Verwaltungsrecht

Erkennungsdienstliche Behandlung trotz Bewährungsaussetzung

Aktenzeichen  10 ZB 17.663

Datum:
8.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 111553
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 56 Abs. 1, Abs. 2
StPO § 81b Alt. 2

 

Leitsatz

1. Die günstige Sozialprognose, die einer Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56 StGB zugrunde liegt, führt nicht dazu, dass die präventiv-polizeiliche Gefahrprognose im Rahmen des § 81b Alt. 2 StPO zugunsten des Betroffenen ausfallen muss (Fortführung von BayVGH BeckRS 2012, 52691). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebotenen Abwägung über die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung sind die Art der Anlasstat und das Gewicht und die Wahrscheinlichkeit zukünftiger potentieller Straftaten maßgeblich zu berücksichtigen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßstab für die Prüfung der Erforderlichkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist lediglich, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die zu führenden Ermittlungen, den Betroffenenen letztlich überführend oder entlastend, fördern könnten (Fortführung von BayVGH BeckRS 2015, 56376). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 16.1408 2017-02-14 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 26. September 2016 weiter, mit dem er aufgefordert wird, sich bei der Polizeiinspektion F. einzufinden, um sich näher bezeichneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu unterziehen.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, es bestehe die Gefahr, dass der Kläger künftig ähnliche oder andere Straftaten begehen werde. Es hat dabei auf die vom Kläger bereits begangenen Straftaten (sechs Ermittlungsverfahren, von denen drei mit der Verurteilung zu einer Geldstrafe endeten) sowie die Art und Weise der Begehung der Anlasstat abgestellt. Die Entzündung eines Altkleidercontainers und eines PKW sowie das Öffnen von insgesamt sieben Hydranten in zwei aufeinanderfolgenden Nächten zeugten von einer mangelnden Achtung vor Einrichtungen der Allgemeinheit und fremdem Besitz. Leichtsinn und alkoholbedingte Enthemmung könnten diese Taten nur ansatzweise zu erklären, sie offenbarten jedenfalls vor dem Hintergrund dreier bereits erfolgter strafrechtlicher Verurteilungen eine erhebliche Unberechenbarkeit im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Regeln. Die Strafaussetzung zur Bewährung der für die Anlasstat verhängten Freiheitsstrafe vermöge die unter präventiven Gesichtspunkten anzunehmende Wiederholungsgefahr nicht zu beseitigen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Bei der Anlasstat handle es um ein die Allgemeinheit massiv beeinträchtigendes strafbares Verhalten. Demgegenüber sei die erkennungsdienstliche Behandlung für den Kläger nur mit einer geringen Beeinträchtigung verbunden und damit zumutbar. Ermessensfehler seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die durch die erkennungsdienstliche Behandlung gewonnenen Daten seien auch geeignet, zukünftige Ermittlungen zu fördern. Die Anlasstat scheine in besonderem Maße geeignet, die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu rechtfertigen, da sich in solchen Fällen ein wesentlicher Teil der Ermittlungsarbeit auf die Auswertung von Zeugenaussagen und Fingerabdrücken stützen dürfe.
Der Kläger bringt im Zulassungsverfahren zunächst vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass das Strafgericht bei der Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich der Anlasstat davon ausgegangen sei, er werde sich künftig straffrei führen. Es hätte daher ausführen müssen, warum er entgegen der Einschätzung des Strafgerichts weiter Straftaten begehen werde.
Damit zeigt der Kläger keine Umstände auf, die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils begründen könnten. Zunächst ist festzustellen, dass sich das Verwaltungsgericht entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag in seinem Urteil mit der im Strafverfahren erfolgten Strafaussetzung auseinandergesetzt hat (UA S. 8) und dabei auf den Unterschied zwischen einer positiven Sozialprognose im Strafverfahren und der präventiven Zielsetzung des § 81b 2. Alt. StPO sowie auf die mit Blick auf die Schwere der Anlasstat geringeren Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung von Straftaten eingegangen ist. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Strafaussetzung zur Bewährung im Strafverfahren (§ 56 StGB) nicht dazu führt, dass auch die im Rahmen des § 81b 2. Alt. StPO aus präventivpolizeilicher Sicht anzustellende Gefahrenprognose zugunsten des Klägers ausfallen muss. Nach § 56 Abs. 1 und 2 StGB muss bzw. kann die Vollstreckung einer bestimmten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei ist für die Bejahung einer günstigen Sozialprognose im Sinn von § 56 StGB ausreichend, dass die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer ist als diejenige neuer Straftaten (vgl. Stree/Kinzing in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage, § 56 Rn. 16). Der anzulegende Maßstab für die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist dagegen ein anderer. In diesem Rahmen kommt es darauf an, ob der festgestellte Sachverhalt unter Berücksichtigung der Art, Schwere und Begehungsweise der Anlasstat, der Täterpersönlichkeit sowie der Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen der Betroffene strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass er künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter einer noch aufzuklärenden Straftat einbezogen werden könnte. Diese Bewertung kann auch wegen eines Risikos gerechtfertigt sein, das bei der Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB noch in Kauf genommen werden kann. Der unterschiedliche Prognosemaßstab findet seine Erklärung darin, dass eine unzutreffende Prognose im Rahmen des § 81b 2. Alt. StPO – anders als bei einer Strafaussetzung zur Bewährung im Rahmen des Strafverfahrens – nicht mehr korrigiert werden kann. Eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB schließt deshalb die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2011 – 10 ZB 11.365 – juris Rn. 5 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 9.5.2014 – 3 A 82/13 – juris Rn. 8).
