Verwaltungsrecht

Dublin-Folgeantragsverfahren (Finnland)

Aktenzeichen  B 5 E 17.31577

Datum:
10.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71
VwVfG VwVfG § 47 Abs. 1, § 51

 

Leitsatz

Lehnt das Bundesamt die Änderung des Erstbescheids, in dem der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden ist, ab, kann die Entscheidung nach § 47 Abs. 1 VwVfG in eine Entscheidung über den Folgeantrag nach § 71 AsylG umgedeutet werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören nach eigenen Angaben der Glaubensgemeinschaft der Zeugen J. an. Sie beantragten am 6. Oktober 2016 in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Mit Bescheid vom 24. Februar 2017 wurden die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheides) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides). Die Abschiebung nach Finnland wurde angeordnet (Ziffer 3 des Bescheides) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4 des Bescheides). Der Bescheid wurde den Antragsteller am 28. Februar 2017 zugestellt. Rechtsmittel ergriffen sie nicht.
Am 21. März 2017 beantragten die Antragsteller erneut Asyl. Zur Begründung führten sie schriftlich und bei ihrer informatorischen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) am 4. April 2017 aus, bei den Antragstellern zu 2 und zu 3 lägen gesundheitliche Einschränkungen vor, am 7. April 2017 stünden operative Eingriffe an, die nicht ohne schwerwiegende Folgen verschoben werden könnten. Außerdem drohe den Antragstellern in Finnland die Abschiebung nach Russland, wo sie als Zeugen J. verfolgt würden. Der Antragsteller zu 1 habe deswegen psychische Probleme, sei aber noch nicht in ärztlicher Behandlung. Die Antragsteller legten außerdem zwei Arztbriefe des Klinikums … vom 15. März 2017 bezüglich der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3 vor. Danach wurden für die Antragstellerin zu 2 eine anteromedialen Varus-Gonarthrose links und ein Zustand nach Plattenosteosynthese Außenknöchel rechts, für den Antragsteller zu 3 eine rezidivierende habituelle Patellaluxation links bei erhöhtem TT-TG-Wert mit Patella-Maltracking und vorderem Knieschmerz links sowie ein lateralisierter Patellafehllauf bei erhöhtem TT-TG-Wert rechts (aktuell asymptomatisch) diagnostiziert.
Mit Bescheid vom 12. April 2017 lehnte das Bundesamt eine Abänderung des Bescheides vom 24. Februar 2017 ab. Es lägen keine Gründe für die Rücknahme dieses Bescheides nach § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vor. Die Asylanträge der Antragsteller seien nach wie vor unzulässig. Auch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragsteller zu 1 bis 3 führten bei einer Überstellung nach Finnland nicht zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Eine Abschiebungsandrohung sei wegen der bestehenden Abschiebungsanordnung entbehrlich. Der Bescheid wurde den Antragstellern am 19. April 2017 zugestellt.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. April 2017, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tage, erhoben die Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 12. April 2017 (B 5 K 17.31556). Mit weiterem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 2. Mai 2017, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tage, ließen die Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beantragen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Antragsteller für die Dauer des Asylverfahrens nicht abgeschoben werden dürfen.
Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtswidrig, da die Antragsteller glaubhaft vorgetragen hätten, dass bei der Antragstellerin zu 2 und dem Antragsteller zu 3 jeweils komplizierte operative Eingriffe unmittelbar bevorstünden. Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, weshalb auf die Vorlage eines ärztlichen Attestes verzichtet worden sei. Der Bescheid berücksichtige nicht den Zustand der Antragsteller nach der Operation, insbesondere ihre Reisefähigkeit. Der Antragsgegnerin habe im Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht einmal Kenntnis davon gehabt, ob die Operationen überhaupt durchgeführt worden seien. Die Ausländerbehörde beabsichtige konkrete Abschiebungsmaßnahmen. Die Richtigkeit der Angaben im Schriftsatz vom 2. Mai 2017 versicherten die Antragsteller zu 1 und zu 2 an Eides statt.
Für die Antragsgegnerin beantragte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 8. Mai 2017,
den Antrag abzulehnen.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten zum Erstantrags- und Folgeverfahren verwiesen.
II.
1. Die zulässigen Anträge sind nicht begründet.
a) Bei der vorliegenden Fallgestaltung (Asylfolgeverfahren) kann vorläufiger Rechtsschutz nur im Wege einstweiliger Anordnung nach § 123 VwGO gewährt werden. Der insoweit statthafte Antrag ist darauf gerichtet, dem Bundesamt vorläufig zu untersagen, eine Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 des Asylgesetzes (AsylG) an die Ausländerbehörde zu richten, wonach die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (vgl. VGH BW, B.v. 13.9.2000 – 11 S 988/99 – NVwZ 2001, Beilage Nr. 1, 8; VG München, B.v. 5.8.2016 – M 24 S 16.31643 – juris Rn. 16; B.v. 1.4.2016 – M 11 E 16.30611 – juris Rn. 13 f. m.w.N.).
b) Die Anträge sind aber nicht begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. § 123 Abs. 1 VwGO setzt ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse der Wahrung des behaupteten Rechts (Anordnungsanspruch) voraus. Beides ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgebend für die Beurteilung sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
