Arbeitsrecht

Nichtigkeit der Errichtung eines Gesamtbetriebsrats mit unternehmensfremden Betriebsratsmitgliedern bei Gemeinschaftsbetrieben

Aktenzeichen  25 BV 1141/16

Datum:
30.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146785
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 47

 

Leitsatz

Auch bei Gemeinschaftsbetrieben kann ein Gesamtbetriebsrat nur mit Mitgliedern gebildet werden, die in einem Arbeitsverhältnis zum Trägerunternehmen stehen; eine Entsendung unternehmensfremder Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat ist nichtig. (Rn. 24 – 29) (red. LS Alke Kayser)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Errichtung des Beteiligten zu 2.) nichtig ist.
2. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Betriebsrates des gemeinsamen Betriebes der Antragstellerin und der M. GmbH & Co. KG über die Entsendung des Betriebsratsmitgliedes Z. in den Beteiligten zu 2.) nichtig ist.

Gründe

I.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1) gehört zur A.-Gruppe, die u.a. Halbleiterchips entwickelt, produziert und vertreibt. Sie hat ihren Sitz in G-Stadt.
Sowohl der Betrieb der Beteiligten zu1) in G-Stadt als auch der Betrieb der Beteiligten zu 1) in H-Stadt bilden jeweils mit der früheren AA. GmbH, welche nunmehr M. GmbH & Co. KG heißt, einen Gemeinschaftsbetrieb. Im Gemeinschaftsbetrieb G-Stadt waren insgesamt 39 Mitarbeiter beschäftigt. Hiervon standen 32 Mitarbeiter mit der Beteiligten zu 1) in einem Arbeitsverhältnis, die übrigen 7 Mitarbeiter mit der M. GmbH & Co. KG.
Im Gemeinschaftsbetrieb H-Stadt waren 184 Arbeitnehmer beschäftigt. Hiervon standen 171 mit der M. GmbH & Co. KG und 13 mit der Beteiligten zu 1) in einem Arbeitsverhältnis.
Im März 2014 wählten sowohl der Gemeinschaftsbetrieb H-Stadt als auch der Gemeinschaftsbetrieb G-Stadt jeweils einen lokalen Betriebsrat, den „Betriebsrat H-Stadt“ und den „Betriebsrat G-Stadt“. Der Beteiligte zu 3) ist der Betriebsrat G-Stadt.
In den Betriebsrat H-Stadt wurden 7 ordentliche Mitglieder gewählt, die alle in einem Arbeitsverhältnis mit der M. GmbH & Co. KG standen.
Für den Gemeinschaftsbetrieb G-Stadt wurden J., H. und Z. als ordentliche Mitglieder in den Betriebsrat gewählt. Seit dem 01.01.2017 besteht der Betriebsrat nur noch aus dem Betriebsratsmitglied Z., der in einem Arbeitsverhältnis zur M. GmbH & Co. KG steht. Ersatzmitglieder gab es keine.
Für die M. GmbH & Co. KG wurde im April 2014 ein Gesamtbetriebsrat errichtet, welcher aus vier Mitgliedern besteht.
Der Beteiligte zu 2) ist der für die Beteiligte zu 1) durch den Beteiligten zu 3) und den Gemeinschaftsbetriebs H-Stadt errichtete Gesamtbetriebsrat. Am 11.10.2016 unterrichte-te der Beteiligte zu 2) den Geschäftsführer der Beteiligten zu 1) über die konstituierende Sitzung des Beteiligten zu 2). J. aus dem Beteiligten zu 3), G. und R. aus dem Betriebsrat H-Stadt wurden in den Beteiligten zu 2) entsandt.
Herr R. und Herr G. sind Mitarbeiter der M. GmbH & Co. KG H-Stadt, Herr J. war bei der Beteiligten zu 1) in G-Stadt angestellt. Am 28.11.2016 wurde die Beteiligte zu 1) durch Z.in Kenntnis gesetzt, dass der Beteiligte zu 3) am 28.11.2016 beschlossen habe, ihn in den Beteiligten zu 2) zu entsenden. Z. ist Mitarbeiter der M. GmbH & Co. KG am Standort G-Stadt und nicht Mitarbeiter der Beteiligten zu 1).
Mit ihrem am 25.10.2016 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Antrag begehrt die Beteiligte zu 1) die Feststellung der Nichtigkeit der Errichtung des Gesamtbetriebsrates.
