IT- und Medienrecht

Außervollzugsetzung einer Verordnung zur sonntäglichen Offenhaltung von Verkaufsstellen aus Anlass des Turamichele-Festes

Aktenzeichen  22 NE 17.526

Datum:
24.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 95
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 47 Abs. 6

 

Leitsatz

Hat das Gericht die Norm, hinsichtlich deren der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO begehrt wird, bereits in einem Hauptsacheverfahren überprüft und ist es hierbei zu dem Ergebnis gelangt, dass sie keinen Bestand haben kann, so ist auch unter Berücksichtigung des strengen Maßstabs, der bei Entscheidungen nach § 47 Abs. 6 VwGO anzuwenden ist, ihre Außervollzugsetzung jedenfalls dann dringend geboten, wenn die im Hauptsacheverfahren vorgenommene gerichtliche Rechtsanwendung auf einer nicht zweifelhaften Tatsachengrundlage beruht und sie sich auf eine eindeutige verfassungsgerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung stützen kann. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verordnung der Antragsgegnerin über das Offenhalten von Verkaufsstellen aus Anlass des Turamichele-Festes vom 30. Januar 2017 (Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 5/6 vom 10.2.2017, S. 22) wird insoweit außer Vollzug gesetzt, als damit eine Sonntagsöffnung im Jahr 2017 gestattet wird.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit dem vorliegenden, am 10. März 2017 gestellten Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO beantragen die Antragsteller bei Schluss der mündlichen Verhandlung,
die Rechtsverordnung der Antragsgegnerin über das Offenhalten von Verkaufsstellen aus Anlass des Turamichele-Festes vom 30. Januar 2017, veröffentlicht im Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 5/6 vom 10. Februar 2017, insoweit außer Vollzug zu setzen, als damit eine Sonntagsöffnung im Jahr 2017 gestattet wird.
§ 1 dieser auf § 14 LadSchlG gestützten Verordnung, die vom Stadtrat der Antragsgegnerin am 15. Dezember 2016 beschlossen und von ihrem Oberbürgermeister am 30. Januar 2017 (unter Berichtigung eines unterlaufenen Redaktionsversehens) ausgefertigt wurde, lautet:
„Anlässlich der jährlich wiederkehrenden Veranstaltungen zum Turamichele-Fest dürfen am Sonntag, den 01.10.2017, 30.09.2018, 29.09.2019, 27.09.2020 und 26.09.2021 Verkaufsstellen im Umfeld des ‚Turamichele-Festes‘ in der Zeit von 13.00 bis 18.00 Uhr ihre Waren zum Verkauf an anbieten.“
§ 2 dieser eine Woche nach ihrer Bekanntmachung in Kraft getretenen Verordnung legt fest, welcher Teil des Stadtgebiets der Antragsgegnerin als „Umfeld des Turamichele-Festes“ gilt.
Zur Begründung ihres Antrags machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend, die Verordnung sei offensichtlich rechtswidrig; bereits deshalb müsse ihr Vollzug suspendiert werden. Die Gesichtspunkte, die nach Auffassung der Antragsteller die Rechtswidrigkeit der verfahrensgegenständlichen Verordnung nach sich ziehen, stimmen mit denen überein, auf die sie den am 13. März 2017 eingereichten Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gestützt haben, u. a. diese Verordnung für unwirksam zu erklären (Verfahren 22 N 17.527). Sollte es danach überhaupt noch auf eine Folgenabwägung ankommen, überwögen ihre Belange sowie das öffentliche Interesse an der Wahrung des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts der Sonn- und Feiertagsruhe die Interessen der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Den Antragstellern stehe kein Anordnungsgrund zur Seite, da eine vorläufige Regelung weder zur Abwendung wesentlicher Nachteile noch aus anderen Gründen nötig erscheine. Da die Außervollzugsetzung einer Norm in der Regel über den Rechtskreis der Antragsteller hinaus Wirkungen zum Vor- oder Nachteil einer großen Zahl von Personen zeitige, sei an die Prüfung der Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO ein strenger Maßstab anzulegen. Es sei zu bestreiten, dass eine ins Gewicht fallende Zahl von Kirchgängern sowie von Mitgliedern der Antragsteller oder anderer Personen deshalb am Besuch von Gottesdiensten oder an der Teilnahme an Veranstaltungen der Antragsteller gehindert werde, weil diese Menschen wegen der am Nachmittag des 1. Oktober 2017 zugelassenen Sonntagsöffnung arbeiten müssten. Vielmehr fänden sowohl Gottesdienste als auch Kundgebungen der Antragsteller üblicherweise vormittags oder abends statt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Normenkontrollantrag der Antragsteller und das vorliegende Rechtsschutzbegehren nach § 47 Abs. 6 VwGO am 24. Mai 2017 mündlich verhandelt.