aa) Es bestehen schon erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes, also der besonderen Eilbedürftigkeit. Die Antragsteller haben lediglich vorgetragen, dass die Ausländerbehörde konkrete Abschiebungsmaßnahmen plane und die Richtigkeit dieser Angaben an Eides statt versichert. Abgesehen von dieser pauschalen Behauptung sind allerdings Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung der Antragsteller tatsächlich kurzfristig zu erwarten wäre, nicht ersichtlich.
bb) Letztlich kann das Vorliegen eines Anordnungsgrundes aber offen bleiben, da es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehlt. Die Antragsteller haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylfolgeverfahrens.
(1) Die erneuten Asylanträge der Antragsteller stellen sich als Folgeanträge gemäß § 71 AsylG dar. Dass nach dem Wortlaut des Tenors des streitgegenständlichen Bescheides lediglich die Änderung des Erstbescheides abgelehnt wurde, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Denn selbst wenn man darin formal keine Entscheidung über die gestellten Folgeanträge nach § 71 AsylG sehen würde, könnte der Bescheid nach § 47 Abs. 1 VwVfG in eine solche umgedeutet werden. Da der Erstbescheid bereits die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig, die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sowie eine Abschiebungsanordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG enthielt, ist die Ablehnung der Abänderung dieses Bescheides auf die Aufrechterhaltung dieser Rechtsfolge und damit auf das gleiche Ziel gerichtet wie eine ausdrückliche Ablehnung der Folgeanträge als unzulässig, die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine solche Entscheidung wäre jedenfalls auch rechtmäßig (dazu sogleich). Eine (erneute) Abschiebungsandrohung oder -anordnung ist nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ohnehin entbehrlich.
(2) Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein Asylverfahren (nur) durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Danach kommt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nur in Betracht, wenn sich die zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind sowie darüber hinaus der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
Der Bescheid des Bundesamtes 24. Februar 2017, mit dem die ersten Asylanträge der Antragsteller als unzulässig abgelehnt wurden, ist bestandskräftig. Die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen allerdings für die Folgeanträge nicht vor, diese sind damit unzulässig. Die Antragsteller haben im Hinblick auf ihre Asylgründe lediglich vorgetragen, aufgrund neuer und verstärkter Repressalien gegen Zeugen J. eine Verfolgung in Russland zu befürchten. Dies ist schon deshalb unerheblich, da im Bescheid vom 24. Februar 2017 im Rahmen des Dublin-Verfahrens die Abschiebung der Antragsteller nach Finnland angeordnet wurde. Im Hinblick auf diese Entscheidung können sich die Antragsteller weder auf eine Änderung der Sach- oder Rechtslage noch auf das Vorliegen neuer Beweismittel berufen. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, die für systemische Mängel des Asylsystems in Finnland sprechen könnten (vgl.: VG Sigmaringen, B. v. 5.1.2017 – A 4 K 6158/16; VG Bayreuth, B.v. 10.3.2017 – B 3 S 17.50120). Darüber hinaus spielt eine möglicherweise vorhandene oder zu erwartende Entscheidung seitens des Abschiebungszielstaates über den Asylantrag im Rahmen der Bestimmung des für die Entscheidung über den Asylantrag zuständigen Zielstaates keine Rolle. Wie Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) ausdrücklich regelt, ist grundsätzlich nur ein Mitgliedstaat für die Entscheidung über den Asylantrag zuständig. Die Regelungen der Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 17 Dublin III-VO sorgen nicht dafür, dass inzident bei der Frage des zuständigen Mitgliedstaates geprüft werden müsste, wie der zuständige Zielstaat entschieden hat oder entscheiden würde und ob diese Entscheidung den eigenen nationalen Voraussetzungen entsprechen würde, sodass quasi in eine hypothetische materielle Prüfung einzusteigen wäre.
(3) Ebenso liegen keine Abschiebungsverbote i.S.d. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Insbesondere ergeben sich auch aus den von den Antragstellern angegebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen keine Gründe für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche krankheitsbedingte Gefahr setzt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG voraus, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers in seiner Heimat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, wobei eine konkrete Gefahr besteht, wenn der Ausländer alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat in diese Lage geriete, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – BVerwGE 105, 383).
Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Erkrankungen der Antragsteller – so sie tatsächlich vorliegen – in Finnland nicht ausreichend behandelt werden könnten. Das finnische Gesundheitssystem ist räumlich und fachlich hinreichen weit gefächert und gewährt auch Asylsuchenden einen Zugang zu entsprechenden Leistungen (vgl.: http://www…de/einrichtungen/arbeitsbereiche/ppg/service/newsletter/iPG-newsletter_archiv/iPG-NL-02-04/Gesundheitssystem_Finnland/index.html, abgerufen am 10.5.2017; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sozialleistungen an Asylsuchende sowie Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten, Az.: WD 6 – 3000 – 056/16, 3.4). Im Übrigen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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