verein hierfür eine Vergütung beanspruchen. Die zu Gunsten eines Betreuungsvereins bestehenden Vergütungsvorschriften (§ 1887 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 7 VBVG) sind entsprechend auch auf einen Vormundschaftsverein anzuwenden (vergl. BGH FamRZ 2011, 1394, Rn. 22).
Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist es unerheblich, dass zum Zeitpunkt der Bestellung des Beschwerdeführers bereits höchstrichterlich geklärt war, dass einem zum Vormund bestellten Vormundschaftsverein ein Vergütungsanspruch nicht zusteht (vergl. BGH FamRZ 2013, 946). Die Annahme eines wichtigen Grundes im Sinn der genannten Vorschrift setzt nicht voraus, dass sich in wirtschaftlichen Verhältnissen nachträglich wesentliche Veränderungen ergeben haben. Grundsätzlich ist jedenfalls das Begehren eines Vormundschaftsvereins, durch Einsetzen eines Mitarbeiters als Vormund einen Vergütungsanspruch zu erwerben, als wichtiger Grund anzuerkennen (vergl. BGH a.a.O.).
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der „Vereinbarung“ vom Herbst 2015. Der Umstand, dass die „Vereinbarung“ nicht schriftlich abgefasst worden ist, spricht bereits eindeutig dafür, dass es sich um eine – unverbindliche – Absprache und nicht um eine rechtsverbindliche vertragliche Regelung handeln sollte. Eine rechtlich bindende Vereinbarung hätte „das Familiengericht Nürnberg“ zu dem in Frage stehenden Regelungsinhalt mangels Rechtsgrundlage auch nicht schließen können.
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Auswahl von Frau A. E. als „Vereinsvormund“ vor. Frau E. ist als Mitarbeiterin des „L. i. V. e.V.“ mit der Führung von Vormundschaften beschäftigt. Der „L. i. V. e.V.“, der vom Landesjugendamt als Vormundschaftsverein anerkannt worden ist, hat der Auswahl und Bestellung von Frau A. E. auch zugestimmt.
Die Bestellung von Frau A. H. zum „Vereinsersatzvormund“ für den Fall der Verhinderung von Frau A. E. (z.B. wegen Urlaubs, Krankheit oder Fortbildungszeiten) beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 1899 Abs. 4 BGB (vergl. OLG Düsseldorf FamRZ 2013, 54).
Das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg hat mit Beschluss vom 12.01.2016 den „L. i. V. e.V.“ zwar gemäß § 1779 Abs. 1 BGB als Vormund ausgewählt, ihn aber nicht ausdrücklich gemäß § 1791 a BGB zum Vormund bestellt. Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Auswahl eines Vormunds und seiner anschließenden Bestellung gemäß § 1789 BGB um zwei voneinander zu trennende Akte handelt. Die Bestellung erfolgt gemäß § 1789 BGB grundsätzlich durch persönliche Verpflichtung. Wird allerdings ein rechtsfähiger Verein zum Vormund bestellt, bedarf es einer persönlichen Verpflichtung nicht. Die persönliche Verpflichtung wird durch den Erlass eines Bestellungsbeschlusses ersetzt.
Der Senat geht insoweit davon aus, dass mit Beschluss vom 12.01.2016 stillschweigend auch die Bestellung des „L. i. V. e.V.“, nicht nur die Auswahl zum Vormund, umfasst sein sollte. Bei den nunmehr zur Ausübung der Vormundschaft ausgewählten Mitarbeiterinnen des „Leben in Verantwortung e.V.“ handelt es sich jedoch um Einzelvormünder, welche gemäß § 1789 ff. BGB zu bestellen sind (Palandt/Götz BGB, 76. Aufl., Rn 5 zu § 1897). Über die Bestellung ist den ausgewählten Mitarbeiterinnen eine Bestallungsurkunde auszustellen, aus der sich ergibt, dass sie als Mitarbeiterinnen des Vormundschaftsvereins „L. i. V. e.V.“ bestellt worden sind, § 286 Abs. 1 Nr. 2 FamFG. Bestellung und Ausstellung einer Bestallungsurkunde sind Aufgaben des Amtsgerichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 69 Abs. 3, 81 Abs. 1 FamFG.
Die Entscheidung zum Verfahrenswert beruht auf §§ 40, 45 Abs. 1 FamGKG.
Gegen diese Entscheidung findet ein Rechtsmittel nicht statt, weil die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nicht vorliegen.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG ):
2. Schlussbehandlung