Durch am 24. Mai 2017 erlassenes Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof u. a. die Ungültigkeit der verfahrensgegenständlichen Verordnung festgestellt, da beide Antragsteller antragsbefugt seien und die Antragsgegnerin keine rechtskonforme Prognose darüber angestellt habe, ob der Besucherstrom, der durch die am „Turamichele-Sonntag“ stattfindenden Veranstaltungen – für sich genommen – ausgelöst wird, die Zahl der Personen übersteigt, die sich allein wegen der zugelassenen Öffnung von Verkaufsstellen in das durch § 2 der verfahrensgegenständlichen Verordnung umgrenzte Gebiet begeben. Ebenfalls unterlassen habe die Antragsgegnerin eine den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügende Prognose darüber, ob die am „Turamichele-Sonntag“ stattfindenden Veranstaltungen eine so große Ausstrahlungswirkung entfalten, dass die werktägliche Geschäftigkeit, die mit der zugelassenen Ladenöffnung einhergeht, als bloßer Annex zu den anlassgebenden Veranstaltungen erscheint. Auch könne nicht davon gesprochen werden, die verfahrensgegenständliche Verordnung stehe trotz des Fehlens rechtskonformer Prognosen im Ergebnis mit den sich aus dem höherrangigen Recht ergebenden Anforderungen in Einklang.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des vorliegenden Rechtsstreits und des Normenkontrollverfahrens 22 N 17.527 verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig und begründet. Die Antragsteller können verlangen, dass die verfahrensgegenständliche Verordnung, soweit sie ein Offenhalten von Verkaufsstellen am Turamichele-Sonntag des laufendes Jahres (d.h. am 1.10.2017) gestattet, außer Vollzug gesetzt wird, da dies im Sinn von § 47 Abs. 6 VwGO „aus anderen wichtigen Gründen“ dringend geboten ist.
Diese Gründe ergeben sich daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof im Normenkontrollverfahren 22 N 17.527 die sichere Überzeugung gewonnen hat, dass die Verordnung vom 30. Januar 2017 mit höherrangigem Recht nicht in Einklang steht. Hat das Gericht die Norm, hinsichtlich derer der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO begehrt wird, bereits in einem Hauptsacheverfahren überprüft und ist es hierbei zu dem Ergebnis gelangt, dass sie keinen Bestand haben kann, so ist auch unter Berücksichtigung des strengen Maßstabs, der bei Entscheidungen nach § 47 Abs. 6 VwGO anzuwenden ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.4.2013 – 22 NE 13.659 – BayVBl 2014, 277 Rn. 27 m.w.N.), ihre Außervollzugsetzung jedenfalls dann dringend geboten, wenn die im Hauptsacheverfahren vorgenommene gerichtliche Rechtsanwendung – wie hier – auf einer nicht zweifelhaften Tatsachengrundlage beruht und sie sich auf eine eindeutige verfassungsgerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung stützen kann (vgl. zur regelmäßig gebotenen Stattgabe eines Antrags nach § 47 Abs. 6 VwGO in Fällen offensichtlicher Ungültigkeit der verfahrensgegenständlichen untergesetzlichen Norm BayVGH, B.v. 1.7.2004 – 22 NE 03.3026 – juris Rn. 3; B.v. 11.8.2009 – 7 NE 09.1378 – NVwZ 2010, 268 Rn. 17; B.v. 25.1.2010 – 22 NE 09.2019 – juris Rn. 19; B.v. 8.4.2013 – 22 NE 13.659 – BayVBl 2014, 277 Rn. 28).
Im gegebenen Fall besteht kein Anlass, von dieser Regel abzuweichen. Vielmehr liegt es auch im Interesse der Gewerbetreibenden, denen durch die verfahrensgegenständliche Verordnung ein Offenhalten von Verkaufsstellen u. a. am 1. Oktober 2017 gestattet wurde, Klarheit darüber zu erlangen, dass sie an jenem Tag von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen dürfen. Ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung bestünde diese Klarheit nicht, da das in der Sache 22 N 17.527 erlassene Urteil mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision angegriffen werden kann. Sollte von dieser Befugnis Gebrauch gemacht werden, würde diese Entscheidung noch während einer u. U. längeren Zeit nicht rechtskräftig. Dies wäre mit den Interessen der begünstigten Ladeninhaber, Planungssicherheit hinsichtlich eines Sonntagsverkaufs am 1. Oktober 2017 zu erlangen, nicht vereinbar. Zugleich käme es bei einem Absehen vom Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung an jenem Tag, falls das in der Sache 22 N 17.527 ergangene Urteil bis dahin nicht rechtskräftig geworden sein sollte, zu der von den Antragstellern in nachvollziehbarer Weise befürchteten Beeinträchtigung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG. Bei bereits gerichtlich – wenn auch ggf. noch nicht rechtskräftig – festgestellter Ungültigkeit einer auf § 14 LadSchlG gestützten Verordnung und fehlenden gegenläufigen Interessen der Allgemeinheit oder Dritter von höherem Gewicht brauchen sie eine solche Beeinträchtigung nicht hinzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Für einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO, der die Außervollzugsetzung einer auf § 14 LadSchlG gestützten Verordnung zum Gegenstand hat, erachtet der Senat grundsätzlich einen Streitwert in Höhe der Hälfte des in § 52 Abs. 2 GKG bezeichneten Betrags für angemessen. Dieser Betrag war hier zum einen deshalb zu verdoppeln, da das Verfahren von zwei zueinander nicht in Rechtsgemeinschaft stehenden Antragstellern betrieben wurde. Eine nochmalige Verdoppelung erscheint im Hinblick darauf angezeigt, dass durch die beantragte Entscheidung die Hauptsache – bezogen auf den 1. Oktober 2017 – vorweggenommen wird.
Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO kein Rechtsmittel eröffnet.

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