Europarecht

Dublin-Verfahren (Italien)

Aktenzeichen  Au 5 K 17.50043

Datum:
8.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Ein alleinstehender Mann läuft im Falle seiner Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, wegen systemischer Mängel im dortigen Asylverfahren und/oder der Aufnahmebedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, weil er die elementaren Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrungsaufnahme, Hygienebedürfnis, medizinische Grundversorgung) in noch zumutbarer Weise befriedigen kann. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtkosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2017 ist rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig erachtet und dessen Abschiebung nach Italien angeordnet.
Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers in der … zu Recht als unzulässig behandelt. Auch ist die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1b AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO zuständig ist. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, dessen Grenze der Kläger aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat bzw. – wenn sich dieser Mitgliedstaat nicht feststellen lässt – der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Der hier zuständige Mitgliedstaat ist Italien.
Der Kläger hat in Italien am 23. Juli 2015 Asylantrag gestellt und zu einem späteren Zeitpunkt Italien in Richtung Deutschland verlassen. Damit ist Italien gemäß Art. 18 Abs. 1b Dublin III-VO der zuständige Mitgliedstaat. Unter dem 27. Januar 2017 hat die Beklagte ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet. Hierauf hat Italien nicht reagiert, so dass gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben worden ist, was die Verpflichtung Italiens nach sich zieht, den Kläger wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
Die Abschiebungsanordnung im mit der Klage angegriffenen Bescheid vom 16. Februar 2017 findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt, sofern der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es hierfür nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
Die Abschiebung des Klägers nach Italien ist rechtlich zulässig und tatsächlich möglich.
Die Zuständigkeit ist auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständig, wenn keine Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat erfolgen kann. Die Überstellung nach Italien ist indes nicht unmöglich, denn es bestehen nach Auffassung des Gerichts keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen im italienischen Asylsystem.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 19.3.2014 -10 B 6/14-, juris) liegen systemische Mängel vor, wenn es sich um Defizite handelt, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedsstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Dabei müssen das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sein, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kommen kann und ob ein Kläger dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war (BVerwG, B. v. 6.6.2014 -10 B 35/14-, juris). Derartige individuelle Erfahrungen sind vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung vorliegen. Eine tragfähige Grundlage für die Annahme systemischer Mängel dürfte jedenfalls dann vorliegen, wenn hierfür kompetente Stellen wie der UNHCR und das EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen, errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 132 v. 29.5.2010, S. 11) derartige Mängel feststellen.
Gemessen hieran sind Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen in Italien weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich (vgl. dazu ausführlich OVG Münster, U. v. 22.9.2016 -13 A 2448/15.A-, juris; U. v. 7.7.2016 -13 A 2238/15.A-, juris). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (E.v. 17.9.2014, u.a. 2 BvR 1795/14, juris) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Entscheidung der Großen Kammer v. 4.11.2014,, Nr. 29217/12) geben für den Fall des volljährigen Klägers, der als junger Alleinreisender nicht zu einer besonders schutzwürdigen Gruppe gehört, nichts her. Systemische Mängel in Italien werden in diesen Entscheidungen gerade nicht festgestellt. Beide Gerichte haben vielmehr unter Hervorhebung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern die Auffassung vertreten, eine Überstellung nach Italien bedürfe einer vorherigen Zusicherung der zuständigen italienischen Behörden, dass die jeweils betroffenen Asylsuchenden in Italien in einer der besonderen Situation von Kindern gerecht werdenden Einrichtung gemeinsam mit ihren Eltern untergebracht werden. Diese Entscheidungen, selbst wenn man etwa die Entscheidung des EGMR als Hinweis auf einen systembedingten Mangel der Aufnahmebedingungen in Italien für eine bestimmte Personengruppe verstehen wollte, treffen für den Fall des Klägers indes keine Aussage. So hat auch der EGMR (Entscheidung der Dritten Kammer v. 5.2.2015, A.M.E against the Netherlands, Nr. 51428/10) für einen 21 Jahre alten Mann entschieden, dass eine Verletzung in dem Recht aus Art. 3 EMRK bei Rückkehr nach Italien nicht zu befürchten ist.
Nichts anderes folgt aus dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Aufnahmebedingungen in Italien, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien, abrufbar unter: https://www.f…ch/a…pdf) vom August 2016 (ebenso VG Schwerin, U. v. 26.9.2016 -16 A 1757/15 As SN-, juris). Auch der genannte Bericht liefert keine Hinweise darauf, dass Italien zur Bewältigung der Probleme durch die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen ergreift. Vielmehr reagiert Italien gerade im Bereich der Unterbringung von Asylsuchenden sehr flexibel auf den steigenden Zustrom (OVG Münster, a.a.O.). Dies bestätigen auch die von der … Botschaft R. dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich übermittelten Zahlen über die in Italien in Flüchtlingsunterkünften untergebrachten Personen, die auf Auskünften des italienischen Innenministeriums beruhen (Länderreport von Österreich v. 2.8.2016 und v. 29.9.2016). Aus dem Bericht folgt, dass das italienische Sozialsystem die Deckung der Elementarbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung in noch ausreichender Weise gewährleistet.
Die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ist ebenfalls rechtmäßig. Der Kläger kann sich auf zielstaatsbezogene – bezogen auf Italien – oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote, die in Bezug auf die Abschiebungsanordnung gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden können (vgl. BayVGH, B.v.12.102015 – 11 ZB 15.50050 -, juris Rn. 4; VGH BW, B. v. 31.5.2011, A 11 S 1523/11-, juris; OVG Hamburg, B. v. 3.12.2010 -4 Bs 223/10-, juris), nicht berufen. Er hat insofern weder etwas vorgebracht noch gibt es sonstige Anhaltspunkte hierfür.
Ob die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG auf 6 Monate rechtmäßig ist, kann dahinstehen. Denn die Rechtmäßigkeit der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots, wirkt sich nur dann auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebung aus, wenn der Kläger ausnahmsweise einen Anspruch auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf „Null“ hätte, wenn damit also auch die Ausreiseverpflichtung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entfiele (vgl. BVerwG, U. v. 6.3.2014 -1 C 2/13-, juris). Umstände, die einen solchen Anspruch begründen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Für den Fall von zu lang bemessenem Einreise- und Aufenthaltsverbot ist es dem Kläger zuzumuten, auszureisen und einen ggf. erforderlichen Rechtsstreit vom Ausland aus zu führen.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

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