Die Errichtung eines „unternehmensübergreifenden“ Gesamtbetriebsrats verstoße gegen zwingende Organisationsvorgaben des BetrVG, konkret gegen § 47 BetrVG. Ein unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat liege auch dann vor, wenn unternehmensfremde Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsandt würden. Einem solchen von unternehmensfremden Betriebsratsmitgliedern errichteten Gesamtbetriebsrat fehle es an jeglicher demokratischer Legitimation, da die entsandten Mitglieder nicht Interessenvertreter der Arbeitnehmerschaft des Unternehmens, sondern eines anderen Unternehmens seien. In den Gesamtbetriebsrat dürften nur unternehmenszugehörige Betriebsratsmitglieder entsandt werden.
Die Beteiligte zu 1) macht ferner geltend, dass der Beschluss über die Entsendung von Z. in den Gesamtbetriebsrat nichtig sei.
Die Beteiligte zu 1) beantragt,
1. festzustellen, dass die Errichtung des Beteiligten zu 2. nichtig ist.
Hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrags zu 1):
2. die Errichtung des Beteiligten zu 2. für unwirksam zu erklären.
3. festzustellen, dass der Beschluss des Betriebsrats des gemeinsamen Betriebs der Antragstellerin und der AA. GmbH in G-Stadt vom 28.11.2016 über die Entsendung des Betriebsratsmitglieds Z. in den Gesamtbetriebsrat der Antragstellerin, d.h. in den Beteiligten zu 2., nichtig ist.
Hilfsweise
4. festzustellen, dass der Beschluss des Betriebsrats des gemeinsamen Betriebes der Antragstellerin und der AA. GmbH in G-Stadt vom 28.11.2016 über die Entsendung des Betriebsratsmitglieds Z. in den Gesamtbetriebsrat der Antragstellerin, d.h. in den Beteiligten zu 2., unwirksam ist.
Der Beteiligte zu 2) und 3) beantragen,
die Anträge abzuweisen.
Der Beteiligte zu 2) ist der Ansicht, dass die Betriebsräte ihrer Verpflichtung nach § 47 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß nachgekommen. § 47 Abs. 2 BetrVG enthalte gerade keine Verpflichtung, dass Mitglieder des Gesamtbetriebsrates in dem jeweiligen Unternehmen beschäftigt sein müssten. Alle diesbezüglichen Probleme stellten sich auch in einem gemeinsamen Betrieb.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 22.11.2016 und 23.05.2017 Bezug genommen.
II.
Die gestellten Hauptanträge haben Erfolg. Sie sind zulässig und begründet.
1. Neben der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 2) war auch der Beteiligte zu 3) am Verfahren zu beteiligen, da aufgrund seines Beschlusses vom 28.11.2016 Z. für den Beteiligten zu 3) in den Beteiligten zu 2) entsandt wurde.
Wer hinsichtlich der gestellten Anträge zu beteiligen ist, muss für jeden Antrag gesondert beurteilt werden. Die zu beteiligenden Stellen und Personen hat das Gericht jeweils von Amts wegen zu prüfen (vgl. etwa BAG v. 10. 2. 2009 – 1 ABR 36/08). Die Rechtsstellung eines Beteiligten folgt vielmehr unmittelbar aus dem materiellen Betriebsverfassungsrecht. Danach sind alle diejenigen Personen und Stellen zu beteiligen, welche durch eine mögliche gerichtliche Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen sein können. Dies trifft für den Beteiligten zu 3) zu.
2. Der Anträge sind zulässig. Beschlüsse über die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG sind als betriebsratsinterne Wahl in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich (BAG 15. August 2001 – 7 ABR 2/99).
3. Die Errichtung des Beteiligten zu 2) ist durch die Entsendung unternehmensfremder Personen in den Gesamtbetriebsrat nichtig.