Weiter vertritt der Kläger die Ansicht, das Gericht habe bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht ausschließlich auf die Schwere der Anlassstraftat abstellen dürfen, sondern eine Abwägung im Einzelfall treffen und berücksichtigen müssen, dass die Begehungsumstände eher jugendtypisch seien.
Auch mit diesem Vorbringen zieht er die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ernsthaft in Zweifel. Bei der im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebotenen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der effektiven Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen am Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist maßgeblich zu berücksichtigen, welcher Art das Delikt ist, auf das sich die bestehenden Verdachtsmomente beziehen. Auch das Gewicht und die Wahrscheinlichkeit derjenigen Straftaten, bei denen der Kläger zukünftig zum Kreis der potentiellen Beteiligten gehören kann, ist miteinzubeziehen (BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 10 CS 15.1564 – juris Rn. 27 m.w.N.). Bei der anhand dieser Kriterien gebotenen Abwägung ist das Verwaltungsgericht zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass es sich bei den Anlasstaten um die Allgemeinheit und fremden Besitz schwer beeinträchtigende Delikte handelt. Die Alkoholisierung und den „Leichtsinn“ des Klägers hat das Gericht bei der Prüfung der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung berücksichtigt und hierzu ausgeführt, dass diese Faktoren die Straftaten nur ansatzweise erklären könnten und dabei insbesondere auf die vorangegangenen Verurteilungen und die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung neuer Straftaten abgestellt. Der Vorwurf des Klägers, die Berücksichtigung der Schwere des Delikts führe jenseits der Bagatellkriminalität automatisch zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung, trifft daher gerade nicht zu. Den Ausschlag dafür, die erkennungsdienstliche Behandlung anzuordnen, gab neben der Schwere des Delikts vor allem die kontinuierliche Straffälligkeit des Klägers und die damit hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung neuer Straftaten. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch das Vorbringen des Klägers, die Anlasstaten stellten ein eher jugendtypisches Verhalten dar, bei einem im Tatzeitpunkt 26 Jahre alten, bereits vorbestraften Täter als nicht stichhaltig.
Soweit der Kläger vorbringt, es sei nicht erkennbar, wieso ohne die erkennungsdienstliche Behandlung die eventuell künftig von ihm begangenen Straftaten „nur sehr schwer oder gar nicht aufzuklären“ sein sollen, sind diese Ausführungen nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu begründen. Das Zitat des Kläger stammt aus einer Passage des streitgegenständlichen Bescheids vom 26. September 2016 (S. 4 3. Absatz a. E.), die sich im Urteil nicht findet. Maßstab für die Prüfung der Erforderlichkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung ist lediglich, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die zu führenden Ermittlungen, den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend, fördern könnten (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 10 CS 15.1564 – juris Rn. 17 m.w.N.). Diese Kriterien hat das Erstgericht seiner Beurteilung, wonach die Vorlage von Lichtbildern bei Zeugen oder der Abgleich sichergestellter Fingerabdrücke mit denjenigen des Klägers die Ermittlungen fördern und den Kläger bei Verdachtsfällen von einem unzutreffenden Verdacht befreien könnten, richtigerweise zugrunde gelegt (UA S. 8/9). Selbst wenn der Kläger bislang die ihm jeweils zur Last gelegten Straftaten eingeräumt hat, sind in der Zukunft auch Konstellationen denkbar, in denen die Beweislage nicht eindeutig für seine Täterschaft spricht (bei den abgeurteilten Straftaten wurde der Kläger mehr oder weniger auf frischer Tat ertappt). Zudem ist zu bedenken, dass erkennungsdienstliche Unterlagen auch entlastend wirken können.
Auch wenn der Kläger sich wegen der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung wie ein Schwerverbrecher fühlt, hat das Erstgericht die Klage gegen die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung zu Recht abgewiesen. Die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO ist eine präventiv-polizeiliche Maßnahme zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung und führt nicht zu einer Schuldfeststellung (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2015 – 10 C 15.304 – juris Rn. 7 m.w.N.). Eine Stigmatisierung des Klägers als Straftäter tritt damit nicht ein, so dass diesem Gesichtspunkt bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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