a) Eine Betriebsratswahl ist nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, wenn diese so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht (vgl. BAG v. 19. 11. 2003 – 7 ABR 25/03). Wegen der schwerwiegenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann eine jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders krassen Wahlverstößen angenommen werden (BAG v. 19. 11. 2003, a.a.O.; BAG v. 10. 6. 1983 – 6 ABR 50/82), wofür es eines offenkundigen Mangels bedarf, demzufolge kein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl besteht. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“ (BAG 19. 11. 2003, a.a.O.). Gleiches muss grundsätzlich auch für die Bildung eines Gesamtbetriebsrates gelten.
b) Gemessen daran, war die Bildung des Gesamtbetriebsrates nichtig.
Die Bildung des Gesamtbetriebsrats mit Betriebsratsmitgliedern, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zu dem Trägerunternehmen stehen ist rechtsunwirksam und nichtig.
aa) Gesetzlich geregelt ist die Frage, ob die aus einem Gemeinschaftsbetrieb in den Gesamtbetriebsrat entsandten Mitglieder in einem Arbeitsverhältnis zu dem jeweiligen Trägerunternehmen stehen müssen, ausdrücklich nicht.
bb) In der Literatur ist dies daher umstritten. Soweit die Ansicht vertreten wird, dass der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes auch solche Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsenden kann, die dem betreffenden Unternehmen nicht angehören (z.B. Fitting § 47 Rn. 81, GK-Kreutz § 47 Rn. 116) folgt die Kammer dieser Ansicht nicht. Dass § 47 Abs. 2 BetrVG dies gerade nicht ausschließt und § 47 Abs. 4 BetrVG, nach welchem durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats abweichend von Abs. 2 Satz 1 geregelt werden kann, insoweit abschließend sei, vermag nicht zu überzeugen. Auch der Wortlaut des § 47 Abs. 9 BetrVG rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
Die Kammer ist der Ansicht, dass nur die Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsandt werden können, die dem jeweiligen Unternehmen angehören. Dies muss auch dann gelten, wenn der entsendende Betriebsrat derjenige eines Gemeinschaftsbetriebes ist.
Es ist als Systembruch anzusehen, wenn auch unternehmensfremde Mitglieder einem Gesamtbetriebsrat angehören können. Dafür spricht insbesondere, dass eine Mitgliedschaft unternehmensfremder Mitglieder zur Folge hätte, dass damit unternehmensfremde Arbeitnehmer über Angelegenheiten von Arbeitnehmern mitbestimmen, zu deren Arbeitgeber sie in keiner rechtlichen Beziehung stehen. Die Folgen der von ihnen ausgeübten Mitbestimmung für Arbeitnehmer eines anderen Unternehmens würden sich für sie selbst nicht auswirken können. (vgl. Hoffmann/Alles, Der „unternehmensübergreifende“ Gesamtbetriebsrat, NZA 2014, 757 m.w.N).
cc) In der Folge ist die Errichtung eines Gesamtbetriebsrats mit unternehmensfremden Betriebsratsmitgliedern auch nicht nur rechtsunwirksam, sondern nichtig. Konsequenz einer solchen Besetzung muss nämlich sein, dass die Handlungen des Gesamtbetriebsrats rechtsunwirksam sind. Der Arbeitgeber kann an die Entscheidungen, anders als bei der bloßen Anfechtbarkeit, nicht gebunden sein. Insoweit war über den Hilfsantrag nicht zu befinden.
4. In der Folge war auch, mit der unter 3. angeführten Begründung, die Entsendung von Z. in den Gesamtbetriebsrat durch Beschluss vom 28.11.2016 nichtig, da dieser nicht Mitarbeiter der Beteiligten zu 1) ist. Über den weiteren Hilfsantrag war nicht mehr zu entscheiden.
II.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 2 Abs. 2 GKG.
III.
Gegen diese Entscheidung können die Beteiligten zu 2) und 3) nach Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung Beschwerde einlegen. Im Einzelnen gilt:

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